Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Steine und volkstum Willen zur Gesanrtstoatlichkeit nicht zu erzellgen. Endlich erzwing Bismarck die Was hielt Deutschland zusammen? Nicht einmal der Staat; denn weite Im sozialen Organismus erfüllen zwei Arten von Menschen die notwendi¬ Es ist klar: ein -schwerer Mangel haftet uns Deutschen an, der unsern Auf¬ Die große Gemeinschaft Staat wird von zwei Elementen im Zusammen¬ Steine und volkstum Willen zur Gesanrtstoatlichkeit nicht zu erzellgen. Endlich erzwing Bismarck die Was hielt Deutschland zusammen? Nicht einmal der Staat; denn weite Im sozialen Organismus erfüllen zwei Arten von Menschen die notwendi¬ Es ist klar: ein -schwerer Mangel haftet uns Deutschen an, der unsern Auf¬ Die große Gemeinschaft Staat wird von zwei Elementen im Zusammen¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336492"/> <fw type="header" place="top"> Steine und volkstum</fw><lb/> <p xml:id="ID_741" prev="#ID_740"> Willen zur Gesanrtstoatlichkeit nicht zu erzellgen. Endlich erzwing Bismarck die<lb/> Vereinigung und schien damit zu beweise«, daß Politik in Deutschland nur mit<lb/> Gewalt betrieben werden könnte. Zwar knüpfte er an die Erinnerung vom alten<lb/> Reiche an. Aber sie blieb doch nur eine Erinnerung. Was er geben konnte und<lb/> wollte, -war der Staat. Und in dieser Beziehung waren alle vor 1866 nicht zu<lb/> Preußen gehörigen Gebiete unwillig -empfangende Teile. Die ausführenden<lb/> Organe des Gebers vermochten nur die Formen des Staates durchzuführen, von<lb/> seinem Wesen um so weniger, je mehr ihnen selbst die lebendigen Kräfte des alten<lb/> Preußen fremd wurden. So bestand die Gefahr, daß das neue Preußen-Deutsch¬<lb/> land nur eine Institution blieb.</p><lb/> <p xml:id="ID_742"> Was hielt Deutschland zusammen? Nicht einmal der Staat; denn weite<lb/> Teile mußten außen verbleiben.. Wie weit kann überhaupt der Staat etwas zu¬<lb/> sammenhalten? Zur Beantwortung dieser Frage kommt es weniger darauf an,<lb/> was für eine Auffassung die zeitgenössische philosophische oder juristische Lehre<lb/> über den Staat haben, sondern was den Zeitgenossen der Staat selbst war.</p><lb/> <p xml:id="ID_743"> Im sozialen Organismus erfüllen zwei Arten von Menschen die notwendi¬<lb/> gen Funktionen. Die einen sorgen für sich und ihre Familie, die andern stellen<lb/> ihr Leben in den Dienst einer Gemeinschaft, die zur bloßen Idee werden kann.<lb/> Die Kreise überschneiden sich. Das vergangene Zeitalter hat absolut unter der<lb/> Herrschaft des ersteren gestanden. Seine Angehörigen stehen an sich der Idee des<lb/> Staates gleichgültig gegenüber. Nachdem aber der Staat eine große Wirtschafts-<lb/> genossenschaft geworden war, verschob sich ihre Stellung zu ihm. Wer mit seinen<lb/> Wirthes>astsmaßnahmen einverstanden war, also im wesenlichen wer mit seiner<lb/> wirtschaftlichen Stellung zufrieden war, war staatsfreundlich, die übrigen staats¬<lb/> feindlich. Es brauchte also nur die Unzufriedenheit mit dem eigenen wirtschaft¬<lb/> lichen Lose geweckt zu werden — nichts ist leichter als das —, um die Staatsseind-<lb/> schaft zu vermehren. Won