Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Neupolens wirtschaftliche Kräfte den landwirtschaftlichen Gebieten auch die wertvollsten Bodenschätze und eine reiche Oberschlesien fällt im großen und ganzen mit dem Regierungsbezirk Oppeln An der gesamten Kohlenförderung des deutschen Reiches ist Oberschlesien Wir können uns hiernach zu den wirtschaftlichen Hilfsquellen von Russisch- Neupolens wirtschaftliche Kräfte den landwirtschaftlichen Gebieten auch die wertvollsten Bodenschätze und eine reiche Oberschlesien fällt im großen und ganzen mit dem Regierungsbezirk Oppeln An der gesamten Kohlenförderung des deutschen Reiches ist Oberschlesien Wir können uns hiernach zu den wirtschaftlichen Hilfsquellen von Russisch- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336560"/> <fw type="header" place="top"> Neupolens wirtschaftliche Kräfte</fw><lb/> <p xml:id="ID_989" prev="#ID_988"> den landwirtschaftlichen Gebieten auch die wertvollsten Bodenschätze und eine reiche<lb/> Entwicklung auf industriellem Gebiete in Frage stehen. Der Gewinn Ober¬<lb/> schlesiens würde auf der anderen Seite eine der wirksamsten Stützen der sonst<lb/> unzulänglichen wirtschaftlichen Kräfte des neuen polnischen Staatsgebiets in die<lb/> Erscheinung treten lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_990"> Oberschlesien fällt im großen und ganzen mit dem Regierungsbezirk Oppeln<lb/> zusammen, wo schon im Jahre 1870 neben 450 000 Deutschen rund 750 000<lb/> Polen, wenn auch abweichenden Stammes von den Bewohnern Großpolens,<lb/> gezählt wurden. Der Umstand, daß auch von den Deutschen mehr als zwei Drittel<lb/> katholischen Glaubens sind, darf als nicht unbedenklich bezeichnet werden für den<lb/> Fall, daß der polnische Propst hier zugleich mit der polnischen Regierung seinen<lb/> Einzug hält. An größeren Städten kämen in dem Abtretungsgebiet unter anderem<lb/> Beuthen mit 63 000, Gleiwitz mit 67 000. Kattowitz mit 43 000, Königshütte<lb/> mit 72 000, Oppeln mit 34 000, Ratibor mit 38 000 und Zabrze (Hindenburg)<lb/> mit 63 000 Einwohnern in Frage, sie können, von Oppeln und vielleicht Ratibor<lb/> abgesehen, sämtlich als Mittelpunkte der lebhaftesten industriellen Tätigkeit an¬<lb/> gesehen werden. Die landwirtschaftlich tätige Bevölkerung von ganz Schlesien<lb/> wird auf rund 880 000 Köpfe berechnet, davon mögen auf Oberschlesien schätzungs¬<lb/> weise etwa 300 000 entfallen, während in der Industrie 138 000 Arbeiter, in den<lb/> Bergwerken 46 000 in den Eisenhütten und rund 13 000 in den Zink- und Blei¬<lb/> hüllen beschäftigt sind. In der Zahl der Erwerbstätigen in Industrie und<lb/> Bergbau übertrifft ganz Schlesien die beiden anderen vorgeschilderten Gebiete um<lb/> das dreifache, und da sich für Ober- und Niederschlesien die Kopfzahl der Beleg¬<lb/> schaften in den Bergboubezirken wie 1 zu 4 stellte, wird man annehmen dürfen,<lb/> daß der weitaus größte Teil dieser Überlegenheit dem oberschlesischen Industrie-<lb/> bezirk zugute kommt. Von der landwirtschaftlichen Erzeugung