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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Hetzpolitik -- Aufbaupolitik

wistischen Deutschland das Geld ablehnen und statt seiner erst Jndustrieerzeug-
nisse nehmen, solange solche überhaupt zu haben sind, später, wenn die gesamte
Industrie verkümmert ist. alles was er von: Städter überhaupt bekommen kann:
Bekleidungsgegenstände, Wäsche, Stiefel, Möbel usw., bis der Städter, der
nicht inzwischen verhungert ist, nackend umherläuft. Die Emanzipation der
Städte von der Bevormundung des Landes, um die seit Jahrzehnten der
politische Kampf ganz besonders heiß in Preußen geführt wurde, verwandelt
sich in eine Versklavung der Städte durch das Land, wenn der Bolschewismus
seinen Weg nach Berlin finden sollte.

Weisen wir der Negierung Ebert-Bauer die Schuld dafür zu, daß es zu
dem Pulses der Kapp-Leute kommen konnte, so stehen wir nicht an, das Auf¬
treten dieses Kreises als ein Verbrechen am deutschen Volke zu brandmarken.
Dem Pulses fehlen alle Merkmale hochgemuter Opferbereitschaft, Verantwortungs-
fceudigkeit, idealen Schwunges, Tatkraft bei den Führern. Eine Truppe alarmieren
kann schließlich jeder, der auf den Alarmknopf zu drücken versteht; ein gemischtes
Detachement mit Kolonnen von Döberitz nach Berlin sichren soll jeder Fähnrich
rach beendeten Kriegsschulkursus können; selbst eine Stadt wie Berlin mili¬
tärisch besetzen ist eine Aufgabe, der in heutiger Zeit nach monatelanger Übung
jeder Stabsoffizier der Berliner Garnison gewachsen sein - dürfte. Aber eine
Regierungsgewalt etablieren, dazu gehört mehr, dazu gehört Hingabe, Selbst¬
aufopferung, KraftI Darum hat auch nicht etwa das Militär versagt, sondern
in erster Linie der Vertreter der Zivilgewalt, Herr Kapp, den die Revolutio¬
näre auf ihren Schild gehoben haben. Herrn Kapp, der eine Regierung der
Tat proklamierte, fehlte die Tatkraft, die allein befähigt, Schwierigkeiten zu
überwinden, Freunde festzuhalten, Laue mitzureißen. Am 13. März früh
konnte man in ganz Berlin ein Aufatmen verspüren, als es hieß, Männer des
alten Regiments hätten die Macht an sich gerissen und wollten mit dem Bolsche¬
wismus aufräumen. Man nahm auch Kapp in Kauf, selbst Jagow, wenn sie
nur entschlossen handelten.

Seit dem 9. November 1918 ist dem Andenken des alten Regime von keiner
Seite ein so harter Schlag versetzt worden, wie durch Herrn Kapp. Nicht die Demo¬
kraten brauchten Kapp zu steinigen, der durch seine Unwissenheit und seinen Mangel
an Verantwortungsfreudigkeit die Anhänger am alten System blamiert hat.
Wenn Herr Kapp der Mann wäre, als der er weit und breit bewertet wurde,
dann hätte er den unvorbereiteter Pulses verhindern müssen und es der Ne¬
gierung überlassen, ihn in den Anklagezustand zu versetzen. Ein sich daraus
ergebender politischer Prozeß von riesigen Ausmaßen hätte Gelegenheit gegeben,
eine Propaganda ins Land zu tragen, die nicht ohne Einfluß auf die künftigen
Wahlen bleiben konnte. Herr Kapp wäre dann zu einem Nationalhelden ge¬
worden und hätte auf die Entwicklung der heimischen Politik einen gewaltigen
Einfluß ausgeübt. Jetzt ist er zum Werkzeug einiger Desperados herab¬
gesunken, zu einem Verbrecher an seinem Volke. Als er dann in die Reichs--


