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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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kanzlei eingezogen war, kam über ihn der Geist des Bürokraten, wo er doch
Politiker, ja Staatsmann sein wollte. Er fand nicht den Mut, sich der Macht¬
mittel des Staates zu bemächtigen und sie als "Mann der Tat" zu nutzen.
Dieselbe Halbheit, die er seinem alten Gegner Bethmann-Hollweg zum Vor¬
wurf machte, war sein einziges Ncgierungsprinzip. Wie konnte einem solchen
Manne sich die Beamtenschaft zur Verfügung stellen? I

So hart die Worte klingen mögen, die hier niedergeschrieben werden, sie
müssen rückhaltlos gesagt werden, wenn wir eine Aussicht haben sollen, aus
dem Hexenkessel herauszukommen! Wir brauchen Wahrheit. Wahrheit gegen
unsere Freunde. Wahrheit gegen uns selbst! Keine Beschönigung, keine Rück¬
sichtnahme. Die Kappiade hat uns in einen Abgrund blicken lassen, über den
wir ahnungslos hinschritten. Das; uns der Blick dafür geöffnet wurde, ist viel¬
leicht das einzig Guts, schmerzvoll freilich, das der Pulses gebracht hat. . Der
Abgrund, den wir schaudernd erkennen, ist die tiefe Kluft, die das deutsche
Volk gespalten hat. Es ist, als wenn mehrere Lager in fremden, einander unver¬
ständlichen Sprachen sprechen. Der Volkskörper wird wie im Fieber geschüttelt
und hin und her geworfen und or scheint zu schwach, die Fiebererreger abzustoßen.
Die qualvollen Bemühungen um die Kabinettsbildung zeigen ebenso wie das
Verhalten der Bevölkerung während des Märzpuisches, wie sehr alle Welt nach
Ruhe sich sehnt und wie groß die Furcht ist vor rauhen, ja selbst vor tat¬
kräftigen Naturen. Die Furcht vor der Möglichkeit des Wiederaufloderns des
Weltkrieges beherrscht alle Kreise. Meine Diagnose vom November 1918 bleibt
richtig. Jahre werden notwendig sein, um das Volk von dieser verständlichen
Furcht zu heilen. Und erst dann wird das deutsche Volk wieder ebenbürtig
neben den andern Völkern stehn und ein wahrer Friedensfaktor sein können. Furcht
'se die Keimzelle alles Unheils von jeher gewesen.

Was jetzt in Deutschland vor sich geht, ist nicht eine Folgeerscheinung des
Kapp-Abenteuers, sonder" eine Parallelerscheinung. Die große Gefahr, in der
Deutschland sich befand, war die Möglichkeit, daß beide Erscheinungen sich ver¬
einigten: der Militärputsch und die radikale, zum Bolschewismus drängende
Arbeiterbewegung. Diese Vereinigung haben Schiffer, Stresemann und Südekum
verhindert, indem es ihnen noch in letzter Stunde glückte, die Militärgewalt
wieder in eine Hand zu bringen und der verfassungsmäßigen Regierung zur
Verfügung zu stellen. Der Druck des Generalstreiks hatte solches nicht erreicht,
wie der Vorwärts behauptet. Dazu gehörte persönliche Einwirkung, Über¬
redung. Verhandlung. Wenn heute das offizielle Organ der Sozialdemokratie
gerade wegen dieser Leistung Schiffer aus dem Kabinett entfernt wissen will,
w ist das ein Zeichen, daß die Mehrheitssozialisten, die schon ihren Roste,
Wirrig, Heine preisgaben, sich auf den Standpunkt der Putschisten von links
stellen und mit vollen Segeln in den Bolschewismus hinein zu steuern be¬
absichtigen.

Gegenüber dieser Erscheinung gibt es unseres Erachtens nur ein Mittel:
alle Elemente, die den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wiederaufbau


kanzlei eingezogen war, kam über ihn der Geist des Bürokraten, wo er doch
Politiker, ja Staatsmann sein wollte. Er fand nicht den Mut, sich der Macht¬
mittel des Staates zu bemächtigen und sie als „Mann der Tat" zu nutzen.
Dieselbe Halbheit, die er seinem alten Gegner Bethmann-Hollweg zum Vor¬
wurf machte, war sein einziges Ncgierungsprinzip. Wie konnte einem solchen
Manne sich die Beamtenschaft zur Verfügung stellen? I

So hart die Worte klingen mögen, die hier niedergeschrieben werden, sie
müssen rückhaltlos gesagt werden, wenn wir eine Aussicht haben sollen, aus
dem Hexenkessel herauszukommen! Wir brauchen Wahrheit. Wahrheit gegen
unsere Freunde. Wahrheit gegen uns selbst! Keine Beschönigung, keine Rück¬
sichtnahme. Die Kappiade hat uns in einen Abgrund blicken lassen, über den
wir ahnungslos hinschritten. Das; uns der Blick dafür geöffnet wurde, ist viel¬
leicht das einzig Guts, schmerzvoll freilich, das der Pulses gebracht hat. . Der
Abgrund, den wir schaudernd erkennen, ist die tiefe Kluft, die das deutsche
Volk gespalten hat. Es ist, als wenn mehrere Lager in fremden, einander unver¬
ständlichen Sprachen sprechen. Der Volkskörper wird wie im Fieber geschüttelt
und hin und her geworfen und or scheint zu schwach, die Fiebererreger abzustoßen.
Die qualvollen Bemühungen um die Kabinettsbildung zeigen ebenso wie das
Verhalten der Bevölkerung während des Märzpuisches, wie sehr alle Welt nach
Ruhe sich sehnt und wie groß die Furcht ist vor rauhen, ja selbst vor tat¬
kräftigen Naturen. Die Furcht vor der Möglichkeit des Wiederaufloderns des
Weltkrieges beherrscht alle Kreise. Meine Diagnose vom November 1918 bleibt
richtig. Jahre werden notwendig sein, um das Volk von dieser verständlichen
Furcht zu heilen. Und erst dann wird das deutsche Volk wieder ebenbürtig
neben den andern Völkern stehn und ein wahrer Friedensfaktor sein können. Furcht
'se die Keimzelle alles Unheils von jeher gewesen.

