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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Kleine Mitteilungen

[Beginn Spaltensatz]

Der Abgeordnete Professor Buzet von der
Universität Warschau hat ein Verfassungs¬
projekt für die Polnische Republik ausge¬
arbeitet, welches in Warschauer politischen
Kreisen weitgehendes Interesse gefunden hat.
Ein grußer Teil der Presse hat es warm
empfohlen, und in einflußreichen Abgeord¬
netenkreisen ist es zum Gegenstand lebhafter
Diskussionen geworden. Im Gegensatz zu
allen bisherigen Projekten, die auf der Grund¬
lage der Zsntralisation fußten und die örtliche
Selbstverwaltung als eine Nebensache be¬
handelten, berücksichtigt das Projekt Buzet
eine umfangreiche Autonomie der einzelnen
Gebiete. Es sieht die Einteilung des Pol¬
nischen Reiches in eine Anzahl Ländereien
vor, etwa in der Art von Einzelstaaten und
Kantonen. Diese Ländereien haben aber
eine vollständige Selbstverwaltung mit einem
Landtag an der Spitze und können für sich
lokale Verfassungen beschließen. Die Frage
.einer umfangreichen, nicht nur administra¬
tiven, sondern auch gesetzgebenden Selbst¬
verwaltung der einzelnen Gebiete ist die
wichtigste Eigenschaft dieses Projektes. In
anderen Punkten sieht eS folgendes vor:
Polen ist eine Republik, an deren Spitze
ein Präsident steht, der auf die Dauer von
sechs Jahren gewählt wird, und zwar nach
amerikanischem Muster durch besondere Ab-
gsordnete. Das aktive und passive Wahl¬
recht haben alle Bürger, die mindestens
2t Jahre alt sind, und zwar ohne Unter¬
schied des Geschlechtes. Das gleiche Prinzip
ist auch ausschlaggebend für die lokalen Wahlen.

("Dtsch. Allg. Ztg." vom 16. Juli Ur. 33t)
Nechtsverwahrunft
der Ostmarkenpnrlamentarier in der
Deutschen Nationalversammlung.

Nachstehende Rechtsverwahrung wurde am
7. Juli nach Annahme der Ratifikation des
Friedens von sämtlichen Abgeordneten der
betroffenen ostmärkischen Wahlkreise unter¬
zeichnet und von dem Reichskommissar August
Wirrig zur Verlesung gebracht: Die im
Frieden von Versailles vorgesehene Regelung
der Ostfragen steht in unvereinbarem Wider¬
spruch zu den Noten und Äußerungen des

[Spaltenumbruch]

Präsidenten Wilson, die wir und unsere
Feinde gleicherweise als vertragsmäßige
Rechtsgrundlage für die Waffenstillstands¬
und Friedensverhandlungen angenommen
haben. Im deutschen Osten wird dieses
Grundrecht der Völker mit Füßen getreten,
wenn uns große Teile der Provinzen West¬
preußen und Posen, wenn uns Meines und
Teile Schlesiens genommen werden, ohne-
daß die Bevölkerung dieser Gebiete befragt
worden ist, und wenn weitere große Teile
Ostpreußens und Westpreußens sowie Ober¬
schlesiens der Volksabstimmung in Formen
unterworfen werden, die das Selbstbestim¬
mungsrecht zu einem Zerrbild machen. Der
deutsche Charakter dieser Gebiete könnte
freilich durch das Ergebnis einer solchen
Abstimmung niemals berührt werden. Die
Polnische Republik sollte die Gebiete mit
einer unbestreitbaren Polnischen Bevölkerung
umfassen. Wortlaut und Geist aus dieser
Bestimmung sind durch den Frieden vom
Versailles gröblich verletzt, und weder Polen,
noch die Entente werden jemals Gebiete zu
Recht besitzen, in denen das Selbstbestim¬
mungsrecht der Völker mißachtet wurde. Die:
Bestimmungen des Versailler Friedens über
den deutschen Osten entbehren somit in ihrer
Gesamtheit der von den verbündeten und
vereinten Mächten selbst geforderton Rechts¬
grundlage. Darauf gestützt, legen die unter¬
zeichneten Abgeordneten des Ostens, zugleich
im Namen der von ihnen vertretenen Be¬
völkerung, in dieser weltgeschichtlichen Stunde,
da die Mehrheit der Deutschen National¬
versammlung die Unterschrift der Regierung ^
unter den Frieden von Versailles durch
NeichSgesetz bestätigt hat, vor aller Welt,
einmütig feierlich Verwahrung ein gegen die
Zerstückelung des deutschen Ostens. Unser
unveräußerliches Recht auf Zugehörigkeit
zum deutschen Mutterlande kann durch gewalt¬
same Losreißung niemals getroffen werden.
Diese Verwahrung ist getragen von der festen
Zuversicht, daß sich Recht und Gerechtigkeit,
auf die Dauer stärker erweisen werden als
die heute triumphierende Gewalt. Einst
kommt der Tag, da der Sieg des Rechts das Un¬
recht von Versailles wieder gutmachen wird.

