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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Stadt und Land

statt des Großstadtproletariers ist ein Traum, den gerade der technische Fortschritt
des Verkehrswesens der Erfüllung nähert. Technische Notstände, die einstweilen
unaufhebbar sind, erschweren auch die rückläufige Bewegung ländlicher Klein¬
siedelung, die als Zeitbewegung ernsteste Beachtung verdient. Sehr unklar und
primitiv, aber voll echter Leidenschaft und aus tiefer innerer Not beginnt diese
Abkehr von der Großstadt gerade bei der radikalen Jugend der äußersten Linken
die sozialistische Gedankenwelt und vor allem den marxistischen Dogmatismus von
innen her zu durchsäuern und zu verwandeln. Unter diesem Gesichtspunkt ge¬
winnt auch die syndikalistische Opposition im kommunistischen Lager ein sehr be¬
achtliches neues Gesicht.^) Noch ist es durch das überkommene Ressentiment des
Großstadtproletariers und den unentwegter Haß gegen den allschuldigen Unter¬
nehmer entstellt, aber im Willen zur Dezentralisation und zu sachlicher Wirt¬
schaftsführung, im Überdruß an redseligen Politisieren leuchtet ein Glaube an
die übervernünstigen Mächte des Lebens auf, für den rechts das Verständnis
nicht fehlen sollte.

Noch ist alles im Fluten. Bewährte überkommene Formen sind zerstört
worden, kümmerliche Nachahmungen fremder Verfassungsformeln übernommen und
pomphaft beschlossen, denen keine soziale Lebenswirtlichkeit und nicht einmal der
ernsthafte Wille dazu entspricht. Mürrisch und mißtrauisch beobachtet das Land
den Hexensabbath der Großstadtputsche und verschanzt sich in seine Sonderinteressen.
Den Ansatzpunkt zu tatkräftiger Mitarbeit 'am Wiederaufbau weiß es nicht zu
finden, so vergeudet es sich in fruchtloser Opposition und Reaktion. Vorwärts
führen kann nur ein korporativer Zusammenschluß der ländlichen Wirtschaft, der
von unten her in das neue Gemeinwesen hineinwächst, das zur Ablösung des
gegenwärtigen Zerrstaates bestimmt ist. Indem sie derart alle zukünftigen Kräfte
in sich sammelt, kann die Scholle wieder ein Element der Einung werden.
Proletarisiert sich das Land, verrät es die Grundgesetze seiner Existenz, dann
versiegen seine Kräfte und damit die Verjüngungsmöglichkeiten der Nation, an
denen die ganze Zukunft unserer leibhaften Volksgemeinschaft hängt.





5) Vgl. Heinz Fenner, Kommunismus und Syndikalismus in Deutschland in Heft "
der vrenzboten.
Stadt und Land

statt des Großstadtproletariers ist ein Traum, den gerade der technische Fortschritt
des Verkehrswesens der Erfüllung nähert. Technische Notstände, die einstweilen
unaufhebbar sind, erschweren auch die rückläufige Bewegung ländlicher Klein¬
siedelung, die als Zeitbewegung ernsteste Beachtung verdient. Sehr unklar und
primitiv, aber voll echter Leidenschaft und aus tiefer innerer Not beginnt diese
Abkehr von der Großstadt gerade bei der radikalen Jugend der äußersten Linken
die sozialistische Gedankenwelt und vor allem den marxistischen Dogmatismus von
innen her zu durchsäuern und zu verwandeln. Unter diesem Gesichtspunkt ge¬
winnt auch die syndikalistische Opposition im kommunistischen Lager ein sehr be¬
achtliches neues Gesicht.^) Noch ist es durch das überkommene Ressentiment des
Großstadtproletariers und den unentwegter Haß gegen den allschuldigen Unter¬
nehmer entstellt, aber im Willen zur Dezentralisation und zu sachlicher Wirt¬
schaftsführung, im Überdruß an redseligen Politisieren leuchtet ein Glaube an
die übervernünstigen Mächte des Lebens auf, für den rechts das Verständnis
nicht fehlen sollte.

