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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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und Schreibens und Rechnen mit den Zahlen bis 100. Daneben sind Unter¬
richtsgänge in die Umgebung der Schule zu unternehmen, also "Handgemein-
werden mit den Dingen" selber. Ohne weiteres wird man zugeben müssen,
daß Kinder, deren Eltern sich auch nur im geringsten um sie kümmern können,
dies Pensum bereits bewältigt haben, wenn sie in die Schule eintreten. Für sie
ist das erste Schuljahr dann verloren; sie werden dadurch, daß sie gezwungen
sind, sich mit all den Dingen, die sie bereits kennen, noch einmal zu beschäftigen,
höchstens den berühmten "Schulekelvon dem die Reformer die Kinder heilen
wollen, schon am Anfang ihrer Laufbahn bekommen.

Das hat man auch durchaus eingesehen, und deshalb will man vor die
Schule Kindergärten legen, die für die Kinder obligatorisch sein sollen, deren
Eltern gezwungen sind, auf die Arbeit tagsüber zu gehen. Dann wird man an
den Lehrplan der Grundschule höhere Anforderungen stellen können, und damit
werden die eben geäußerten Bedenken wegfallen. Aber leider ist es noch nicht so
weit, und statt nun wenigstens so lange zu warten, bis diese Kindergärten ein¬
geführt sind, fordert der Entwurf schon heute die vierjährige Grundschule zwangs¬
gemäß, denn die öffentlichen privaten Vorschulen werden abgebaut und der Privat¬
unterricht verboten.

Kein Kind wird also künftig imstande sein, die Zwangsgrundschule vor vier
Jahren zu absolvieren. Von der Begründung, die dem Gesetzentwurf beigegeben
ist, werden hierfür zwei Gründe angegeben; der schon angedeutete soziale erhält
dabei folgende Form: "Der soziale Zweck der Grundschule, die Kinder aller Be¬
völkerungskreise so lange wie möglich in der gleichen Schule zu vereinigen, würde
in einer dreijährigen Grundschule nur in unzureichender Weise erfüllt werden."
Auch meiner Meinung nach sollte im allgemeinen die Grundschule auf vier Jahre
bemessen werden. Damit ist aber nicht gesagt, daß nicht anch Einrichtungen ge¬
troffen werden könnten, die es geeigneten Schülern ermöglichen, diese Grundschule
bereits in drei Jahren zu absolvieren. Der angeführte Satz der Begründung
liefert keinen Beweis gegen diese Möglichkeit. Deshalb tritt nun ein päda¬
gogischer an seine Seite: Eine dreijährige Grundschule "würde die Scheidung
der Kinder nach der Art der Begabung und beabsichtigten Berufsausbildung zu
einem Zeitpunkt notwendig machen, der für eine richtige Auslese noch keine zu¬
verlässigen Anhaltspunkte bietet, die selbst bei einer vierjährigen Dauer der Grund¬
schule noch unsicher bleiben." Und weiter: "Der Aufstieg der geistig begabten Kinder
aus allen Volksklassen .. . wird durch eine längere Dauer der Grundschule sicherer
gewährleistet als durch eine kürzere." Es wäre besser gewesen, wenn der Ent¬
wurf von "theoretisch begabten Kindern" gesprochen hülle, wie man sich jetzt zur
Verhütung von Mißverständnissen gewöhnt hat zu sagen. Wie man aber sieht,
ist die Beweisführung lediglich auf äußere Momente gegründet: vier Jahre sind
mehr als drei -- also geben sie bei der Scheidung der Eignungen ein sichereres
Kriterium. Diese Beweisführung ist außerordentlich gefährlich, weil sie das
innere Prinzip, das nach der Theorie der Einheitsschule zugrunde liegen soll,
nicht berücksichtigt: die Scheidung nach "Begabungen". Sie ist aber auch deshalb
gefährlich, weil sie dehnbar ist;'in den Zahlen, die etwas beweisen sollen, verbirgt
sich die Ueberspannung des sozialen Prinzips; sie können beliebig vergrößert
werden, wenn man die pädagogischen Grundsätze nicht berücksichtigt, und der Be¬
gründung liegt auch dieser Gedanke zugrunde: sie redet selber davon, daß starke
Strömungen eine sechsjährige oder noch mehr Jahre umfassende Dauer der Grund¬
schule fordern. Es kann der angewandte Beweis beliebig gedehnt werden: sechs
Jahre sind mehr als vier, also muß die Grundschule sechs Jahre dauern, und so
fort in insinituml Mit solchen "Beweisen" schadet man dem Gedanken der Ein¬
heitsschule, ja man diskreditiert ihn. Zudem aber -- und darauf kommt es uns
hier hauptsächlich an -- beweist man damit nichts gegen Ausnahmen.
Diese aber verdienen in einer demokratischen Schule Schutz wie alle
Minoritätenl

Ich möchte nicht mißverstanden werden: es handelt sich hier durchaus nicht
um die berühmte "Begabtencmslese", vielmehr nur um das Vorwärtskomme" der