[Ende Spaltensatz]


Verlag: Verlag "er Grenzboten G. in, S, H,, Berlin SW II, Tempelhofer Ufer 35".
Druck- "Der Reichsbote", Berlin EW 11.
Kleine Mitteilungen

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Der Abgeordnete Professor Buzet von der
Universität Warschau hat ein Verfassungs¬
projekt für die Polnische Republik ausge¬
arbeitet, welches in Warschauer politischen
Kreisen weitgehendes Interesse gefunden hat.
Ein grußer Teil der Presse hat es warm
empfohlen, und in einflußreichen Abgeord¬
netenkreisen ist es zum Gegenstand lebhafter
Diskussionen geworden. Im Gegensatz zu
allen bisherigen Projekten, die auf der Grund¬
lage der Zsntralisation fußten und die örtliche
Selbstverwaltung als eine Nebensache be¬
handelten, berücksichtigt das Projekt Buzet
eine umfangreiche Autonomie der einzelnen
Gebiete. Es sieht die Einteilung des Pol¬
nischen Reiches in eine Anzahl Ländereien
vor, etwa in der Art von Einzelstaaten und
Kantonen. Diese Ländereien haben aber
eine vollständige Selbstverwaltung mit einem
Landtag an der Spitze und können für sich
lokale Verfassungen beschließen. Die Frage
.einer umfangreichen, nicht nur administra¬
tiven, sondern auch gesetzgebenden Selbst¬
verwaltung der einzelnen Gebiete ist die
wichtigste Eigenschaft dieses Projektes. In
anderen Punkten sieht eS folgendes vor:
Polen ist eine Republik, an deren Spitze
ein Präsident steht, der auf die Dauer von
sechs Jahren gewählt wird, und zwar nach
amerikanischem Muster durch besondere Ab-
gsordnete. Das aktive und passive Wahl¬
recht haben alle Bürger, die mindestens
2t Jahre alt sind, und zwar ohne Unter¬
schied des Geschlechtes. Das gleiche Prinzip
ist auch ausschlaggebend für die lokalen Wahlen.

(„Dtsch. Allg. Ztg." vom 16. Juli Ur. 33t)
Nechtsverwahrunft
der Ostmarkenpnrlamentarier in der
Deutschen Nationalversammlung.