den wenigen, die ihr Leben zum Dienste gemacht<lb/> hatten, wurde die Schar derer, die sich um ihren großen -Meister Bismarck<lb/> gruppierte, immer kleiner. Sie täuschte sich über die Gegenwart und berauschte<lb/> sich an der Vergangenheit. Wer für die Zukunft lebte, wandte sich vom Staate<lb/> ab und verbland sich vielfach mit den iStaatsfeindlichen. Besonders zu erwähnen<lb/> sind die Angestellten des Staates. Sie waren im alten Preußen wirklich einmal<lb/> seine Diener. Zuletzt sind sie fast alle seine Techniker gewesen. Am meisten hatte<lb/> sich das alte Verhältnis noch im Offizierkorps erhalten. Hier waren sich noch<lb/> manche des Dienstes am Staate bewußt, der für sie keine Institution, sondern das<lb/> Treuverhältnis zum persönlichen Führer, zum Könige war. Aber man faßte es<lb/> gleichsam als ein Privileg auf, das andern nicht zuteil werden dürfe. Bei dieser<lb/> Sachlage herrschte eigentlich nur Streit darüber, ob der Staat nützlich und erfreu¬<lb/> lich sei oder nicht. Die überwiegende Mehrheit hatte beirr Verhältnis zu ihm;<lb/> nur wenige liebten ihn, aber nicht mit werdender, sondern mit eifersüchtiger Liebe.<lb/> Ein solcher Staat vermag nicht zusammenzuhalten. Er mußte zusammenbrechen.<lb/> -Aber die ihn stießen, wußten dann auch nichts Besseres, als die einzelnen Teile<lb/> wieder in einer andern Form zusammenzubringen, die nicht weniger brüchig ist<lb/> als die alte.</p><lb/> <p xml:id="ID_744"> Es ist klar: ein -schwerer Mangel haftet uns Deutschen an, der unsern Auf¬<lb/> stieg als eine Ganzheit..schon so oft gestört hat. Wir vermögen ihn -zu erkennen,<lb/> wenn wir einen vergleichenden Blick auf unsere darin glücklicheren Nachbarn<lb/> werfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_745" next="#ID_746"> Die große Gemeinschaft Staat wird von zwei Elementen im Zusammen¬<lb/> wirken geschaffen und erhalten: Führer und Volk. Wir haben in Deutschland<lb/> nur g r o ß e Führer gehabt, die Zu ihren Lebzeiten eine Gefolgschaft um sich ver¬<lb/> sammelten. Unterführer und Volk gab es bei uns nicht. Unterführer können<lb/> gezogen werden. Volk muß selbst werden. Preußen ist von seiner Reihe großer<lb/> Könige geschaffen, die ihm noch Kräfte für -die Folgezeit mit auf den Weg gegeben<lb/> haben. Bismarck hat keinen Nachfolger gehabt. Gewiß ist der Führer der aktive</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0202]
Steine und volkstum
Willen zur Gesanrtstoatlichkeit nicht zu erzellgen. Endlich erzwing Bismarck die
Vereinigung und schien damit zu beweise«, daß Politik in Deutschland nur mit
Gewalt betrieben werden könnte. Zwar knüpfte er an die Erinnerung vom alten
Reiche an. Aber sie blieb doch nur eine Erinnerung. Was er geben konnte und
wollte, -war der Staat. Und in dieser Beziehung waren alle vor 1866 nicht zu
Preußen gehörigen Gebiete unwillig -empfangende Teile. Die ausführenden
Organe des Gebers vermochten nur die Formen des Staates durchzuführen, von
seinem Wesen um so weniger, je mehr ihnen selbst die lebendigen Kräfte des alten
Preußen fremd wurden. So bestand die Gefahr, daß das neue Preußen-Deutsch¬
land nur eine Institution blieb.
