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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Zu den geplanten Reichssteuern auf das Einkommen

daß die Papiermark mit der Goldmark gleichen Wert habe. Das Wirtschafts¬
leben läßt sich nicht durch Gesetze zwingen. Es hat sich trotz dieses Gesetzes eine
innere Valuta der Papiermark herausgebildet, die zwar im Augenblick, da der
Agiohandel mit Gold verboten ist, künstlich verschleiert wird und darum nicht
ohne weiteres klar zu bestimmen ist, die aber trotzdem jedem aufs schärfste fühlbar
wird durch die Entwertung des Geldes oder die allgemeine Verteuerung der
Preise. Wenn nun materiell das Verbot der Zahlung in Gold auch auf die
Rückzahlung der öffentlichen Schuld angewandt werden sollte, so bedeutet das
bereits die Erklärung des Konkurses und zwar einen Akkord. Würde man die
innere Valuta, das heißt das Verhältnis der Papiermark zur Goldmark im In¬
lands, ans 1:4 annehmen, so würden wir einen Akkord auf 25 Prozent haben.
Die Nichtigkeit dieser Erwägung leuchtet aus folgendem ein: Es ist von einer
Seite vorgeschlagen, die gesamte Reichsschuld sofort in Papier auszuzahlen. Die
notwendige Folge würde sein: eine ungeheure Überschwemmung des Marktes mit
Papiergeld, der eine ungeheure Entwertung der Papiermark entsprechen würde.
An der so eingetretenen äußerst geringen Kaufkraft des Geldes gemessen, würde
der Zeichner der Kriegsanleihe nur einen minimalen Bruchteil des dem Reiche
als Anleihe gegebenen Vermögens zurückerhalten. Wir kämen dann vielleicht auf
einen Akkord von wenigen Prozenten. Andererseits: Wird die Goldwährung im
Prinzip weiter beibehalten, so muß auf die Dauer, wenn wir überhaupt wieder
zu normalen Zuständen zurückkehren wollen, das Verbot der Goldzahlung und
des Agiohandels mit Gold fallen. Bleibt die öffentliche Schuld bis zu dieser
Zeit bestehen, so kann gar nicht daran gezweifelt werden, daß auch ihre Rück¬
zahlung dann in Gold zu erfolgen hat (oder in gvldwerten Zahlungsmitteln).
Jede andere Lösung würde dann für jeden offensichtlich den Staatsbankerott
bedeuten.

Wir haben also mit einer öffentlichen deutschen Gesamtschuld von 6 bis
800 Milliarden Goldmark zu rechnen. Dem gegenüber steht als Aktivum das deutsche
Nationalvermögen. In den naturgemäß günstig gefärbten Annahmen der Kriegs¬
zeit ist doch das deutsche Nationalvermögen niemals höher als 450 Milliarden
geschätzt worden. Der ungeheure Verbrauch an materiellem Gut während der
Kriegszeit, der noch höhere Verlust an materiellen Werten infolge des Waffen¬
stillstandes, infolge der Revolutionswirren, der Streiks, des unter dem Druck der
ungünstigen Auslandsvaluta erschreckend hervorgetretenen Ausverkaufs deutscher
Werte nach dem Auslandes läßt sich schätzungsweise nicht bestimmen. Ob wir
noch über ein größeres Nationalvermögen als 200 Milliarden Goldmark ver¬
fügen? -- Auch hierüber wird die Regierung bei den kommenden Steuerverhand¬
lungen Klarheit geben müssen. Wir haben also heute bereits mit einer außer¬
ordentlichen Unterbilanz zu rechnen. Die deutschen Gesetze kennen zwei Konkurs¬
gründe: Qverschuldung und Zahlungseinstellung. Der erstere ist zweifellos
gegeben. Auch der zweite ist längst eingetreten und nur durch die Gesetze verschleiert.
Denn in einem Lande mit Goldwährung bedeutet die grundsätzliche Einstellung
der Goldzahlung durch den Staat bereits eine Zahlungseinstellung in modifizierter
Form. Auch der völlige Mangel an Kredit für öffentliche deutsche Körperschaften
im Auslande bedeutet de fseto nur die Bescheinigung des Auslandes für die
vollzogene deutsche Zahlungseinstellung. Unter diesem Gesichtspunkt gesehen,
befinden wir uns materiell schon längst im öffentlichen Konkurse. Es dreht sich
gegenwärtig nur um die Frage, ob es zweckmäßig ist, ihn offiziell einzugestehen.
Da es für den Staat nicht wie für die Privatperson Instanzen gibt, die über
das Vorliegen des Konkurses entscheiden, so hängt die Erklärung des Konkurses
auch in der gegenwärtigen Situation nur von der Entschließung des
Staates selbst ab, -- es sei denn, daß die Feinde in dieser Richtung einen Druck
ausüben werden. Einstweilen will man sich offensichtlich noch nicht zur Erklärung