Nachstehende Rechtsverwahrung wurde am
7. Juli nach Annahme der Ratifikation des
Friedens von sämtlichen Abgeordneten der
betroffenen ostmärkischen Wahlkreise unter¬
zeichnet und von dem Reichskommissar August
Wirrig zur Verlesung gebracht: Die im
Frieden von Versailles vorgesehene Regelung
der Ostfragen steht in unvereinbarem Wider¬
spruch zu den Noten und Äußerungen des

[Spaltenumbruch]

Präsidenten Wilson, die wir und unsere
Feinde gleicherweise als vertragsmäßige
Rechtsgrundlage für die Waffenstillstands¬
und Friedensverhandlungen angenommen
haben. Im deutschen Osten wird dieses
Grundrecht der Völker mit Füßen getreten,
wenn uns große Teile der Provinzen West¬
preußen und Posen, wenn uns Meines und
Teile Schlesiens genommen werden, ohne-
daß die Bevölkerung dieser Gebiete befragt
worden ist, und wenn weitere große Teile
Ostpreußens und Westpreußens sowie Ober¬
schlesiens der Volksabstimmung in Formen
unterworfen werden, die das Selbstbestim¬
mungsrecht zu einem Zerrbild machen. Der
deutsche Charakter dieser Gebiete könnte
freilich durch das Ergebnis einer solchen
Abstimmung niemals berührt werden. Die
Polnische Republik sollte die Gebiete mit
einer unbestreitbaren Polnischen Bevölkerung
umfassen. Wortlaut und Geist aus dieser
Bestimmung sind durch den Frieden vom
Versailles gröblich verletzt, und weder Polen,
noch die Entente werden jemals Gebiete zu
Recht besitzen, in denen das Selbstbestim¬
mungsrecht der Völker mißachtet wurde. Die:
Bestimmungen des Versailler Friedens über
den deutschen Osten entbehren somit in ihrer
Gesamtheit der von den verbündeten und
vereinten Mächten selbst geforderton Rechts¬
grundlage. Darauf gestützt, legen die unter¬
zeichneten Abgeordneten des Ostens, zugleich
im Namen der von ihnen vertretenen Be¬
völkerung, in dieser weltgeschichtlichen Stunde,
da die Mehrheit der Deutschen National¬
versammlung die Unterschrift der Regierung ^
unter den Frieden von Versailles durch
NeichSgesetz bestätigt hat, vor aller Welt,
einmütig feierlich Verwahrung ein gegen die
Zerstückelung des deutschen Ostens. Unser
unveräußerliches Recht auf Zugehörigkeit
zum deutschen Mutterlande kann durch gewalt¬
same Losreißung niemals getroffen werden.
Diese Verwahrung ist getragen von der festen
Zuversicht, daß sich Recht und Gerechtigkeit,
auf die Dauer stärker erweisen werden als
die heute triumphierende Gewalt. Einst
kommt der Tag, da der Sieg des Rechts das Un¬
recht von Versailles wieder gutmachen wird.