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und Schreibens und Rechnen mit den Zahlen bis 100. Daneben sind Unter¬
richtsgänge in die Umgebung der Schule zu unternehmen, also „Handgemein-
werden mit den Dingen" selber. Ohne weiteres wird man zugeben müssen,
daß Kinder, deren Eltern sich auch nur im geringsten um sie kümmern können,
dies Pensum bereits bewältigt haben, wenn sie in die Schule eintreten. Für sie
ist das erste Schuljahr dann verloren; sie werden dadurch, daß sie gezwungen
sind, sich mit all den Dingen, die sie bereits kennen, noch einmal zu beschäftigen,
höchstens den berühmten „Schulekelvon dem die Reformer die Kinder heilen
wollen, schon am Anfang ihrer Laufbahn bekommen.

Das hat man auch durchaus eingesehen, und deshalb will man vor die
Schule Kindergärten legen, die für die Kinder obligatorisch sein sollen, deren
Eltern gezwungen sind, auf die Arbeit tagsüber zu gehen. Dann wird man an
den Lehrplan der Grundschule höhere Anforderungen stellen können, und damit
werden die eben geäußerten Bedenken wegfallen. Aber leider ist es noch nicht so
weit, und statt nun wenigstens so lange zu warten, bis diese Kindergärten ein¬
geführt sind, fordert der Entwurf schon heute die vierjährige Grundschule zwangs¬
gemäß, denn die öffentlichen privaten Vorschulen werden abgebaut und der Privat¬
unterricht verboten.

Kein Kind wird also künftig imstande sein, die Zwangsgrundschule vor vier
Jahren zu absolvieren. Von der Begründung, die dem Gesetzentwurf beigegeben
ist, werden hierfür zwei Gründe angegeben; der schon angedeutete soziale erhält
dabei folgende Form: „Der soziale Zweck der Grundschule, die Kinder aller Be¬
völkerungskreise so lange wie möglich in der gleichen Schule zu vereinigen, würde
in einer dreijährigen Grundschule nur in unzureichender Weise erfüllt werden."
Auch meiner Meinung nach sollte im allgemeinen die Grundschule auf vier Jahre
bemessen werden. Damit ist aber nicht gesagt, daß nicht anch Einrichtungen ge¬
troffen werden könnten, die es geeigneten Schülern ermöglichen, diese Grundschule
bereits in drei Jahren zu absolvieren. Der angeführte Satz der Begründung
liefert keinen Beweis gegen diese Möglichkeit. Deshalb tritt nun ein päda¬
gogischer an seine Seite: Eine dreijährige Grundschule „würde die Scheidung
der Kinder nach der Art der Begabung und beabsichtigten Berufsausbildung zu
einem Zeitpunkt notwendig machen, der für eine richtige Auslese noch keine zu¬
verlässigen Anhaltspunkte bietet, die selbst bei einer vierjährigen Dauer der Grund¬
schule noch unsicher bleiben." Und weiter: „Der Aufstieg der geistig begabten Kinder
aus allen Volksklassen .. . wird durch eine längere Dauer der Grundschule sicherer
gewährleistet als durch eine kürzere." Es wäre besser gewesen, wenn der Ent¬
wurf von „theoretisch begabten Kindern" gesprochen hülle, wie man sich jetzt zur
Verhütung von Mißverständnissen gewöhnt hat zu sagen. Wie man aber sieht,
ist die Beweisführung lediglich auf äußere Momente gegründet: vier Jahre sind
mehr als drei — also geben sie bei der Scheidung der Eignungen ein sichereres
Kriterium. Diese Beweisführung ist außerordentlich gefährlich, weil sie das
innere Prinzip, das nach der Theorie der Einheitsschule zugrunde liegen soll,
nicht berücksichtigt: die Scheidung nach „Begabungen". Sie ist aber auch deshalb
gefährlich, weil sie dehnbar ist;'in den Zahlen, die etwas beweisen sollen, verbirgt
sich die Ueberspannung des sozialen Prinzips; sie können beliebig vergrößert
werden, wenn man die pädagogischen Grundsätze nicht berücksichtigt, und der Be¬
gründung liegt auch dieser Gedanke zugrunde: sie redet selber davon, daß starke
Strömungen eine sechsjährige oder noch mehr Jahre umfassende Dauer der Grund¬
schule fordern. Es kann der angewandte Beweis beliebig gedehnt werden: sechs
Jahre sind mehr als vier, also muß die Grundschule sechs Jahre dauern, und so
fort in insinituml Mit solchen „Beweisen" schadet man dem Gedanken der Ein¬
heitsschule, ja man diskreditiert ihn. Zudem aber — und darauf kommt es uns
hier hauptsächlich an — beweist man damit nichts gegen Ausnahmen.
Diese aber verdienen in einer demokratischen Schule Schutz wie alle
Minoritätenl

Ich möchte nicht mißverstanden werden: es handelt sich hier durchaus nicht
um die berühmte „Begabtencmslese", vielmehr nur um das Vorwärtskomme« der


