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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Pressestimmen

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werden Parlamentaristisch regiert. Es ist
jedoch schwer zu behaupten, daß sie sich
womöglich schlechter befinden als das Parla-
mentnristische Frankreich. ,

Schließlich kommt die Frage der Agrar¬
reform. Diese Reform umfaßt zwei Punkte:
Die zwangsweise Enteignung größeren Land¬
besitzes, sowie das Maximuni von Landbesitz
(400 Hektar). Den ersten Punkt hat der
Landtag einstimmig, oder fast einstimmig
angenommen, den zweiten mit dem Ausschluß
von einer Stimme. Wir verstehen, daß das
eine wie das andere, besonders aber das
andere einer großen Opposition der Rechten,
und zwar einer auch durch sachliche Ursachen
begründeten Opposition begegnet ist, da
bei dem heutigen Zustande der Agrarwirt-
schaft in Polen auch größeres Besitztum
nötig ist, um große Kornmengen zu Produ¬
zieren. Jedoch ist auch hier zu beachten, daß
dieser Beschluß nur eine allgemeine Fest¬
stellung bedeutet, daß er erst ein Grund-
Prinzip ausdrückt.

Die tatsächliche Durchführung der vor¬
gesehenen Parzellierung wird im Laufe von
Jahrhunderten nicht durchgeführt. Weiter
hat sich der große Landbesitz infolge seiner
Kriegspolitik so oft den nationalen Ideen
in den Weg gestellt, daß der Anschlag auf
dieselben von der Allgemeinheit nicht als ein
Verlust in der nationalen Wirtschaft ange¬
sehen wird. Wenn man diese Fragen
vom nationalen Standpunkte betrachtet, kann
die Annahme der Agrarreform uns große
Volksmasssn, sogar deutsche Bolksmnssen auf
deu Volksabstimmungsgebicten zuführen und
die Macht der deutschen Latifundien in
Pommern und Großpolen brechen. Schlie߬
lich darf man auch nicht vergessen,
daß die Agrarreform nicht ausschließlich eine
Polnische Angelegenheit ist, sondern einen
Teil der Umwälzung der ganzen nationalen
Wirtschaft in Europa darstellt, und daß
man z. B. im Tschechenlande noch früher
ein analogisches Gesetz beschlossen hat.

Wir glauben deshalb auch ohne Vor¬
urteil sagen zu können, das; die Kritiken,
welche gegen den Landtag geltend gemacht
werden, mindestens übertrieben sind. Man
darf auch nicht seine unstreitig Positive Arbeit
vergessen.

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Hierher gehört die einmütige Bestätigung
Pilsudskis auf dem Posten des Staatsober-
Hauptes. Es handelt sich hier gar nicht um
die Person Pilsudskis, obgleich auch hier
nicht zu vergessen ist, daß wenn auch seine
legionistische Kriegspolitik die schärfste Ver¬
dammung verdient, seine Magdeburger Ge¬
fangenschaft ihn in Warschau mit Ruhm
umgab. Und wenn auch die Einberufung
des Moraczewski-Kabinetts unglückselig war,
so hat doch das Staatsoberhaupt diesen
Irrtum verbessert, indem er die Negierung
Paderewski übergab. Seine gegenannexio-
nistische Politik im Osten verdient Einver¬
ständnis und stellt heute unter unserer All¬
gemeinheit vielleicht die größte Zentrums¬
kraft dar. Ich wiederhole aber, daß es sich
hier gar nicht um die Person Pilsudskis,
sondern um die Tatsache selbst handelt, daß
der Landtag eines sich kaum bildenden Landes
zu einem derartigen Akt politischer Weisheit,
wie die einmütige Wahl eines Staatsober¬
hauptes aufgerafft hat.

Und weiter: Der Landtag hat die Aus¬
hebung des Militärs beschlossen, wodurch er
die Basis für eine feste Armee geschaffen
hat, eine Sache, die Polen heute und noch
jahrelang angesichts der deutschen Gefahr
am nötigsten ist, hat eine Anleihe beschlossen,
sowie einen Bund mit der Entente und
schließlich den Friedensvertrag ratifiziert.

Es ist jedenfalls leicht zu sagen, daß dies
von den Bauern gemacht wurde, weil es sie
nichts gekostet habe. Daß der Landtag aber
bäurisch ist, woran liegt es, wenn nicht daran,
daß die "Herren" nicht imstande gewesen
sind, sich das Vertrauen der breiten All¬
gemeinheit zu erobern? Und dann zeigt es
sich, daß diese Bauern dsnnoch imstande
waren, ein Verständnis den Staatsnotwendig¬
keiten entgegenzubringen. Wenn man also
alles zusammenfaßt, so glaube ich, wird ein
nicht durch eine Parteibrille mit Vorurteil
beladener Mensch, oder ein solcher, ver durch
die Einschränkung des Großgrundbesitzes
nicht gereizt wurde, zugeben müssen, daß der
Landtag bereits viel nutzbringende Arbeit
geleistet hat.

