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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Schuld des Liberalismus?

Gott den Schöpfer der Welt und auch das Endziel der Menschen. Nicht daß die,
Menschenseele gar nicht wahrhaft für sich da, daß sie etwa Manifestation eines
"objektiven" oder vielleicht auch "absoluten" Geistes sei: sie ist ursprünglich und
für sich vorhanden, aber sie ist zugleich nicht auf sich allein, sondern aus Gott
gerichtet durch das Verhältnis der Liebe, das zwischen Gott und Mensch besteht.
Aus der Gottesliebe fließt dann auch die Nächstenliebe, die ein solidarisches Ver¬
hältnis zwischen dem einzelnen und seinen Mitmenschen schafft. Der Liberalis¬
mus aber geht vom Menschen aus. Auch er ist, wie das Christentum, von einer
hohen Achtung für die Menschenseele tief durchdrungen. Aber er richtet sie nicht
auf Gott. Von Gott spricht er nicht weiter. Vielleicht erkennt er ihn theoretisch
an. aber seine Praxis bezieht sich nicht weiter auf ihn. Folglich nutz der Liberale
alle Kraft zur Nächstenliebe, zum solidarischen Verhalten gegen seine Mitmenschen
aus seiner eigenen Einsicht oder Gemütstiefe schöpfen. Ein Liberaler könnte da"
neben auch ganz gut ein überzeugter Christ sein. Wenn er es aber nicht ist,
mag es schon sein, daß es nur besonders edlen Gemütern möglich ist, ohne die
Stütze des kirchlichen Gottesglaubens genug Liebe und Solidaritätsgefühl gegen
die andern Menschen zu betäiigen. Der Liberalismus denkt optimistisch über die
Einsicht und den guten Willen der Menscken. Damit hat er bis jetzt nicht recht
behalten. "Die tiefere Philosophie aller Zeiten", sagt Eberle, "denkt tragisch über
Mensch und Welt, findet den natürlichen Menschen verderbt". In der gegen¬
wärtigen Politik macht die regierende Sozialdemokratie, die ihre Abstammung vom
Geiste des Liberalismus jetzt stärker kundgibt, als die von der ökonomischen Ge¬
schichtsphilosophie, Versuche mit dem guten Willen der Arbeiter zur Produktion,
mit der Einsicht und der freiwilligen Neigung der Völker zum Frieden zu
kommen. Zwang und Gewalt möchte sie möglichst wenig anwenden. Die besten
Köpfe in ihren Reihen, wie z. B. Roste. haben schon umgelernt. Die Zeiten sind
nicht reif, daß man im Staats- und Völkerleben nach den optimistischen Prinzipien
des liberalen Menschheitsglaubens verfahren könnte. Im Familienleben zwischen
Gatte und Gattin, Eltern und Kindern sind öfters verheißungsvolle Anfänge ge¬
macht. Vielleicht darf man heute auch in der Schulerziehung vorsichtig liberale
Prinzipien zur Anwendung bringen.

Der Liberalismus ist nicht tot: er bleibt eine Zukunftshoffnung. Wo aber
letzt irgendeine liberale Einrichtung im Kultur- oder Wirtschaftsleben unserm Volke
schadet, muß sie beseitigt werden, bis bessere Zeiten sie wieder rechtfertigen. Jeder
Staatsbürger muß zur nationalen Solidarität angehalten werden; wenn es nicht
anders geht, auch durch Zwang oder jede Art von Autorität. Keinem Deutschen
darf es erlaubt sein, Volksgenosse": und die Gesamtheit zu schädigen. Das ist
letzt unsere große nationale Aufgabe: die Solidarität aller Deutschen herzustellen,
^ir fühlen uns noch lange nicht genug als ein Volk. War schon im Mittelalter
das Stammesbewußtsein bei den Deutschen sicherlich stärker als das National¬
bewußtsein, so hat die Entwicklung der Territorialstaaten und der konfessionelle
Hader bei uns die nationale Solidarität völlig vernichtet. Aus dem Weltbürgertum
der Gebildeten hat sich zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts unter dem
Umdrucke der französischen Revolution und der napoleonischen Fremdherrschaft
Mi Nationalbewußtsein erst wieder neu entwickelt. Es war noch längst nicht
überall in die Massen gedrungen, als Bismarck das Deutsche Reich schuf. Damals
^herrschte der Liberalismus das deutsche Geistesleben. Seine Aufgabe wäre es
gewesen, durch geeignete Fortbildung der Staatseinrichtungen und aller Zweige
°er Volkserziehung den Gedanken der nationalen Solidarität zu einer Selbstver-
Nandlichkeit in den Köpfen aller Deutschen zu machen. Der Liberalismus aber
beruhigte sich gern und optimistisch wie immer bei den nationalen Errungen-
lchaften Bismarcks und schien zu übersehen, daß statt der nationalen Solidarität
unter seinen Augen die materialistische Profitsucht groß wurde. Hier liegt eine
ichwere Schuld der liberalen Epoche.

. Wenn aber der Liberalismus nichts tat, um den Gedanken der nationalen
Solidarität im deutschen Volke weiter auszubreiten: andere politisch wirksame


is*
Schuld des Liberalismus?

