Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Neue erzählende Literatur einmal die des Autors persönlich ist, sondern nur der Leichtflüssigkeit der Er¬ Von Zeit zu Zeit ist es gut, sich über den Geschmack des breiten Publikums ^ Die Bücher Richard Knies, "Sonderlinge von der Gasse (Verlagsanstalt Neue erzählende Literatur einmal die des Autors persönlich ist, sondern nur der Leichtflüssigkeit der Er¬ Von Zeit zu Zeit ist es gut, sich über den Geschmack des breiten Publikums ^ Die Bücher Richard Knies, „Sonderlinge von der Gasse (Verlagsanstalt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336609"/> <fw type="header" place="top"> Neue erzählende Literatur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1171" prev="#ID_1170"> einmal die des Autors persönlich ist, sondern nur der Leichtflüssigkeit der Er¬<lb/> zählung zuliebe angenommen wird, die aber nichtsdestoweniger peinlich berührt.<lb/> Die „Insel" (Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart und Berlin) zum Beispiel<lb/> geht von der Voraussetzung aus, daß, wenn eine fremde Journalistin auf eine<lb/> griechische Mönchsinsel kommt, sie selbstverständlich die Sinnlichkeit der Mönche<lb/> erregt und besonders eines, der, als er sie »nannt, von den Brüdern überrascht<lb/> wird und sich bei ihrer Abfahrt ins Meer stürzt. Es handelt sich hier keineswegs<lb/> um einen Konflikt zwischen Weltlust und frommer Entsagung, vielmehr um ein<lb/> rein novellistisches Geschehen. Aber dieses Geschehen geht nicht nur in gegen¬<lb/> ständlich völlig unmöglichen Formen vor sich — nur die Landschafts¬<lb/> schilderungen sind echt, alles übrige ist kölnischen oder sentimentalen<lb/> Effekten zuliebe, entstellt, — es wird auch keineswegs naiv, rein dem<lb/> novellistischen Geschehen zuliebe erzählt, sondern durchaus mit dem Bewußtsein,<lb/> daß es sich um Gewagtes, Verbotenes und sündiges handelt. Es wird ein<lb/> bewußtes Aufsuchen der Schwüle, ein heimlich-lüsternes Spielen mit ernsten<lb/> Dingen bemerkbar ohne daß dabei weder das Mönchtum in seiner Tiefe erfaßt wäre,<lb/> Noch die Leidenschaft sittlich geadelt oder auch nur gerechtfertigt würde. Auch die<lb/> '>Vvckreiter" (gleicher Verlag) zeigen diese Spielerei mit ernsten Dingen, ein un¬<lb/> sittliches Tändeln mit tiefernsten Problemen, ein unangenehmes Aufsuchen sinnlich<lb/> erregender Szenen wie Nonncnverführung und Mädchenmarterung. Es sind flache<lb/> Bücher ohne Ernst und Leidenschaft.</p><lb/> <p xml:id="ID_1172"> Von Zeit zu Zeit ist es gut, sich über den Geschmack des breiten Publikums<lb/> der Leihbibliotheken klar zu werden. Enfemia von Adlersfcld-Vallestrem ist in<lb/> bürgerlichen Kreisen eine der beliebtesten Romanschriftstellerinnen, ihr neuester<lb/> Roman „Phoebe. die Strahlende" (N. v. Denkers Verlag. Berlin) ist in allen<lb/> wo^lichen Zeitschriften angezeigt und das Angebot des Verlages läßt darauf<lb/> Abließen, daß es Leute gibt, die für eine Luxusausgabe des Buches 80 (achtzig I)<lb/> ^art ausgeben. Nun versteht die Verfasserin freilich, wenn auch ohne Tiefe oder<lb/> heivorrageude Beobachtungsgabe, doch mit eiuer gewissen Frische und Un¬<lb/> befangenheit Menschen darzustellen, aber ihre Handlung mit Findelkindern, Ver¬<lb/> meidungen, geheimen Türen, Schloßgespenstern, Verbrechen, Belauschungen<lb/> Und absonderlichsten Zufällen ist nichts als Kolportage ältester Sorte<lb/> Und vor allen Dingen kann Frau Eufemia kein Deutsch. Sie schreibt<lb/> N'ehe nur (S. 214) „seine geistigen Fakultäten" statt Fähigkeiten, nicht nur „wie<lb/> lpät wir heute sind", verwechselt nicht nur heraus mit hinaus, schreibt nicht nur<lb/> °Um Ernstes: Der Trost . . . wollte so wenig ziehen wie seine Pfeife (S. 5Is),<lb/> ne schreibt auch direkt falsches Deutsch: S. 12L: „Es kleidet dir." S. 359: „Die<lb/> Briefe wieder . . . zusammengebunden, eilte sie". S. 393: „so blieb eins vom<lb/> andern überzeugt, die so ungeniert miteinander redenden Nachbarn nicht gehört<lb/> on haben." (statt: daß es . . . nicht gehört hatte.) Was soll man aber von<lb/> °wem Publikum denken, das sich solche Dinge bieten läßt?<lb/> '"</p><lb/> <p xml:id="ID_1173" next="#ID_1174"> ^ Die Bücher Richard Knies, „Sonderlinge von der Gasse (Verlagsanstalt<lb/> ^Lrolia, Innsbruck, Wien, München) und die „Herlishöfer und ihr Pfarrer"<lb/> ^-'gon Fleischet, Berlin) kommen über einen gefälligen Journalismus nicht hinaus,<lb/> charakteristischer und straffer geformt sind die plattdeutschen Schwänks und<lb/> schnurren Georg RuselerS „De dröge Jan" (Richard Hermes Verlag, Hamburg),<lb/> eine harmlose aber vortreffliche Vvlkslektüre bilden. Das gleiche gilt von den<lb/> neuen „Pickbalge"°Geschichten Wilhelm Scharrelmanns „Rund um Sankt Annen"<lb/> Quelle u. Meyer, Leipzig), die sehr anmutig das Leben und Treiben kleiner<lb/> ^°nec, Handwerker, .Krämer, alter Weiberchen, schildern, und die Geschichte von<lb/> ?°ur Kanzleischreiber Olsen ist sogar ein kleines Kabinetstück. Bedeutend höher<lb/> '/eyk des gleichen Verfassers gesund und kräftig erzählte Entwicklungsgeschichte<lb/> Ach sich ^in Maler durchringenden Schlosserlehrlings, „Täter der Jugend"<lb/> Welcher Verlag), die in keiner Volksbibliothek fehlen sollte. Tiefer noch geht der<lb/> »«auernpfarrer" von Erwin Gros (Oranien-Verlag, Herborn), die durch tiefes<lb/> ^'evesleid und mannigfache Erfahrungen gehende Entwicklung eines Stadtmenschen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0319]
Neue erzählende Literatur
einmal die des Autors persönlich ist, sondern nur der Leichtflüssigkeit der Er¬
zählung zuliebe angenommen wird, die aber nichtsdestoweniger peinlich berührt.
Die „Insel" (Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart und Berlin) zum Beispiel
geht von der Voraussetzung aus, daß, wenn eine fremde Journalistin auf eine
griechische Mönchsinsel kommt, sie selbstverständlich die Sinnlichkeit der Mönche
erregt und besonders eines, der, als er sie »nannt, von den Brüdern überrascht
wird und sich bei ihrer Abfahrt ins Meer stürzt. Es handelt sich hier keineswegs
um einen Konflikt zwischen Weltlust und frommer Entsagung, vielmehr um ein
rein novellistisches Geschehen. Aber dieses Geschehen geht nicht nur in gegen¬
ständlich völlig unmöglichen Formen vor sich — nur die Landschafts¬
schilderungen sind echt, alles übrige ist kölnischen oder sentimentalen
Effekten zuliebe, entstellt, — es wird auch keineswegs naiv, rein dem
novellistischen Geschehen zuliebe erzählt, sondern durchaus mit dem Bewußtsein,
daß es sich um Gewagtes, Verbotenes und sündiges handelt. Es wird ein
bewußtes Aufsuchen der Schwüle, ein heimlich-lüsternes Spielen mit ernsten
Dingen bemerkbar ohne daß dabei weder das Mönchtum in seiner Tiefe erfaßt wäre,
Noch die Leidenschaft sittlich geadelt oder auch nur gerechtfertigt würde. Auch die
'>Vvckreiter" (gleicher Verlag) zeigen diese Spielerei mit ernsten Dingen, ein un¬
sittliches Tändeln mit tiefernsten Problemen, ein unangenehmes Aufsuchen sinnlich
erregender Szenen wie Nonncnverführung und Mädchenmarterung. Es sind flache
Bücher ohne Ernst und Leidenschaft.
