Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Neue erzählende Literatur zum überzeugten, sich selbst fruchtbar beschränkenden Dorfprediger. Das Buch hat Für Gustav Kohncs "Ellernbrovk (Verlag Fr. Wilh. Grunow, Leipzig) Wer Lust verspürt, zum fünfzigstenmal von der Entwicklung eines künstlerisch Bücher vom Kriege scheinen nicht mehr gern gelesen zu werden. Im Neue erzählende Literatur zum überzeugten, sich selbst fruchtbar beschränkenden Dorfprediger. Das Buch hat Für Gustav Kohncs „Ellernbrovk (Verlag Fr. Wilh. Grunow, Leipzig) Wer Lust verspürt, zum fünfzigstenmal von der Entwicklung eines künstlerisch Bücher vom Kriege scheinen nicht mehr gern gelesen zu werden. Im <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336610"/> <fw type="header" place="top"> Neue erzählende Literatur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1174" prev="#ID_1173"> zum überzeugten, sich selbst fruchtbar beschränkenden Dorfprediger. Das Buch hat<lb/> freilich hier und da noch etwas von der idealistischen Blässe und faden Mirmigkeit<lb/> alter Familienromane (die „holde Maid", das „lockige Haupt") und seine Liebes¬<lb/> leute reden ein entsetzliches Buchdeutsch, aber die seelische Entwicklung ist doch<lb/> mit grosser Sorgfalt gearbeitet, der Verfasser hat in Menschenschicksale nachdenkliche<lb/> und herzlich bewegte Blicke getan, hat das besondere Wesen des Bauern sehr gut<lb/> erfaßt und zeigt in den Schwänken des Kirchendieners eine Begabung für kurze<lb/> volkstümliche Erzählung, die er unbedingt ausbauen sollte. ,<lb/> "</p><lb/> <p xml:id="ID_1175"> Für Gustav Kohncs „Ellernbrovk (Verlag Fr. Wilh. Grunow, Leipzig)<lb/> und Hans Wilhelms „Freiheit" (Verlag der „Täglichen Rundschau". Berlin) gilt<lb/> gemeinsam, daß sie dem mit ihrem Stoffgebiet Bertrauten zwar weder künstlerisch<lb/> noch stofflich neues zu bieten vermögen, für den Fremden aber zur Einführung<lb/> in diese Stoffgebiete, hier die sittlichen, materiellen und geistigen Nöte des<lb/> Studenten, dort das niedersächsische Dorf, recht geeignet sind. Die reifere Jugend<lb/> wird sowohl Georg Lehfels' sehr breit erzählenden Roman aus Kurbrandenburgs<lb/> See- und Kolonialgeschichte „der Platz an der Sonne", in dem aber nicht nur<lb/> das konventionelle und abscheulich gespreizt daher redende Liebespaar sondern<lb/> auch die vielen der historischen Fäibnng wegen verwendeten Fremdwörter stören,<lb/> wie auch Paul Schreckenbnchs mit sehr hübschen Zeichnungen geschmückten, gut<lb/> komponierten Roman aus Hildesheims Reformationsgeschichte „Wildcfüer" (Verlag<lb/> L. Staackmann, Leipzig) gerne lesen, aber es entgeht ihr auch nichts, wenn sie<lb/> es nicht tut.</p><lb/> <p xml:id="ID_1176"> Wer Lust verspürt, zum fünfzigstenmal von der Entwicklung eines künstlerisch<lb/> veranlagten, durch enge Bürgerlichkeit bedrängten Menschen zu lesen, wird in<lb/> Ludwig Bens Erstlingsroman „Martin" (-s. Fischer Verlag, Berlin) manche hübsch<lb/> beobachtete Einzelheit finden, ohne doch von der Notwendigkeit einer nochmaligen<lb/> Behandlung dieses abgegriffenem, nur jungen Dichtern immer wieder wichtigen<lb/> Stoffes überzeugt zu werden. Ein blasses, weder in der Konzeption noch in der<lb/> Ausführung zur Tiefe gelangtes Litercitenwerk ist Siegfried Trebitschs „spätes<lb/> Licht" (gleicher Verlag). Zeiigeschichtlich nicht unbedeutsam ist Werner Schendells<lb/> Roman „Dienerin" (gleicher Verlag). Ein Naturbursch, der Großstädter geworden,<lb/> an sich und den Problemen seines Lebens herumbastelt und durch den Krieg, der<lb/> ihn zu v»stören drohte, mit der hart zügelnden Energie des Künstlers schritt,<lb/> dieses Zügeln als Euergiebetätigung