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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Materialien zur ostdeutschen Frage

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rika und denen aus Petersburg. Auch die
Polen in Galizien und die Vertrauenspartei-
kreise im Königreich Polen erklärten ihr
Einverständnis. Wir hatten also zum min¬
desten drei Viertel der gesamten Polen auf
unserer Seite. Die französische, englische,
italienische Regierung, und später auch die
der Bereinigten Staaten erkannten den Na¬
tionalausschuß als Vertretung Polens an.
Unser Programm war Politische Tätigkeit,
Schutz der Zivilrechte der Polen, die in den
Verbandsländern wohnten, und Organisation
Polnischer Truppen in Frankreich. Bei der
Verteidigung der Zivilrechte Polens handelte
es sich um Anerkennung Polens als be¬
rechtigt zu selbständigem Dasein, also darum,
daß die Polnische Vertretung die Inter¬
essen der Polen ohne Hilfe der Konsulate
anderer Länder verteidigen könne.

Charakteristisch ist es, daß, als ich mich auf
die Reise begeben wollte, die französische
Negierung mir einen Paß ausstellen wollte,
in dem bemerkt war, daß ich Pole preußi¬
scher Staatsangehörigkeit sei. Ich habe
diesen Paß nicht angenommen und sagte,
daß dies für mich eine Beleidigung sei.
Nach Verlauf eines Tages erhielt ich einen
anderen Paß, der aussagte, daß ich Pol¬
nischer Nationalität sei. Nationalität be¬
deutet dasselbe wie Staatlichkeit. Dadurch
ist also Polen als Staat schon anerkannt
worden. Was die Organisation polnischer
Truppen betrifft, fragten uns einige Polen,
ob das angesichts der Siege der Deutschen
nicht ein Wahnsinn sei. Wir entschieden uns
zur Bildung polnischer Truppen unter den
schwierigsten Bedingungen. Es ist daS größte
Verdienst des gegenwärtigen Ministerpräsi¬
denton Paderewski, daß er die Polen in
Amerika veranlaßte, sich in die Freiwilligen¬
reihen zu stellen. Er begann mit der frei¬
willigen Werbearbeit. Es handelte sich dar¬
um, aus diesen Truppen eine selbständige
nationale Armee zu bilden. Solange ihnen
dieser Charakter nicht zugestanden wurde,
gingen wir nicht auf die Organisation der
Truppen ein. Der Nationalansschuß bildete
die politische Behörde dieser Armee. Der
Bildung polnischer Truppen auf feiten der
Verbandsmächte verdanken wir, daß Polen
in dem Friedenskongreß vertreten ist.

[Spaltenumbruch]

In politischen Angelegenheiten hat der
Präsident Roman Dmowski die großen Ver¬
dienste. Er hatte schon vor dem Kriege Be¬
ziehungen in London und Paris. In uner¬
müdlicher Tätigkeit ging er während des Krieges
von einem Diplomaten zum andern und über¬
zeugte sie. Er stellte die Angelegenheit mit
so überzeugender Kraft dar, daß sie keine
Beweisgründe dagegen hatten. Wir arbeiteten
ein Gebietsprogrcim aus, nach dem zu Polen
das ganze Preußische Teilgebiet, Ober¬
schlesien, Westpreußen, das Teschencr Schlesien,
Wolhynien, die Pinsker Sümpfe, Grodno,
Wilna, Pinsk und die weiteren Gebiete bis
hinter die Beresina gehören sollten. Das
Kownoer Gebiet, Teile des Wilnaer Gebiets,
ohne Wilna, und andere Gebiete des ethno¬
graphischen Litauens sollten ein selbständiges
Land im Bündnis mit Polen bilden. Wir
wirkten nicht nur in diplomatischen Kreisen,
sondern auch in der Presse. Die Presseab-
teilung, an deren Spitze ich stand, war die
Schmiede alles dessen, was erkämpft werden
sollte. Es war mir anempfohlen worden,
darüber zu wachen und das Material vor¬
zubereiten. Es wurde ein umfassendes
Buch geschrieben und ungezählte Denk¬
schriften wurden den Verbandsregierungen
überreicht.

In den Berbandsländern bestand die Ge¬
fahr, daß der Krieg nicht zu Ende geführt
werden würde. Es wurde von einem Bünd¬
nis Frankreichs mit Österreichs gesprochen.
Das war eine Gefahr, denn dann wäre
Deutschland nicht entwaffnet worden. Wir
nahmen den Standpunkt ein: Österreich muß
geschlagen werden, die ihm angehörigen
Völker müssen befreit werden. Wir nahmen
teil an der Werbearbeit gegen Osterreich.

Wir hoben grundsätzlich hervor, daß die
polnische Frage eine große internationale
Frage sei, eine Frage anderer Art, als
die Frage der kleineren Nationen Öster¬
reichs.

Ans dem Friedenskongreß errangen wir
große Erfolge, abgesehen von unseren An¬
sprüchen auf Westpreußen. ES wurde be¬
schlossen, die Abtretung Danzigs und Ober¬
schlesiens in die Friedensbedingungen auf¬
zunehmen. Später verschlimmerte sich die
Lage. Unsere Arbeit war nervenschwächend.

