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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Georg "Lleinow und die Grenzboten

achtete es Cleinow für fehlerhaft, wenn wir unsere Maßnahmen daselbst von
diesem Gesichtspunkte aus trafen. Wenn er für die innere Kolonisation eintrat,
so betonte er immer wieder, daß wir nicht gegen die Polen kolonisieren dürfen,
sondern um die Schäden einer ungesunden wirtschaftlichen Entwicklung aus¬
zugleichen. Freilich wollte er im Osten gegen das vordringende Slawentum
einen Damm errichten, das von der wirtschaftlichen Entwicklung gerissene Loch
mit unserem eigenen Menschenmaterial zustopfen, aber das sollte nicht im
Kampf gegen die Polen und ganz und gar nicht durch Ausnahmegesetze gegen
sie geschehen. Ausnahmegesetze haben uns stets nur nationale Einbußen ge¬
bracht. Wenn schon die Kolonisationstätigkeit im Osten mit Hilfe eines Ent¬
eignungsgesetzes betrieben werden sollte, so durfte dieses lediglich als Anwendung
einer in ganz Deutschland gehandhabten Bodenpolitik in die Erscheinung treten.
Tatsächlich konnte und wollte das unglückselige Enteignnngsgesetz nichts anderes
als eine wirtschaftliche Abwehrmaßregel gegen das überhandnehmen der Boden¬
spekulation in unserer Ostmark bedeuten. Die Art und Weise aber, wie es
eingebracht wurde, gab ihm den Charakter einer Kriegserklärung gegen die
Polen, die diese selbstverständlich zur Entfachung nationaler Leidenschaften be¬
nutzen konnten und benutzt haben. Wir hatten keinen Anlaß, uns gelegentlich
der Einweihung des düstern Baus des Kaiserschlosses zu Posen eines Sieges
in den Ostmarken zu rühmen. Wenn dort aus wirtschaftlicher Versumpfung
durch unsere Arbeit Reichtümer erstanden waren, so lag die schwerere und lang¬
wierigere Aufgabe, auf dem wirtschaftlichen Fundament den deutschen Kulturbau
aufzuführen, noch vor uns. Noch während des Krieges "uf dem Höhepunkt
unserer Erfolge, als ein Verlust unserer Ostmarken nicht zu befürchten war,
hat Cleinow einen Zusammenschluß der Ostmarkendeutschen in Kultur- und
Unterstützungsvereinen lediglich zur Förderung des Deutschtums ohne Rücksicht
auf Parteizugehörigkeit und unter grundsätzlichen Verzicht auf einen Kampf
gegen die Polen vorgeschlagen. Auf der Grundlage einer unter Aufhebung
des Enteignungsgesetzes großzügig organisierten Kolonisation glaubte er mit
diesen geistigen Waffen der nationalen Not der Ostmark begegnen und ihre
friedliche Entwicklung zum Heile der Deutschen und Polen, die das Schicksal an
die gleiche Scholle band, sicherstellen zu können. Für die Propaganda, die
Polen "auszurotten", hatte Cleinow nur ein Achselzucken übrig im Hinblick
darauf, daß die Polen, auch wenn sie in drei Staaten beheimatet waren, gerade
seit den Teilungen eine Nation im besten Sinne des Wortes geworden waren;
allerdings glaubte er auch nicht an die Möglichkeit einer "Versöhnung", es sei
denn, daß den Polen die Garantie eines mehr oder minder autonomen Polen¬
staates gewährt worden wäre.

Auch außerhalb der Grenzen des Reichs verlor das Deutschtum an
Boden. Mit besonderer Sorge beobachtete Cleinow seine Zurückdrängung in
Osterreich und Rußland und glaubte auch hierfür letzten Endes wirtschaftliche
Ursachen in Anspruch nehmen zu müssen, die verhinderten, daß die Hauptmasse


Georg «Lleinow und die Grenzboten

achtete es Cleinow für fehlerhaft, wenn wir unsere Maßnahmen daselbst von
diesem Gesichtspunkte aus trafen. Wenn er für die innere Kolonisation eintrat,
so betonte er immer wieder, daß wir nicht gegen die Polen kolonisieren dürfen,
sondern um die Schäden einer ungesunden wirtschaftlichen Entwicklung aus¬
zugleichen. Freilich wollte er im Osten gegen das vordringende Slawentum
einen Damm errichten, das von der wirtschaftlichen Entwicklung gerissene Loch
mit unserem eigenen Menschenmaterial zustopfen, aber das sollte nicht im
Kampf gegen die Polen und ganz und gar nicht durch Ausnahmegesetze gegen
sie geschehen. Ausnahmegesetze haben uns stets nur nationale Einbußen ge¬
bracht. Wenn schon die Kolonisationstätigkeit im Osten mit Hilfe eines Ent¬
eignungsgesetzes betrieben werden sollte, so durfte dieses lediglich als Anwendung
einer in ganz Deutschland gehandhabten Bodenpolitik in die Erscheinung treten.
Tatsächlich konnte und wollte das unglückselige Enteignnngsgesetz nichts anderes
als eine wirtschaftliche Abwehrmaßregel gegen das überhandnehmen der Boden¬
spekulation in unserer Ostmark bedeuten. Die Art und Weise aber, wie es
eingebracht wurde, gab ihm den Charakter einer Kriegserklärung gegen die
Polen, die diese selbstverständlich zur Entfachung nationaler Leidenschaften be¬
nutzen konnten und benutzt haben. Wir hatten keinen Anlaß, uns gelegentlich
der Einweihung des düstern Baus des Kaiserschlosses zu Posen eines Sieges
in den Ostmarken zu rühmen. Wenn dort aus wirtschaftlicher Versumpfung
durch unsere Arbeit Reichtümer erstanden waren, so lag die schwerere und lang¬
wierigere Aufgabe, auf dem wirtschaftlichen Fundament den deutschen Kulturbau
aufzuführen, noch vor uns. Noch während des Krieges «uf dem Höhepunkt
unserer Erfolge, als ein Verlust unserer Ostmarken nicht zu befürchten war,
hat Cleinow einen Zusammenschluß der Ostmarkendeutschen in Kultur- und
Unterstützungsvereinen lediglich zur Förderung des Deutschtums ohne Rücksicht
auf Parteizugehörigkeit und unter grundsätzlichen Verzicht auf einen Kampf
gegen die Polen vorgeschlagen. Auf der Grundlage einer unter Aufhebung
des Enteignungsgesetzes großzügig organisierten Kolonisation glaubte er mit
diesen geistigen Waffen der nationalen Not der Ostmark begegnen und ihre
friedliche Entwicklung zum Heile der Deutschen und Polen, die das Schicksal an
die gleiche Scholle band, sicherstellen zu können. Für die Propaganda, die
Polen „auszurotten", hatte Cleinow nur ein Achselzucken übrig im Hinblick
darauf, daß die Polen, auch wenn sie in drei Staaten beheimatet waren, gerade
seit den Teilungen eine Nation im besten Sinne des Wortes geworden waren;
allerdings glaubte er auch nicht an die Möglichkeit einer „Versöhnung", es sei
denn, daß den Polen die Garantie eines mehr oder minder autonomen Polen¬
staates gewährt worden wäre.