genoß, aber über der Bewußtheit dieses Ge¬<lb/> nusses die große Einfachheit und Selbstverständlichkeit, die dieMutter aller großen Kunst<lb/> und festen Lebensführung ist, verlor, bildet dieser Dichter einen traurigen Beleg<lb/> dafür, wie der Zwang zum Expressionismus, der Wille, auch das Unbedeutende<lb/> bildhaft herauszubringen (,.... beschloß Gerhard die Unterhaltung, die in d?e<lb/> Endstation der Vahu hineintauchte") und unter allen Umständen seelische Ausbrüche<lb/> lodern zu lassen, die jungen Leute verdirbt. Es sind viele gute Wahrnehmungen<lb/> in dem Buch, manch schöne Formulierung, auch Erlebnis, aber alles seelische Ge¬<lb/> schehen ist derart zergrübelt, daß es schwülstig und aufgetrieven herauskommt und<lb/> die Reden seiner Liebesleute sind nicht stilisiert, sondern einfach verstiegen, g^<lb/> schraubt, gespreizt, widerwärtig, unnatürlich. Das an sich neue und seh^<lb/> bedeutende Grundmotiv der Aussinanderentwicklung der Liebenden infolge des<lb/> Krieges hätte die kraftvoll gestaltende Hand eines groß und sicher arbeitenden<lb/> Meisters erfordert, nicht eines aufgeregten Anfängers.</p><lb/> <p xml:id="ID_1177"> Bücher vom Kriege scheinen nicht mehr gern gelesen zu werden. Im<lb/> gemeinen ist man froh, wenn man nichts mehr vom Kriege hört. Robert Michels<lb/> ansprechende Erzählungen von den österreichischen Fronten(„Gott und der Infanterist '<lb/> S. Fischer, Berlin) werden daher kaum mehr viele Freunde finden. Zu bedauern<lb/> ist das namentlich von Franz Schauweckers das Kriegsleben des Jnfanteristen in<lb/> zusammenfassenden Bildern ohne alle Sentimentalität, ohne alles falsche Pads^<lb/> mit wohltuender Sachlichkeit schildernden Buche „Im Todesrachen" (Heinricy<lb/> Dietmarus Verlagsbuchhandlung, Halle), dem ein dauernder dokumentarisches<lb/> Wert zukommt. Solche Bücher hätten wir während deK Krieges haben müssen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0320]
Neue erzählende Literatur
zum überzeugten, sich selbst fruchtbar beschränkenden Dorfprediger. Das Buch hat
freilich hier und da noch etwas von der idealistischen Blässe und faden Mirmigkeit
alter Familienromane (die „holde Maid", das „lockige Haupt") und seine Liebes¬
leute reden ein entsetzliches Buchdeutsch, aber die seelische Entwicklung ist doch
mit grosser Sorgfalt gearbeitet, der Verfasser hat in Menschenschicksale nachdenkliche
und herzlich bewegte Blicke getan, hat das besondere Wesen des Bauern sehr gut
erfaßt und zeigt in den Schwänken des Kirchendieners eine Begabung für kurze
volkstümliche Erzählung, die er unbedingt ausbauen sollte. ,
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Für Gustav Kohncs „Ellernbrovk (Verlag Fr. Wilh. Grunow, Leipzig)
und Hans Wilhelms „Freiheit" (Verlag der „Täglichen Rundschau". Berlin) gilt
gemeinsam, daß sie dem mit ihrem Stoffgebiet Bertrauten zwar weder künstlerisch
noch stofflich neues zu bieten vermögen, für den Fremden aber zur Einführung
in diese Stoffgebiete, hier die sittlichen, materiellen und geistigen Nöte des
Studenten, dort das niedersächsische Dorf, recht geeignet sind. Die reifere Jugend
wird sowohl Georg Lehfels' sehr breit erzählenden Roman aus Kurbrandenburgs
See- und Kolonialgeschichte „der Platz an der Sonne", in dem aber nicht nur
das konventionelle und abscheulich gespreizt daher redende Liebespaar sondern
auch die vielen der historischen Fäibnng wegen verwendeten Fremdwörter stören,
wie auch Paul Schreckenbnchs mit sehr hübschen Zeichnungen geschmückten, gut
komponierten Roman aus Hildesheims Reformationsgeschichte „Wildcfüer" (Verlag
L. Staackmann, Leipzig) gerne lesen, aber es entgeht ihr auch nichts, wenn sie
es nicht tut.
