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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Georg Cleinow und die Grenzboten

Diese neben der Sozialdemokratie am besten organisierte Partei hatte den
Weg in die katholischen Massen gefunden und erwies sich als überaus geschickt
in der Bekämpfung der "liberalen Propaganda". Auch mit ihr befand sich
Cleinow im Kampfe. Wenn er anerkannte, daß das Zentrum tatsächlich für
seine Idee arbeitete, so sah er doch die Gefahren, die diese Idee in sich barg:
ihrem Wesen nach war diese Partei ultramontan und antideutsch, weil inter¬
national. Bülow und Bethmann Hollweg hatten den Ultramontanismus ver¬
schieden bewertet und das dadurch bedingte schnelle Verlassen der von Bismarck
und Bülow geschaffenen Grundlagen für die nationale Politik im Innern er¬
schien Cleinow gefährlich. Wenn Bülow seine Aufgabe in der Befreiung vom
Zentrumsjoch sah, so hatte Bethmann Hollweg diesen Kampf aufgegeben und
eine Annäherung gesucht. Damit bewirkte er aber gerade das, was er ver¬
meiden wollte: die Erstarkung der Demokratie und der kosmopolitischen Be¬
strebungen. Schon 1911 sah Cleinow den Parlamentarismus getragen von
den Schultern des Zentrums, der Sozialdemokratie und eines Teils der Liberalen
in Deutschland einziehen, überdies beschuldigte er den UltramontanismuL. die
Grundmauern des Kaiserstaats maskiert durch angebliche Pflichten der Religiosität
zu untergraben. Er trennte scharf die katholische Religion, der er selbstver¬
ständlich alle Ehrerbietung zollte, von dem politischen Ehrgeiz der ultramontanen
Kirche und betonte auch, daß die politisch Urteilsfähigen deutschen Katholiken
selbst gegen jede Regung des Ultramontanismus im Zentrum aufbegehrten.
Er wies auf die Gefahr hin, die darin lag, daß die Methoden der Ultra¬
montanen wegen ihrer Feinheit oft nicht zu durchschauen sind und daß es daher
schwer ist, ihnen beizukommen. Zum Beispiel werden unter der Flagge der
Wissenschaft Geschichtswerke über das Werden des deutschen Volkes versaßt, die
darauf ausgehen, die römische Kirche als denjenigen Faktor der Weltgeschichte
hinzustellen, dem allein die Deutschen ihre heutige Kultur und Bedeutung
verdanken. Grisars "Luther" und Kißlings "Geschichte des Kulturkampfs im
Deutschen Reich" nannte Cleinow Vorboten eines neuen schweren Kampfes um
die deutsche Kultur. Wenn aber das Zentrum die rücksichtsloseste der Parteien
in der Verfolgung ihrer Ziele war, so muß zugegeben werden, daß der Zu¬
stand der anderen bürgerlichen Parteien ihr in verhängnisvoller Meise die
Bahn freigab: sie waren ohne Ausnahme von den Wirtschaftsverbänden und
anderen praktischen Aufgaben dienenden Organisationen so sehr aufgesogen, daß
diese den ' Parlamenten den Stempel ausdrückten und die Lösung kultureller
Aufgaben, die privaten Organisationen und der Presse anvertraut wurden,
zurückdrängten. Das Zentrum aber hat den wirtschaftlichen Maßnahmen eine
Grenze ziehen und Weltanschauungsfragen in den Vordergrund rücken können,
es hat -- natürlich vom katholischen ultramontanen Standpunkt aus -- pral-
l ische Kulturpolitik im Parlament getrieben. Die entsetzliche Zersplitterung jener
hat überdies dazu beigetragen, die Regierung zu zwingen, mit dem Zentrum
als der größten und bestorganisierten bürgerlichen Partei in erster Linie zu


Georg Cleinow und die Grenzboten

Diese neben der Sozialdemokratie am besten organisierte Partei hatte den
Weg in die katholischen Massen gefunden und erwies sich als überaus geschickt
in der Bekämpfung der „liberalen Propaganda". Auch mit ihr befand sich
Cleinow im Kampfe. Wenn er anerkannte, daß das Zentrum tatsächlich für
seine Idee arbeitete, so sah er doch die Gefahren, die diese Idee in sich barg:
ihrem Wesen nach war diese Partei ultramontan und antideutsch, weil inter¬
national. Bülow und Bethmann Hollweg hatten den Ultramontanismus ver¬
schieden bewertet und das dadurch bedingte schnelle Verlassen der von Bismarck
und Bülow geschaffenen Grundlagen für die nationale Politik im Innern er¬
schien Cleinow gefährlich. Wenn Bülow seine Aufgabe in der Befreiung vom
Zentrumsjoch sah, so hatte Bethmann Hollweg diesen Kampf aufgegeben und
eine Annäherung gesucht. Damit bewirkte er aber gerade das, was er ver¬
meiden wollte: die Erstarkung der Demokratie und der kosmopolitischen Be¬
strebungen. Schon 1911 sah Cleinow den Parlamentarismus getragen von
den Schultern des Zentrums, der Sozialdemokratie und eines Teils der Liberalen
in Deutschland einziehen, überdies beschuldigte er den UltramontanismuL. die
Grundmauern des Kaiserstaats maskiert durch angebliche Pflichten der Religiosität
zu untergraben. Er trennte scharf die katholische Religion, der er selbstver¬
ständlich alle Ehrerbietung zollte, von dem politischen Ehrgeiz der ultramontanen
Kirche und betonte auch, daß die politisch Urteilsfähigen deutschen Katholiken
selbst gegen jede Regung des Ultramontanismus im Zentrum aufbegehrten.
Er wies auf die Gefahr hin, die darin lag, daß die Methoden der Ultra¬
montanen wegen ihrer Feinheit oft nicht zu durchschauen sind und daß es daher
schwer ist, ihnen beizukommen. Zum Beispiel werden unter der Flagge der
Wissenschaft Geschichtswerke über das Werden des deutschen Volkes versaßt, die
darauf ausgehen, die römische Kirche als denjenigen Faktor der Weltgeschichte
hinzustellen, dem allein die Deutschen ihre heutige Kultur und Bedeutung
verdanken. Grisars „Luther" und Kißlings „Geschichte des Kulturkampfs im
Deutschen Reich" nannte Cleinow Vorboten eines neuen schweren Kampfes um
die deutsche Kultur. Wenn aber das Zentrum die rücksichtsloseste der Parteien
in der Verfolgung ihrer Ziele war, so muß zugegeben werden, daß der Zu¬
stand der anderen bürgerlichen Parteien ihr in verhängnisvoller Meise die
Bahn freigab: sie waren ohne Ausnahme von den Wirtschaftsverbänden und
anderen praktischen Aufgaben dienenden Organisationen so sehr aufgesogen, daß
diese den ' Parlamenten den Stempel ausdrückten und die Lösung kultureller
Aufgaben, die privaten Organisationen und der Presse anvertraut wurden,
zurückdrängten. Das Zentrum aber hat den wirtschaftlichen Maßnahmen eine
Grenze ziehen und Weltanschauungsfragen in den Vordergrund rücken können,
es hat — natürlich vom katholischen ultramontanen Standpunkt aus — pral-
l ische Kulturpolitik im Parlament getrieben. Die entsetzliche Zersplitterung jener
hat überdies dazu beigetragen, die Regierung zu zwingen, mit dem Zentrum
als der größten und bestorganisierten bürgerlichen Partei in erster Linie zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/21>, abgerufen am 01.09.2024.