Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
ZVörlcr, die wir falsch gebrauchen

auch neben anderen für manche Nebenbedeutungen -- dieses Wort in seiner all¬
gemeinsten Anwendung zu ersetzen fähig ist: nämlich das Wort "Dienstbote".
Freilich gebrauchen wir dieses Wort in einem anderen Sinne -- nämlich zur
Bezeichnung der Angestellten, deren Geschäft die niederen häuslichen oder land¬
wirtschaftlichen Verrichtungen sind, also vor allem der "Knechte und Mägde".
Indessen kann das Wort "Bote" sowohl für sich allein wie in Zusammensetzungen
eine weit höhere Stufe des Angestelltentums bezeichnen, wofür z. V. das
Wort "Waltbote" Zeuge ist; und der "Dienstbote" ist daher seiner eigentlichen
Bedeutung nach das gegebene Wort nicht nur für jeden, der mit einem Dienst
beauftrag! ist, sondern besonders auch für den "Äpenten", der etwa nach dem
von uns übernommenen französischen Sprachgebrauch für bestimmte Zwecke in den
Dienst einer Negierung, der Polizei usw. getreten ist. Auch hier wäre es viel¬
leicht möglich, diesem Wort eine solche ihm gemäßere Verwendung wieder¬
zugewinnen und daher das Wort "Agent" dadurch zu verdrängen, wenn wir uns
entschließen könnten, die Knechte und Mägde wieder mit einem früher üblichen
Wort zu bezeichnen, das gleichfalls in manchen Mundarien noch heute lebendig
geblieben ist -- nämlich mit dem Wort "Erhalten". Naiürlich soll damit nicht
gesagt sein, daß das Wort "Dienstbote" jede heutige Anwendung des Wortes
"Agent" zu ersetzen fähig wäre -- daneben wird vielmehr der Vermittler, der
Vertreter, der Mittelsmann, der Makler usw. gi ichsalls sein Recht behaupten --, wohl
aber, daß eben für jene Bedeutungen von "Agent", die durch diese Wörter nicht
zum Ausdruck gebracht werden können, das Wort "Dunstdote" die gegebene und
vollkommen deckende Bezeichnung ist, u, d daß wir nur darum scheinbar für diese
Bedeutung von "Agent" aus das Fremdwort angewiesen sind, weil wir das Wort
"Dienstbote" heute in falscher, jedenfalls unzweckmäßiger Anwendung gebrauchen.
"

Auch das gut deutsche Wort "Gemüt gehört, bei Licht besehen, dieser
Gruppe an. Wir bezeichnen damit heute bekanntlich ein besonders reiches, also
für fremdes Freud und Leid empfängliches, oder welches und empfindsames
Gemüt; ähnlich wie wir mit "Temperament" nicht nur jede b^Inbige, sondern
vor allem die besonders stürmische, heftige und leidenschaftliche Gemütsart be¬
zeichnen. Wie aber das Wort "Temperament" an sich den weiteren Sinn der
Gemütsart übe'Haupt hat, so ist auch "Gemüt" an sich mit einer umfassenderen
Bedeutung ausgestattet -- es bedeutet den seelisch-sittlichen Gefühlszustand über¬
haupt, der erst durch Zusätze wie "gutes", "böses", "Harns", "weiches" Gemüt usw.
in seiner besonderen Bestimmtheit bezeichnet wird, Das Wort "Gemüt" in diesem
Sinne benennt nun der Franzose gerne mit "le moral" -- "das Mvialisct e",
und zwar von einem bestimmten Sinn dieses Wortes aus, in dem "moriil" riethe
eigentlich "sittlich", sondern mehr "seeli'es" oder "geistig" bedeutet -- wie denn
auch unsere "Geisteswissenschaften" im Französischen als ,.8Liences morales" auf¬
treten, und andererseits das Wort "moraliste" für den Franzosen geradezu d?n
Sinn von '"Seelenkenner" oder zu deutsch "Psychologe" annehmen kann. Aller
auch "Gemüt" bietet für d'eher Sinn von "Is moral" eine, und vielfach wohl
die am besten deckende Entsprechung; nämlich jener Sinn von "Gemüt", der der
Kantischen Schrift "Von der Macht des Gemüts . . . seiner krankhaften Gefühle
Meister zu sein" zugrunde liegt. Würde ein Franzose diesen Titel übersetzen.'
