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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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ist, in dieser Allgemeinheit ausgesprochen, nicht richtig. Vielmehr finden sich an
der deutschen Hochschule alle Richtungen vertreten. Im übrigen ist es nicht Sache
des polnischen Staates, in dieser Beziehung die künftigen Diener der evangelischen
Kirche zu bevormunden. Dos wäre all e grobe V rlctzung der Geistesfreiheit,
gegen die nicht nachdrücklich genug Widerspruch erhoben werden kann. Die Aus¬
bildung ihres Nachwuchses ist, was die Bildung der theologisch-wissenschaftlichen
Anschauung angeht, allein Sache der Ki'che selbst.

Die Furcht vor dem deutschen Chauvinismus, der von den deutschen Uni-
versitäien aus durch die auf ihnen vorgebildeten Theologen nach Polen getragen
werden könnte, erscheint zum mindesten übertrieben. Will denn der polnische
Staat um ihretwillen das Studium auf deutichcn Hochschulen verwehren, so ist
nicht einzusehen, warum er es gerade den evangelischen Theologen verwehren
möchte. Oder besteht die gleiche Absicht auch für andere Studierende, Mediziner,
Philologen, Juristen? Als oil es nicht außerdem noch genug andere Kanäle für
die Verbreitung dessen gäbe, was der Verfasser des angeführten Artikels "Chau¬
vinismus" nennt! Geistige Strömungen lassen sich durch solche polizeilichen
Maßregeln auf die DaueV niemals unterdrücken. Das sollten doch gerade die
Polen aus ihrer eigenen Geschichte der letzten Menschenalter gelernt haben.

Die Aushilfemittel, eine geistige Akademie oder eine theologische Fakultät
in Warschau für die Studierenden der evangelischen Theologie einzurichten, reichen
nicht aus. Die evangelische Kirche hat die Bildung auf einem geistlichen Seminar
-- darauf würde eine Akademie hinauskommen -- niemals als vollwertig an¬
erkannt. Ihr Nachwuchs muß, um den an ihn zu stellenden Anforderungen zu
genügen, in der Luft der universiws literinum aufwachsen. Eine theologische
Fakultät in Warschau aber würde dafür nur ein notdürftiger Ersatz sein, schon
aus dem Grunde, weil die Kenntnis der polnischen Sprache' wenigstens in ab¬
sehbarer Zeit bei den meisten Studierenden nicht ausreichen würde, um den Vor¬
lesungen zu folgen. Und woher will man für eine solche die nötigen Lehrkräfte
nehmen? Die wissenschaftliche evangelische Theologie ist nirgends in der Welt so
reich und hoch entwickelt wie gerade auf den deutschen Universitäten. Die künftigen
Pfarrer von ihr abjchneiden wollen, wäre gleichbedeutend mit der Absicht, den
Pfarrerstand in Polen zu geistiger Verkümmerung zu verurteilen.

Es ergibt sich also für jeden gerecht und billig Denkenden, dasz die Ver¬
wirklichung der völligen Loslrennung der evangelischen Kirche in den abzutretenden
Gebietsteilen von der preußischen Landeskirche tatsächlich eine Vergewaltigung fein
würde, gegen die nicht laut genug Widerspruch erhoben werden tour. Die Be¬
sorgnis, dasz sich hinter ihm national-politische Grundsätze verbergen, ist angesichts
der wiederholten Erklärungen maßgebender Stellen nicht zu begreifen. Sie darf
die berufenen Vertreter der evangelischen Kirche und des Staates nicht daran
hindern, Forderungen, die sich sowohl auf die Grundsätze des Rechtes wie auf
die unentbehrlichen Lebensnotwendigkeilen der evangelischen Kirche stützen, mit
Aufbietung aller Kraft zu vertreten.

Denn auch der Umstand verlangt gebieterisch Berücksichtigung, daß sowohl
zahlreiche Kirchengemeinden wie die Gesamtheit der evangelischen Pfarrer durch
die Abschneidung von der preußischen Landeskirche in schwerste wirtschaftliche Be¬
drängnis geraten müssen. Es gehörte zu der Eigenart der evangelischen Gemeinden
des Ostens, daß sie von jeher auf die Unteistützung aus Mitteln der Landeskirche
angewiesen gewesen sind. Fällt diese fort, so stehen sie vor dem finanziellen
Zusammenbrach. Auch die Existenz der evangelischen Geistlichen beruht auf ihrem
Anschluß an die großen Versorgungskassen (Al erszulagen-, Ruhegehalts-, Hinter-
blicbenenkassen) der preußischen Landeskirche. Es hcmoclt sich dabei um Summen,
die in die Millionen gehen. Der polnische Staat aber wird bei seiner schwierigen
Geldlage nicht imstande sein, solche Verpflichtungen zu übernehmen, selbst wenn
er grundsätzlich sich dazu bereit finden ließe. Will er die Verantwortung dafür
tragen, durch rigorose Ablehnung durchaus billiger Forderungen die Glaubens¬
freiheit und den Bekenntnisstand seiner künftigen evangelischen Bürger zu ver-


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ist, in dieser Allgemeinheit ausgesprochen, nicht richtig. Vielmehr finden sich an
der deutschen Hochschule alle Richtungen vertreten. Im übrigen ist es nicht Sache
des polnischen Staates, in dieser Beziehung die künftigen Diener der evangelischen
Kirche zu bevormunden. Dos wäre all e grobe V rlctzung der Geistesfreiheit,
gegen die nicht nachdrücklich genug Widerspruch erhoben werden kann. Die Aus¬
bildung ihres Nachwuchses ist, was die Bildung der theologisch-wissenschaftlichen
Anschauung angeht, allein Sache der Ki'che selbst.

