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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Zum Betriebsrätegesetz

Das aktive Wahlalter, welches nur an den Besitz der bürgerlichen Ehren¬
rechte, nicht aber an die Neichsangehörigkeit gebunden ist, beträgt zwanzig Jahre;
das passive Wahlalter, das an eine sechsmonatige Betriebs- und dreijährige Ge¬
werbezugehörigkeit gebunden ist, ist auf vierundzwanzig Jahre festgesetzt. Das
Wahlverfahren ist das der allgemeinen und geheimen Verhältniswahl. Arbeiter
und Angestellte des Betriebes oder der Betriebsabteilung wählen gesondert ihre
Vertreter in den Betriebsrat; die Vertreter können aber auch auf beiderseitigen
Mehrheitsbeschluß in gemeinsamer Wahl aller Arbeitnehmer gewählt werden. Der
Betriebsrat wählt aus seinen Mitgliedern einen Obmann und einen oder zwei
Stellvertreter, die zur Vertretung des Betriebsrats gegenüber dem Arbeitgeber
und dem Schlichtungsausschusse befugt sind. Hat der Betriebsrat mehr als sieben
Mitglieder, so ist ein Betriebsausschuß zu bilden, der aus dem Obmann, dem
Obmannstellvertreter und den etwa bestellten ständigen Vertrauenspersonen besteht.
Die Mitglieder der Betriebsräte werden auf die Dauer von zwei Jahren gewählt.
Arbeiter und Angestellte dos Betriebes oder der Betriebsabteilung wählen gesondert
ihre Vertreter in den Betriebsrat; die Vertreter können aber auch auf beider¬
seitigen Mehrheitsbeschluß in gemeinsamer Wahl aller Arbeitnehmer gewählt
werden. Auf einen mit zwei Drittel Mehrheit in geheimer Abstimmung gefaßten
Beschluß der Betriebsversammlung -- das ist die Versammlung aller Arbeitnehmer
des Betriebes, in der die Wahlberechtigten stimmberechtigt sind -- hat der Be¬
triebsrat zurückzutreten, auch wenn seine Amtsdauer noch nicht abgelaufen ist.
Es kann aber auch auf Antrag des Arbeitgebers oder auf Antrag von mindestens
einem Viertel der Arbeitnehmerschaft der Schlichtungsausschuß die Auflösung des
Betriebsrates bzw. das Erlöschen der Mitgliedschaft wegen gröblicher Verletzung
seiner gesetzlichen Pflichten beschließen. Die Bestimmung über die jederzeitige
Absetzbarkeit birgt große Fährnisse für unser Wirtschaftsleben in sich; denn ist
der Betriebsrat abgesetzt, so wird die unterlegene Partei dauernd agitieren, um
wieder in die Vctrtebsratstellung zu gelangen. Der Betrieb kommt so überhaupt
nicht mehr zur Ruhe.

Was die Geschäftsführung und Kosten anlangt, so enthält der Gesetzentwurf
nur einige allgemeine Regeln. Die Geschäftsordnung soll sich der Betriebsrat
selbst geben. Notwendige Versäumnis von Arbeitszeit wegen der Zugehörigkeit
zum Betriebsrat darf nach dein Entwurf eine Minderung der Entlohnung oder
Gehaltszahlung nicht zur Folge haben. Die durch die Geschäftsführung des Be-
triebsrates entstehenden Kosten fallen dein Arbeitgeber zur Last, der auch die er¬
forderlichen Räume und Geschäftsbedürfnisse zur Verfügung zu stellen hat. Auch
bestimmt der Entwurf, daß Versäumnis von Arbeitszeit infolge Ausübung des
Wahlrechts oder Vetütigung im Wahlvorstande eine Entlassung oder Minderung
der Gehaltszahlung nicht zur Folge haben darf. Vertragsbestimmungen, die dieser
Vorschrift zuwider laufen, sind nichtig. Die Sitzungen können während der
Arbeitszeit stattfinden. Der Obmann soll allerdings dafür Sorge tragen, daß
nicht durch häufige Anberaumung solcher Sitzungen eine erhebliche Beeinträchtigung
des Betriebes stattfindet.