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[0316] Reichsspiogel und Schreibens und Rechnen mit den Zahlen bis 100. Daneben sind Unter¬ richtsgänge in die Umgebung der Schule zu unternehmen, also „Handgemein- werden mit den Dingen" selber. Ohne weiteres wird man zugeben müssen, daß Kinder, deren Eltern sich auch nur im geringsten um sie kümmern können, dies Pensum bereits bewältigt haben, wenn sie in die Schule eintreten. Für sie ist das erste Schuljahr dann verloren; sie werden dadurch, daß sie gezwungen sind, sich mit all den Dingen, die sie bereits kennen, noch einmal zu beschäftigen, höchstens den berühmten „Schulekelvon dem die Reformer die Kinder heilen wollen, schon am Anfang ihrer Laufbahn bekommen. Das hat man auch durchaus eingesehen, und deshalb will man vor die Schule Kindergärten legen, die für die Kinder obligatorisch sein sollen, deren Eltern gezwungen sind, auf die Arbeit tagsüber zu gehen. Dann wird man an den Lehrplan der Grundschule höhere Anforderungen stellen können, und damit werden die eben geäußerten Bedenken wegfallen. Aber leider ist es noch nicht so weit, und statt nun wenigstens so lange zu warten, bis diese Kindergärten ein¬ geführt sind, fordert der Entwurf schon heute die vierjährige Grundschule zwangs¬ gemäß, denn die öffentlichen privaten Vorschulen werden abgebaut und der Privat¬ unterricht verboten. Kein Kind wird also künftig imstande sein, die Zwangsgrundschule vor vier Jahren zu absolvieren. Von der Begründung, die dem Gesetzentwurf beigegeben ist, werden hierfür zwei Gründe angegeben; der schon angedeutete soziale erhält dabei folgende Form: „Der soziale Zweck der Grundschule, die Kinder aller Be¬ völkerungskreise so lange wie möglich in der gleichen Schule zu vereinigen, würde in einer dreijährigen Grundschule nur in unzureichender Weise erfüllt werden." Auch meiner Meinung nach sollte im allgemeinen die Grundschule auf vier Jahre bemessen werden. Damit ist aber nicht gesagt, daß nicht anch Einrichtungen ge¬ troffen werden könnten, die es geeigneten Schülern ermöglichen, diese Grundschule bereits in drei Jahren zu absolvieren. Der angeführte Satz der Begründung liefert keinen Beweis gegen diese Möglichkeit. Deshalb tritt nun ein päda¬ gogischer an seine Seite: Eine dreijährige Grundschule „würde die Scheidung der Kinder nach der Art der Begabung und beabsichtigten Berufsausbildung zu einem Zeitpunkt notwendig machen, der für eine richtige Auslese noch keine zu¬ verlässigen Anhaltspunkte bietet, die selbst bei einer vierjährigen Dauer der Grund¬ schule noch unsicher bleiben." Und weiter: „Der Aufstieg der geistig begabten Kinder aus allen Volksklassen .. . wird durch eine längere Dauer der Grundschule sicherer gewährleistet als durch eine kürzere." Es wäre besser gewesen, wenn der Ent¬ wurf von „theoretisch begabten Kindern" gesprochen hülle, wie man sich jetzt zur Verhütung von Mißverständnissen gewöhnt hat zu sagen. Wie man aber sieht, ist die Beweisführung lediglich auf äußere Momente gegründet: vier Jahre sind mehr als drei — also geben sie bei der Scheidung der Eignungen ein sichereres Kriterium. Diese Beweisführung ist außerordentlich gefährlich, weil sie das innere Prinzip, das nach der Theorie der Einheitsschule zugrunde liegen soll, nicht berücksichtigt: die Scheidung nach „Begabungen". Sie ist aber auch deshalb gefährlich, weil sie dehnbar ist;'in den Zahlen, die etwas beweisen sollen, verbirgt sich die Ueberspannung des sozialen Prinzips; sie können beliebig vergrößert werden, wenn man die pädagogischen Grundsätze nicht berücksichtigt, und der Be¬ gründung liegt auch dieser Gedanke zugrunde: sie redet selber davon, daß starke Strömungen eine sechsjährige oder noch mehr Jahre umfassende Dauer der Grund¬ schule fordern. Es kann der angewandte Beweis beliebig gedehnt werden: sechs Jahre sind mehr als vier, also muß die Grundschule sechs Jahre dauern, und so fort in insinituml Mit solchen „Beweisen" schadet man dem Gedanken der Ein¬ heitsschule, ja man diskreditiert ihn. Zudem aber — und darauf kommt es uns hier hauptsächlich an — beweist man damit nichts gegen Ausnahmen. Diese aber verdienen in einer demokratischen Schule Schutz wie alle Minoritätenl Ich möchte nicht mißverstanden werden: es handelt sich hier durchaus nicht um die berühmte „Begabtencmslese", vielmehr nur um das Vorwärtskomme« der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/316>, abgerufen am 27.07.2024.