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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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zu achten, daß sie geradezu einen Haß gegen
die Kongreßpolen und Gattzier hervorrufen,
der nur auf den Augenblick wartet, wo er
das posensche Paradies wird überfluten und
sich die Taschen füllen können.

In den Zeitungen lesen wir immer¬
während Schimpfereien über die Zustünde in
Kongreßpolen und Galizien, gleichsam, als
ob man dort gar nichts täte, als ob es dort
keinen Fortschritt und Besserung gäbe, sondern
alles nach dem Abgrund strebte. Indessen
ist es ganz anders.

Auch bei uns ist dieselbe Korruption vor¬
handen, wie in den anderen polnischen Ge¬
bieten, das Bestechungswesen blüht prachtvoll
un sämtlichen Grenzen, das Wuchertum ist
in unerhörter Weise gewachsen, die Aufge¬
blasenheit und Einbildung hat sämtliche
Lumpen in ihr Garn verstrickt, sie machen
sich heute in den Bureaus breit, rauchen
Zigaretten und behandeln die Interessenten
uichiachlend, die aus der Provinz eintreffen
und es eilig haben, ihre Angelegenheiten zu
erledigen, um bald wieder nach Hause zu¬
rückzukommen. Man hat den Eindruck, daß
die Aufgeblasenheit des Preußischen Beamten
nicht nur wieder auferstanden ist, sondern
sich noch vergrößert hat, wobei sie sich aber
auf die Polnischen Kassen stützt.

Über die Unbestechlichkeit in den Ämtern
ssibt auch viel zu denken die Verfügung der
Sektion für Handel und Industrie, welche
jegliche Ausfuhrgenehmigungen zurückzieht,
die vor dem 1. August 1919 erteilt worum
waren. Leider hat man diese Verfügung
erst gegen den 13. August herausgegeben --
etwas reichlich spät für eine derartige Er¬
laubnis mit Stempel und Unterschrift --
unbekannt, ob geschickt nachgemacht oder
schwer bezahlt.

Die Juden haben angeblich nach Litauen
allerwahrscheinlichst aber für den "Grenzschutz"
gegen 1S0 Stück Vieh aus Ostrowo heraus¬
gefahren. Die Sektion für Handel und
Industrie hatte nun vergessen, daß es Tele¬
phon und Telegraphen gibt, mit deren Hilfe
Man die einzelnen Behörden benachrichtigt
die meinte, es sei genug, wenn sie diese
Verfügung in den Tageszeitungen öffentlich
bekannt gibt.

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Es ist sehr zu loben, daß man die
Presse so hoch geschätzt, aber in derartigen
Fällen zeugt daS von einer Unfähigkeit der
zuständigen Behörden. Aber BestechungS-
weseu, Unfähigkett gibt es bei uns nicht,
bei uns geht alles wie nach der Uhr. Zwar
geht das Korn aus Großpolen am hellen
lichten Tage genau wie nach der Uhr nach
Kalisch, wo man damit ganz öffentlich tag¬
täglich auf der Kalischer Börse handelt, un¬
geachtet des wachsamen Auges der Kriminal-
Polizei. -- --

Nach dem Königreich hat mau eiligst
Gewehre, Decken und Uniformen geschickt;
wo sind aber jene Vorräte, die aus Ostrowo
und Krotoschin nach der Okkupieruug ausge¬
führt wurden -- wo ist das Klavier aus
dem Offizierskasino, wo ist das Billard aus
dem Unteroffizierskasino geblieben ? Wo be¬
finden sich die zahlreichen Waren, welche auf
der Grenze beschlagnahmt wurden, das Tuch,
die Wäsche, wo sind die Schuß- und blanken
Waffen, welche die Besitzer umsonst zurück¬
fordern?

Man könnte derartiger Angelegenheiten
tausende aufzählen -- Spiritus, Zigaretten,
Welche es in der Fabrik nicht gibt, die aber
der Direktor zu Wucherpreisen verkauft, dem
das Gericht dafür 1000 Mark Strafe auf¬
erlegt usw. usw. und das Gold -- und
die deutschen Banknoten --, wer hat da¬
mit nicht gehandelt, von der polnischen
Staatskasse an beginnend? Aber genug
davon. Wir bringen das Material nicht,
um den Leuten die Lust zu nehmen und zu
ärgern, sondern nur darum, um den Tümpel
einzudämmen, der bei uns über das König¬
reich verbreitet wird, als ob es nur dort so
schlecht ginge.

Der Krieg hat sämtliche Gebiete demo¬
ralisiert. Im Königreich und in Galizien
arbeitete man schon in Friedenszeit nur mit
Bestechung. Die jetzige Demoralisation ist
also dort jetzt verständlich, "bei uns" aber,
wo alle vor lauter Moral in der Sonne
glänzten, wo man sich schämte, mit der Hand
etwas von hinten entgegenzunehmen und erst
-- die Hand geradeaus vor sich auszustrecken,
ist diese Demoralisation bedeutend schlimmer
und gründlicher. Mögen also alle diejenigen,
die den Splitter im Auge des "Kongreßpolen"

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zu achten, daß sie geradezu einen Haß gegen
die Kongreßpolen und Gattzier hervorrufen,
der nur auf den Augenblick wartet, wo er
das posensche Paradies wird überfluten und
sich die Taschen füllen können.