Hetzpolitik — Aufbaupolitik

wistischen Deutschland das Geld ablehnen und statt seiner erst Jndustrieerzeug-
nisse nehmen, solange solche überhaupt zu haben sind, später, wenn die gesamte
Industrie verkümmert ist. alles was er von: Städter überhaupt bekommen kann:
Bekleidungsgegenstände, Wäsche, Stiefel, Möbel usw., bis der Städter, der
nicht inzwischen verhungert ist, nackend umherläuft. Die Emanzipation der
Städte von der Bevormundung des Landes, um die seit Jahrzehnten der
politische Kampf ganz besonders heiß in Preußen geführt wurde, verwandelt
sich in eine Versklavung der Städte durch das Land, wenn der Bolschewismus
seinen Weg nach Berlin finden sollte.

Weisen wir der Negierung Ebert-Bauer die Schuld dafür zu, daß es zu
dem Pulses der Kapp-Leute kommen konnte, so stehen wir nicht an, das Auf¬
treten dieses Kreises als ein Verbrechen am deutschen Volke zu brandmarken.
Dem Pulses fehlen alle Merkmale hochgemuter Opferbereitschaft, Verantwortungs-
fceudigkeit, idealen Schwunges, Tatkraft bei den Führern. Eine Truppe alarmieren
kann schließlich jeder, der auf den Alarmknopf zu drücken versteht; ein gemischtes
Detachement mit Kolonnen von Döberitz nach Berlin sichren soll jeder Fähnrich
rach beendeten Kriegsschulkursus können; selbst eine Stadt wie Berlin mili¬
tärisch besetzen ist eine Aufgabe, der in heutiger Zeit nach monatelanger Übung
jeder Stabsoffizier der Berliner Garnison gewachsen sein - dürfte. Aber eine
Regierungsgewalt etablieren, dazu gehört mehr, dazu gehört Hingabe, Selbst¬
aufopferung, KraftI Darum hat auch nicht etwa das Militär versagt, sondern
in erster Linie der Vertreter der Zivilgewalt, Herr Kapp, den die Revolutio¬
näre auf ihren Schild gehoben haben. Herrn Kapp, der eine Regierung der
Tat proklamierte, fehlte die Tatkraft, die allein befähigt, Schwierigkeiten zu
überwinden, Freunde festzuhalten, Laue mitzureißen. Am 13. März früh
konnte man in ganz Berlin ein Aufatmen verspüren, als es hieß, Männer des
alten Regiments hätten die Macht an sich gerissen und wollten mit dem Bolsche¬
wismus aufräumen. Man nahm auch Kapp in Kauf, selbst Jagow, wenn sie
nur entschlossen handelten.

Seit dem 9. November 1918 ist dem Andenken des alten Regime von keiner
Seite ein so harter Schlag versetzt worden, wie durch Herrn Kapp. Nicht die Demo¬
kraten brauchten Kapp zu steinigen, der durch seine Unwissenheit und seinen Mangel
an Verantwortungsfreudigkeit die Anhänger am alten System blamiert hat.
Wenn Herr Kapp der Mann wäre, als der er weit und breit bewertet wurde,
dann hätte er den unvorbereiteter Pulses verhindern müssen und es der Ne¬
gierung überlassen, ihn in den Anklagezustand zu versetzen. Ein sich daraus
ergebender politischer Prozeß von riesigen Ausmaßen hätte Gelegenheit gegeben,
eine Propaganda ins Land zu tragen, die nicht ohne Einfluß auf die künftigen
Wahlen bleiben konnte. Herr Kapp wäre dann zu einem Nationalhelden ge¬
worden und hätte auf die Entwicklung der heimischen Politik einen gewaltigen
Einfluß ausgeübt. Jetzt ist er zum Werkzeug einiger Desperados herab¬
gesunken, zu einem Verbrecher an seinem Volke. Als er dann in die Reichs--