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Verlag: Verlag »er Grenzboten G. in, S, H,, Berlin SW II, Tempelhofer Ufer 35».
Druck- „Der Reichsbote", Berlin EW 11.
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[0412] Kleine Mitteilungen Der Abgeordnete Professor Buzet von der Universität Warschau hat ein Verfassungs¬ projekt für die Polnische Republik ausge¬ arbeitet, welches in Warschauer politischen Kreisen weitgehendes Interesse gefunden hat. Ein grußer Teil der Presse hat es warm empfohlen, und in einflußreichen Abgeord¬ netenkreisen ist es zum Gegenstand lebhafter Diskussionen geworden. Im Gegensatz zu allen bisherigen Projekten, die auf der Grund¬ lage der Zsntralisation fußten und die örtliche Selbstverwaltung als eine Nebensache be¬ handelten, berücksichtigt das Projekt Buzet eine umfangreiche Autonomie der einzelnen Gebiete. Es sieht die Einteilung des Pol¬ nischen Reiches in eine Anzahl Ländereien vor, etwa in der Art von Einzelstaaten und Kantonen. Diese Ländereien haben aber eine vollständige Selbstverwaltung mit einem Landtag an der Spitze und können für sich lokale Verfassungen beschließen. Die Frage .einer umfangreichen, nicht nur administra¬ tiven, sondern auch gesetzgebenden Selbst¬ verwaltung der einzelnen Gebiete ist die wichtigste Eigenschaft dieses Projektes. In anderen Punkten sieht eS folgendes vor: Polen ist eine Republik, an deren Spitze ein Präsident steht, der auf die Dauer von sechs Jahren gewählt wird, und zwar nach amerikanischem Muster durch besondere Ab- gsordnete. Das aktive und passive Wahl¬ recht haben alle Bürger, die mindestens 2t Jahre alt sind, und zwar ohne Unter¬ schied des Geschlechtes. Das gleiche Prinzip ist auch ausschlaggebend für die lokalen Wahlen. („Dtsch. Allg. Ztg." vom 16. Juli Ur. 33t) Nechtsverwahrunft der Ostmarkenpnrlamentarier in der Deutschen Nationalversammlung. Nachstehende Rechtsverwahrung wurde am 7. Juli nach Annahme der Ratifikation des Friedens von sämtlichen Abgeordneten der betroffenen ostmärkischen Wahlkreise unter¬ zeichnet und von dem Reichskommissar August Wirrig zur Verlesung gebracht: Die im Frieden von Versailles vorgesehene Regelung der Ostfragen steht in unvereinbarem Wider¬ spruch zu den Noten und Äußerungen des Präsidenten Wilson, die wir und unsere Feinde gleicherweise als vertragsmäßige Rechtsgrundlage für die Waffenstillstands¬ und Friedensverhandlungen angenommen haben. Im deutschen Osten wird dieses Grundrecht der Völker mit Füßen getreten, wenn uns große Teile der Provinzen West¬ preußen und Posen, wenn uns Meines und Teile Schlesiens genommen werden, ohne- daß die Bevölkerung dieser Gebiete befragt worden ist, und wenn weitere große Teile Ostpreußens und Westpreußens sowie Ober¬ schlesiens der Volksabstimmung in Formen unterworfen werden, die das Selbstbestim¬ mungsrecht zu einem Zerrbild machen. Der deutsche Charakter dieser Gebiete könnte freilich durch das Ergebnis einer solchen Abstimmung niemals berührt werden. Die Polnische Republik sollte die Gebiete mit einer unbestreitbaren Polnischen Bevölkerung umfassen. Wortlaut und Geist aus dieser Bestimmung sind durch den Frieden vom Versailles gröblich verletzt, und weder Polen, noch die Entente werden jemals Gebiete zu Recht besitzen, in denen das Selbstbestim¬ mungsrecht der Völker mißachtet wurde. Die: Bestimmungen des Versailler Friedens über den deutschen Osten entbehren somit in ihrer Gesamtheit der von den verbündeten und vereinten Mächten selbst geforderton Rechts¬ grundlage. Darauf gestützt, legen die unter¬ zeichneten Abgeordneten des Ostens, zugleich im Namen der von ihnen vertretenen Be¬ völkerung, in dieser weltgeschichtlichen Stunde, da die Mehrheit der Deutschen National¬ versammlung die Unterschrift der Regierung ^ unter den Frieden von Versailles durch NeichSgesetz bestätigt hat, vor aller Welt, einmütig feierlich Verwahrung ein gegen die Zerstückelung des deutschen Ostens. Unser unveräußerliches Recht auf Zugehörigkeit zum deutschen Mutterlande kann durch gewalt¬ same Losreißung niemals getroffen werden. Diese Verwahrung ist getragen von der festen Zuversicht, daß sich Recht und Gerechtigkeit, auf die Dauer stärker erweisen werden als die heute triumphierende Gewalt. Einst kommt der Tag, da der Sieg des Rechts das Un¬ recht von Versailles wieder gutmachen wird. Verlag: Verlag »er Grenzboten G. in, S, H,, Berlin SW II, Tempelhofer Ufer 35». Druck- „Der Reichsbote", Berlin EW 11.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/412>, abgerufen am 15.01.2025.