Gott den Schöpfer der Welt und auch das Endziel der Menschen. Nicht daß die,
Menschenseele gar nicht wahrhaft für sich da, daß sie etwa Manifestation eines
„objektiven" oder vielleicht auch „absoluten" Geistes sei: sie ist ursprünglich und
für sich vorhanden, aber sie ist zugleich nicht auf sich allein, sondern aus Gott
gerichtet durch das Verhältnis der Liebe, das zwischen Gott und Mensch besteht.
Aus der Gottesliebe fließt dann auch die Nächstenliebe, die ein solidarisches Ver¬
hältnis zwischen dem einzelnen und seinen Mitmenschen schafft. Der Liberalis¬
mus aber geht vom Menschen aus. Auch er ist, wie das Christentum, von einer
hohen Achtung für die Menschenseele tief durchdrungen. Aber er richtet sie nicht
auf Gott. Von Gott spricht er nicht weiter. Vielleicht erkennt er ihn theoretisch
an. aber seine Praxis bezieht sich nicht weiter auf ihn. Folglich nutz der Liberale
alle Kraft zur Nächstenliebe, zum solidarischen Verhalten gegen seine Mitmenschen
aus seiner eigenen Einsicht oder Gemütstiefe schöpfen. Ein Liberaler könnte da»
neben auch ganz gut ein überzeugter Christ sein. Wenn er es aber nicht ist,
mag es schon sein, daß es nur besonders edlen Gemütern möglich ist, ohne die
Stütze des kirchlichen Gottesglaubens genug Liebe und Solidaritätsgefühl gegen
die andern Menschen zu betäiigen. Der Liberalismus denkt optimistisch über die
Einsicht und den guten Willen der Menscken. Damit hat er bis jetzt nicht recht
behalten. „Die tiefere Philosophie aller Zeiten", sagt Eberle, „denkt tragisch über
Mensch und Welt, findet den natürlichen Menschen verderbt". In der gegen¬
wärtigen Politik macht die regierende Sozialdemokratie, die ihre Abstammung vom
Geiste des Liberalismus jetzt stärker kundgibt, als die von der ökonomischen Ge¬
schichtsphilosophie, Versuche mit dem guten Willen der Arbeiter zur Produktion,
mit der Einsicht und der freiwilligen Neigung der Völker zum Frieden zu
kommen. Zwang und Gewalt möchte sie möglichst wenig anwenden. Die besten
Köpfe in ihren Reihen, wie z. B. Roste. haben schon umgelernt. Die Zeiten sind
nicht reif, daß man im Staats- und Völkerleben nach den optimistischen Prinzipien
des liberalen Menschheitsglaubens verfahren könnte. Im Familienleben zwischen
Gatte und Gattin, Eltern und Kindern sind öfters verheißungsvolle Anfänge ge¬
macht. Vielleicht darf man heute auch in der Schulerziehung vorsichtig liberale
Prinzipien zur Anwendung bringen.

Der Liberalismus ist nicht tot: er bleibt eine Zukunftshoffnung. Wo aber
letzt irgendeine liberale Einrichtung im Kultur- oder Wirtschaftsleben unserm Volke
schadet, muß sie beseitigt werden, bis bessere Zeiten sie wieder rechtfertigen. Jeder
Staatsbürger muß zur nationalen Solidarität angehalten werden; wenn es nicht
anders geht, auch durch Zwang oder jede Art von Autorität. Keinem Deutschen
darf es erlaubt sein, Volksgenosse»: und die Gesamtheit zu schädigen. Das ist
letzt unsere große nationale Aufgabe: die Solidarität aller Deutschen herzustellen,
^ir fühlen uns noch lange nicht genug als ein Volk. War schon im Mittelalter
das Stammesbewußtsein bei den Deutschen sicherlich stärker als das National¬
bewußtsein, so hat die Entwicklung der Territorialstaaten und der konfessionelle
Hader bei uns die nationale Solidarität völlig vernichtet. Aus dem Weltbürgertum
der Gebildeten hat sich zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts unter dem
Umdrucke der französischen Revolution und der napoleonischen Fremdherrschaft
Mi Nationalbewußtsein erst wieder neu entwickelt. Es war noch längst nicht
überall in die Massen gedrungen, als Bismarck das Deutsche Reich schuf. Damals
^herrschte der Liberalismus das deutsche Geistesleben. Seine Aufgabe wäre es
gewesen, durch geeignete Fortbildung der Staatseinrichtungen und aller Zweige
°er Volkserziehung den Gedanken der nationalen Solidarität zu einer Selbstver-
Nandlichkeit in den Köpfen aller Deutschen zu machen. Der Liberalismus aber
beruhigte sich gern und optimistisch wie immer bei den nationalen Errungen-
lchaften Bismarcks und schien zu übersehen, daß statt der nationalen Solidarität
unter seinen Augen die materialistische Profitsucht groß wurde. Hier liegt eine
ichwere Schuld der liberalen Epoche.