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[0330] Hetzpolitik — Aufbaupolitik wistischen Deutschland das Geld ablehnen und statt seiner erst Jndustrieerzeug- nisse nehmen, solange solche überhaupt zu haben sind, später, wenn die gesamte Industrie verkümmert ist. alles was er von: Städter überhaupt bekommen kann: Bekleidungsgegenstände, Wäsche, Stiefel, Möbel usw., bis der Städter, der nicht inzwischen verhungert ist, nackend umherläuft. Die Emanzipation der Städte von der Bevormundung des Landes, um die seit Jahrzehnten der politische Kampf ganz besonders heiß in Preußen geführt wurde, verwandelt sich in eine Versklavung der Städte durch das Land, wenn der Bolschewismus seinen Weg nach Berlin finden sollte. Weisen wir der Negierung Ebert-Bauer die Schuld dafür zu, daß es zu dem Pulses der Kapp-Leute kommen konnte, so stehen wir nicht an, das Auf¬ treten dieses Kreises als ein Verbrechen am deutschen Volke zu brandmarken. Dem Pulses fehlen alle Merkmale hochgemuter Opferbereitschaft, Verantwortungs- fceudigkeit, idealen Schwunges, Tatkraft bei den Führern. Eine Truppe alarmieren kann schließlich jeder, der auf den Alarmknopf zu drücken versteht; ein gemischtes Detachement mit Kolonnen von Döberitz nach Berlin sichren soll jeder Fähnrich rach beendeten Kriegsschulkursus können; selbst eine Stadt wie Berlin mili¬ tärisch besetzen ist eine Aufgabe, der in heutiger Zeit nach monatelanger Übung jeder Stabsoffizier der Berliner Garnison gewachsen sein - dürfte. Aber eine Regierungsgewalt etablieren, dazu gehört mehr, dazu gehört Hingabe, Selbst¬ aufopferung, KraftI Darum hat auch nicht etwa das Militär versagt, sondern in erster Linie der Vertreter der Zivilgewalt, Herr Kapp, den die Revolutio¬ näre auf ihren Schild gehoben haben. Herrn Kapp, der eine Regierung der Tat proklamierte, fehlte die Tatkraft, die allein befähigt, Schwierigkeiten zu überwinden, Freunde festzuhalten, Laue mitzureißen. Am 13. März früh konnte man in ganz Berlin ein Aufatmen verspüren, als es hieß, Männer des alten Regiments hätten die Macht an sich gerissen und wollten mit dem Bolsche¬ wismus aufräumen. Man nahm auch Kapp in Kauf, selbst Jagow, wenn sie nur entschlossen handelten. Seit dem 9. November 1918 ist dem Andenken des alten Regime von keiner Seite ein so harter Schlag versetzt worden, wie durch Herrn Kapp. Nicht die Demo¬ kraten brauchten Kapp zu steinigen, der durch seine Unwissenheit und seinen Mangel an Verantwortungsfreudigkeit die Anhänger am alten System blamiert hat. Wenn Herr Kapp der Mann wäre, als der er weit und breit bewertet wurde, dann hätte er den unvorbereiteter Pulses verhindern müssen und es der Ne¬ gierung überlassen, ihn in den Anklagezustand zu versetzen. Ein sich daraus ergebender politischer Prozeß von riesigen Ausmaßen hätte Gelegenheit gegeben, eine Propaganda ins Land zu tragen, die nicht ohne Einfluß auf die künftigen Wahlen bleiben konnte. Herr Kapp wäre dann zu einem Nationalhelden ge¬ worden und hätte auf die Entwicklung der heimischen Politik einen gewaltigen Einfluß ausgeübt. Jetzt ist er zum Werkzeug einiger Desperados herab¬ gesunken, zu einem Verbrecher an seinem Volke. Als er dann in die Reichs--

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/330>, abgerufen am 22.12.2024.