Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Tschecho-Klowakei Staat ist eine politische Realität oder kann doch, wenn nicht alles täuscht, zu einer Der Schwierigkeiten, mit denen das junge Staatswesen zu kämpfen hat, Tschecho-Klowakei Staat ist eine politische Realität oder kann doch, wenn nicht alles täuscht, zu einer Der Schwierigkeiten, mit denen das junge Staatswesen zu kämpfen hat, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0173" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336463"/> <fw type="header" place="top"> Tschecho-Klowakei</fw><lb/> <p xml:id="ID_623" prev="#ID_622"> Staat ist eine politische Realität oder kann doch, wenn nicht alles täuscht, zu einer<lb/> solchen werden, vier kleine Nationalitätenstaaten wären Abstraktionsgebilde, die<lb/> sich bei ihrer politischen Verwirklichung sofort aneinander anschließen oder in die<lb/> Haare geraten müßten. Aus solchen Überlegungen heraus erscheint es sogar zweifel¬<lb/> haft, ob die Forderung der Deutsch-Böhmen nach regionaler Autonomie, nach<lb/> einer Vertretung als festgeschlossene Minorität politisch zweckmäßig ist. Solange<lb/> der jetzige Regierungskurs eingehalten wird, ist das gewiß nicht der Fall. Als<lb/> festgeschlossene, politisch gesonderte Minorität werden die Deuisch-Böhmen. vom<lb/> tschechischen Standpunkt aus ganz mit Recht, stets als staatsfeindliches, mindestens<lb/> eine gesunde einheitliche politische Gesamtentwicklung hemmendes Element an¬<lb/> gesehen und in allen außenpolitischen Fragen nach Möglichkeit überstimmt<lb/> und ausgeschaltet werden. Entschließen sie sich jedoch im tschechoslowakischen<lb/> Staat aufzugehen, so werden sie, da sie in geschlossener Opposition jede tschecho¬<lb/> slowakische Regierung zu stürzen vermögen, einen ständigen organischen Einfluß<lb/> auf die Gesamtpolitik des Staates auszuüben imstande sein. Auch vom reichs-<lb/> deutschen Standpunkt aus wäre eine solche Entwicklung vorzuziehen. Eine<lb/> geschlossene deutsch-böhmische Minoritätenautonomie würde hüben wie drüben bei<lb/> jeder Gelegenheit irredentistische Bestrebungen wachrufen, deren Äußerungen die<lb/> guten Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und dem Tschechenstaat, dessen<lb/> berufene Vertreter erst eben wieder ihren Willen zu vertrauensvoller Zusammen¬<lb/> arbeit kundgetan haben, trüben und auf tschechischer Seite das Mißtrauen gegen<lb/> alles deutsche wach halten. Bekennen sich aber die Deutsch-Böhmen zu tätiger<lb/> Mitarbeit am Tschecho-SIowakischen Staat als solchem, so bieten sich ihnen ganz<lb/> andere Möglichkeiten, an einer Annäherung an Deutschland, die der tschechische<lb/> Minister des Auswärtigen als unerläßlich bezeichnet hat, mitzuwirken. Daß die<lb/> Deutsch-Böhmen dann auch völlige staatsbürgerliche Gleichberechtigung mit den<lb/> Tschechen zu verlangen berechtigt sind, versteht sich von selbst. Alles wird von<lb/> dem staatsmännischen Geschick abhängen, mit dem einerseits die Regierung die<lb/> einseitig-nationalistischen Bestrebungen ihrer tschechischen Untertanen zu zügeln und<lb/> Übergriffe zu hindern imstande sein wird, mit dem andererseits die Deutsch-Böhmen<lb/> ihre völkischen Ansprüche mit den Forderungen, die der Staat als solcher an sie<lb/> zu stellen berechtigt ist, in Einklang zu bringen wissen werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_624" next="#ID_625"> Der Schwierigkeiten, mit denen das junge Staatswesen zu kämpfen hat,<lb/> gibt es genug. Da sind zunächst außer den deutschen die slowakischen Selbst-<lb/> ständigkeitsbestrebungen. Es ist ohne weiteres verständlich, daß ein in der Bildung<lb/> begriffener Staat zentralistische Neigungen zeigt. Die Slowaken, abgesehen von<lb/> nationalistischen Sonderwünschen auch religiös im Gegensatz zu den sreigeistigen<lb/> Regierungs- und Sokolkreisen stehend, beklagen sich über ungenügende Vertretung<lb/> in der einstweilen noch immer nicht gewählten, sondern im wesentlichen zur<lb/> Unterstützung des ehemaligen Kabinetts Kramarsch ernannten Nationalversammlung,<lb/> über tyrannische Behandlung von feiten der wahrscheinlich wirklich nicht sanften<lb/> tschechischen Legionäre, die zur Unterdrückung bolschewistischer Unruhen über das<lb/> ganze Land verteilt sind, sowie über den im Sinne scharfer Zentralisierung<lb/> arbeitenden und namentlich vom Minister Schrobar, der von Preßburg aus ein<lb/> scharfes Regiment führt, betriebenen Beamtenaustausch, der hier ähnlich wie im<lb/> Elsaß nicht eben die fähigsten Männer ans Ruder bringen wird. Grund genug,<lb/> daß aus allen Teilen des Landes, besonders aus Kaschau, Aufstandsbewegungeu<lb/> gemeldet werden. Natürlich haben bei ihrem Einfall auch die Ungarn das ihrige<lb/> dazu beigetragen, diese Sonderbewegung zu stärken, wenn auch die Mitte Juni unter<lb/> Janouschek erfolgte Ausrufung einer slowakischen Räterepublik Episode geblieben ist,<lb/> und auch die Polen scheinen nicht abgeneigt zu sein, der tschechischen Regierung<lb/> ein Durchgreifen zu erschweren. Wenigstens ist der aus früheren Konflikten mit<lb/> magyarischen Bischöfen bekannte slowakische Patriot und Pfarrer Hlinka von<lb/> Warschau aus und mit polnischem Paß nach Paris gelangt, um bei der Friedens¬<lb/> konferenz Selbständigkeit für die Slowaken zu fordern, und mutzte von Paderewski<lb/> in aller Form desavouiert werden. Noch im Oktober hat ein slowakisches Aktions-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0173]