. Wenn aber der Liberalismus nichts tat, um den Gedanken der nationalen
Solidarität im deutschen Volke weiter auszubreiten: andere politisch wirksame


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[0179] Schuld des Liberalismus? Gott den Schöpfer der Welt und auch das Endziel der Menschen. Nicht daß die, Menschenseele gar nicht wahrhaft für sich da, daß sie etwa Manifestation eines „objektiven" oder vielleicht auch „absoluten" Geistes sei: sie ist ursprünglich und für sich vorhanden, aber sie ist zugleich nicht auf sich allein, sondern aus Gott gerichtet durch das Verhältnis der Liebe, das zwischen Gott und Mensch besteht. Aus der Gottesliebe fließt dann auch die Nächstenliebe, die ein solidarisches Ver¬ hältnis zwischen dem einzelnen und seinen Mitmenschen schafft. Der Liberalis¬ mus aber geht vom Menschen aus. Auch er ist, wie das Christentum, von einer hohen Achtung für die Menschenseele tief durchdrungen. Aber er richtet sie nicht auf Gott. Von Gott spricht er nicht weiter. Vielleicht erkennt er ihn theoretisch an. aber seine Praxis bezieht sich nicht weiter auf ihn. Folglich nutz der Liberale alle Kraft zur Nächstenliebe, zum solidarischen Verhalten gegen seine Mitmenschen aus seiner eigenen Einsicht oder Gemütstiefe schöpfen. Ein Liberaler könnte da» neben auch ganz gut ein überzeugter Christ sein. Wenn er es aber nicht ist, mag es schon sein, daß es nur besonders edlen Gemütern möglich ist, ohne die Stütze des kirchlichen Gottesglaubens genug Liebe und Solidaritätsgefühl gegen die andern Menschen zu betäiigen. Der Liberalismus denkt optimistisch über die Einsicht und den guten Willen der Menscken. Damit hat er bis jetzt nicht recht behalten. „Die tiefere Philosophie aller Zeiten", sagt Eberle, „denkt tragisch über Mensch und Welt, findet den natürlichen Menschen verderbt". In der gegen¬ wärtigen Politik macht die regierende Sozialdemokratie, die ihre Abstammung vom Geiste des Liberalismus jetzt stärker kundgibt, als die von der ökonomischen Ge¬ schichtsphilosophie, Versuche mit dem guten Willen der Arbeiter zur Produktion, mit der Einsicht und der freiwilligen Neigung der Völker zum Frieden zu kommen. Zwang und Gewalt möchte sie möglichst wenig anwenden. Die besten Köpfe in ihren Reihen, wie z. B. Roste. haben schon umgelernt. Die Zeiten sind nicht reif, daß man im Staats- und Völkerleben nach den optimistischen Prinzipien des liberalen Menschheitsglaubens verfahren könnte. Im Familienleben zwischen Gatte und Gattin, Eltern und Kindern sind öfters verheißungsvolle Anfänge ge¬ macht. Vielleicht darf man heute auch in der Schulerziehung vorsichtig liberale Prinzipien zur Anwendung bringen. Der Liberalismus ist nicht tot: er bleibt eine Zukunftshoffnung. Wo aber letzt irgendeine liberale Einrichtung im Kultur- oder Wirtschaftsleben unserm Volke schadet, muß sie beseitigt werden, bis bessere Zeiten sie wieder rechtfertigen. Jeder Staatsbürger muß zur nationalen Solidarität angehalten werden; wenn es nicht anders geht, auch durch Zwang oder jede Art von Autorität. Keinem Deutschen darf es erlaubt sein, Volksgenosse»: und die Gesamtheit zu schädigen. Das ist letzt unsere große nationale Aufgabe: die Solidarität aller Deutschen herzustellen, ^ir fühlen uns noch lange nicht genug als ein Volk. War schon im Mittelalter das Stammesbewußtsein bei den Deutschen sicherlich stärker als das National¬ bewußtsein, so hat die Entwicklung der Territorialstaaten und der konfessionelle Hader bei uns die nationale Solidarität völlig vernichtet. Aus dem Weltbürgertum der Gebildeten hat sich zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts unter dem Umdrucke der französischen Revolution und der napoleonischen Fremdherrschaft Mi Nationalbewußtsein erst wieder neu entwickelt. Es war noch längst nicht überall in die Massen gedrungen, als Bismarck das Deutsche Reich schuf. Damals ^herrschte der Liberalismus das deutsche Geistesleben. Seine Aufgabe wäre es gewesen, durch geeignete Fortbildung der Staatseinrichtungen und aller Zweige °er Volkserziehung den Gedanken der nationalen Solidarität zu einer Selbstver- Nandlichkeit in den Köpfen aller Deutschen zu machen. Der Liberalismus aber beruhigte sich gern und optimistisch wie immer bei den nationalen Errungen- lchaften Bismarcks und schien zu übersehen, daß statt der nationalen Solidarität unter seinen Augen die materialistische Profitsucht groß wurde. Hier liegt eine ichwere Schuld der liberalen Epoche. . Wenn aber der Liberalismus nichts tat, um den Gedanken der nationalen Solidarität im deutschen Volke weiter auszubreiten: andere politisch wirksame is*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/179>, abgerufen am 15.01.2025.