Die Kosten, welche die Industrie zu tragen hat, werden nicht gering sein.
So berechnet Dr. Metzner für die Textilindustrie 45 000 Nätemitglieder, die bet
Zwei Drittel Inanspruchnahme der Arbeitszeit und einem Stundenlohn von eurer
Mark der Industrie "8,3 Millionen Mark kosten werden. .-

Der Betriebsrat soll eine Interessenvertretung der gesamten ArbeUnehmer
schaft des Betriebes (Arbeiter und Angestellte) gegenüber dem Arbeitgeber sem.
Ausgenommen sind nur die oberen Angestellten, Direktoren der Aktiengesellschaften
usw., selbständige Geschäftsführer, Betriebsleiter und Prokuristen. Der Geltungs¬
bereich des Entwurfs umfaßt alle großen Wirtschaftsgruppen (unt Ausnahme der
Schiffahrt, für die wegen ihrer Eigenart eine Sonderregelung vorgesehen wird),
ferner die Schreibstuben der freien Berufe, der Vereine, Gesellschaften, BeHorden,
Anstalten. Stiftungen usw. Auch das Baugewerbe nimmt eine Sonderstellung
ein. Hier kann durch einen für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag eine


Zum Betriebsrätegesetz

Das aktive Wahlalter, welches nur an den Besitz der bürgerlichen Ehren¬
rechte, nicht aber an die Neichsangehörigkeit gebunden ist, beträgt zwanzig Jahre;
das passive Wahlalter, das an eine sechsmonatige Betriebs- und dreijährige Ge¬
werbezugehörigkeit gebunden ist, ist auf vierundzwanzig Jahre festgesetzt. Das
Wahlverfahren ist das der allgemeinen und geheimen Verhältniswahl. Arbeiter
und Angestellte des Betriebes oder der Betriebsabteilung wählen gesondert ihre
Vertreter in den Betriebsrat; die Vertreter können aber auch auf beiderseitigen
Mehrheitsbeschluß in gemeinsamer Wahl aller Arbeitnehmer gewählt werden. Der
Betriebsrat wählt aus seinen Mitgliedern einen Obmann und einen oder zwei
Stellvertreter, die zur Vertretung des Betriebsrats gegenüber dem Arbeitgeber
und dem Schlichtungsausschusse befugt sind. Hat der Betriebsrat mehr als sieben
Mitglieder, so ist ein Betriebsausschuß zu bilden, der aus dem Obmann, dem
Obmannstellvertreter und den etwa bestellten ständigen Vertrauenspersonen besteht.
Die Mitglieder der Betriebsräte werden auf die Dauer von zwei Jahren gewählt.
Arbeiter und Angestellte dos Betriebes oder der Betriebsabteilung wählen gesondert
ihre Vertreter in den Betriebsrat; die Vertreter können aber auch auf beider¬
seitigen Mehrheitsbeschluß in gemeinsamer Wahl aller Arbeitnehmer gewählt
werden. Auf einen mit zwei Drittel Mehrheit in geheimer Abstimmung gefaßten
Beschluß der Betriebsversammlung — das ist die Versammlung aller Arbeitnehmer
des Betriebes, in der die Wahlberechtigten stimmberechtigt sind — hat der Be¬
triebsrat zurückzutreten, auch wenn seine Amtsdauer noch nicht abgelaufen ist.
Es kann aber auch auf Antrag des Arbeitgebers oder auf Antrag von mindestens
einem Viertel der Arbeitnehmerschaft der Schlichtungsausschuß die Auflösung des
Betriebsrates bzw. das Erlöschen der Mitgliedschaft wegen gröblicher Verletzung
seiner gesetzlichen Pflichten beschließen. Die Bestimmung über die jederzeitige
Absetzbarkeit birgt große Fährnisse für unser Wirtschaftsleben in sich; denn ist
der Betriebsrat abgesetzt, so wird die unterlegene Partei dauernd agitieren, um
wieder in die Vctrtebsratstellung zu gelangen. Der Betrieb kommt so überhaupt
nicht mehr zur Ruhe.