Vergl. den lesenswerten Aufsatz "Deutschlands Ausverkauf" von Geheimrat
Deutsch in der Morgennummer der "Vossischen Zeitung" vom 9. November 1919.
Zu den geplanten Reichssteuern auf das Einkommen

daß die Papiermark mit der Goldmark gleichen Wert habe. Das Wirtschafts¬
leben läßt sich nicht durch Gesetze zwingen. Es hat sich trotz dieses Gesetzes eine
innere Valuta der Papiermark herausgebildet, die zwar im Augenblick, da der
Agiohandel mit Gold verboten ist, künstlich verschleiert wird und darum nicht
ohne weiteres klar zu bestimmen ist, die aber trotzdem jedem aufs schärfste fühlbar
wird durch die Entwertung des Geldes oder die allgemeine Verteuerung der
Preise. Wenn nun materiell das Verbot der Zahlung in Gold auch auf die
Rückzahlung der öffentlichen Schuld angewandt werden sollte, so bedeutet das
bereits die Erklärung des Konkurses und zwar einen Akkord. Würde man die
innere Valuta, das heißt das Verhältnis der Papiermark zur Goldmark im In¬
lands, ans 1:4 annehmen, so würden wir einen Akkord auf 25 Prozent haben.
Die Nichtigkeit dieser Erwägung leuchtet aus folgendem ein: Es ist von einer
Seite vorgeschlagen, die gesamte Reichsschuld sofort in Papier auszuzahlen. Die
notwendige Folge würde sein: eine ungeheure Überschwemmung des Marktes mit
Papiergeld, der eine ungeheure Entwertung der Papiermark entsprechen würde.
An der so eingetretenen äußerst geringen Kaufkraft des Geldes gemessen, würde
der Zeichner der Kriegsanleihe nur einen minimalen Bruchteil des dem Reiche
als Anleihe gegebenen Vermögens zurückerhalten. Wir kämen dann vielleicht auf
einen Akkord von wenigen Prozenten. Andererseits: Wird die Goldwährung im
Prinzip weiter beibehalten, so muß auf die Dauer, wenn wir überhaupt wieder
zu normalen Zuständen zurückkehren wollen, das Verbot der Goldzahlung und
des Agiohandels mit Gold fallen. Bleibt die öffentliche Schuld bis zu dieser
Zeit bestehen, so kann gar nicht daran gezweifelt werden, daß auch ihre Rück¬
zahlung dann in Gold zu erfolgen hat (oder in gvldwerten Zahlungsmitteln).
Jede andere Lösung würde dann für jeden offensichtlich den Staatsbankerott
bedeuten.

Wir haben also mit einer öffentlichen deutschen Gesamtschuld von 6 bis
800 Milliarden Goldmark zu rechnen. Dem gegenüber steht als Aktivum das deutsche
Nationalvermögen. In den naturgemäß günstig gefärbten Annahmen der Kriegs¬
zeit ist doch das deutsche Nationalvermögen niemals höher als 450 Milliarden
geschätzt worden. Der ungeheure Verbrauch an materiellem Gut während der
Kriegszeit, der noch höhere Verlust an materiellen Werten infolge des Waffen¬
stillstandes, infolge der Revolutionswirren, der Streiks, des unter dem Druck der
ungünstigen Auslandsvaluta erschreckend hervorgetretenen Ausverkaufs deutscher
Werte nach dem Auslandes läßt sich schätzungsweise nicht bestimmen. Ob wir
noch über ein größeres Nationalvermögen als 200 Milliarden Goldmark ver¬
fügen? — Auch hierüber wird die Regierung bei den kommenden Steuerverhand¬
lungen Klarheit geben müssen. Wir haben also heute bereits mit einer außer¬
ordentlichen Unterbilanz zu rechnen. Die deutschen Gesetze kennen zwei Konkurs¬
gründe: Qverschuldung und Zahlungseinstellung. Der erstere ist zweifellos
gegeben. Auch der zweite ist längst eingetreten und nur durch die Gesetze verschleiert.
Denn in einem Lande mit Goldwährung bedeutet die grundsätzliche Einstellung
der Goldzahlung durch den Staat bereits eine Zahlungseinstellung in modifizierter
Form. Auch der völlige Mangel an Kredit für öffentliche deutsche Körperschaften
im Auslande bedeutet de fseto nur die Bescheinigung des Auslandes für die
vollzogene deutsche Zahlungseinstellung. Unter diesem Gesichtspunkt gesehen,
befinden wir uns materiell schon längst im öffentlichen Konkurse. Es dreht sich
gegenwärtig nur um die Frage, ob es zweckmäßig ist, ihn offiziell einzugestehen.
Da es für den Staat nicht wie für die Privatperson Instanzen gibt, die über
das Vorliegen des Konkurses entscheiden, so hängt die Erklärung des Konkurses
auch in der gegenwärtigen Situation nur von der Entschließung des
Staates selbst ab, — es sei denn, daß die Feinde in dieser Richtung einen Druck
ausüben werden. Einstweilen will man sich offensichtlich noch nicht zur Erklärung