In den Zeitungen lesen wir immer¬
während Schimpfereien über die Zustünde in
Kongreßpolen und Galizien, gleichsam, als
ob man dort gar nichts täte, als ob es dort
keinen Fortschritt und Besserung gäbe, sondern
alles nach dem Abgrund strebte. Indessen
ist es ganz anders.

Auch bei uns ist dieselbe Korruption vor¬
handen, wie in den anderen polnischen Ge¬
bieten, das Bestechungswesen blüht prachtvoll
un sämtlichen Grenzen, das Wuchertum ist
in unerhörter Weise gewachsen, die Aufge¬
blasenheit und Einbildung hat sämtliche
Lumpen in ihr Garn verstrickt, sie machen
sich heute in den Bureaus breit, rauchen
Zigaretten und behandeln die Interessenten
uichiachlend, die aus der Provinz eintreffen
und es eilig haben, ihre Angelegenheiten zu
erledigen, um bald wieder nach Hause zu¬
rückzukommen. Man hat den Eindruck, daß
die Aufgeblasenheit des Preußischen Beamten
nicht nur wieder auferstanden ist, sondern
sich noch vergrößert hat, wobei sie sich aber
auf die Polnischen Kassen stützt.

Über die Unbestechlichkeit in den Ämtern
ssibt auch viel zu denken die Verfügung der
Sektion für Handel und Industrie, welche
jegliche Ausfuhrgenehmigungen zurückzieht,
die vor dem 1. August 1919 erteilt worum
waren. Leider hat man diese Verfügung
erst gegen den 13. August herausgegeben —
etwas reichlich spät für eine derartige Er¬
laubnis mit Stempel und Unterschrift —
unbekannt, ob geschickt nachgemacht oder
schwer bezahlt.

Die Juden haben angeblich nach Litauen
allerwahrscheinlichst aber für den „Grenzschutz"
gegen 1S0 Stück Vieh aus Ostrowo heraus¬
gefahren. Die Sektion für Handel und
Industrie hatte nun vergessen, daß es Tele¬
phon und Telegraphen gibt, mit deren Hilfe
Man die einzelnen Behörden benachrichtigt
die meinte, es sei genug, wenn sie diese
Verfügung in den Tageszeitungen öffentlich
bekannt gibt.

[Spaltenumbruch]

Es ist sehr zu loben, daß man die
Presse so hoch geschätzt, aber in derartigen
Fällen zeugt daS von einer Unfähigkeit der
zuständigen Behörden. Aber BestechungS-
weseu, Unfähigkett gibt es bei uns nicht,
bei uns geht alles wie nach der Uhr. Zwar
geht das Korn aus Großpolen am hellen
lichten Tage genau wie nach der Uhr nach
Kalisch, wo man damit ganz öffentlich tag¬
täglich auf der Kalischer Börse handelt, un¬
geachtet des wachsamen Auges der Kriminal-
Polizei. — —

Nach dem Königreich hat mau eiligst
Gewehre, Decken und Uniformen geschickt;
wo sind aber jene Vorräte, die aus Ostrowo
und Krotoschin nach der Okkupieruug ausge¬
führt wurden — wo ist das Klavier aus
dem Offizierskasino, wo ist das Billard aus
dem Unteroffizierskasino geblieben ? Wo be¬
finden sich die zahlreichen Waren, welche auf
der Grenze beschlagnahmt wurden, das Tuch,
die Wäsche, wo sind die Schuß- und blanken
Waffen, welche die Besitzer umsonst zurück¬
fordern?

Man könnte derartiger Angelegenheiten
tausende aufzählen — Spiritus, Zigaretten,
Welche es in der Fabrik nicht gibt, die aber
der Direktor zu Wucherpreisen verkauft, dem
das Gericht dafür 1000 Mark Strafe auf¬
erlegt usw. usw. und das Gold — und
die deutschen Banknoten —, wer hat da¬
mit nicht gehandelt, von der polnischen
Staatskasse an beginnend? Aber genug
davon. Wir bringen das Material nicht,
um den Leuten die Lust zu nehmen und zu
ärgern, sondern nur darum, um den Tümpel
einzudämmen, der bei uns über das König¬
reich verbreitet wird, als ob es nur dort so
schlecht ginge.

