Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.Neudeutscher Gemeinsiml porativismus emporläutem oder ob er durch das Chaos hindurch einem Cäsaris¬ Freilich ragt in unser Leben noch viel vom Alten, dem damit das Messer Neudeutscher Gemeinsiml porativismus emporläutem oder ob er durch das Chaos hindurch einem Cäsaris¬ Freilich ragt in unser Leben noch viel vom Alten, dem damit das Messer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0151" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336996"/> <fw type="header" place="top"> Neudeutscher Gemeinsiml</fw><lb/> <p xml:id="ID_519" prev="#ID_518"> porativismus emporläutem oder ob er durch das Chaos hindurch einem Cäsaris¬<lb/> mus entgegenreifen soll, der, als unorganischer Monarchismus, immer der<lb/> Anfang vom Ende ist. Das Trostloscste in dieser dunklen Zeit ist die Ideenlosigkeit<lb/> des Sozialismus, der völlig zum Massenegoisinus entartet und gänzlich vergißt,<lb/> daß Versorgungs- und Erzeugungsfragen sich im echten Sozialismus aufs innigste<lb/> durchdringen müssen, wenn er überhaupt lebensfähig bleiben soll. Daß Mir<lb/> durch den „Frieden" von Versailles völlig auf uns selbst zurückgeworfen sind, ist<lb/> eine furchtbare Tatsache, an der Ideologien und Proteste nichts ändern. Daß<lb/> nur ein Fortgang strengster Intensivierung unseres Lebens uns retten kann, sollte<lb/> eine selbstverständliche Folgerung sein. Intensivierung ist restlose Nutzbarmachung<lb/> aller Volks- und Naturkräfte unseres verengten Vaterlandes, Verzicht auf allen<lb/> Überschwang des äußeren und inneren Lebens, Bruch mit lähmenden Erinnerungen<lb/> und Hoffnungen, Absage an utopische Träume und mannhafte Eroberung der<lb/> herben Wirklichkeit. Das Tröstende und Versöhnende aber ist dabei, daß in<lb/> alledem eben Bewährung jenes Nendeutschtums beschlossen liegt, das sich durch<lb/> allzurasche Scheinerfolge und durch damit Hand in Hand gehende Verkennung<lb/> seiner tragenden Kräfte seinen besten Überlieferungen entfremdete. Sozialismus<lb/> und Kapitalismus sind im Grunde nur feindliche Brüder, eine Versöhnung ist möglich<lb/> in der seit 1881 angebahnten neudeutschen Gemeinwirtschaft, die Einzel- und Gesamt¬<lb/> interessen so ineinander verzahnt, daß damit die größtmögliche Gesamtleistung gewähr¬<lb/> leistet ist. Damit ist die Aufgabe auf die kürzeste und einleuchtendste Formel gebracht.<lb/> Die Verzehrerideale eines bloßenGenießer-KapitalismusimdSchlaraffen-Sozialismus<lb/> treten in eine gemeinsame westlerische Front gegenüber einem neudeutschen Erzeuger¬<lb/> ideal, das Einzel- und Masscnkräfte knnsivoll gegeneinander auswägt und sich nicht<lb/> von Wünschen und Theorien, sondern von den stahlharten Gesetzen des<lb/> Produktionsprozesses leite» läßt. Wenn dieser Erzeugerinstinkt die ganze Nation<lb/> durchdrungen und oben und unten das schlaffe Genießertum ausgeschaliet hat:<lb/> dann feiert das Neudeutschtum den Tag seiner großen Erfüllung, lind es sind<lb/> damit Gegensätze wesenlos geworden, die heute noch die Vilduug eines echten<lb/> nationalen Gemeinwillens fast hoffnungslos huücmhalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_520" next="#ID_521"> Freilich ragt in unser Leben noch viel vom Alten, dem damit das Messer<lb/> an die Kehle gesetzt ist. Insbesondere ist es die Autorität, die nach einer inneren<lb/> Erneuerung verlangt. Autorität wird sich in Zukunft anders ausweisen müssen,<lb/> als es im ausklingenden patriarchalischen Zeitalter noch vorausgesetzt werden<lb/> konnte. Das Neudeutschtum hat es noch nicht verstanden, die Gewichte der<lb/> sozialen und wirtschaftlichen Verantwortung derart neu auszuwägen, daß dem<lb/> neuen Führungswillen Genüge geschehen ist. Der Sozialismus selber, der doch<lb/> den Liberalismus zu überwinden glaubt, ist noch ganz in negativen Freiheits¬<lb/> idealen befangen, er zerstört die Unternehmerautorität, die unser Wirtschaftsleben<lb/> bislang trug, ohne zu wissen, worauf die Arbeitszucht fortan beruhen soll. Der<lb/> Rückfall des Bolschewismus in das Prinzip despotischer Staatsallmacht nach<lb/> zaristischem Muster zeigt die arbeitsreformerische Unreife des Sozialismus in<lb/> besonders krassen Formen. Bei uns ist der Rätegedanke noch viel zu sehr auf<lb/> Mißtrauen gegen die kapitalistische Führung und damit statt auf positive Mit¬<lb/> verantwortung vielmehr ressentimenthaft auf Kontrolle eingestellt, um produktiven<lb/> Sozialismus irgend zu gewährleisten. Solange er mit dem agitatorischen Klassen-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0151]