Gewiß wünscht jeder Pole, daß möglichst
viel solche Arbeit geleistet wird und daß sie

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werden Parlamentaristisch regiert. Es ist
jedoch schwer zu behaupten, daß sie sich
womöglich schlechter befinden als das Parla-
mentnristische Frankreich. ,

Schließlich kommt die Frage der Agrar¬
reform. Diese Reform umfaßt zwei Punkte:
Die zwangsweise Enteignung größeren Land¬
besitzes, sowie das Maximuni von Landbesitz
(400 Hektar). Den ersten Punkt hat der
Landtag einstimmig, oder fast einstimmig
angenommen, den zweiten mit dem Ausschluß
von einer Stimme. Wir verstehen, daß das
eine wie das andere, besonders aber das
andere einer großen Opposition der Rechten,
und zwar einer auch durch sachliche Ursachen
begründeten Opposition begegnet ist, da
bei dem heutigen Zustande der Agrarwirt-
schaft in Polen auch größeres Besitztum
nötig ist, um große Kornmengen zu Produ¬
zieren. Jedoch ist auch hier zu beachten, daß
dieser Beschluß nur eine allgemeine Fest¬
stellung bedeutet, daß er erst ein Grund-
Prinzip ausdrückt.

Die tatsächliche Durchführung der vor¬
gesehenen Parzellierung wird im Laufe von
Jahrhunderten nicht durchgeführt. Weiter
hat sich der große Landbesitz infolge seiner
Kriegspolitik so oft den nationalen Ideen
in den Weg gestellt, daß der Anschlag auf
dieselben von der Allgemeinheit nicht als ein
Verlust in der nationalen Wirtschaft ange¬
sehen wird. Wenn man diese Fragen
vom nationalen Standpunkte betrachtet, kann
die Annahme der Agrarreform uns große
Volksmasssn, sogar deutsche Bolksmnssen auf
deu Volksabstimmungsgebicten zuführen und
die Macht der deutschen Latifundien in
Pommern und Großpolen brechen. Schlie߬
lich darf man auch nicht vergessen,
daß die Agrarreform nicht ausschließlich eine
Polnische Angelegenheit ist, sondern einen
Teil der Umwälzung der ganzen nationalen
Wirtschaft in Europa darstellt, und daß
man z. B. im Tschechenlande noch früher
ein analogisches Gesetz beschlossen hat.

Wir glauben deshalb auch ohne Vor¬
urteil sagen zu können, das; die Kritiken,
welche gegen den Landtag geltend gemacht
werden, mindestens übertrieben sind. Man
darf auch nicht seine unstreitig Positive Arbeit
vergessen.

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Hierher gehört die einmütige Bestätigung
Pilsudskis auf dem Posten des Staatsober-
Hauptes. Es handelt sich hier gar nicht um
die Person Pilsudskis, obgleich auch hier
nicht zu vergessen ist, daß wenn auch seine
legionistische Kriegspolitik die schärfste Ver¬
dammung verdient, seine Magdeburger Ge¬
fangenschaft ihn in Warschau mit Ruhm
umgab. Und wenn auch die Einberufung
des Moraczewski-Kabinetts unglückselig war,
so hat doch das Staatsoberhaupt diesen
Irrtum verbessert, indem er die Negierung
Paderewski übergab. Seine gegenannexio-
nistische Politik im Osten verdient Einver¬
ständnis und stellt heute unter unserer All¬
gemeinheit vielleicht die größte Zentrums¬
kraft dar. Ich wiederhole aber, daß es sich
hier gar nicht um die Person Pilsudskis,
sondern um die Tatsache selbst handelt, daß
der Landtag eines sich kaum bildenden Landes
zu einem derartigen Akt politischer Weisheit,
wie die einmütige Wahl eines Staatsober¬
hauptes aufgerafft hat.

Und weiter: Der Landtag hat die Aus¬
hebung des Militärs beschlossen, wodurch er
die Basis für eine feste Armee geschaffen
hat, eine Sache, die Polen heute und noch
jahrelang angesichts der deutschen Gefahr
am nötigsten ist, hat eine Anleihe beschlossen,
sowie einen Bund mit der Entente und
schließlich den Friedensvertrag ratifiziert.

Es ist jedenfalls leicht zu sagen, daß dies
von den Bauern gemacht wurde, weil es sie
nichts gekostet habe. Daß der Landtag aber
bäurisch ist, woran liegt es, wenn nicht daran,
daß die „Herren" nicht imstande gewesen
sind, sich das Vertrauen der breiten All¬
gemeinheit zu erobern? Und dann zeigt es
sich, daß diese Bauern dsnnoch imstande
waren, ein Verständnis den Staatsnotwendig¬
keiten entgegenzubringen. Wenn man also
alles zusammenfaßt, so glaube ich, wird ein
nicht durch eine Parteibrille mit Vorurteil
beladener Mensch, oder ein solcher, ver durch
die Einschränkung des Großgrundbesitzes
nicht gereizt wurde, zugeben müssen, daß der
Landtag bereits viel nutzbringende Arbeit
geleistet hat.

