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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Georg Lleinow und die Grenzboten

der Deutschen den draußen stehenden Stammesbrüdern den nötigen Rückhalt
in ihrem Kampfe bot. Seinen Vorstudien entsprechend, hat Cleinow seine'
Aufmerksamkeit in erster Linie den Vorgängen in Rußland zugewandt. Er
hat als Herausgeber der Grenzbo!en redlich versucht, das uns so nötige
Verständnis für dieses Land zu wecken durch eingehende Erörterungen der
wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, durch Darlegung der geschichtlichen
Bedingtheit seiner ganz eigenartigen innerpolitischen Entwicklung und seiner
außenpolitischen Lage. Als warmherziger Mensch ist er dem russischen Volk
gegenübergetreten und mit kühlem Verstand hat er die politische Gefahr
ermessen, die uns von ihm drohte. Er sah, daß die Agitation in Rußland
gegen den deutsch-russischen Handelsvertrag, der so ausgelegt wurde, als ob er
Rußland in Abhängigkeit von Deutschland brächte, obgleich er für Nußland
tatsächlich günstig war, aber freilich infolge der innerpolitischen Verhältnisse
Rußlands nur wenigen und nicht der breiten Masse des Volkes zugute kam,
immer mehr Boden gewann, und daß auch die Verdächtigung, daß die Deutschen
an der Versumpfung und politischen Entrechtung des russischen Volkes hervor-
ragenden Anteil haben sollten, um so leichter Glauben fand, als sie nicht nur
von slawophilen russische" Patrioten, sondern auch von den Polen und der
roten Internationale genährt wurde. Schon im August 1910 schilderte Cleinow
die ersten Anzeichen einer auf tatkräftiges Handeln eingestellten russischen Außen¬
politik, die ihr Schwergewicht in den Westen und Südwesten verlegte: "Im
großen und ganzen sieht es so aus, als wenn Nußland schon jetzt anfinge,
den Schauplatz eines künftigen Krieges abzustecken und zu säubern." Freilich
hatte der Zarenbesuch in Potsdam die Hoffnung auf eine Annäherung Deutsch¬
lands und Rußlands erweckt, obschon in Rußland in weiten Kreisen Furcht
vor der Erneuerung der "Heiligen Allianz" und Mißtrauen gegen die deutsche
Politik im nahen Orient bestand, aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht, weil
England und Frankreich alle Hebel in Bewegung setzten, um ein gutes Ein¬
vernehmen zu verhindern. Die Triebfedern zur Intrige lagen in erster Linie
auf wirtschaftlichem Gebiet. Inzwischen war 1912 zwischen Österreich und
Serbien ein Konflikt ausgebrochen. Durch diesen Streitfall hatte die Hetze der
panslawistischen Elemente zum Krieg gegen Österreich in der russischen Presse
und im Heer mit besonderer Spitze gegen Deutschland Oberwasser bekommen.
Das Verhalten der amtlichen Kreise in Petersburg war undurchsichtig und das
russische Heer wurde beinahe auf Kriegsstärke gebracht. Das Kräfteverhältnis
im nahen Orient hatte sich infolge der Balkankriege zugunsten der Slawen
und damit zu gunsten Frankreichs verschoben: Rußland und Frankreich waren
sich wieder näher gerückt. "Werden die Regierungen nervenstark genug sein",
so fragte Cleinow, "um den Ausbruch eines Krieges verhindern zu können?"
Sehr nachdenklich stimmten ihn die im Frühling 1913 abgehaltenen Ronianow-
feiern des offiziellen Rußland, die der großen Masse die echtrusstschc Abstammung
des Zaren vorspiegeln sollten. Er erkannte darin eine an Entsagung grenzende


