Industrien geraten ins Stocken, der Handel sieht sich gehemmt, wochenlang, Millionen gehen verloren in einer Zeit, da alles nach Wiederaufbau, nach intensiver Wieder¬ aufnahme der zwischenstaatlichen Beziehungen drängt. Eine unerträgliche Situation. Da reit-t einem der beiden Prozeßgegner die Geduld. Schlimmer noch. Angehörige des einen Gegnerlandes werfen der Diplomatie den Fehdehandschuh hin, Natio¬ nalismus protestiert gegen Internationalismus, völkisches Bestreben gegen' über¬ staatliche Abstraktion, Tatkraft gegen Theorie, Selbstvertrauen gegen Selbstaufgabe. Teile des einen Volkes setzen sich durch Handstreich in den Besitz der umstrittenen Stadt, Die Negierung ist machtlos. Was nun? Vor der Tatsache kapitulieren heißt das Gewaltrecht bestätigen. Aber Taten gegenüber sind Rechtssprüche machtlos, wenn keine Exekutive da ist. Die Exekutivmacht des Völkerbundes hat niemand stellen wollen, auch Amerika nicht, aus dem einfachen Grunde nicht, weil -- die Menschen sind nun einmal so -- Blut eines Volkes nur für seine eigenen Ziele geopfert werden kann. Also bleibt nur die unblutige Exekutive: die Blockade. Aber schon bei Fiume zeigt sich, daß die Blockade unwirksam ist. (Und blockiert einmal im Frieden Nußland oder Indien oder Persien I) Was also nun? Man blockiert also vielleicht das Land, dessen Negierung sich gegen die Rebellen nicht durchsetzen kann. Tittoni hat diese Möglichkeit ja in seiner großen Rede vom 27. September bereits angedeutet. Unter dem Druck wird die Regierung vielleicht gestürzt werden, wird eine, sagen wir, sozialistische ans Ruder kommen (was im konkreten Fall Italien nicht unbedingt wahrscheinlich ist). Aber was ist damit geändert? Werden die antimilitaristischen Socialisten das Heer gegen Landsleute zu führen imstande sein? Das Heer ist in diesem Falle ja gegen sie. Welche Machtmittel hat also diese sozialistische Regierung, sich gegen die Rebellen durchzusetzen?, Das einzige ist, sie desavouiert die Rebellen. Folge: diese erklären sich selbständig und sitzen immer noch da, wo sie nicht sein sollten. Es ist im konkreten Falle nicht wahisctieinlich, daß sich d'Annunzio ewig wild in Fiume halten können, aber es wird sich?r Fälle geben, in denen das doch möglich ist. Es entsteht dann ein kleiner selbständiger, ein Pufferstaat. Gerade die Lösung im bösen, die Wilson nach den neuesten Meldungen -- das Problem zeitigt immer neue Lösungs¬ vorschläge, was die Verworrenheit der Lage und die Verlegenheit der Schieds¬ richter deutlich kennzeichnet -- im guten anstrebt. Aber jeder klardenkende Politiker weiß auch, daß Pufferstaaten teilte Lösungen bedeuten, nur ein Hinausschieben von (vielleicht schwer oder gütlich gar nicht möglichen) Lösungen und lediglich Anlaß zu neuen Konflikten und (schlimmer noch) fortdauernden Chikanen bilden. Der Konflikt dauert also fort trotz Völkerbund. Auch der Völkerbund sichert den Weltfrieden nicht, solange er keine Exekutivmacht besitzt. Eine Exekutiv¬ macht aber ist aus den oben angedeuteten Gründen nicht möglich, solange nicht ein Volk die Hegemonie über die ganze Erde besitzt, wozu vorläufig wenig Aussicht besteht.