Was hielt Deutschland zusammen? Nicht einmal der Staat; denn weite
Teile mußten außen verbleiben.. Wie weit kann überhaupt der Staat etwas zu¬
sammenhalten? Zur Beantwortung dieser Frage kommt es weniger darauf an,
was für eine Auffassung die zeitgenössische philosophische oder juristische Lehre
über den Staat haben, sondern was den Zeitgenossen der Staat selbst war.
Im sozialen Organismus erfüllen zwei Arten von Menschen die notwendi¬
gen Funktionen. Die einen sorgen für sich und ihre Familie, die andern stellen
ihr Leben in den Dienst einer Gemeinschaft, die zur bloßen Idee werden kann.
Die Kreise überschneiden sich. Das vergangene Zeitalter hat absolut unter der
Herrschaft des ersteren gestanden. Seine Angehörigen stehen an sich der Idee des
Staates gleichgültig gegenüber. Nachdem aber der Staat eine große Wirtschafts-
genossenschaft geworden war, verschob sich ihre Stellung zu ihm. Wer mit seinen
Wirthes>astsmaßnahmen einverstanden war, also im wesenlichen wer mit seiner
wirtschaftlichen Stellung zufrieden war, war staatsfreundlich, die übrigen staats¬
feindlich. Es brauchte also nur die Unzufriedenheit mit dem eigenen wirtschaft¬
lichen Lose geweckt zu werden — nichts ist leichter als das —, um die Staatsseind-
schaft zu vermehren. Won den wenigen, die ihr Leben zum Dienste gemacht
hatten, wurde die Schar derer, die sich um ihren großen -Meister Bismarck
gruppierte, immer kleiner. Sie täuschte sich über die Gegenwart und berauschte
sich an der Vergangenheit. Wer für die Zukunft lebte, wandte sich vom Staate
ab und verbland sich vielfach mit den iStaatsfeindlichen. Besonders zu erwähnen
sind die Angestellten des Staates. Sie waren im alten Preußen wirklich einmal
seine Diener. Zuletzt sind sie fast alle seine Techniker gewesen. Am meisten hatte
sich das alte Verhältnis noch im Offizierkorps erhalten. Hier waren sich noch
manche des Dienstes am Staate bewußt, der für sie keine Institution, sondern das
Treuverhältnis zum persönlichen Führer, zum Könige war. Aber man faßte es
gleichsam als ein Privileg auf, das andern nicht zuteil werden dürfe. Bei dieser
Sachlage herrschte eigentlich nur Streit darüber, ob der Staat nützlich und erfreu¬
lich sei oder nicht. Die überwiegende Mehrheit hatte beirr Verhältnis zu ihm;
nur wenige liebten ihn, aber nicht mit werdender, sondern mit eifersüchtiger Liebe.
Ein solcher Staat vermag nicht zusammenzuhalten. Er mußte zusammenbrechen.
-Aber die ihn stießen, wußten dann auch nichts Besseres, als die einzelnen Teile
wieder in einer andern Form zusammenzubringen, die nicht weniger brüchig ist
als die alte.
Es ist klar: ein -schwerer Mangel haftet uns Deutschen an, der unsern Auf¬
stieg als eine Ganzheit..schon so oft gestört hat. Wir vermögen ihn -zu erkennen,
wenn wir einen vergleichenden Blick auf unsere darin glücklicheren Nachbarn
werfen.
Die große Gemeinschaft Staat wird von zwei Elementen im Zusammen¬
wirken geschaffen und erhalten: Führer und Volk. Wir haben in Deutschland
nur g r o ß e Führer gehabt, die Zu ihren Lebzeiten eine Gefolgschaft um sich ver¬
sammelten. Unterführer und Volk gab es bei uns nicht. Unterführer können
gezogen werden. Volk muß selbst werden. Preußen ist von seiner Reihe großer
Könige geschaffen, die ihm noch Kräfte für -die Folgezeit mit auf den Weg gegeben
haben. Bismarck hat keinen Nachfolger gehabt. Gewiß ist der Führer der aktive
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