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rika und denen aus Petersburg. Auch die
Polen in Galizien und die Vertrauenspartei-
kreise im Königreich Polen erklärten ihr
Einverständnis. Wir hatten also zum min¬
desten drei Viertel der gesamten Polen auf
unserer Seite. Die französische, englische,
italienische Regierung, und später auch die
der Bereinigten Staaten erkannten den Na¬
tionalausschuß als Vertretung Polens an.
Unser Programm war Politische Tätigkeit,
Schutz der Zivilrechte der Polen, die in den
Verbandsländern wohnten, und Organisation
Polnischer Truppen in Frankreich. Bei der
Verteidigung der Zivilrechte Polens handelte
es sich um Anerkennung Polens als be¬
rechtigt zu selbständigem Dasein, also darum,
daß die Polnische Vertretung die Inter¬
essen der Polen ohne Hilfe der Konsulate
anderer Länder verteidigen könne.

Charakteristisch ist es, daß, als ich mich auf
die Reise begeben wollte, die französische
Negierung mir einen Paß ausstellen wollte,
in dem bemerkt war, daß ich Pole preußi¬
scher Staatsangehörigkeit sei. Ich habe
diesen Paß nicht angenommen und sagte,
daß dies für mich eine Beleidigung sei.
Nach Verlauf eines Tages erhielt ich einen
anderen Paß, der aussagte, daß ich Pol¬
nischer Nationalität sei. Nationalität be¬
deutet dasselbe wie Staatlichkeit. Dadurch
ist also Polen als Staat schon anerkannt
worden. Was die Organisation polnischer
Truppen betrifft, fragten uns einige Polen,
ob das angesichts der Siege der Deutschen
nicht ein Wahnsinn sei. Wir entschieden uns
zur Bildung polnischer Truppen unter den
schwierigsten Bedingungen. Es ist daS größte
Verdienst des gegenwärtigen Ministerpräsi¬
denton Paderewski, daß er die Polen in
Amerika veranlaßte, sich in die Freiwilligen¬
reihen zu stellen. Er begann mit der frei¬
willigen Werbearbeit. Es handelte sich dar¬
um, aus diesen Truppen eine selbständige
nationale Armee zu bilden. Solange ihnen
dieser Charakter nicht zugestanden wurde,
gingen wir nicht auf die Organisation der
Truppen ein. Der Nationalansschuß bildete
die politische Behörde dieser Armee. Der
Bildung polnischer Truppen auf feiten der
Verbandsmächte verdanken wir, daß Polen
in dem Friedenskongreß vertreten ist.

[Spaltenumbruch]

In politischen Angelegenheiten hat der
Präsident Roman Dmowski die großen Ver¬
dienste. Er hatte schon vor dem Kriege Be¬
ziehungen in London und Paris. In uner¬
müdlicher Tätigkeit ging er während des Krieges
von einem Diplomaten zum andern und über¬
zeugte sie. Er stellte die Angelegenheit mit
so überzeugender Kraft dar, daß sie keine
Beweisgründe dagegen hatten. Wir arbeiteten
ein Gebietsprogrcim aus, nach dem zu Polen
das ganze Preußische Teilgebiet, Ober¬
schlesien, Westpreußen, das Teschencr Schlesien,
Wolhynien, die Pinsker Sümpfe, Grodno,
Wilna, Pinsk und die weiteren Gebiete bis
hinter die Beresina gehören sollten. Das
Kownoer Gebiet, Teile des Wilnaer Gebiets,
ohne Wilna, und andere Gebiete des ethno¬
graphischen Litauens sollten ein selbständiges
Land im Bündnis mit Polen bilden. Wir
wirkten nicht nur in diplomatischen Kreisen,
sondern auch in der Presse. Die Presseab-
teilung, an deren Spitze ich stand, war die
Schmiede alles dessen, was erkämpft werden
sollte. Es war mir anempfohlen worden,
darüber zu wachen und das Material vor¬
zubereiten. Es wurde ein umfassendes
Buch geschrieben und ungezählte Denk¬
schriften wurden den Verbandsregierungen
überreicht.

In den Berbandsländern bestand die Ge¬
fahr, daß der Krieg nicht zu Ende geführt
werden würde. Es wurde von einem Bünd¬
nis Frankreichs mit Österreichs gesprochen.
Das war eine Gefahr, denn dann wäre
Deutschland nicht entwaffnet worden. Wir
nahmen den Standpunkt ein: Österreich muß
geschlagen werden, die ihm angehörigen
Völker müssen befreit werden. Wir nahmen
teil an der Werbearbeit gegen Osterreich.

Wir hoben grundsätzlich hervor, daß die
polnische Frage eine große internationale
Frage sei, eine Frage anderer Art, als
die Frage der kleineren Nationen Öster¬
reichs.

Ans dem Friedenskongreß errangen wir
große Erfolge, abgesehen von unseren An¬
sprüchen auf Westpreußen. ES wurde be¬
schlossen, die Abtretung Danzigs und Ober¬
schlesiens in die Friedensbedingungen auf¬
zunehmen. Später verschlimmerte sich die
Lage. Unsere Arbeit war nervenschwächend.