Damit soll nicht bestritten werden, daß der Völkerbund immerhin wertvolle Dienste zur Erhaltung des Friedens leisten könnte. Es ist möglich, daß er die Herabsetzung der Rüstungen früher oder später durchzusetzen und damit Kriege wieder weniger verlustreich zu gestalten vermag, und es ist wahrscheinlich, daß der obligatonsche Appell an den obersten Staatengerichtshof die Möglichkeit eines blinden plötzlichen Hereinbrechens einer Katastrophe herabsetzt, aber in allen Fällen, in denen es tatsächlich hart auf hart geht, wird er, wie das Schulbeispiel Fiume- zeigt, versagen müssen, und selbst, wenn es gelänge, in solchen Fällen' wider¬ spenstige Völker durch wirtschaftliche Druckmittel zu zwingen, würde es Fälle geben, in denen ein derartiger, von einer abstrakten Macht ausgeübter Druck dem nationalen Willen der Völker, der nun einmal eine Realität ist und voraussichtlich auch bleiben wird, derart unerträglich werden könnte, daß sie gemeinsam gegen diese als unnatürlich empfundene Weltordnung Front machten, um eine neue herbeizuführen, innerhalb derer dem individuellen nationalen Willen mehr Lebens¬ möglichkeit gegeben wäre. Es ist hier im politischen Leben derselbe Vorgang wie im privaten das Duell. Man mag gegen das Duell und seine Auswüchse sagen,
Fiume
Industrien geraten ins Stocken, der Handel sieht sich gehemmt, wochenlang, Millionen gehen verloren in einer Zeit, da alles nach Wiederaufbau, nach intensiver Wieder¬ aufnahme der zwischenstaatlichen Beziehungen drängt. Eine unerträgliche Situation. Da reit-t einem der beiden Prozeßgegner die Geduld. Schlimmer noch. Angehörige des einen Gegnerlandes werfen der Diplomatie den Fehdehandschuh hin, Natio¬ nalismus protestiert gegen Internationalismus, völkisches Bestreben gegen' über¬ staatliche Abstraktion, Tatkraft gegen Theorie, Selbstvertrauen gegen Selbstaufgabe. Teile des einen Volkes setzen sich durch Handstreich in den Besitz der umstrittenen Stadt, Die Negierung ist machtlos. Was nun? Vor der Tatsache kapitulieren heißt das Gewaltrecht bestätigen. Aber Taten gegenüber sind Rechtssprüche machtlos, wenn keine Exekutive da ist. Die Exekutivmacht des Völkerbundes hat niemand stellen wollen, auch Amerika nicht, aus dem einfachen Grunde nicht, weil — die Menschen sind nun einmal so — Blut eines Volkes nur für seine eigenen Ziele geopfert werden kann. Also bleibt nur die unblutige Exekutive: die Blockade. Aber schon bei Fiume zeigt sich, daß die Blockade unwirksam ist. (Und blockiert einmal im Frieden Nußland oder Indien oder Persien I) Was also nun? Man blockiert also vielleicht das Land, dessen Negierung sich gegen die Rebellen nicht durchsetzen kann. Tittoni hat diese Möglichkeit ja in seiner großen Rede vom 27. September bereits angedeutet. Unter dem Druck wird die Regierung vielleicht gestürzt werden, wird eine, sagen wir, sozialistische ans Ruder kommen (was im konkreten Fall Italien nicht unbedingt wahrscheinlich ist). Aber was ist damit geändert? Werden die antimilitaristischen Socialisten das Heer gegen Landsleute zu führen imstande sein? Das Heer ist in diesem Falle ja gegen sie. Welche Machtmittel hat also diese sozialistische Regierung, sich gegen die Rebellen durchzusetzen?, Das einzige ist, sie desavouiert die Rebellen. Folge: diese erklären sich selbständig und sitzen immer noch da, wo sie nicht sein sollten. Es ist im konkreten Falle nicht wahisctieinlich, daß sich d'Annunzio ewig wild in Fiume halten können, aber es wird sich?r Fälle geben, in denen das doch möglich ist. Es entsteht dann ein kleiner selbständiger, ein Pufferstaat. Gerade die Lösung im bösen, die Wilson nach den neuesten Meldungen — das Problem zeitigt immer neue Lösungs¬ vorschläge, was die Verworrenheit der Lage und die Verlegenheit der Schieds¬ richter deutlich kennzeichnet — im guten anstrebt. Aber jeder klardenkende Politiker weiß auch, daß Pufferstaaten teilte Lösungen bedeuten, nur ein Hinausschieben von (vielleicht schwer oder gütlich gar nicht möglichen) Lösungen und lediglich Anlaß zu neuen Konflikten und (schlimmer noch) fortdauernden Chikanen bilden. Der Konflikt dauert also fort trotz Völkerbund. Auch der Völkerbund sichert den Weltfrieden nicht, solange er keine Exekutivmacht besitzt. Eine Exekutiv¬ macht aber ist aus den oben angedeuteten Gründen nicht möglich, solange nicht ein Volk die Hegemonie über die ganze Erde besitzt, wozu vorläufig wenig Aussicht besteht.