Schlesiens seien<lb/> mangels zuverlässigerer Anhaltspunkte je ein Drittel dem oberschlesischen Bezirk<lb/> angerechnet, demnach würden auf dieses Gebiet etwa 300 000 Tonnen Roggen,<lb/> 160 000 Tonnen Weizen, 1,6 Millionen Tonnen Kartoffeln und 100 000 Tonnen<lb/> Gerste entfallen. Bei etwa 1,7 Millionen Einwohnern würde also Oberschlesien<lb/> zwar allenfalls in der Lage sein, seine Bevölkerung von seinen landwirtschaftlichen<lb/> Erzeugnissen zu ernähren, während eine Ausfuhr solcher in die übrigen Reichs¬<lb/> gebiete nicht in Frage käme.</p><lb/> <p xml:id="ID_991"> An der gesamten Kohlenförderung des deutschen Reiches ist Oberschlesien<lb/> mit rund 22 Prozent beteiligt; in der Erzeugung von Eisen und Stahl steht<lb/> zwar Oberschlesien nur hinter dem Rheinisch-Westfälischen Industriegebiet zurück,<lb/> doch handelt es sich auch hier, indem hauptsächlich die Erzeugung von Puddel-<lb/> roheisen in Betracht kommt, um Jahreswerte von rund 360 Millionen Mark,<lb/> während die Zink- und Bleihüllen eine Produktion von rund 600 000 Tonnen<lb/> mit einem Geldwert von etwa 140 Millionen Mark erzielten. Nennen wir von<lb/> den in Oberschlesien betriebenen Werken den Gräflich Ballestremschen Jndustrie-<lb/> besitz, die Bismarckhütte, den Montanbesitz der Handelsgesellschaft Borsig, die<lb/> Donnersmarckhütte, die Huldschinskyschen Werke, die Aktiengesellschaft Ober-<lb/> schlesische Eisenindustrie und die Standesherrschaft Beuthen Simicmowitz sowie<lb/> die Laurahütte, so werden diese weltbekannten Namen Beweises genug dafür sein,<lb/> welche ungeheuren Interessen für unser armes Vaterland bei einem ungünstigen<lb/> Ausgang der Abstimmung auf dem Spiele stehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_992" next="#ID_993"> Wir können uns hiernach zu den wirtschaftlichen Hilfsquellen von Russisch-<lb/> Polen wenden. Wie sehr das russische Polentum von dem bisher deutschen sich<lb/> unterscheidet, und wie unberechtigt es sein wird, diese beiden Bereiche in ihrem<lb/> gegenwärtigen Zustande als die Bestandteile eines einheitlichen Volkskörpers auf¬<lb/> zufassen, wird uns ganz besonders klar durch einen Blick in den „Ethnographischen<lb/> Bilderatlas von Polen", der auf Veranlassung der landeskundlichen Kommission<lb/> beim deutschen Gouvernement in Warschau veröffentlicht wurde. Diese vielfach<lb/> zerfallenen Hütten mit ihren Strohdächern, diese Männer mit den über die Bein¬<lb/> kleider fallenden Hemden und unordentlichen Wirtschaftsgebäude gehören einer<lb/> anderen Kulturwelt an, als die polnischen Dorfschaften außerhalb der russischen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0270]
Neupolens wirtschaftliche Kräfte
den landwirtschaftlichen Gebieten auch die wertvollsten Bodenschätze und eine reiche
Entwicklung auf industriellem Gebiete in Frage stehen. Der Gewinn Ober¬
schlesiens würde auf der anderen Seite eine der wirksamsten Stützen der sonst
unzulänglichen wirtschaftlichen Kräfte des neuen polnischen Staatsgebiets in die
Erscheinung treten lassen.