Wer Lust verspürt, zum fünfzigstenmal von der Entwicklung eines künstlerisch
veranlagten, durch enge Bürgerlichkeit bedrängten Menschen zu lesen, wird in
Ludwig Bens Erstlingsroman „Martin" (-s. Fischer Verlag, Berlin) manche hübsch
beobachtete Einzelheit finden, ohne doch von der Notwendigkeit einer nochmaligen
Behandlung dieses abgegriffenem, nur jungen Dichtern immer wieder wichtigen
Stoffes überzeugt zu werden. Ein blasses, weder in der Konzeption noch in der
Ausführung zur Tiefe gelangtes Litercitenwerk ist Siegfried Trebitschs „spätes
Licht" (gleicher Verlag). Zeiigeschichtlich nicht unbedeutsam ist Werner Schendells
Roman „Dienerin" (gleicher Verlag). Ein Naturbursch, der Großstädter geworden,
an sich und den Problemen seines Lebens herumbastelt und durch den Krieg, der
ihn zu v»stören drohte, mit der hart zügelnden Energie des Künstlers schritt,
dieses Zügeln als Euergiebetätigung genoß, aber über der Bewußtheit dieses Ge¬
nusses die große Einfachheit und Selbstverständlichkeit, die dieMutter aller großen Kunst
und festen Lebensführung ist, verlor, bildet dieser Dichter einen traurigen Beleg
dafür, wie der Zwang zum Expressionismus, der Wille, auch das Unbedeutende
bildhaft herauszubringen (,.... beschloß Gerhard die Unterhaltung, die in d?e
Endstation der Vahu hineintauchte") und unter allen Umständen seelische Ausbrüche
lodern zu lassen, die jungen Leute verdirbt. Es sind viele gute Wahrnehmungen
in dem Buch, manch schöne Formulierung, auch Erlebnis, aber alles seelische Ge¬
schehen ist derart zergrübelt, daß es schwülstig und aufgetrieven herauskommt und
die Reden seiner Liebesleute sind nicht stilisiert, sondern einfach verstiegen, g^
schraubt, gespreizt, widerwärtig, unnatürlich. Das an sich neue und seh^
bedeutende Grundmotiv der Aussinanderentwicklung der Liebenden infolge des
Krieges hätte die kraftvoll gestaltende Hand eines groß und sicher arbeitenden
Meisters erfordert, nicht eines aufgeregten Anfängers.
Bücher vom Kriege scheinen nicht mehr gern gelesen zu werden. Im
gemeinen ist man froh, wenn man nichts mehr vom Kriege hört. Robert Michels
ansprechende Erzählungen von den österreichischen Fronten(„Gott und der Infanterist '
S. Fischer, Berlin) werden daher kaum mehr viele Freunde finden. Zu bedauern
ist das namentlich von Franz Schauweckers das Kriegsleben des Jnfanteristen in
zusammenfassenden Bildern ohne alle Sentimentalität, ohne alles falsche Pads^
mit wohltuender Sachlichkeit schildernden Buche „Im Todesrachen" (Heinricy
Dietmarus Verlagsbuchhandlung, Halle), dem ein dauernder dokumentarisches
Wert zukommt. Solche Bücher hätten wir während deK Krieges haben müssen.
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