Was die Geschäftsführung und Kosten anlangt, so enthält der Gesetzentwurf
nur einige allgemeine Regeln. Die Geschäftsordnung soll sich der Betriebsrat
selbst geben. Notwendige Versäumnis von Arbeitszeit wegen der Zugehörigkeit
zum Betriebsrat darf nach dein Entwurf eine Minderung der Entlohnung oder
Gehaltszahlung nicht zur Folge haben. Die durch die Geschäftsführung des Be-
triebsrates entstehenden Kosten fallen dein Arbeitgeber zur Last, der auch die er¬
forderlichen Räume und Geschäftsbedürfnisse zur Verfügung zu stellen hat. Auch
bestimmt der Entwurf, daß Versäumnis von Arbeitszeit infolge Ausübung des
Wahlrechts oder Vetütigung im Wahlvorstande eine Entlassung oder Minderung
der Gehaltszahlung nicht zur Folge haben darf. Vertragsbestimmungen, die dieser
Vorschrift zuwider laufen, sind nichtig. Die Sitzungen können während der
Arbeitszeit stattfinden. Der Obmann soll allerdings dafür Sorge tragen, daß
nicht durch häufige Anberaumung solcher Sitzungen eine erhebliche Beeinträchtigung
des Betriebes stattfindet.

Die Kosten, welche die Industrie zu tragen hat, werden nicht gering sein.
So berechnet Dr. Metzner für die Textilindustrie 45 000 Nätemitglieder, die bet
Zwei Drittel Inanspruchnahme der Arbeitszeit und einem Stundenlohn von eurer
Mark der Industrie «8,3 Millionen Mark kosten werden. .-

Der Betriebsrat soll eine Interessenvertretung der gesamten ArbeUnehmer
schaft des Betriebes (Arbeiter und Angestellte) gegenüber dem Arbeitgeber sem.
Ausgenommen sind nur die oberen Angestellten, Direktoren der Aktiengesellschaften
usw., selbständige Geschäftsführer, Betriebsleiter und Prokuristen. Der Geltungs¬
bereich des Entwurfs umfaßt alle großen Wirtschaftsgruppen (unt Ausnahme der
Schiffahrt, für die wegen ihrer Eigenart eine Sonderregelung vorgesehen wird),
ferner die Schreibstuben der freien Berufe, der Vereine, Gesellschaften, BeHorden,
Anstalten. Stiftungen usw. Auch das Baugewerbe nimmt eine Sonderstellung
ein. Hier kann durch einen für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag eine