Der Krieg hat sämtliche Gebiete demo¬
ralisiert. Im Königreich und in Galizien
arbeitete man schon in Friedenszeit nur mit
Bestechung. Die jetzige Demoralisation ist
also dort jetzt verständlich, „bei uns" aber,
wo alle vor lauter Moral in der Sonne
glänzten, wo man sich schämte, mit der Hand
etwas von hinten entgegenzunehmen und erst
— die Hand geradeaus vor sich auszustrecken,
ist diese Demoralisation bedeutend schlimmer
und gründlicher. Mögen also alle diejenigen,
die den Splitter im Auge des „Kongreßpolen"

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[0489] pressestimmcn zu achten, daß sie geradezu einen Haß gegen die Kongreßpolen und Gattzier hervorrufen, der nur auf den Augenblick wartet, wo er das posensche Paradies wird überfluten und sich die Taschen füllen können. In den Zeitungen lesen wir immer¬ während Schimpfereien über die Zustünde in Kongreßpolen und Galizien, gleichsam, als ob man dort gar nichts täte, als ob es dort keinen Fortschritt und Besserung gäbe, sondern alles nach dem Abgrund strebte. Indessen ist es ganz anders. Auch bei uns ist dieselbe Korruption vor¬ handen, wie in den anderen polnischen Ge¬ bieten, das Bestechungswesen blüht prachtvoll un sämtlichen Grenzen, das Wuchertum ist in unerhörter Weise gewachsen, die Aufge¬ blasenheit und Einbildung hat sämtliche Lumpen in ihr Garn verstrickt, sie machen sich heute in den Bureaus breit, rauchen Zigaretten und behandeln die Interessenten uichiachlend, die aus der Provinz eintreffen und es eilig haben, ihre Angelegenheiten zu erledigen, um bald wieder nach Hause zu¬ rückzukommen. Man hat den Eindruck, daß die Aufgeblasenheit des Preußischen Beamten nicht nur wieder auferstanden ist, sondern sich noch vergrößert hat, wobei sie sich aber auf die Polnischen Kassen stützt. Über die Unbestechlichkeit in den Ämtern ssibt auch viel zu denken die Verfügung der Sektion für Handel und Industrie, welche jegliche Ausfuhrgenehmigungen zurückzieht, die vor dem 1. August 1919 erteilt worum waren. Leider hat man diese Verfügung erst gegen den 13. August herausgegeben — etwas reichlich spät für eine derartige Er¬ laubnis mit Stempel und Unterschrift — unbekannt, ob geschickt nachgemacht oder schwer bezahlt. Die Juden haben angeblich nach Litauen allerwahrscheinlichst aber für den „Grenzschutz" gegen 1S0 Stück Vieh aus Ostrowo heraus¬ gefahren. Die Sektion für Handel und Industrie hatte nun vergessen, daß es Tele¬ phon und Telegraphen gibt, mit deren Hilfe Man die einzelnen Behörden benachrichtigt die meinte, es sei genug, wenn sie diese Verfügung in den Tageszeitungen öffentlich bekannt gibt. Es ist sehr zu loben, daß man die Presse so hoch geschätzt, aber in derartigen Fällen zeugt daS von einer Unfähigkeit der zuständigen Behörden. Aber BestechungS- weseu, Unfähigkett gibt es bei uns nicht, bei uns geht alles wie nach der Uhr. Zwar geht das Korn aus Großpolen am hellen lichten Tage genau wie nach der Uhr nach Kalisch, wo man damit ganz öffentlich tag¬ täglich auf der Kalischer Börse handelt, un¬ geachtet des wachsamen Auges der Kriminal- Polizei. — — Nach dem Königreich hat mau eiligst Gewehre, Decken und Uniformen geschickt; wo sind aber jene Vorräte, die aus Ostrowo und Krotoschin nach der Okkupieruug ausge¬ führt wurden — wo ist das Klavier aus dem Offizierskasino, wo ist das Billard aus dem Unteroffizierskasino geblieben ? Wo be¬ finden sich die zahlreichen Waren, welche auf der Grenze beschlagnahmt wurden, das Tuch, die Wäsche, wo sind die Schuß- und blanken Waffen, welche die Besitzer umsonst zurück¬ fordern? Man könnte derartiger Angelegenheiten tausende aufzählen — Spiritus, Zigaretten, Welche es in der Fabrik nicht gibt, die aber der Direktor zu Wucherpreisen verkauft, dem das Gericht dafür 1000 Mark Strafe auf¬ erlegt usw. usw. und das Gold — und die deutschen Banknoten —, wer hat da¬ mit nicht gehandelt, von der polnischen Staatskasse an beginnend? Aber genug davon. Wir bringen das Material nicht, um den Leuten die Lust zu nehmen und zu ärgern, sondern nur darum, um den Tümpel einzudämmen, der bei uns über das König¬ reich verbreitet wird, als ob es nur dort so schlecht ginge. Der Krieg hat sämtliche Gebiete demo¬ ralisiert. Im Königreich und in Galizien arbeitete man schon in Friedenszeit nur mit Bestechung. Die jetzige Demoralisation ist also dort jetzt verständlich, „bei uns" aber, wo alle vor lauter Moral in der Sonne glänzten, wo man sich schämte, mit der Hand etwas von hinten entgegenzunehmen und erst — die Hand geradeaus vor sich auszustrecken, ist diese Demoralisation bedeutend schlimmer und gründlicher. Mögen also alle diejenigen, die den Splitter im Auge des „Kongreßpolen"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/489>, abgerufen am 15.01.2025.