"l)e ig. force ein moral, et'etre . . . maitre cle ses sentiments of.triologiques",
so würde er den Sinn von "Gemüt" tichtig wiedrrgepeoen haben; fal es oder
schrieben und schreiben jene Zntungen, die immer von einer "guten" oder schlechten
"Moral" von Truppen berichten, wenn in ihrer französischen Vvilcige von
"le moral clef trouves" die Rede ist. Diese leider bei uns noch immer si>
häufig anzutreffende Übersetzung ist in Wahrheit unsinnig; wohl aber würde
"Gemüt" -- neben "Geist", "Stimmung". "Seelenzustand" usw. -- d eher Sinn
von "le moral" ebenso genau wiedergeben können wie es and"rerseits dem Geist
der deutschen Sprache entsprechen würde, in diesem Sinn von der "gemütlichen
Beschaffenheit von Einzelpeisvnen, Truppen usw. zu sprechen. Auch hier fehlt e"
uns also an einem Wort für den Begriff, den der Franzose durch "mora!" be"


ZVörlcr, die wir falsch gebrauchen

auch neben anderen für manche Nebenbedeutungen — dieses Wort in seiner all¬
gemeinsten Anwendung zu ersetzen fähig ist: nämlich das Wort „Dienstbote".
Freilich gebrauchen wir dieses Wort in einem anderen Sinne — nämlich zur
Bezeichnung der Angestellten, deren Geschäft die niederen häuslichen oder land¬
wirtschaftlichen Verrichtungen sind, also vor allem der „Knechte und Mägde".
Indessen kann das Wort „Bote" sowohl für sich allein wie in Zusammensetzungen
eine weit höhere Stufe des Angestelltentums bezeichnen, wofür z. V. das
Wort „Waltbote" Zeuge ist; und der „Dienstbote" ist daher seiner eigentlichen
Bedeutung nach das gegebene Wort nicht nur für jeden, der mit einem Dienst
beauftrag! ist, sondern besonders auch für den „Äpenten", der etwa nach dem
von uns übernommenen französischen Sprachgebrauch für bestimmte Zwecke in den
Dienst einer Negierung, der Polizei usw. getreten ist. Auch hier wäre es viel¬
leicht möglich, diesem Wort eine solche ihm gemäßere Verwendung wieder¬
zugewinnen und daher das Wort „Agent" dadurch zu verdrängen, wenn wir uns
entschließen könnten, die Knechte und Mägde wieder mit einem früher üblichen
Wort zu bezeichnen, das gleichfalls in manchen Mundarien noch heute lebendig
geblieben ist — nämlich mit dem Wort „Erhalten". Naiürlich soll damit nicht
gesagt sein, daß das Wort „Dienstbote" jede heutige Anwendung des Wortes
„Agent" zu ersetzen fähig wäre — daneben wird vielmehr der Vermittler, der
Vertreter, der Mittelsmann, der Makler usw. gi ichsalls sein Recht behaupten —, wohl
aber, daß eben für jene Bedeutungen von „Agent", die durch diese Wörter nicht
zum Ausdruck gebracht werden können, das Wort „Dunstdote" die gegebene und
vollkommen deckende Bezeichnung ist, u, d daß wir nur darum scheinbar für diese
Bedeutung von „Agent" aus das Fremdwort angewiesen sind, weil wir das Wort
„Dienstbote" heute in falscher, jedenfalls unzweckmäßiger Anwendung gebrauchen.
"

Auch das gut deutsche Wort „Gemüt gehört, bei Licht besehen, dieser
Gruppe an. Wir bezeichnen damit heute bekanntlich ein besonders reiches, also
für fremdes Freud und Leid empfängliches, oder welches und empfindsames
Gemüt; ähnlich wie wir mit „Temperament" nicht nur jede b^Inbige, sondern
vor allem die besonders stürmische, heftige und leidenschaftliche Gemütsart be¬
zeichnen. Wie aber das Wort „Temperament" an sich den weiteren Sinn der
Gemütsart übe'Haupt hat, so ist auch „Gemüt" an sich mit einer umfassenderen
Bedeutung ausgestattet — es bedeutet den seelisch-sittlichen Gefühlszustand über¬
haupt, der erst durch Zusätze wie „gutes", „böses", „Harns", „weiches" Gemüt usw.
in seiner besonderen Bestimmtheit bezeichnet wird, Das Wort „Gemüt" in diesem
Sinne benennt nun der Franzose gerne mit „le moral" — „das Mvialisct e",
und zwar von einem bestimmten Sinn dieses Wortes aus, in dem „moriil" riethe
eigentlich „sittlich", sondern mehr „seeli'es" oder „geistig" bedeutet — wie denn
auch unsere „Geisteswissenschaften" im Französischen als ,.8Liences morales" auf¬
treten, und andererseits das Wort „moraliste" für den Franzosen geradezu d?n
Sinn von '„Seelenkenner" oder zu deutsch „Psychologe" annehmen kann. Aller
auch „Gemüt" bietet für d'eher Sinn von „Is moral" eine, und vielfach wohl
die am besten deckende Entsprechung; nämlich jener Sinn von „Gemüt", der der
Kantischen Schrift „Von der Macht des Gemüts . . . seiner krankhaften Gefühle
Meister zu sein" zugrunde liegt. Würde ein Franzose diesen Titel übersetzen.'