Noch ist alles im Fluten. Bewährte überkommene Formen sind zerstört
worden, kümmerliche Nachahmungen fremder Verfassungsformeln übernommen und
pomphaft beschlossen, denen keine soziale Lebenswirtlichkeit und nicht einmal der
ernsthafte Wille dazu entspricht. Mürrisch und mißtrauisch beobachtet das Land
den Hexensabbath der Großstadtputsche und verschanzt sich in seine Sonderinteressen.
Den Ansatzpunkt zu tatkräftiger Mitarbeit 'am Wiederaufbau weiß es nicht zu
finden, so vergeudet es sich in fruchtloser Opposition und Reaktion. Vorwärts
führen kann nur ein korporativer Zusammenschluß der ländlichen Wirtschaft, der
von unten her in das neue Gemeinwesen hineinwächst, das zur Ablösung des
gegenwärtigen Zerrstaates bestimmt ist. Indem sie derart alle zukünftigen Kräfte
in sich sammelt, kann die Scholle wieder ein Element der Einung werden.
Proletarisiert sich das Land, verrät es die Grundgesetze seiner Existenz, dann
versiegen seine Kräfte und damit die Verjüngungsmöglichkeiten der Nation, an
denen die ganze Zukunft unserer leibhaften Volksgemeinschaft hängt.





5) Vgl. Heinz Fenner, Kommunismus und Syndikalismus in Deutschland in Heft »
der vrenzboten.
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[0116] Stadt und Land statt des Großstadtproletariers ist ein Traum, den gerade der technische Fortschritt des Verkehrswesens der Erfüllung nähert. Technische Notstände, die einstweilen unaufhebbar sind, erschweren auch die rückläufige Bewegung ländlicher Klein¬ siedelung, die als Zeitbewegung ernsteste Beachtung verdient. Sehr unklar und primitiv, aber voll echter Leidenschaft und aus tiefer innerer Not beginnt diese Abkehr von der Großstadt gerade bei der radikalen Jugend der äußersten Linken die sozialistische Gedankenwelt und vor allem den marxistischen Dogmatismus von innen her zu durchsäuern und zu verwandeln. Unter diesem Gesichtspunkt ge¬ winnt auch die syndikalistische Opposition im kommunistischen Lager ein sehr be¬ achtliches neues Gesicht.^) Noch ist es durch das überkommene Ressentiment des Großstadtproletariers und den unentwegter Haß gegen den allschuldigen Unter¬ nehmer entstellt, aber im Willen zur Dezentralisation und zu sachlicher Wirt¬ schaftsführung, im Überdruß an redseligen Politisieren leuchtet ein Glaube an die übervernünstigen Mächte des Lebens auf, für den rechts das Verständnis nicht fehlen sollte. Noch ist alles im Fluten. Bewährte überkommene Formen sind zerstört worden, kümmerliche Nachahmungen fremder Verfassungsformeln übernommen und pomphaft beschlossen, denen keine soziale Lebenswirtlichkeit und nicht einmal der ernsthafte Wille dazu entspricht. Mürrisch und mißtrauisch beobachtet das Land den Hexensabbath der Großstadtputsche und verschanzt sich in seine Sonderinteressen. Den Ansatzpunkt zu tatkräftiger Mitarbeit 'am Wiederaufbau weiß es nicht zu finden, so vergeudet es sich in fruchtloser Opposition und Reaktion. Vorwärts führen kann nur ein korporativer Zusammenschluß der ländlichen Wirtschaft, der von unten her in das neue Gemeinwesen hineinwächst, das zur Ablösung des gegenwärtigen Zerrstaates bestimmt ist. Indem sie derart alle zukünftigen Kräfte in sich sammelt, kann die Scholle wieder ein Element der Einung werden. Proletarisiert sich das Land, verrät es die Grundgesetze seiner Existenz, dann versiegen seine Kräfte und damit die Verjüngungsmöglichkeiten der Nation, an denen die ganze Zukunft unserer leibhaften Volksgemeinschaft hängt. 5) Vgl. Heinz Fenner, Kommunismus und Syndikalismus in Deutschland in Heft » der vrenzboten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/116>, abgerufen am 22.12.2024.