Damit soll nicht bestritten werden, daß der Völkerbund immerhin wertvolle Dienste zur Erhaltung des Friedens leisten könnte. Es ist möglich, daß er die Herabsetzung der Rüstungen früher oder später durchzusetzen und damit Kriege wieder weniger verlustreich zu gestalten vermag, und es ist wahrscheinlich, daß der obligatonsche Appell an den obersten Staatengerichtshof die Möglichkeit eines blinden plötzlichen Hereinbrechens einer Katastrophe herabsetzt, aber in allen Fällen, in denen es tatsächlich hart auf hart geht, wird er, wie das Schulbeispiel Fiume- zeigt, versagen müssen, und selbst, wenn es gelänge, in solchen Fällen' wider¬ spenstige Völker durch wirtschaftliche Druckmittel zu zwingen, würde es Fälle geben, in denen ein derartiger, von einer abstrakten Macht ausgeübter Druck dem nationalen Willen der Völker, der nun einmal eine Realität ist und voraussichtlich auch bleiben wird, derart unerträglich werden könnte, daß sie gemeinsam gegen diese als unnatürlich empfundene Weltordnung Front machten, um eine neue herbeizuführen, innerhalb derer dem individuellen nationalen Willen mehr Lebens¬ möglichkeit gegeben wäre. Es ist hier im politischen Leben derselbe Vorgang wie im privaten das Duell. Man mag gegen das Duell und seine Auswüchse sagen,
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[0074]
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Industrien geraten ins Stocken, der Handel sieht sich gehemmt, wochenlang, Millionen
gehen verloren in einer Zeit, da alles nach Wiederaufbau, nach intensiver Wieder¬
aufnahme der zwischenstaatlichen Beziehungen drängt. Eine unerträgliche Situation.
Da reit-t einem der beiden Prozeßgegner die Geduld. Schlimmer noch. Angehörige
des einen Gegnerlandes werfen der Diplomatie den Fehdehandschuh hin, Natio¬
nalismus protestiert gegen Internationalismus, völkisches Bestreben gegen' über¬
staatliche Abstraktion, Tatkraft gegen Theorie, Selbstvertrauen gegen Selbstaufgabe.
Teile des einen Volkes setzen sich durch Handstreich in den Besitz der umstrittenen
Stadt, Die Negierung ist machtlos. Was nun? Vor der Tatsache kapitulieren
heißt das Gewaltrecht bestätigen. Aber Taten gegenüber sind Rechtssprüche machtlos,
wenn keine Exekutive da ist. Die Exekutivmacht des Völkerbundes hat niemand
stellen wollen, auch Amerika nicht, aus dem einfachen Grunde nicht, weil — die
Menschen sind nun einmal so — Blut eines Volkes nur für seine eigenen Ziele geopfert
werden kann. Also bleibt nur die unblutige Exekutive: die Blockade. Aber schon
bei Fiume zeigt sich, daß die Blockade unwirksam ist. (Und blockiert einmal
im Frieden Nußland oder Indien oder Persien I) Was also nun? Man blockiert
also vielleicht das Land, dessen Negierung sich gegen die Rebellen nicht durchsetzen
kann. Tittoni hat diese Möglichkeit ja in seiner großen Rede vom 27. September
bereits angedeutet. Unter dem Druck wird die Regierung vielleicht gestürzt
werden, wird eine, sagen wir, sozialistische ans Ruder kommen (was im konkreten
Fall Italien nicht unbedingt wahrscheinlich ist). Aber was ist damit geändert?