Vergl. den lesenswerten Aufsatz „Deutschlands Ausverkauf" von Geheimrat
Deutsch in der Morgennummer der „Vossischen Zeitung" vom 9. November 1919.
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[0234] Zu den geplanten Reichssteuern auf das Einkommen daß die Papiermark mit der Goldmark gleichen Wert habe. Das Wirtschafts¬ leben läßt sich nicht durch Gesetze zwingen. Es hat sich trotz dieses Gesetzes eine innere Valuta der Papiermark herausgebildet, die zwar im Augenblick, da der Agiohandel mit Gold verboten ist, künstlich verschleiert wird und darum nicht ohne weiteres klar zu bestimmen ist, die aber trotzdem jedem aufs schärfste fühlbar wird durch die Entwertung des Geldes oder die allgemeine Verteuerung der Preise. Wenn nun materiell das Verbot der Zahlung in Gold auch auf die Rückzahlung der öffentlichen Schuld angewandt werden sollte, so bedeutet das bereits die Erklärung des Konkurses und zwar einen Akkord. Würde man die innere Valuta, das heißt das Verhältnis der Papiermark zur Goldmark im In¬ lands, ans 1:4 annehmen, so würden wir einen Akkord auf 25 Prozent haben. Die Nichtigkeit dieser Erwägung leuchtet aus folgendem ein: Es ist von einer Seite vorgeschlagen, die gesamte Reichsschuld sofort in Papier auszuzahlen. Die notwendige Folge würde sein: eine ungeheure Überschwemmung des Marktes mit Papiergeld, der eine ungeheure Entwertung der Papiermark entsprechen würde. An der so eingetretenen äußerst geringen Kaufkraft des Geldes gemessen, würde der Zeichner der Kriegsanleihe nur einen minimalen Bruchteil des dem Reiche als Anleihe gegebenen Vermögens zurückerhalten. Wir kämen dann vielleicht auf einen Akkord von wenigen Prozenten. Andererseits: Wird die Goldwährung im Prinzip weiter beibehalten, so muß auf die Dauer, wenn wir überhaupt wieder zu normalen Zuständen zurückkehren wollen, das Verbot der Goldzahlung und des Agiohandels mit Gold fallen. Bleibt die öffentliche Schuld bis zu dieser Zeit bestehen, so kann gar nicht daran gezweifelt werden, daß auch ihre Rück¬ zahlung dann in Gold zu erfolgen hat (oder in gvldwerten Zahlungsmitteln). Jede andere Lösung würde dann für jeden offensichtlich den Staatsbankerott bedeuten. Wir haben also mit einer öffentlichen deutschen Gesamtschuld von 6 bis 800 Milliarden Goldmark zu rechnen. Dem gegenüber steht als Aktivum das deutsche Nationalvermögen. In den naturgemäß günstig gefärbten Annahmen der Kriegs¬ zeit ist doch das deutsche Nationalvermögen niemals höher als 450 Milliarden geschätzt worden. Der ungeheure Verbrauch an materiellem Gut während der Kriegszeit, der noch höhere Verlust an materiellen Werten infolge des Waffen¬ stillstandes, infolge der Revolutionswirren, der Streiks, des unter dem Druck der ungünstigen Auslandsvaluta erschreckend hervorgetretenen Ausverkaufs deutscher Werte nach dem Auslandes läßt sich schätzungsweise nicht bestimmen. Ob wir noch über ein größeres Nationalvermögen als 200 Milliarden Goldmark ver¬ fügen? — Auch hierüber wird die Regierung bei den kommenden Steuerverhand¬ lungen Klarheit geben müssen. Wir haben also heute bereits mit einer außer¬ ordentlichen Unterbilanz zu rechnen. Die deutschen Gesetze kennen zwei Konkurs¬ gründe: Qverschuldung und Zahlungseinstellung. Der erstere ist zweifellos gegeben. Auch der zweite ist längst eingetreten und nur durch die Gesetze verschleiert. Denn in einem Lande mit Goldwährung bedeutet die grundsätzliche Einstellung der Goldzahlung durch den Staat bereits eine Zahlungseinstellung in modifizierter Form. Auch der völlige Mangel an Kredit für öffentliche deutsche Körperschaften im Auslande bedeutet de fseto nur die Bescheinigung des Auslandes für die vollzogene deutsche Zahlungseinstellung. Unter diesem Gesichtspunkt gesehen, befinden wir uns materiell schon längst im öffentlichen Konkurse. Es dreht sich gegenwärtig nur um die Frage, ob es zweckmäßig ist, ihn offiziell einzugestehen. Da es für den Staat nicht wie für die Privatperson Instanzen gibt, die über das Vorliegen des Konkurses entscheiden, so hängt die Erklärung des Konkurses auch in der gegenwärtigen Situation nur von der Entschließung des Staates selbst ab, — es sei denn, daß die Feinde in dieser Richtung einen Druck ausüben werden. Einstweilen will man sich offensichtlich noch nicht zur Erklärung Vergl. den lesenswerten Aufsatz „Deutschlands Ausverkauf" von Geheimrat Deutsch in der Morgennummer der „Vossischen Zeitung" vom 9. November 1919.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/234>, abgerufen am 15.01.2025.