Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Zu den neuen Reichssteuern ans das Einkommen Leben wird weiter verteuert, der Wert des Geldes sinkt weiter. Und wieder Es ist die große Frage dieser ganzen Steuerreform: bedeutet sie nicht eine Zu den neuen Reichssteuern ans das Einkommen Leben wird weiter verteuert, der Wert des Geldes sinkt weiter. Und wieder Es ist die große Frage dieser ganzen Steuerreform: bedeutet sie nicht eine <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0333" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336623"/> <fw type="header" place="top"> Zu den neuen Reichssteuern ans das Einkommen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1213" prev="#ID_1212"> Leben wird weiter verteuert, der Wert des Geldes sinkt weiter. Und wieder<lb/> wird auf Steigerung des Arbeitseinkommens gedrängt, um noch leben zu können.<lb/> Jede wirtschaftliche Bewegung hat aber ihr Maß in sich selbst. Es gibt eine<lb/> Grenze, über die hinaus die gegenseitige Abwälzung und Preissteigerung zur<lb/> Katastrophe wird. Dann nützen dem Arbeiter keine Streiks zur Lohnsteigerung<lb/> mehr, aus der anderen Seite steht dann das unerbittliche: Entweder Zusammen¬<lb/> bruch des Unternehmens und Arbeitslosigkeit oder keine Lohnsteigerung, vulinehr<lb/> Herabsetzung der Löhne', d. h. Verschlechterung der Lebenshaltung der arbeitenden<lb/> Klassen ist der Enderfolg dieser ungeheuerlichen Besitzbelastung. Da die sozial-<lb/> demokratische Organisation unter den Wirkungen der Revolution und unter dem<lb/> Halt, den sie an der Negierung vorläufig noch findet, sich gegenwärtig stärker<lb/> Zeigt, als die ihr gegenüberstehenden Organisationen, die ihr die Wage halten<lb/> sollen, und da aus der sozialdemokratischen Seite nicht Wille zur wahren Er¬<lb/> kenntnis und Aufklärung in diesem Sinne, sondern Klassenverhetzung, Phrase und<lb/> Lüge die Kampfmittel sind, so ist die Gefahr riesengroß, dasz das um seine bis¬<lb/> herige Lebenshaltung kämpfende Proletariat nicht vor der unerbittlichen inneren<lb/> Grenze Halt macht, sich nicht freiwillig mit einer Herabminderung seiner Lebens¬<lb/> haltung begibt. Dann ist der Zusmmenbruch der Unternehmungen, Brotlosigkeit,<lb/> Hunger, Krankheit, größtes Elend der Massen, politische Anarchie und Wert-<lb/> losigkeit des Lebens die Folge. Dann wird der Arbeiter am eigenen Leibe die<lb/> Unwahrheit der sozialdemokratischen Theorie exemplifiziert sehen, daß der Besitz<lb/> die Steuern zu tragen habe. Die ganze Wucht überspannter Besitz- und Ein¬<lb/> kommensteuer vernichtet zuletzt den Arbeiter.</p><lb/> <p xml:id="ID_1214" next="#ID_1215"> Es ist die große Frage dieser ganzen Steuerreform: bedeutet sie nicht eine<lb/> verhängnisvolle Merdrehung der Steuerschraube? Ein klares Bild hierüber wird<lb/> steh erst ergeben, wenn die Negierung die in diesen Aufsätzen wiederholt geforderte<lb/> klare Bilanz unserer jetzigen Volkswirtschaft vorlegt. Soweit wir jetzt urteilen<lb/> können, legt aber die Ausgestaltung der Steuern die schwerwiegend begründete<lb/> Furcht nahe, daß sie uns in die große Katastrophe hineintreibe. Man sehe sich<lb/> nur die von der Negierung dem Entwurf zum Einkommensteuergesetz beigefügte<lb/> Belastungstabelle an. Die Belastung der großen Vermögen, auf denen doch vor¬<lb/> liegend die gesamte wirtschaftliche Produktion ruht, ist so ungeheuerlich, daß es<lb/> kaum möglich erscheint, daß das Wirtschaftsleben an diesem Aderlaß nicht ver¬<lb/> bluten sollte. Der .Kapitalist mit einem Vermögen von 5 Millionen und einem<lb/> Einkommen von 250 000 Mark wird nach Zahlung der Kriegsabgabe