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[0063] Zum Betriebsrätegesetz Das aktive Wahlalter, welches nur an den Besitz der bürgerlichen Ehren¬ rechte, nicht aber an die Neichsangehörigkeit gebunden ist, beträgt zwanzig Jahre; das passive Wahlalter, das an eine sechsmonatige Betriebs- und dreijährige Ge¬ werbezugehörigkeit gebunden ist, ist auf vierundzwanzig Jahre festgesetzt. Das Wahlverfahren ist das der allgemeinen und geheimen Verhältniswahl. Arbeiter und Angestellte des Betriebes oder der Betriebsabteilung wählen gesondert ihre Vertreter in den Betriebsrat; die Vertreter können aber auch auf beiderseitigen Mehrheitsbeschluß in gemeinsamer Wahl aller Arbeitnehmer gewählt werden. Der Betriebsrat wählt aus seinen Mitgliedern einen Obmann und einen oder zwei Stellvertreter, die zur Vertretung des Betriebsrats gegenüber dem Arbeitgeber und dem Schlichtungsausschusse befugt sind. Hat der Betriebsrat mehr als sieben Mitglieder, so ist ein Betriebsausschuß zu bilden, der aus dem Obmann, dem Obmannstellvertreter und den etwa bestellten ständigen Vertrauenspersonen besteht. Die Mitglieder der Betriebsräte werden auf die Dauer von zwei Jahren gewählt. Arbeiter und Angestellte dos Betriebes oder der Betriebsabteilung wählen gesondert ihre Vertreter in den Betriebsrat; die Vertreter können aber auch auf beider¬ seitigen Mehrheitsbeschluß in gemeinsamer Wahl aller Arbeitnehmer gewählt werden. Auf einen mit zwei Drittel Mehrheit in geheimer Abstimmung gefaßten Beschluß der Betriebsversammlung — das ist die Versammlung aller Arbeitnehmer des Betriebes, in der die Wahlberechtigten stimmberechtigt sind — hat der Be¬ triebsrat zurückzutreten, auch wenn seine Amtsdauer noch nicht abgelaufen ist. Es kann aber auch auf Antrag des Arbeitgebers oder auf Antrag von mindestens einem Viertel der Arbeitnehmerschaft der Schlichtungsausschuß die Auflösung des Betriebsrates bzw. das Erlöschen der Mitgliedschaft wegen gröblicher Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beschließen. Die Bestimmung über die jederzeitige Absetzbarkeit birgt große Fährnisse für unser Wirtschaftsleben in sich; denn ist der Betriebsrat abgesetzt, so wird die unterlegene Partei dauernd agitieren, um wieder in die Vctrtebsratstellung zu gelangen. Der Betrieb kommt so überhaupt nicht mehr zur Ruhe. Was die Geschäftsführung und Kosten anlangt, so enthält der Gesetzentwurf nur einige allgemeine Regeln. Die Geschäftsordnung soll sich der Betriebsrat selbst geben. Notwendige Versäumnis von Arbeitszeit wegen der Zugehörigkeit zum Betriebsrat darf nach dein Entwurf eine Minderung der Entlohnung oder Gehaltszahlung nicht zur Folge haben. Die durch die Geschäftsführung des Be- triebsrates entstehenden Kosten fallen dein Arbeitgeber zur Last, der auch die er¬ forderlichen Räume und Geschäftsbedürfnisse zur Verfügung zu stellen hat. Auch bestimmt der Entwurf, daß Versäumnis von Arbeitszeit infolge Ausübung des Wahlrechts oder Vetütigung im Wahlvorstande eine Entlassung oder Minderung der Gehaltszahlung nicht zur Folge haben darf. Vertragsbestimmungen, die dieser Vorschrift zuwider laufen, sind nichtig. Die Sitzungen können während der Arbeitszeit stattfinden. Der Obmann soll allerdings dafür Sorge tragen, daß nicht durch häufige Anberaumung solcher Sitzungen eine erhebliche Beeinträchtigung des Betriebes stattfindet. Die Kosten, welche die Industrie zu tragen hat, werden nicht gering sein. So berechnet Dr. Metzner für die Textilindustrie 45 000 Nätemitglieder, die bet Zwei Drittel Inanspruchnahme der Arbeitszeit und einem Stundenlohn von eurer Mark der Industrie «8,3 Millionen Mark kosten werden. .- Der Betriebsrat soll eine Interessenvertretung der gesamten ArbeUnehmer schaft des Betriebes (Arbeiter und Angestellte) gegenüber dem Arbeitgeber sem. Ausgenommen sind nur die oberen Angestellten, Direktoren der Aktiengesellschaften usw., selbständige Geschäftsführer, Betriebsleiter und Prokuristen. Der Geltungs¬ bereich des Entwurfs umfaßt alle großen Wirtschaftsgruppen (unt Ausnahme der Schiffahrt, für die wegen ihrer Eigenart eine Sonderregelung vorgesehen wird), ferner die Schreibstuben der freien Berufe, der Vereine, Gesellschaften, BeHorden, Anstalten. Stiftungen usw. Auch das Baugewerbe nimmt eine Sonderstellung ein. Hier kann durch einen für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/63>, abgerufen am 15.01.2025.