Oberschlesien fällt im großen und ganzen mit dem Regierungsbezirk Oppeln
zusammen, wo schon im Jahre 1870 neben 450 000 Deutschen rund 750 000
Polen, wenn auch abweichenden Stammes von den Bewohnern Großpolens,
gezählt wurden. Der Umstand, daß auch von den Deutschen mehr als zwei Drittel
katholischen Glaubens sind, darf als nicht unbedenklich bezeichnet werden für den
Fall, daß der polnische Propst hier zugleich mit der polnischen Regierung seinen
Einzug hält. An größeren Städten kämen in dem Abtretungsgebiet unter anderem
Beuthen mit 63 000, Gleiwitz mit 67 000. Kattowitz mit 43 000, Königshütte
mit 72 000, Oppeln mit 34 000, Ratibor mit 38 000 und Zabrze (Hindenburg)
mit 63 000 Einwohnern in Frage, sie können, von Oppeln und vielleicht Ratibor
abgesehen, sämtlich als Mittelpunkte der lebhaftesten industriellen Tätigkeit an¬
gesehen werden. Die landwirtschaftlich tätige Bevölkerung von ganz Schlesien
wird auf rund 880 000 Köpfe berechnet, davon mögen auf Oberschlesien schätzungs¬
weise etwa 300 000 entfallen, während in der Industrie 138 000 Arbeiter, in den
Bergwerken 46 000 in den Eisenhütten und rund 13 000 in den Zink- und Blei¬
hüllen beschäftigt sind. In der Zahl der Erwerbstätigen in Industrie und
Bergbau übertrifft ganz Schlesien die beiden anderen vorgeschilderten Gebiete um
das dreifache, und da sich für Ober- und Niederschlesien die Kopfzahl der Beleg¬
schaften in den Bergboubezirken wie 1 zu 4 stellte, wird man annehmen dürfen,
daß der weitaus größte Teil dieser Überlegenheit dem oberschlesischen Industrie-
bezirk zugute kommt. Von der landwirtschaftlichen Erzeugung Schlesiens seien
mangels zuverlässigerer Anhaltspunkte je ein Drittel dem oberschlesischen Bezirk
angerechnet, demnach würden auf dieses Gebiet etwa 300 000 Tonnen Roggen,
160 000 Tonnen Weizen, 1,6 Millionen Tonnen Kartoffeln und 100 000 Tonnen
Gerste entfallen. Bei etwa 1,7 Millionen Einwohnern würde also Oberschlesien
zwar allenfalls in der Lage sein, seine Bevölkerung von seinen landwirtschaftlichen
Erzeugnissen zu ernähren, während eine Ausfuhr solcher in die übrigen Reichs¬
gebiete nicht in Frage käme.
An der gesamten Kohlenförderung des deutschen Reiches ist Oberschlesien
mit rund 22 Prozent beteiligt; in der Erzeugung von Eisen und Stahl steht
zwar Oberschlesien nur hinter dem Rheinisch-Westfälischen Industriegebiet zurück,
doch handelt es sich auch hier, indem hauptsächlich die Erzeugung von Puddel-
roheisen in Betracht kommt, um Jahreswerte von rund 360 Millionen Mark,
während die Zink- und Bleihüllen eine Produktion von rund 600 000 Tonnen
mit einem Geldwert von etwa 140 Millionen Mark erzielten. Nennen wir von
den in Oberschlesien betriebenen Werken den Gräflich Ballestremschen Jndustrie-
besitz, die Bismarckhütte, den Montanbesitz der Handelsgesellschaft Borsig, die
Donnersmarckhütte, die Huldschinskyschen Werke, die Aktiengesellschaft Ober-
schlesische Eisenindustrie und die Standesherrschaft Beuthen Simicmowitz sowie
die Laurahütte, so werden diese weltbekannten Namen Beweises genug dafür sein,
welche ungeheuren Interessen für unser armes Vaterland bei einem ungünstigen
Ausgang der Abstimmung auf dem Spiele stehen.
Wir können uns hiernach zu den wirtschaftlichen Hilfsquellen von Russisch-
Polen wenden. Wie sehr das russische Polentum von dem bisher deutschen sich
unterscheidet, und wie unberechtigt es sein wird, diese beiden Bereiche in ihrem
gegenwärtigen Zustande als die Bestandteile eines einheitlichen Volkskörpers auf¬
zufassen, wird uns ganz besonders klar durch einen Blick in den „Ethnographischen
Bilderatlas von Polen", der auf Veranlassung der landeskundlichen Kommission
beim deutschen Gouvernement in Warschau veröffentlicht wurde. Diese vielfach
zerfallenen Hütten mit ihren Strohdächern, diese Männer mit den über die Bein¬
kleider fallenden Hemden und unordentlichen Wirtschaftsgebäude gehören einer
anderen Kulturwelt an, als die polnischen Dorfschaften außerhalb der russischen
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