Die Furcht vor dem deutschen Chauvinismus, der von den deutschen Uni-
versitäien aus durch die auf ihnen vorgebildeten Theologen nach Polen getragen
werden könnte, erscheint zum mindesten übertrieben. Will denn der polnische
Staat um ihretwillen das Studium auf deutichcn Hochschulen verwehren, so ist
nicht einzusehen, warum er es gerade den evangelischen Theologen verwehren
möchte. Oder besteht die gleiche Absicht auch für andere Studierende, Mediziner,
Philologen, Juristen? Als oil es nicht außerdem noch genug andere Kanäle für
die Verbreitung dessen gäbe, was der Verfasser des angeführten Artikels „Chau¬
vinismus" nennt! Geistige Strömungen lassen sich durch solche polizeilichen
Maßregeln auf die DaueV niemals unterdrücken. Das sollten doch gerade die
Polen aus ihrer eigenen Geschichte der letzten Menschenalter gelernt haben.

Die Aushilfemittel, eine geistige Akademie oder eine theologische Fakultät
in Warschau für die Studierenden der evangelischen Theologie einzurichten, reichen
nicht aus. Die evangelische Kirche hat die Bildung auf einem geistlichen Seminar
— darauf würde eine Akademie hinauskommen — niemals als vollwertig an¬
erkannt. Ihr Nachwuchs muß, um den an ihn zu stellenden Anforderungen zu
genügen, in der Luft der universiws literinum aufwachsen. Eine theologische
Fakultät in Warschau aber würde dafür nur ein notdürftiger Ersatz sein, schon
aus dem Grunde, weil die Kenntnis der polnischen Sprache' wenigstens in ab¬
sehbarer Zeit bei den meisten Studierenden nicht ausreichen würde, um den Vor¬
lesungen zu folgen. Und woher will man für eine solche die nötigen Lehrkräfte
nehmen? Die wissenschaftliche evangelische Theologie ist nirgends in der Welt so
reich und hoch entwickelt wie gerade auf den deutschen Universitäten. Die künftigen
Pfarrer von ihr abjchneiden wollen, wäre gleichbedeutend mit der Absicht, den
Pfarrerstand in Polen zu geistiger Verkümmerung zu verurteilen.

Es ergibt sich also für jeden gerecht und billig Denkenden, dasz die Ver¬
wirklichung der völligen Loslrennung der evangelischen Kirche in den abzutretenden
Gebietsteilen von der preußischen Landeskirche tatsächlich eine Vergewaltigung fein
würde, gegen die nicht laut genug Widerspruch erhoben werden tour. Die Be¬
sorgnis, dasz sich hinter ihm national-politische Grundsätze verbergen, ist angesichts
der wiederholten Erklärungen maßgebender Stellen nicht zu begreifen. Sie darf
die berufenen Vertreter der evangelischen Kirche und des Staates nicht daran
hindern, Forderungen, die sich sowohl auf die Grundsätze des Rechtes wie auf
die unentbehrlichen Lebensnotwendigkeilen der evangelischen Kirche stützen, mit
Aufbietung aller Kraft zu vertreten.

Denn auch der Umstand verlangt gebieterisch Berücksichtigung, daß sowohl
zahlreiche Kirchengemeinden wie die Gesamtheit der evangelischen Pfarrer durch
die Abschneidung von der preußischen Landeskirche in schwerste wirtschaftliche Be¬
drängnis geraten müssen. Es gehörte zu der Eigenart der evangelischen Gemeinden
des Ostens, daß sie von jeher auf die Unteistützung aus Mitteln der Landeskirche
angewiesen gewesen sind. Fällt diese fort, so stehen sie vor dem finanziellen
Zusammenbrach. Auch die Existenz der evangelischen Geistlichen beruht auf ihrem
Anschluß an die großen Versorgungskassen (Al erszulagen-, Ruhegehalts-, Hinter-
blicbenenkassen) der preußischen Landeskirche. Es hcmoclt sich dabei um Summen,
die in die Millionen gehen. Der polnische Staat aber wird bei seiner schwierigen
Geldlage nicht imstande sein, solche Verpflichtungen zu übernehmen, selbst wenn
er grundsätzlich sich dazu bereit finden ließe. Will er die Verantwortung dafür
tragen, durch rigorose Ablehnung durchaus billiger Forderungen die Glaubens¬
freiheit und den Bekenntnisstand seiner künftigen evangelischen Bürger zu ver-