Georg Lleinow und die Grenzboten

der Deutschen den draußen stehenden Stammesbrüdern den nötigen Rückhalt
in ihrem Kampfe bot. Seinen Vorstudien entsprechend, hat Cleinow seine'
Aufmerksamkeit in erster Linie den Vorgängen in Rußland zugewandt. Er
hat als Herausgeber der Grenzbo!en redlich versucht, das uns so nötige
Verständnis für dieses Land zu wecken durch eingehende Erörterungen der
wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, durch Darlegung der geschichtlichen
Bedingtheit seiner ganz eigenartigen innerpolitischen Entwicklung und seiner
außenpolitischen Lage. Als warmherziger Mensch ist er dem russischen Volk
gegenübergetreten und mit kühlem Verstand hat er die politische Gefahr
ermessen, die uns von ihm drohte. Er sah, daß die Agitation in Rußland
gegen den deutsch-russischen Handelsvertrag, der so ausgelegt wurde, als ob er
Rußland in Abhängigkeit von Deutschland brächte, obgleich er für Nußland
tatsächlich günstig war, aber freilich infolge der innerpolitischen Verhältnisse
Rußlands nur wenigen und nicht der breiten Masse des Volkes zugute kam,
immer mehr Boden gewann, und daß auch die Verdächtigung, daß die Deutschen
an der Versumpfung und politischen Entrechtung des russischen Volkes hervor-
ragenden Anteil haben sollten, um so leichter Glauben fand, als sie nicht nur
von slawophilen russische» Patrioten, sondern auch von den Polen und der
roten Internationale genährt wurde. Schon im August 1910 schilderte Cleinow
die ersten Anzeichen einer auf tatkräftiges Handeln eingestellten russischen Außen¬
politik, die ihr Schwergewicht in den Westen und Südwesten verlegte: „Im
großen und ganzen sieht es so aus, als wenn Nußland schon jetzt anfinge,
den Schauplatz eines künftigen Krieges abzustecken und zu säubern." Freilich
hatte der Zarenbesuch in Potsdam die Hoffnung auf eine Annäherung Deutsch¬
lands und Rußlands erweckt, obschon in Rußland in weiten Kreisen Furcht
vor der Erneuerung der „Heiligen Allianz" und Mißtrauen gegen die deutsche
Politik im nahen Orient bestand, aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht, weil
England und Frankreich alle Hebel in Bewegung setzten, um ein gutes Ein¬
vernehmen zu verhindern. Die Triebfedern zur Intrige lagen in erster Linie
auf wirtschaftlichem Gebiet. Inzwischen war 1912 zwischen Österreich und
Serbien ein Konflikt ausgebrochen. Durch diesen Streitfall hatte die Hetze der
panslawistischen Elemente zum Krieg gegen Österreich in der russischen Presse
und im Heer mit besonderer Spitze gegen Deutschland Oberwasser bekommen.
Das Verhalten der amtlichen Kreise in Petersburg war undurchsichtig und das
russische Heer wurde beinahe auf Kriegsstärke gebracht. Das Kräfteverhältnis
im nahen Orient hatte sich infolge der Balkankriege zugunsten der Slawen
und damit zu gunsten Frankreichs verschoben: Rußland und Frankreich waren
sich wieder näher gerückt. „Werden die Regierungen nervenstark genug sein",
so fragte Cleinow, „um den Ausbruch eines Krieges verhindern zu können?"
Sehr nachdenklich stimmten ihn die im Frühling 1913 abgehaltenen Ronianow-
feiern des offiziellen Rußland, die der großen Masse die echtrusstschc Abstammung
des Zaren vorspiegeln sollten. Er erkannte darin eine an Entsagung grenzende


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[0027] Georg Lleinow und die Grenzboten der Deutschen den draußen stehenden Stammesbrüdern den nötigen Rückhalt in ihrem Kampfe bot. Seinen Vorstudien entsprechend, hat Cleinow seine' Aufmerksamkeit in erster Linie den Vorgängen in Rußland zugewandt. Er hat als Herausgeber der Grenzbo!en redlich versucht, das uns so nötige Verständnis für dieses Land zu wecken durch eingehende Erörterungen der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, durch Darlegung der geschichtlichen Bedingtheit seiner ganz eigenartigen innerpolitischen Entwicklung und seiner außenpolitischen Lage. Als warmherziger Mensch ist er dem russischen Volk gegenübergetreten und mit kühlem Verstand hat er die politische Gefahr ermessen, die uns von ihm drohte. Er sah, daß die Agitation in Rußland gegen den deutsch-russischen Handelsvertrag, der so ausgelegt wurde, als ob er Rußland in Abhängigkeit von Deutschland brächte, obgleich er für Nußland tatsächlich günstig war, aber freilich infolge der innerpolitischen Verhältnisse Rußlands nur wenigen und nicht der breiten Masse des Volkes zugute kam, immer mehr Boden gewann, und daß auch die Verdächtigung, daß die Deutschen an der Versumpfung und politischen Entrechtung des russischen Volkes hervor- ragenden Anteil haben sollten, um so leichter Glauben fand, als sie nicht nur von slawophilen russische» Patrioten, sondern auch von den Polen und der roten Internationale genährt wurde. Schon im August 1910 schilderte Cleinow die ersten Anzeichen einer auf tatkräftiges Handeln eingestellten russischen Außen¬ politik, die ihr Schwergewicht in den Westen und Südwesten verlegte: „Im großen und ganzen sieht es so aus, als wenn Nußland schon jetzt anfinge, den Schauplatz eines künftigen Krieges abzustecken und zu säubern." Freilich hatte der Zarenbesuch in Potsdam die Hoffnung auf eine Annäherung Deutsch¬ lands und Rußlands erweckt, obschon in Rußland in weiten Kreisen Furcht vor der Erneuerung der „Heiligen Allianz" und Mißtrauen gegen die deutsche Politik im nahen Orient bestand, aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht, weil England und Frankreich alle Hebel in Bewegung setzten, um ein gutes Ein¬ vernehmen zu verhindern. Die Triebfedern zur Intrige lagen in erster Linie auf wirtschaftlichem Gebiet. Inzwischen war 1912 zwischen Österreich und Serbien ein Konflikt ausgebrochen. Durch diesen Streitfall hatte die Hetze der panslawistischen Elemente zum Krieg gegen Österreich in der russischen Presse und im Heer mit besonderer Spitze gegen Deutschland Oberwasser bekommen. Das Verhalten der amtlichen Kreise in Petersburg war undurchsichtig und das russische Heer wurde beinahe auf Kriegsstärke gebracht. Das Kräfteverhältnis im nahen Orient hatte sich infolge der Balkankriege zugunsten der Slawen und damit zu gunsten Frankreichs verschoben: Rußland und Frankreich waren sich wieder näher gerückt. „Werden die Regierungen nervenstark genug sein", so fragte Cleinow, „um den Ausbruch eines Krieges verhindern zu können?" Sehr nachdenklich stimmten ihn die im Frühling 1913 abgehaltenen Ronianow- feiern des offiziellen Rußland, die der großen Masse die echtrusstschc Abstammung des Zaren vorspiegeln sollten. Er erkannte darin eine an Entsagung grenzende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/27>, abgerufen am 22.12.2024.