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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Ausliefcrmigsfrage und Gstproblem

Jahre und Jahrzehnte nicht erfüllen kann. Es ist nötig, daß wir diesmal alle
törichten Illusionen abtun, mit denen wir in den letzten Jahrzehnten durch die
Weltpolitik gestolpert sind.

Unsere entschlossene Selbstbehauptung darf kein Sichwegwerfen an den Osten
nach Art unseres wolkenschieberischen Wilsonismus sein. Es muß Vorsorge ge¬
troffen werden, daß der Sturz des gegenwärtigen ParteienstaateS, wenn er er¬
folgen sollte, nicht zur Blutherrschaft des Pöbels führe, sondern daß aus der
nationalen Arbeit heraus eine "Diktatur der Sachverständigen" aufwachse, die
ihre neue Autorität nicht auf Vorrechts der Gewöhnung, der Geburt und des Geldes,
sondern einzig auf ihre Leistungsfähigkeit stützt. Auch das ererbte Führerwm,
das nicht verschmäht zu werden braucht, muß derart von innen her neu erworben
werden, daß es wirklich zum gegründeten Besitztum wird. Diktatur ist Übergang,
wie das Proletariat seit Marx weiß. Neubelebung der körperschaftlichen Gliede¬
rung des sozialen Gefüges schasst das neue Gemeinwesen, das aus der deutschen,
nicht aus der russischen Überlieferung aufwächst.

Nicht für den Osten oder für den Westen, sondern für uns selber haben
wir uns heute zu entscheiden. Diese Aufgabe ist im Innern nicht Erhaltung
oder Reaktion, sondern entschlossene Neuschöpfung sachdienlicher Organisations¬
formen unserer zerrütteten Gesamtwirtschaft. Nach außen haben wir zur Stunde
nichts zu tun, sondern lediglich zu weigern.

Auf die Gefahren aber hinzumerken, die aus den hier gekennzeichneten
Stimmungen erwachsen: dazu hat das Ausland allen Anlaß. Es gibt im Leben
der Völker eine Verkettung der Entscheidungen, die nicht mehr den einleuchtenden
Gesetzen der bloßen Nutzhaftigkeit und des billigen Einleuchtens folgt. Es gibt
einen seelischen Mechanismus der Verzweiflung, den Rußland als furchtbares
Beispiel grell erleuchtet. Die deutsche Bolschewisierung risse - - mag Frankreich
sich noch so blindwütig gegen diese Einsicht wehren -- ganz Europa unrettbar
in unser Verderben mit hinein. Deshalb soll sich die Entente besinnen, ehe sie
das Kettenrad ankurbelt.

Wir aber sollen uns besinnen, daß heute nur eines nottut. etwas ungeheuer
Einfaches und doch in dieser Stunde so gewaltig Schweres: leibhaftes Einstehen
der Nation für ihre Ehre, die in ihren Führern verkörpert ist.




Ausliefcrmigsfrage und Gstproblem

Jahre und Jahrzehnte nicht erfüllen kann. Es ist nötig, daß wir diesmal alle
törichten Illusionen abtun, mit denen wir in den letzten Jahrzehnten durch die
Weltpolitik gestolpert sind.

Unsere entschlossene Selbstbehauptung darf kein Sichwegwerfen an den Osten
nach Art unseres wolkenschieberischen Wilsonismus sein. Es muß Vorsorge ge¬
troffen werden, daß der Sturz des gegenwärtigen ParteienstaateS, wenn er er¬
folgen sollte, nicht zur Blutherrschaft des Pöbels führe, sondern daß aus der
nationalen Arbeit heraus eine „Diktatur der Sachverständigen" aufwachse, die
ihre neue Autorität nicht auf Vorrechts der Gewöhnung, der Geburt und des Geldes,
sondern einzig auf ihre Leistungsfähigkeit stützt. Auch das ererbte Führerwm,
das nicht verschmäht zu werden braucht, muß derart von innen her neu erworben
werden, daß es wirklich zum gegründeten Besitztum wird. Diktatur ist Übergang,
wie das Proletariat seit Marx weiß. Neubelebung der körperschaftlichen Gliede¬
rung des sozialen Gefüges schasst das neue Gemeinwesen, das aus der deutschen,
nicht aus der russischen Überlieferung aufwächst.