Gewiß wünscht jeder Pole, daß möglichst
viel solche Arbeit geleistet wird und daß sie

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[0506] Pressestimmen werden Parlamentaristisch regiert. Es ist jedoch schwer zu behaupten, daß sie sich womöglich schlechter befinden als das Parla- mentnristische Frankreich. , Schließlich kommt die Frage der Agrar¬ reform. Diese Reform umfaßt zwei Punkte: Die zwangsweise Enteignung größeren Land¬ besitzes, sowie das Maximuni von Landbesitz (400 Hektar). Den ersten Punkt hat der Landtag einstimmig, oder fast einstimmig angenommen, den zweiten mit dem Ausschluß von einer Stimme. Wir verstehen, daß das eine wie das andere, besonders aber das andere einer großen Opposition der Rechten, und zwar einer auch durch sachliche Ursachen begründeten Opposition begegnet ist, da bei dem heutigen Zustande der Agrarwirt- schaft in Polen auch größeres Besitztum nötig ist, um große Kornmengen zu Produ¬ zieren. Jedoch ist auch hier zu beachten, daß dieser Beschluß nur eine allgemeine Fest¬ stellung bedeutet, daß er erst ein Grund- Prinzip ausdrückt. Die tatsächliche Durchführung der vor¬ gesehenen Parzellierung wird im Laufe von Jahrhunderten nicht durchgeführt. Weiter hat sich der große Landbesitz infolge seiner Kriegspolitik so oft den nationalen Ideen in den Weg gestellt, daß der Anschlag auf dieselben von der Allgemeinheit nicht als ein Verlust in der nationalen Wirtschaft ange¬ sehen wird. Wenn man diese Fragen vom nationalen Standpunkte betrachtet, kann die Annahme der Agrarreform uns große Volksmasssn, sogar deutsche Bolksmnssen auf deu Volksabstimmungsgebicten zuführen und die Macht der deutschen Latifundien in Pommern und Großpolen brechen. Schlie߬ lich darf man auch nicht vergessen, daß die Agrarreform nicht ausschließlich eine Polnische Angelegenheit ist, sondern einen Teil der Umwälzung der ganzen nationalen Wirtschaft in Europa darstellt, und daß man z. B. im Tschechenlande noch früher ein analogisches Gesetz beschlossen hat. Wir glauben deshalb auch ohne Vor¬ urteil sagen zu können, das; die Kritiken, welche gegen den Landtag geltend gemacht werden, mindestens übertrieben sind. Man darf auch nicht seine unstreitig Positive Arbeit vergessen. Hierher gehört die einmütige Bestätigung Pilsudskis auf dem Posten des Staatsober- Hauptes. Es handelt sich hier gar nicht um die Person Pilsudskis, obgleich auch hier nicht zu vergessen ist, daß wenn auch seine legionistische Kriegspolitik die schärfste Ver¬ dammung verdient, seine Magdeburger Ge¬ fangenschaft ihn in Warschau mit Ruhm umgab. Und wenn auch die Einberufung des Moraczewski-Kabinetts unglückselig war, so hat doch das Staatsoberhaupt diesen Irrtum verbessert, indem er die Negierung Paderewski übergab. Seine gegenannexio- nistische Politik im Osten verdient Einver¬ ständnis und stellt heute unter unserer All¬ gemeinheit vielleicht die größte Zentrums¬ kraft dar. Ich wiederhole aber, daß es sich hier gar nicht um die Person Pilsudskis, sondern um die Tatsache selbst handelt, daß der Landtag eines sich kaum bildenden Landes zu einem derartigen Akt politischer Weisheit, wie die einmütige Wahl eines Staatsober¬ hauptes aufgerafft hat. Und weiter: Der Landtag hat die Aus¬ hebung des Militärs beschlossen, wodurch er die Basis für eine feste Armee geschaffen hat, eine Sache, die Polen heute und noch jahrelang angesichts der deutschen Gefahr am nötigsten ist, hat eine Anleihe beschlossen, sowie einen Bund mit der Entente und schließlich den Friedensvertrag ratifiziert. Es ist jedenfalls leicht zu sagen, daß dies von den Bauern gemacht wurde, weil es sie nichts gekostet habe. Daß der Landtag aber bäurisch ist, woran liegt es, wenn nicht daran, daß die „Herren" nicht imstande gewesen sind, sich das Vertrauen der breiten All¬ gemeinheit zu erobern? Und dann zeigt es sich, daß diese Bauern dsnnoch imstande waren, ein Verständnis den Staatsnotwendig¬ keiten entgegenzubringen. Wenn man also alles zusammenfaßt, so glaube ich, wird ein nicht durch eine Parteibrille mit Vorurteil beladener Mensch, oder ein solcher, ver durch die Einschränkung des Großgrundbesitzes nicht gereizt wurde, zugeben müssen, daß der Landtag bereits viel nutzbringende Arbeit geleistet hat. Gewiß wünscht jeder Pole, daß möglichst viel solche Arbeit geleistet wird und daß sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/506>, abgerufen am 15.01.2025.