Was jetzt in Deutschland vor sich geht, ist nicht eine Folgeerscheinung des
Kapp-Abenteuers, sonder» eine Parallelerscheinung. Die große Gefahr, in der
Deutschland sich befand, war die Möglichkeit, daß beide Erscheinungen sich ver¬
einigten: der Militärputsch und die radikale, zum Bolschewismus drängende
Arbeiterbewegung. Diese Vereinigung haben Schiffer, Stresemann und Südekum
verhindert, indem es ihnen noch in letzter Stunde glückte, die Militärgewalt
wieder in eine Hand zu bringen und der verfassungsmäßigen Regierung zur
Verfügung zu stellen. Der Druck des Generalstreiks hatte solches nicht erreicht,
wie der Vorwärts behauptet. Dazu gehörte persönliche Einwirkung, Über¬
redung. Verhandlung. Wenn heute das offizielle Organ der Sozialdemokratie
gerade wegen dieser Leistung Schiffer aus dem Kabinett entfernt wissen will,
w ist das ein Zeichen, daß die Mehrheitssozialisten, die schon ihren Roste,
Wirrig, Heine preisgaben, sich auf den Standpunkt der Putschisten von links
stellen und mit vollen Segeln in den Bolschewismus hinein zu steuern be¬
absichtigen.

Gegenüber dieser Erscheinung gibt es unseres Erachtens nur ein Mittel:
alle Elemente, die den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wiederaufbau


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[0331] kanzlei eingezogen war, kam über ihn der Geist des Bürokraten, wo er doch Politiker, ja Staatsmann sein wollte. Er fand nicht den Mut, sich der Macht¬ mittel des Staates zu bemächtigen und sie als „Mann der Tat" zu nutzen. Dieselbe Halbheit, die er seinem alten Gegner Bethmann-Hollweg zum Vor¬ wurf machte, war sein einziges Ncgierungsprinzip. Wie konnte einem solchen Manne sich die Beamtenschaft zur Verfügung stellen? I So hart die Worte klingen mögen, die hier niedergeschrieben werden, sie müssen rückhaltlos gesagt werden, wenn wir eine Aussicht haben sollen, aus dem Hexenkessel herauszukommen! Wir brauchen Wahrheit. Wahrheit gegen unsere Freunde. Wahrheit gegen uns selbst! Keine Beschönigung, keine Rück¬ sichtnahme. Die Kappiade hat uns in einen Abgrund blicken lassen, über den wir ahnungslos hinschritten. Das; uns der Blick dafür geöffnet wurde, ist viel¬ leicht das einzig Guts, schmerzvoll freilich, das der Pulses gebracht hat. . Der Abgrund, den wir schaudernd erkennen, ist die tiefe Kluft, die das deutsche Volk gespalten hat. Es ist, als wenn mehrere Lager in fremden, einander unver¬ ständlichen Sprachen sprechen. Der Volkskörper wird wie im Fieber geschüttelt und hin und her geworfen und or scheint zu schwach, die Fiebererreger abzustoßen. Die qualvollen Bemühungen um die Kabinettsbildung zeigen ebenso wie das Verhalten der Bevölkerung während des Märzpuisches, wie sehr alle Welt nach Ruhe sich sehnt und wie groß die Furcht ist vor rauhen, ja selbst vor tat¬ kräftigen Naturen. Die Furcht vor der Möglichkeit des Wiederaufloderns des Weltkrieges beherrscht alle Kreise. Meine Diagnose vom November 1918 bleibt richtig. Jahre werden notwendig sein, um das Volk von dieser verständlichen Furcht zu heilen. Und erst dann wird das deutsche Volk wieder ebenbürtig neben den andern Völkern stehn und ein wahrer Friedensfaktor sein können. Furcht 'se die Keimzelle alles Unheils von jeher gewesen. Was jetzt in Deutschland vor sich geht, ist nicht eine Folgeerscheinung des Kapp-Abenteuers, sonder» eine Parallelerscheinung. Die große Gefahr, in der Deutschland sich befand, war die Möglichkeit, daß beide Erscheinungen sich ver¬ einigten: der Militärputsch und die radikale, zum Bolschewismus drängende Arbeiterbewegung. Diese Vereinigung haben Schiffer, Stresemann und Südekum verhindert, indem es ihnen noch in letzter Stunde glückte, die Militärgewalt wieder in eine Hand zu bringen und der verfassungsmäßigen Regierung zur Verfügung zu stellen. Der Druck des Generalstreiks hatte solches nicht erreicht, wie der Vorwärts behauptet. Dazu gehörte persönliche Einwirkung, Über¬ redung. Verhandlung. Wenn heute das offizielle Organ der Sozialdemokratie gerade wegen dieser Leistung Schiffer aus dem Kabinett entfernt wissen will, w ist das ein Zeichen, daß die Mehrheitssozialisten, die schon ihren Roste, Wirrig, Heine preisgaben, sich auf den Standpunkt der Putschisten von links stellen und mit vollen Segeln in den Bolschewismus hinein zu steuern be¬ absichtigen. Gegenüber dieser Erscheinung gibt es unseres Erachtens nur ein Mittel: alle Elemente, die den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wiederaufbau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/331>, abgerufen am 01.09.2024.