Nicht für den Osten oder für den Westen, sondern für uns selber haben
wir uns heute zu entscheiden. Diese Aufgabe ist im Innern nicht Erhaltung
oder Reaktion, sondern entschlossene Neuschöpfung sachdienlicher Organisations¬
formen unserer zerrütteten Gesamtwirtschaft. Nach außen haben wir zur Stunde
nichts zu tun, sondern lediglich zu weigern.

Auf die Gefahren aber hinzumerken, die aus den hier gekennzeichneten
Stimmungen erwachsen: dazu hat das Ausland allen Anlaß. Es gibt im Leben
der Völker eine Verkettung der Entscheidungen, die nicht mehr den einleuchtenden
Gesetzen der bloßen Nutzhaftigkeit und des billigen Einleuchtens folgt. Es gibt
einen seelischen Mechanismus der Verzweiflung, den Rußland als furchtbares
Beispiel grell erleuchtet. Die deutsche Bolschewisierung risse - - mag Frankreich
sich noch so blindwütig gegen diese Einsicht wehren — ganz Europa unrettbar
in unser Verderben mit hinein. Deshalb soll sich die Entente besinnen, ehe sie
das Kettenrad ankurbelt.

Wir aber sollen uns besinnen, daß heute nur eines nottut. etwas ungeheuer
Einfaches und doch in dieser Stunde so gewaltig Schweres: leibhaftes Einstehen
der Nation für ihre Ehre, die in ihren Führern verkörpert ist.




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[0204] Ausliefcrmigsfrage und Gstproblem Jahre und Jahrzehnte nicht erfüllen kann. Es ist nötig, daß wir diesmal alle törichten Illusionen abtun, mit denen wir in den letzten Jahrzehnten durch die Weltpolitik gestolpert sind. Unsere entschlossene Selbstbehauptung darf kein Sichwegwerfen an den Osten nach Art unseres wolkenschieberischen Wilsonismus sein. Es muß Vorsorge ge¬ troffen werden, daß der Sturz des gegenwärtigen ParteienstaateS, wenn er er¬ folgen sollte, nicht zur Blutherrschaft des Pöbels führe, sondern daß aus der nationalen Arbeit heraus eine „Diktatur der Sachverständigen" aufwachse, die ihre neue Autorität nicht auf Vorrechts der Gewöhnung, der Geburt und des Geldes, sondern einzig auf ihre Leistungsfähigkeit stützt. Auch das ererbte Führerwm, das nicht verschmäht zu werden braucht, muß derart von innen her neu erworben werden, daß es wirklich zum gegründeten Besitztum wird. Diktatur ist Übergang, wie das Proletariat seit Marx weiß. Neubelebung der körperschaftlichen Gliede¬ rung des sozialen Gefüges schasst das neue Gemeinwesen, das aus der deutschen, nicht aus der russischen Überlieferung aufwächst. Nicht für den Osten oder für den Westen, sondern für uns selber haben wir uns heute zu entscheiden. Diese Aufgabe ist im Innern nicht Erhaltung oder Reaktion, sondern entschlossene Neuschöpfung sachdienlicher Organisations¬ formen unserer zerrütteten Gesamtwirtschaft. Nach außen haben wir zur Stunde nichts zu tun, sondern lediglich zu weigern. Auf die Gefahren aber hinzumerken, die aus den hier gekennzeichneten Stimmungen erwachsen: dazu hat das Ausland allen Anlaß. Es gibt im Leben der Völker eine Verkettung der Entscheidungen, die nicht mehr den einleuchtenden Gesetzen der bloßen Nutzhaftigkeit und des billigen Einleuchtens folgt. Es gibt einen seelischen Mechanismus der Verzweiflung, den Rußland als furchtbares Beispiel grell erleuchtet. Die deutsche Bolschewisierung risse - - mag Frankreich sich noch so blindwütig gegen diese Einsicht wehren — ganz Europa unrettbar in unser Verderben mit hinein. Deshalb soll sich die Entente besinnen, ehe sie das Kettenrad ankurbelt. Wir aber sollen uns besinnen, daß heute nur eines nottut. etwas ungeheuer Einfaches und doch in dieser Stunde so gewaltig Schweres: leibhaftes Einstehen der Nation für ihre Ehre, die in ihren Führern verkörpert ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/204>, abgerufen am 28.07.2024.