Auch außerhalb der Grenzen des Reichs verlor das Deutschtum an
Boden. Mit besonderer Sorge beobachtete Cleinow seine Zurückdrängung in
Osterreich und Rußland und glaubte auch hierfür letzten Endes wirtschaftliche
Ursachen in Anspruch nehmen zu müssen, die verhinderten, daß die Hauptmasse


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[0026] Georg «Lleinow und die Grenzboten achtete es Cleinow für fehlerhaft, wenn wir unsere Maßnahmen daselbst von diesem Gesichtspunkte aus trafen. Wenn er für die innere Kolonisation eintrat, so betonte er immer wieder, daß wir nicht gegen die Polen kolonisieren dürfen, sondern um die Schäden einer ungesunden wirtschaftlichen Entwicklung aus¬ zugleichen. Freilich wollte er im Osten gegen das vordringende Slawentum einen Damm errichten, das von der wirtschaftlichen Entwicklung gerissene Loch mit unserem eigenen Menschenmaterial zustopfen, aber das sollte nicht im Kampf gegen die Polen und ganz und gar nicht durch Ausnahmegesetze gegen sie geschehen. Ausnahmegesetze haben uns stets nur nationale Einbußen ge¬ bracht. Wenn schon die Kolonisationstätigkeit im Osten mit Hilfe eines Ent¬ eignungsgesetzes betrieben werden sollte, so durfte dieses lediglich als Anwendung einer in ganz Deutschland gehandhabten Bodenpolitik in die Erscheinung treten. Tatsächlich konnte und wollte das unglückselige Enteignnngsgesetz nichts anderes als eine wirtschaftliche Abwehrmaßregel gegen das überhandnehmen der Boden¬ spekulation in unserer Ostmark bedeuten. Die Art und Weise aber, wie es eingebracht wurde, gab ihm den Charakter einer Kriegserklärung gegen die Polen, die diese selbstverständlich zur Entfachung nationaler Leidenschaften be¬ nutzen konnten und benutzt haben. Wir hatten keinen Anlaß, uns gelegentlich der Einweihung des düstern Baus des Kaiserschlosses zu Posen eines Sieges in den Ostmarken zu rühmen. Wenn dort aus wirtschaftlicher Versumpfung durch unsere Arbeit Reichtümer erstanden waren, so lag die schwerere und lang¬ wierigere Aufgabe, auf dem wirtschaftlichen Fundament den deutschen Kulturbau aufzuführen, noch vor uns. Noch während des Krieges «uf dem Höhepunkt unserer Erfolge, als ein Verlust unserer Ostmarken nicht zu befürchten war, hat Cleinow einen Zusammenschluß der Ostmarkendeutschen in Kultur- und Unterstützungsvereinen lediglich zur Förderung des Deutschtums ohne Rücksicht auf Parteizugehörigkeit und unter grundsätzlichen Verzicht auf einen Kampf gegen die Polen vorgeschlagen. Auf der Grundlage einer unter Aufhebung des Enteignungsgesetzes großzügig organisierten Kolonisation glaubte er mit diesen geistigen Waffen der nationalen Not der Ostmark begegnen und ihre friedliche Entwicklung zum Heile der Deutschen und Polen, die das Schicksal an die gleiche Scholle band, sicherstellen zu können. Für die Propaganda, die Polen „auszurotten", hatte Cleinow nur ein Achselzucken übrig im Hinblick darauf, daß die Polen, auch wenn sie in drei Staaten beheimatet waren, gerade seit den Teilungen eine Nation im besten Sinne des Wortes geworden waren; allerdings glaubte er auch nicht an die Möglichkeit einer „Versöhnung", es sei denn, daß den Polen die Garantie eines mehr oder minder autonomen Polen¬ staates gewährt worden wäre. Auch außerhalb der Grenzen des Reichs verlor das Deutschtum an Boden. Mit besonderer Sorge beobachtete Cleinow seine Zurückdrängung in Osterreich und Rußland und glaubte auch hierfür letzten Endes wirtschaftliche Ursachen in Anspruch nehmen zu müssen, die verhinderten, daß die Hauptmasse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/26>, abgerufen am 01.09.2024.