„l)e ig. force ein moral, et'etre . . . maitre cle ses sentiments of.triologiques",
so würde er den Sinn von „Gemüt" tichtig wiedrrgepeoen haben; fal es oder
schrieben und schreiben jene Zntungen, die immer von einer „guten" oder schlechten
„Moral" von Truppen berichten, wenn in ihrer französischen Vvilcige von
„le moral clef trouves" die Rede ist. Diese leider bei uns noch immer si>
häufig anzutreffende Übersetzung ist in Wahrheit unsinnig; wohl aber würde
„Gemüt" — neben „Geist", „Stimmung". „Seelenzustand" usw. — d eher Sinn
von „le moral" ebenso genau wiedergeben können wie es and«rerseits dem Geist
der deutschen Sprache entsprechen würde, in diesem Sinn von der „gemütlichen
Beschaffenheit von Einzelpeisvnen, Truppen usw. zu sprechen. Auch hier fehlt e»
uns also an einem Wort für den Begriff, den der Franzose durch „mora!" be»


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0312" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336602"/>
          <fw type="header" place="top"> ZVörlcr, die wir falsch gebrauchen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1150" prev="#ID_1149"> auch neben anderen für manche Nebenbedeutungen &#x2014; dieses Wort in seiner all¬<lb/>
gemeinsten Anwendung zu ersetzen fähig ist: nämlich das Wort &#x201E;Dienstbote".<lb/>
Freilich gebrauchen wir dieses Wort in einem anderen Sinne &#x2014; nämlich zur<lb/>
Bezeichnung der Angestellten, deren Geschäft die niederen häuslichen oder land¬<lb/>
wirtschaftlichen Verrichtungen sind, also vor allem der &#x201E;Knechte und Mägde".<lb/>
Indessen kann das Wort &#x201E;Bote" sowohl für sich allein wie in Zusammensetzungen<lb/>
eine weit höhere Stufe des Angestelltentums bezeichnen, wofür z. V. das<lb/>
Wort &#x201E;Waltbote" Zeuge ist; und der &#x201E;Dienstbote" ist daher seiner eigentlichen<lb/>
Bedeutung nach das gegebene Wort nicht nur für jeden, der mit einem Dienst<lb/>
beauftrag! ist, sondern besonders auch für den &#x201E;Äpenten", der etwa nach dem<lb/>
von uns übernommenen französischen Sprachgebrauch für bestimmte Zwecke in den<lb/>
Dienst einer Negierung, der Polizei usw. getreten ist. Auch hier wäre es viel¬<lb/>
leicht möglich, diesem Wort eine solche ihm gemäßere Verwendung wieder¬<lb/>
zugewinnen und daher das Wort &#x201E;Agent" dadurch zu verdrängen, wenn wir uns<lb/>
entschließen könnten, die Knechte und Mägde wieder mit einem früher üblichen<lb/>
Wort zu bezeichnen, das gleichfalls in manchen Mundarien noch heute lebendig<lb/>
geblieben ist &#x2014; nämlich mit dem Wort &#x201E;Erhalten". Naiürlich soll damit nicht<lb/>
gesagt sein, daß das Wort &#x201E;Dienstbote" jede heutige Anwendung des Wortes<lb/>
&#x201E;Agent" zu ersetzen fähig wäre &#x2014; daneben wird vielmehr der Vermittler, der<lb/>
Vertreter, der Mittelsmann, der Makler usw. gi ichsalls sein Recht behaupten &#x2014;, wohl<lb/>
aber, daß eben für jene Bedeutungen von &#x201E;Agent", die durch diese Wörter nicht<lb/>
zum Ausdruck gebracht werden können, das Wort &#x201E;Dunstdote" die gegebene und<lb/>
vollkommen deckende Bezeichnung ist, u, d daß wir nur darum scheinbar für diese<lb/>
Bedeutung von &#x201E;Agent" aus das Fremdwort angewiesen sind, weil wir das Wort<lb/>
&#x201E;Dienstbote" heute in falscher, jedenfalls unzweckmäßiger Anwendung gebrauchen.<lb/>
"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1151" next="#ID_1152"> Auch das gut deutsche Wort &#x201E;Gemüt gehört, bei Licht besehen, dieser<lb/>
Gruppe an. Wir bezeichnen damit heute bekanntlich ein besonders reiches, also<lb/>
für fremdes Freud und Leid empfängliches, oder welches und empfindsames<lb/>