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[0480] Materialien zur ostdeutschen Frage ist, in dieser Allgemeinheit ausgesprochen, nicht richtig. Vielmehr finden sich an der deutschen Hochschule alle Richtungen vertreten. Im übrigen ist es nicht Sache des polnischen Staates, in dieser Beziehung die künftigen Diener der evangelischen Kirche zu bevormunden. Dos wäre all e grobe V rlctzung der Geistesfreiheit, gegen die nicht nachdrücklich genug Widerspruch erhoben werden kann. Die Aus¬ bildung ihres Nachwuchses ist, was die Bildung der theologisch-wissenschaftlichen Anschauung angeht, allein Sache der Ki'che selbst. Die Furcht vor dem deutschen Chauvinismus, der von den deutschen Uni- versitäien aus durch die auf ihnen vorgebildeten Theologen nach Polen getragen werden könnte, erscheint zum mindesten übertrieben. Will denn der polnische Staat um ihretwillen das Studium auf deutichcn Hochschulen verwehren, so ist nicht einzusehen, warum er es gerade den evangelischen Theologen verwehren möchte. Oder besteht die gleiche Absicht auch für andere Studierende, Mediziner, Philologen, Juristen? Als oil es nicht außerdem noch genug andere Kanäle für die Verbreitung dessen gäbe, was der Verfasser des angeführten Artikels „Chau¬ vinismus" nennt! Geistige Strömungen lassen sich durch solche polizeilichen Maßregeln auf die DaueV niemals unterdrücken. Das sollten doch gerade die Polen aus ihrer eigenen Geschichte der letzten Menschenalter gelernt haben. Die Aushilfemittel, eine geistige Akademie oder eine theologische Fakultät in Warschau für die Studierenden der evangelischen Theologie einzurichten, reichen nicht aus. Die evangelische Kirche hat die Bildung auf einem geistlichen Seminar — darauf würde eine Akademie hinauskommen — niemals als vollwertig an¬ erkannt. Ihr Nachwuchs muß, um den an ihn zu stellenden Anforderungen zu genügen, in der Luft der universiws literinum aufwachsen. Eine theologische Fakultät in Warschau aber würde dafür nur ein notdürftiger Ersatz sein, schon aus dem Grunde, weil die Kenntnis der polnischen Sprache' wenigstens in ab¬ sehbarer Zeit bei den meisten Studierenden nicht ausreichen würde, um den Vor¬ lesungen zu folgen. Und woher will man für eine solche die nötigen Lehrkräfte nehmen? Die wissenschaftliche evangelische Theologie ist nirgends in der Welt so reich und hoch entwickelt wie gerade auf den deutschen Universitäten. Die künftigen Pfarrer von ihr abjchneiden wollen, wäre gleichbedeutend mit der Absicht, den Pfarrerstand in Polen zu geistiger Verkümmerung zu verurteilen. Es ergibt sich also für jeden gerecht und billig Denkenden, dasz die Ver¬ wirklichung der völligen Loslrennung der evangelischen Kirche in den abzutretenden Gebietsteilen von der preußischen Landeskirche tatsächlich eine Vergewaltigung fein würde, gegen die nicht laut genug Widerspruch erhoben werden tour. Die Be¬ sorgnis, dasz sich hinter ihm national-politische Grundsätze verbergen, ist angesichts der wiederholten Erklärungen maßgebender Stellen nicht zu begreifen. Sie darf die berufenen Vertreter der evangelischen Kirche und des Staates nicht daran hindern, Forderungen, die sich sowohl auf die Grundsätze des Rechtes wie auf die unentbehrlichen Lebensnotwendigkeilen der evangelischen Kirche stützen, mit Aufbietung aller Kraft zu vertreten. Denn auch der Umstand verlangt gebieterisch Berücksichtigung, daß sowohl zahlreiche Kirchengemeinden wie die Gesamtheit der evangelischen Pfarrer durch die Abschneidung von der preußischen Landeskirche in schwerste wirtschaftliche Be¬ drängnis geraten müssen. Es gehörte zu der Eigenart der evangelischen Gemeinden des Ostens, daß sie von jeher auf die Unteistützung aus Mitteln der Landeskirche angewiesen gewesen sind. Fällt diese fort, so stehen sie vor dem finanziellen Zusammenbrach. Auch die Existenz der evangelischen Geistlichen beruht auf ihrem Anschluß an die großen Versorgungskassen (Al erszulagen-, Ruhegehalts-, Hinter- blicbenenkassen) der preußischen Landeskirche. Es hcmoclt sich dabei um Summen, die in die Millionen gehen. Der polnische Staat aber wird bei seiner schwierigen Geldlage nicht imstande sein, solche Verpflichtungen zu übernehmen, selbst wenn er grundsätzlich sich dazu bereit finden ließe. Will er die Verantwortung dafür tragen, durch rigorose Ablehnung durchaus billiger Forderungen die Glaubens¬ freiheit und den Bekenntnisstand seiner künftigen evangelischen Bürger zu ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/480>, abgerufen am 15.01.2025.