Neudeutscher Gemeinsiml
porativismus emporläutem oder ob er durch das Chaos hindurch einem Cäsaris¬
mus entgegenreifen soll, der, als unorganischer Monarchismus, immer der
Anfang vom Ende ist. Das Trostloscste in dieser dunklen Zeit ist die Ideenlosigkeit
des Sozialismus, der völlig zum Massenegoisinus entartet und gänzlich vergißt,
daß Versorgungs- und Erzeugungsfragen sich im echten Sozialismus aufs innigste
durchdringen müssen, wenn er überhaupt lebensfähig bleiben soll. Daß Mir
durch den „Frieden" von Versailles völlig auf uns selbst zurückgeworfen sind, ist
eine furchtbare Tatsache, an der Ideologien und Proteste nichts ändern. Daß
nur ein Fortgang strengster Intensivierung unseres Lebens uns retten kann, sollte
eine selbstverständliche Folgerung sein. Intensivierung ist restlose Nutzbarmachung
aller Volks- und Naturkräfte unseres verengten Vaterlandes, Verzicht auf allen
Überschwang des äußeren und inneren Lebens, Bruch mit lähmenden Erinnerungen
und Hoffnungen, Absage an utopische Träume und mannhafte Eroberung der
herben Wirklichkeit. Das Tröstende und Versöhnende aber ist dabei, daß in
alledem eben Bewährung jenes Nendeutschtums beschlossen liegt, das sich durch
allzurasche Scheinerfolge und durch damit Hand in Hand gehende Verkennung
seiner tragenden Kräfte seinen besten Überlieferungen entfremdete. Sozialismus
und Kapitalismus sind im Grunde nur feindliche Brüder, eine Versöhnung ist möglich
in der seit 1881 angebahnten neudeutschen Gemeinwirtschaft, die Einzel- und Gesamt¬
interessen so ineinander verzahnt, daß damit die größtmögliche Gesamtleistung gewähr¬
leistet ist. Damit ist die Aufgabe auf die kürzeste und einleuchtendste Formel gebracht.
Die Verzehrerideale eines bloßenGenießer-KapitalismusimdSchlaraffen-Sozialismus
treten in eine gemeinsame westlerische Front gegenüber einem neudeutschen Erzeuger¬
ideal, das Einzel- und Masscnkräfte knnsivoll gegeneinander auswägt und sich nicht
von Wünschen und Theorien, sondern von den stahlharten Gesetzen des
Produktionsprozesses leite» läßt. Wenn dieser Erzeugerinstinkt die ganze Nation
durchdrungen und oben und unten das schlaffe Genießertum ausgeschaliet hat:
dann feiert das Neudeutschtum den Tag seiner großen Erfüllung, lind es sind
damit Gegensätze wesenlos geworden, die heute noch die Vilduug eines echten
nationalen Gemeinwillens fast hoffnungslos huücmhalten.
Freilich ragt in unser Leben noch viel vom Alten, dem damit das Messer
an die Kehle gesetzt ist. Insbesondere ist es die Autorität, die nach einer inneren
Erneuerung verlangt. Autorität wird sich in Zukunft anders ausweisen müssen,
als es im ausklingenden patriarchalischen Zeitalter noch vorausgesetzt werden
konnte. Das Neudeutschtum hat es noch nicht verstanden, die Gewichte der
sozialen und wirtschaftlichen Verantwortung derart neu auszuwägen, daß dem
neuen Führungswillen Genüge geschehen ist. Der Sozialismus selber, der doch
den Liberalismus zu überwinden glaubt, ist noch ganz in negativen Freiheits¬
idealen befangen, er zerstört die Unternehmerautorität, die unser Wirtschaftsleben
bislang trug, ohne zu wissen, worauf die Arbeitszucht fortan beruhen soll. Der
Rückfall des Bolschewismus in das Prinzip despotischer Staatsallmacht nach
zaristischem Muster zeigt die arbeitsreformerische Unreife des Sozialismus in
besonders krassen Formen. Bei uns ist der Rätegedanke noch viel zu sehr auf
Mißtrauen gegen die kapitalistische Führung und damit statt auf positive Mit¬
verantwortung vielmehr ressentimenthaft auf Kontrolle eingestellt, um produktiven
Sozialismus irgend zu gewährleisten. Solange er mit dem agitatorischen Klassen-
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