Gemüt; ähnlich wie wir mit &#x201E;Temperament" nicht nur jede b^Inbige, sondern<lb/>
vor allem die besonders stürmische, heftige und leidenschaftliche Gemütsart be¬<lb/>
zeichnen. Wie aber das Wort &#x201E;Temperament" an sich den weiteren Sinn der<lb/>
Gemütsart übe'Haupt hat, so ist auch &#x201E;Gemüt" an sich mit einer umfassenderen<lb/>
Bedeutung ausgestattet &#x2014; es bedeutet den seelisch-sittlichen Gefühlszustand über¬<lb/>
haupt, der erst durch Zusätze wie &#x201E;gutes", &#x201E;böses", &#x201E;Harns", &#x201E;weiches" Gemüt usw.<lb/>
in seiner besonderen Bestimmtheit bezeichnet wird, Das Wort &#x201E;Gemüt" in diesem<lb/>
Sinne benennt nun der Franzose gerne mit &#x201E;le moral" &#x2014; &#x201E;das Mvialisct e",<lb/>
und zwar von einem bestimmten Sinn dieses Wortes aus, in dem &#x201E;moriil" riethe<lb/>
eigentlich &#x201E;sittlich", sondern mehr &#x201E;seeli'es" oder &#x201E;geistig" bedeutet &#x2014; wie denn<lb/>
auch unsere &#x201E;Geisteswissenschaften" im Französischen als ,.8Liences morales" auf¬<lb/>
treten, und andererseits das Wort &#x201E;moraliste" für den Franzosen geradezu d?n<lb/>
Sinn von '&#x201E;Seelenkenner" oder zu deutsch &#x201E;Psychologe" annehmen kann. Aller<lb/>
auch &#x201E;Gemüt" bietet für d'eher Sinn von &#x201E;Is moral" eine, und vielfach wohl<lb/>
die am besten deckende Entsprechung; nämlich jener Sinn von &#x201E;Gemüt", der der<lb/>
Kantischen Schrift &#x201E;Von der Macht des Gemüts . . . seiner krankhaften Gefühle<lb/>
Meister zu sein" zugrunde liegt. Würde ein Franzose diesen Titel übersetzen.'<lb/>
&#x201E;l)e ig. force ein moral, et'etre . . . maitre cle ses sentiments of.triologiques",<lb/>
so würde er den Sinn von &#x201E;Gemüt" tichtig wiedrrgepeoen haben; fal es oder<lb/>
schrieben und schreiben jene Zntungen, die immer von einer &#x201E;guten" oder schlechten<lb/>
&#x201E;Moral" von Truppen berichten, wenn in ihrer französischen Vvilcige von<lb/>
&#x201E;le moral clef trouves" die Rede ist. Diese leider bei uns noch immer si&gt;<lb/>
häufig anzutreffende Übersetzung ist in Wahrheit unsinnig; wohl aber würde<lb/>
&#x201E;Gemüt" &#x2014; neben &#x201E;Geist", &#x201E;Stimmung". &#x201E;Seelenzustand" usw. &#x2014; d eher Sinn<lb/>
von &#x201E;le moral" ebenso genau wiedergeben können wie es and«rerseits dem Geist<lb/>
der deutschen Sprache entsprechen würde, in diesem Sinn von der &#x201E;gemütlichen<lb/>
Beschaffenheit von Einzelpeisvnen, Truppen usw. zu sprechen. Auch hier fehlt e»<lb/>
uns also an einem Wort für den Begriff, den der Franzose durch &#x201E;mora!" be»</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0312] ZVörlcr, die wir falsch gebrauchen auch neben anderen für manche Nebenbedeutungen — dieses Wort in seiner all¬ gemeinsten Anwendung zu ersetzen fähig ist: nämlich das Wort „Dienstbote". Freilich gebrauchen wir dieses Wort in einem anderen Sinne — nämlich zur Bezeichnung der Angestellten, deren Geschäft die niederen häuslichen oder land¬ wirtschaftlichen Verrichtungen sind, also vor allem der „Knechte und Mägde". Indessen kann das Wort „Bote" sowohl für sich allein wie in Zusammensetzungen eine weit höhere Stufe des Angestelltentums bezeichnen, wofür z. V. das Wort „Waltbote" Zeuge ist; und der „Dienstbote" ist daher seiner eigentlichen Bedeutung nach das gegebene Wort nicht nur für jeden, der mit einem Dienst beauftrag! ist, sondern besonders auch für den „Äpenten", der etwa nach dem von uns übernommenen französischen Sprachgebrauch für bestimmte Zwecke in den Dienst einer Negierung, der Polizei