Von Zeit zu Zeit ist es gut, sich über den Geschmack des breiten Publikums
der Leihbibliotheken klar zu werden. Enfemia von Adlersfcld-Vallestrem ist in
bürgerlichen Kreisen eine der beliebtesten Romanschriftstellerinnen, ihr neuester
Roman „Phoebe. die Strahlende" (N. v. Denkers Verlag. Berlin) ist in allen
wo^lichen Zeitschriften angezeigt und das Angebot des Verlages läßt darauf
Abließen, daß es Leute gibt, die für eine Luxusausgabe des Buches 80 (achtzig I)
^art ausgeben. Nun versteht die Verfasserin freilich, wenn auch ohne Tiefe oder
heivorrageude Beobachtungsgabe, doch mit eiuer gewissen Frische und Un¬
befangenheit Menschen darzustellen, aber ihre Handlung mit Findelkindern, Ver¬
meidungen, geheimen Türen, Schloßgespenstern, Verbrechen, Belauschungen
Und absonderlichsten Zufällen ist nichts als Kolportage ältester Sorte
Und vor allen Dingen kann Frau Eufemia kein Deutsch. Sie schreibt
N'ehe nur (S. 214) „seine geistigen Fakultäten" statt Fähigkeiten, nicht nur „wie
lpät wir heute sind", verwechselt nicht nur heraus mit hinaus, schreibt nicht nur
°Um Ernstes: Der Trost . . . wollte so wenig ziehen wie seine Pfeife (S. 5Is),
ne schreibt auch direkt falsches Deutsch: S. 12L: „Es kleidet dir." S. 359: „Die
Briefe wieder . . . zusammengebunden, eilte sie". S. 393: „so blieb eins vom
andern überzeugt, die so ungeniert miteinander redenden Nachbarn nicht gehört
on haben." (statt: daß es . . . nicht gehört hatte.) Was soll man aber von
°wem Publikum denken, das sich solche Dinge bieten läßt?
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^ Die Bücher Richard Knies, „Sonderlinge von der Gasse (Verlagsanstalt
^Lrolia, Innsbruck, Wien, München) und die „Herlishöfer und ihr Pfarrer"
^-'gon Fleischet, Berlin) kommen über einen gefälligen Journalismus nicht hinaus,
charakteristischer und straffer geformt sind die plattdeutschen Schwänks und
schnurren Georg RuselerS „De dröge Jan" (Richard Hermes Verlag, Hamburg),
eine harmlose aber vortreffliche Vvlkslektüre bilden. Das gleiche gilt von den
neuen „Pickbalge"°Geschichten Wilhelm Scharrelmanns „Rund um Sankt Annen"
Quelle u. Meyer, Leipzig), die sehr anmutig das Leben und Treiben kleiner
^°nec, Handwerker, .Krämer, alter Weiberchen, schildern, und die Geschichte von
?°ur Kanzleischreiber Olsen ist sogar ein kleines Kabinetstück. Bedeutend höher
'/eyk des gleichen Verfassers gesund und kräftig erzählte Entwicklungsgeschichte
Ach sich ^in Maler durchringenden Schlosserlehrlings, „Täter der Jugend"
Welcher Verlag), die in keiner Volksbibliothek fehlen sollte. Tiefer noch geht der
»«auernpfarrer" von Erwin Gros (Oranien-Verlag, Herborn), die durch tiefes
^'evesleid und mannigfache Erfahrungen gehende Entwicklung eines Stadtmenschen
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