und des<lb/> Aotopfers noch über ein Vermögen von 150 950 Mark und nach Zahlung der<lb/> Einkommensteuer und des Kapitalertrages noch über ein jährliches Einkommen<lb/> von 5966 Mark verfügen I Das ist der Kapitalist mit neuem Vermögen, während<lb/> och Krieges erworben. Der Kapitalist mit gleichem Vermögen aus der Zeit vor<lb/> °em Kriege wird an Stelle von 5 Millionen nach den Steuern noch über ein Vermögen<lb/> °on 2 268 250 Mark und an Stelle eines Einkommens von 250 000 Mark über<lb/> ^et solches von 71 835 Mark verfügen. Infolge der außerordentlichen Vermögens¬<lb/> verschiebung, die durch die Wirtschaflsentwicklung während des Krieges und die<lb/> ^rschlechterung der Valuta eingetreten ist, ist die Zahl der Neureichen weit größer,<lb/> "ks allgemein angenommen wird, aber auch das neue Kapital ist ebenso notwendig<lb/> Wr die Produktivnserhaltung, wie das alte. Fast das gesamte große Kapital<lb/> gesteht doch nicht in toten Ansammlungen von Papiergeld, sondern in Investie¬<lb/> rungen; wie soll ein Unternehmen, das bisher auf 5 Millionen gelaufen ist,<lb/> Aotzlich mit der Hälfte oder gar mit 150 000 Mark leben können? Wie soll der<lb/> Arlust eingebracht werden, um das Unternehmen zu retten? — Welche Durch-<lb/> Anittsbelastung des gesamten arbeitenden Kapitals durch die vier erwähnten<lb/> feuern sich ergibt, läßt sich leider nach der Tabelle nicht beurteilen, dazu ist die<lb/> ^orlage weiteren statistischen Materials der Regierung erforderlich. Sie muß<lb/> vlejes Material ja besitzen, denn sonst könnte der Reichsfinanzminister nicht zu<lb/> Ameiven Zahlen über den Ertrag der verschiedenen Steuern kommen. Eine genane<lb/> Nachprüfung dieses Materials ist um so mehr unerläßlich, als die geplanten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0333]
Zu den neuen Reichssteuern ans das Einkommen
Leben wird weiter verteuert, der Wert des Geldes sinkt weiter. Und wieder
wird auf Steigerung des Arbeitseinkommens gedrängt, um noch leben zu können.
Jede wirtschaftliche Bewegung hat aber ihr Maß in sich selbst. Es gibt eine
Grenze, über die hinaus die gegenseitige Abwälzung und Preissteigerung zur
Katastrophe wird. Dann nützen dem Arbeiter keine Streiks zur Lohnsteigerung
mehr, aus der anderen Seite steht dann das unerbittliche: Entweder Zusammen¬
bruch des Unternehmens und Arbeitslosigkeit oder keine Lohnsteigerung, vulinehr
Herabsetzung der Löhne', d. h. Verschlechterung der Lebenshaltung der arbeitenden
Klassen ist der Enderfolg dieser ungeheuerlichen Besitzbelastung. Da die sozial-
demokratische Organisation unter den Wirkungen der Revolution und unter dem
Halt, den sie an der Negierung vorläufig noch findet, sich gegenwärtig stärker
Zeigt, als die ihr gegenüberstehenden Organisationen, die ihr die Wage halten
sollen, und da aus der sozialdemokratischen Seite nicht Wille zur wahren Er¬
kenntnis und Aufklärung in diesem Sinne, sondern Klassenverhetzung, Phrase und
Lüge die Kampfmittel sind, so ist die Gefahr riesengroß, dasz das um seine bis¬
herige Lebenshaltung kämpfende Proletariat nicht vor der unerbittlichen inneren
Grenze Halt macht, sich nicht freiwillig mit einer Herabminderung seiner Lebens¬
haltung begibt. Dann ist der Zusmmenbruch der Unternehmungen, Brotlosigkeit,
Hunger, Krankheit, größtes Elend der Massen, politische Anarchie und Wert-
losigkeit des Lebens die Folge. Dann wird der Arbeiter am eigenen Leibe die
Unwahrheit der sozialdemokratischen Theorie exemplifiziert sehen, daß der Besitz
die Steuern zu tragen habe. Die ganze Wucht überspannter Besitz- und Ein¬
kommensteuer vernichtet zuletzt den Arbeiter.