usw. getreten ist. Auch hier wäre es viel¬ leicht möglich, diesem Wort eine solche ihm gemäßere Verwendung wieder¬ zugewinnen und daher das Wort „Agent" dadurch zu verdrängen, wenn wir uns entschließen könnten, die Knechte und Mägde wieder mit einem früher üblichen Wort zu bezeichnen, das gleichfalls in manchen Mundarien noch heute lebendig geblieben ist — nämlich mit dem Wort „Erhalten". Naiürlich soll damit nicht gesagt sein, daß das Wort „Dienstbote" jede heutige Anwendung des Wortes „Agent" zu ersetzen fähig wäre — daneben wird vielmehr der Vermittler, der Vertreter, der Mittelsmann, der Makler usw. gi ichsalls sein Recht behaupten —, wohl aber, daß eben für jene Bedeutungen von „Agent", die durch diese Wörter nicht zum Ausdruck gebracht werden können, das Wort „Dunstdote" die gegebene und vollkommen deckende Bezeichnung ist, u, d daß wir nur darum scheinbar für diese Bedeutung von „Agent" aus das Fremdwort angewiesen sind, weil wir das Wort „Dienstbote" heute in falscher, jedenfalls unzweckmäßiger Anwendung gebrauchen. " Auch das gut deutsche Wort „Gemüt gehört, bei Licht besehen, dieser Gruppe an. Wir bezeichnen damit heute bekanntlich ein besonders reiches, also für fremdes Freud und Leid empfängliches, oder welches und empfindsames Gemüt; ähnlich wie wir mit „Temperament" nicht nur jede b^Inbige, sondern vor allem die besonders stürmische, heftige und leidenschaftliche Gemütsart be¬ zeichnen. Wie aber das Wort „Temperament" an sich den weiteren Sinn der Gemütsart übe'Haupt hat, so ist auch „Gemüt" an sich mit einer umfassenderen Bedeutung ausgestattet — es bedeutet den seelisch-sittlichen Gefühlszustand über¬ haupt, der erst durch Zusätze wie „gutes", „böses", „Harns", „weiches" Gemüt usw. in seiner besonderen Bestimmtheit bezeichnet wird, Das Wort „Gemüt" in diesem Sinne benennt nun der Franzose gerne mit „le moral" — „das Mvialisct e", und zwar von einem bestimmten Sinn dieses Wortes aus, in dem „moriil" riethe eigentlich „sittlich", sondern mehr „seeli'es" oder „geistig" bedeutet — wie denn auch unsere „Geisteswissenschaften" im Französischen als ,.8Liences morales" auf¬ treten, und andererseits das Wort „moraliste" für den Franzosen geradezu d?n Sinn von '„Seelenkenner" oder zu deutsch „Psychologe" annehmen kann. Aller auch „Gemüt" bietet für d'eher Sinn von „Is moral" eine, und vielfach wohl die am besten deckende Entsprechung; nämlich jener Sinn von „Gemüt", der der Kantischen Schrift „Von der Macht des Gemüts . . . seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein" zugrunde liegt. Würde ein Franzose diesen Titel übersetzen.' „l)e ig. force ein moral, et'etre . . . maitre cle ses sentiments of.triologiques", so würde er den Sinn von „Gemüt" tichtig wiedrrgepeoen haben; fal es oder schrieben und schreiben jene Zntungen, die immer von einer „guten" oder schlechten „Moral" von Truppen berichten, wenn in ihrer französischen Vvilcige von „le moral clef trouves" die Rede ist. Diese leider bei uns noch immer si> häufig anzutreffende Übersetzung ist in Wahrheit unsinnig; wohl aber würde „Gemüt" — neben „Geist", „Stimmung". „Seelenzustand" usw. — d eher Sinn von „le moral" ebenso genau wiedergeben können wie es and«rerseits dem Geist der deutschen Sprache entsprechen würde, in diesem Sinn von der „gemütlichen Beschaffenheit von Einzelpeisvnen, Truppen usw. zu sprechen. Auch hier fehlt e» uns also an einem Wort für den Begriff, den der Franzose durch „mora!" be»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/312
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/312>, abgerufen am 15.01.2025.