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[0497] Materialien zur ostdeutschen Frage rika und denen aus Petersburg. Auch die Polen in Galizien und die Vertrauenspartei- kreise im Königreich Polen erklärten ihr Einverständnis. Wir hatten also zum min¬ desten drei Viertel der gesamten Polen auf unserer Seite. Die französische, englische, italienische Regierung, und später auch die der Bereinigten Staaten erkannten den Na¬ tionalausschuß als Vertretung Polens an. Unser Programm war Politische Tätigkeit, Schutz der Zivilrechte der Polen, die in den Verbandsländern wohnten, und Organisation Polnischer Truppen in Frankreich. Bei der Verteidigung der Zivilrechte Polens handelte es sich um Anerkennung Polens als be¬ rechtigt zu selbständigem Dasein, also darum, daß die Polnische Vertretung die Inter¬ essen der Polen ohne Hilfe der Konsulate anderer Länder verteidigen könne. Charakteristisch ist es, daß, als ich mich auf die Reise begeben wollte, die französische Negierung mir einen Paß ausstellen wollte, in dem bemerkt war, daß ich Pole preußi¬ scher Staatsangehörigkeit sei. Ich habe diesen Paß nicht angenommen und sagte, daß dies für mich eine Beleidigung sei. Nach Verlauf eines Tages erhielt ich einen anderen Paß, der aussagte, daß ich Pol¬ nischer Nationalität sei. Nationalität be¬ deutet dasselbe wie Staatlichkeit. Dadurch ist also Polen als Staat schon anerkannt worden. Was die Organisation polnischer Truppen betrifft, fragten uns einige Polen, ob das angesichts der Siege der Deutschen nicht ein Wahnsinn sei. Wir entschieden uns zur Bildung polnischer Truppen unter den schwierigsten Bedingungen. Es ist daS größte Verdienst des gegenwärtigen Ministerpräsi¬ denton Paderewski, daß er die Polen in Amerika veranlaßte, sich in die Freiwilligen¬ reihen zu stellen. Er begann mit der frei¬ willigen Werbearbeit. Es handelte sich dar¬ um, aus diesen Truppen eine selbständige nationale Armee zu bilden. Solange ihnen dieser Charakter nicht zugestanden wurde, gingen wir nicht auf die Organisation der Truppen ein. Der Nationalansschuß bildete die politische Behörde dieser Armee. Der Bildung polnischer Truppen auf feiten der Verbandsmächte verdanken wir, daß Polen in dem Friedenskongreß vertreten ist. In politischen Angelegenheiten hat der Präsident Roman Dmowski die großen Ver¬ dienste. Er hatte schon vor dem Kriege Be¬ ziehungen in London und Paris. In uner¬ müdlicher Tätigkeit ging er während des Krieges von einem Diplomaten zum andern und über¬ zeugte sie. Er stellte die Angelegenheit mit so überzeugender Kraft dar, daß sie keine Beweisgründe dagegen hatten. Wir arbeiteten ein Gebietsprogrcim aus, nach dem zu Polen das ganze Preußische Teilgebiet, Ober¬ schlesien, Westpreußen, das Teschencr Schlesien, Wolhynien, die Pinsker Sümpfe, Grodno, Wilna, Pinsk und die weiteren Gebiete bis hinter die Beresina gehören sollten. Das Kownoer Gebiet, Teile des Wilnaer Gebiets, ohne Wilna, und andere Gebiete des ethno¬ graphischen Litauens sollten ein selbständiges Land im Bündnis mit Polen bilden. Wir wirkten nicht nur in diplomatischen Kreisen, sondern auch in der Presse. Die Presseab- teilung, an deren Spitze ich stand, war die Schmiede alles dessen, was erkämpft werden sollte. Es war mir anempfohlen worden, darüber zu wachen und das Material vor¬ zubereiten. Es wurde ein umfassendes Buch geschrieben und ungezählte Denk¬ schriften wurden den Verbandsregierungen überreicht. In den Berbandsländern bestand die Ge¬ fahr, daß der Krieg nicht zu Ende geführt werden würde. Es wurde von einem Bünd¬ nis Frankreichs mit Österreichs gesprochen. Das war eine Gefahr, denn dann wäre Deutschland nicht entwaffnet worden. Wir nahmen den Standpunkt ein: Österreich muß geschlagen werden, die ihm angehörigen Völker müssen befreit werden. Wir nahmen teil an der Werbearbeit gegen Osterreich. Wir hoben grundsätzlich hervor, daß die polnische Frage eine große internationale Frage sei, eine Frage anderer Art, als die Frage der kleineren Nationen Öster¬ reichs. Ans dem Friedenskongreß errangen wir große Erfolge, abgesehen von unseren An¬ sprüchen auf Westpreußen. ES wurde be¬ schlossen, die Abtretung Danzigs und Ober¬ schlesiens in die Friedensbedingungen auf¬ zunehmen. Später verschlimmerte sich die Lage. Unsere Arbeit war nervenschwächend.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/497>, abgerufen am 15.01.2025.