Es ist die große Frage dieser ganzen Steuerreform: bedeutet sie nicht eine
verhängnisvolle Merdrehung der Steuerschraube? Ein klares Bild hierüber wird
steh erst ergeben, wenn die Negierung die in diesen Aufsätzen wiederholt geforderte
klare Bilanz unserer jetzigen Volkswirtschaft vorlegt. Soweit wir jetzt urteilen
können, legt aber die Ausgestaltung der Steuern die schwerwiegend begründete
Furcht nahe, daß sie uns in die große Katastrophe hineintreibe. Man sehe sich
nur die von der Negierung dem Entwurf zum Einkommensteuergesetz beigefügte
Belastungstabelle an. Die Belastung der großen Vermögen, auf denen doch vor¬
liegend die gesamte wirtschaftliche Produktion ruht, ist so ungeheuerlich, daß es
kaum möglich erscheint, daß das Wirtschaftsleben an diesem Aderlaß nicht ver¬
bluten sollte. Der .Kapitalist mit einem Vermögen von 5 Millionen und einem
Einkommen von 250 000 Mark wird nach Zahlung der Kriegsabgabe und des
Aotopfers noch über ein Vermögen von 150 950 Mark und nach Zahlung der
Einkommensteuer und des Kapitalertrages noch über ein jährliches Einkommen
von 5966 Mark verfügen I Das ist der Kapitalist mit neuem Vermögen, während
och Krieges erworben. Der Kapitalist mit gleichem Vermögen aus der Zeit vor
°em Kriege wird an Stelle von 5 Millionen nach den Steuern noch über ein Vermögen
°on 2 268 250 Mark und an Stelle eines Einkommens von 250 000 Mark über
^et solches von 71 835 Mark verfügen. Infolge der außerordentlichen Vermögens¬
verschiebung, die durch die Wirtschaflsentwicklung während des Krieges und die
^rschlechterung der Valuta eingetreten ist, ist die Zahl der Neureichen weit größer,
"ks allgemein angenommen wird, aber auch das neue Kapital ist ebenso notwendig
Wr die Produktivnserhaltung, wie das alte. Fast das gesamte große Kapital
gesteht doch nicht in toten Ansammlungen von Papiergeld, sondern in Investie¬
rungen; wie soll ein Unternehmen, das bisher auf 5 Millionen gelaufen ist,
Aotzlich mit der Hälfte oder gar mit 150 000 Mark leben können? Wie soll der
Arlust eingebracht werden, um das Unternehmen zu retten? — Welche Durch-
Anittsbelastung des gesamten arbeitenden Kapitals durch die vier erwähnten
feuern sich ergibt, läßt sich leider nach der Tabelle nicht beurteilen, dazu ist die
^orlage weiteren statistischen Materials der Regierung erforderlich. Sie muß
vlejes Material ja besitzen, denn sonst könnte der Reichsfinanzminister nicht zu
Ameiven Zahlen über den Ertrag der verschiedenen Steuern kommen. Eine genane
Nachprüfung dieses Materials ist um so mehr unerläßlich, als die geplanten
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