Tschecho-Klowakei
Staat ist eine politische Realität oder kann doch, wenn nicht alles täuscht, zu einer
solchen werden, vier kleine Nationalitätenstaaten wären Abstraktionsgebilde, die
sich bei ihrer politischen Verwirklichung sofort aneinander anschließen oder in die
Haare geraten müßten. Aus solchen Überlegungen heraus erscheint es sogar zweifel¬
haft, ob die Forderung der Deutsch-Böhmen nach regionaler Autonomie, nach
einer Vertretung als festgeschlossene Minorität politisch zweckmäßig ist. Solange
der jetzige Regierungskurs eingehalten wird, ist das gewiß nicht der Fall. Als
festgeschlossene, politisch gesonderte Minorität werden die Deuisch-Böhmen. vom
tschechischen Standpunkt aus ganz mit Recht, stets als staatsfeindliches, mindestens
eine gesunde einheitliche politische Gesamtentwicklung hemmendes Element an¬
gesehen und in allen außenpolitischen Fragen nach Möglichkeit überstimmt
und ausgeschaltet werden. Entschließen sie sich jedoch im tschechoslowakischen
Staat aufzugehen, so werden sie, da sie in geschlossener Opposition jede tschecho¬
slowakische Regierung zu stürzen vermögen, einen ständigen organischen Einfluß
auf die Gesamtpolitik des Staates auszuüben imstande sein. Auch vom reichs-
deutschen Standpunkt aus wäre eine solche Entwicklung vorzuziehen. Eine
geschlossene deutsch-böhmische Minoritätenautonomie würde hüben wie drüben bei
jeder Gelegenheit irredentistische Bestrebungen wachrufen, deren Äußerungen die
guten Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und dem Tschechenstaat, dessen
berufene Vertreter erst eben wieder ihren Willen zu vertrauensvoller Zusammen¬
arbeit kundgetan haben, trüben und auf tschechischer Seite das Mißtrauen gegen
alles deutsche wach halten. Bekennen sich aber die Deutsch-Böhmen zu tätiger
Mitarbeit am Tschecho-SIowakischen Staat als solchem, so bieten sich ihnen ganz
andere Möglichkeiten, an einer Annäherung an Deutschland, die der tschechische
Minister des Auswärtigen als unerläßlich bezeichnet hat, mitzuwirken. Daß die
Deutsch-Böhmen dann auch völlige staatsbürgerliche Gleichberechtigung mit den
Tschechen zu verlangen berechtigt sind, versteht sich von selbst. Alles wird von
dem staatsmännischen Geschick abhängen, mit dem einerseits die Regierung die
einseitig-nationalistischen Bestrebungen ihrer tschechischen Untertanen zu zügeln und
Übergriffe zu hindern imstande sein wird, mit dem andererseits die Deutsch-Böhmen
ihre völkischen Ansprüche mit den Forderungen, die der Staat als solcher an sie
zu stellen berechtigt ist, in Einklang zu bringen wissen werden.
Der Schwierigkeiten, mit denen das junge Staatswesen zu kämpfen hat,
gibt es genug. Da sind zunächst außer den deutschen die slowakischen Selbst-
ständigkeitsbestrebungen. Es ist ohne weiteres verständlich, daß ein in der Bildung
begriffener Staat zentralistische Neigungen zeigt. Die Slowaken, abgesehen von
nationalistischen Sonderwünschen auch religiös im Gegensatz zu den sreigeistigen
Regierungs- und Sokolkreisen stehend, beklagen sich über ungenügende Vertretung
in der einstweilen noch immer nicht gewählten, sondern im wesentlichen zur
Unterstützung des ehemaligen Kabinetts Kramarsch ernannten Nationalversammlung,
über tyrannische Behandlung von feiten der wahrscheinlich wirklich nicht sanften
tschechischen Legionäre, die zur Unterdrückung bolschewistischer Unruhen über das
ganze Land verteilt sind, sowie über den im Sinne scharfer Zentralisierung
arbeitenden und namentlich vom Minister Schrobar, der von Preßburg aus ein
scharfes Regiment führt, betriebenen Beamtenaustausch, der hier ähnlich wie im
Elsaß nicht eben die fähigsten Männer ans Ruder bringen wird. Grund genug,
daß aus allen Teilen des Landes, besonders aus Kaschau, Aufstandsbewegungeu
gemeldet werden. Natürlich haben bei ihrem Einfall auch die Ungarn das ihrige
dazu beigetragen, diese Sonderbewegung zu stärken, wenn auch die Mitte Juni unter
Janouschek erfolgte Ausrufung einer slowakischen Räterepublik Episode geblieben ist,
und auch die Polen scheinen nicht abgeneigt zu sein, der tschechischen Regierung
ein Durchgreifen zu erschweren. Wenigstens ist der aus früheren Konflikten mit
magyarischen Bischöfen bekannte slowakische Patriot und Pfarrer Hlinka von
Warschau aus und mit polnischem Paß nach Paris gelangt, um bei der Friedens¬
konferenz Selbständigkeit für die Slowaken zu fordern, und mutzte von Paderewski
in aller Form desavouiert werden. Noch im Oktober hat ein slowakisches Aktions-
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