Werden die antimilitaristischen Socialisten das Heer gegen Landsleute zu führen
imstande sein? Das Heer ist in diesem Falle ja gegen sie. Welche Machtmittel
hat also diese sozialistische Regierung, sich gegen die Rebellen durchzusetzen?, Das
einzige ist, sie desavouiert die Rebellen. Folge: diese erklären sich selbständig und
sitzen immer noch da, wo sie nicht sein sollten. Es ist im konkreten Falle nicht
wahisctieinlich, daß sich d'Annunzio ewig wild in Fiume halten können, aber es
wird sich?r Fälle geben, in denen das doch möglich ist. Es entsteht dann ein
kleiner selbständiger, ein Pufferstaat. Gerade die Lösung im bösen, die Wilson
nach den neuesten Meldungen — das Problem zeitigt immer neue Lösungs¬
vorschläge, was die Verworrenheit der Lage und die Verlegenheit der Schieds¬
richter deutlich kennzeichnet — im guten anstrebt. Aber jeder klardenkende Politiker
weiß auch, daß Pufferstaaten teilte Lösungen bedeuten, nur ein Hinausschieben
von (vielleicht schwer oder gütlich gar nicht möglichen) Lösungen und lediglich
Anlaß zu neuen Konflikten und (schlimmer noch) fortdauernden Chikanen bilden.
Der Konflikt dauert also fort trotz Völkerbund. Auch der Völkerbund sichert
den Weltfrieden nicht, solange er keine Exekutivmacht besitzt. Eine Exekutiv¬
macht aber ist aus den oben angedeuteten Gründen nicht möglich, solange nicht
ein Volk die Hegemonie über die ganze Erde besitzt, wozu vorläufig wenig
Aussicht besteht.
Damit soll nicht bestritten werden, daß der Völkerbund immerhin wertvolle
Dienste zur Erhaltung des Friedens leisten könnte. Es ist möglich, daß er die
Herabsetzung der Rüstungen früher oder später durchzusetzen und damit Kriege
wieder weniger verlustreich zu gestalten vermag, und es ist wahrscheinlich, daß
der obligatonsche Appell an den obersten Staatengerichtshof die Möglichkeit eines
blinden plötzlichen Hereinbrechens einer Katastrophe herabsetzt, aber in allen Fällen,
in denen es tatsächlich hart auf hart geht, wird er, wie das Schulbeispiel Fiume-
zeigt, versagen müssen, und selbst, wenn es gelänge, in solchen Fällen' wider¬
spenstige Völker durch wirtschaftliche Druckmittel zu zwingen, würde es Fälle
geben, in denen ein derartiger, von einer abstrakten Macht ausgeübter Druck dem
nationalen Willen der Völker, der nun einmal eine Realität ist und voraussichtlich
auch bleiben wird, derart unerträglich werden könnte, daß sie gemeinsam gegen
diese als unnatürlich empfundene Weltordnung Front machten, um eine neue
herbeizuführen, innerhalb derer dem individuellen nationalen Willen mehr Lebens¬
möglichkeit gegeben wäre. Es ist hier im politischen Leben derselbe Vorgang wie
im privaten das Duell. Man mag gegen das Duell und seine Auswüchse sagen,
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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/74>, abgerufen am 22.01.2025.
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