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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Die akademische Jugend und die Parteien

Denn die Synthese ist dies. Sie beruht auf einer Ineinsbildung, gleichsam
auf einer zeugerischen Vereinigung und gegenseitigen Begattung von straff ge¬
spannter konservativer Lebenshaltung und dem. was man Freigesirmthelt nennen
könnte. In einer Hinsicht bedeutet diese Freigesinntheit ungefähr dasselbe wie
liberal, während sie nach der anderen Seite hin um so mehr als das Gegenteil
des Liberalen erscheint. Soweit sie als liberaler Gedanke auftritt, geht sie
daraus aus, das wesenhaft Menschliche in der politischen Person bloßzuleg-n
und wieder in sein Recht einzusetzen. Sie will für die Politik die Energien
erschließen, die nur der Menschenart eigentümlich sind und sich in den Bereichen
des Seelisch-Geistigen vollziehen, und bezweckt eine Entfesselung dieser "humanen",
der frei sich entwickelnden Persönlichkeit aus ihrer intellektuellen Verhaftung in
bloß wirtschaftspolitische Leitbegriffe. Sofern sie indessen liberale Denk¬
richtungen verleugnet, ist es eben der wirtschaftliche Liberalismus, von dem
sie sich lossagt, der übliche Großstadtliberalismus des 19. Jahrhunderts,
das Manchestertum und Freihandelswesen und die Heiligsprechung jener ver¬
einzelten punktuellen Einheiten, die der nackte Erwerbssinn und das private
Interesse sind. Diese freie Gesinnung ist schließlich nichts anderes, als eine
nicht voreingenommene Unbefangenheit gegenüber den sozialen Problemen in der
Wirtschaftlichkeit. Sie will eine Durchdringung des konservativen Lebensstils
mit gemeinwirlschaftlichen Entwicklungen. Hierbei wird unter Gemeinwirtschaft
nicht Sozialismus im Parteisinne verstanden, mit seiner Vergesellschaftung der
Produktionsmittel und Einebnung der Stände durch völlige Ausschaltung der
wirtschaftlichen Persönlichkeitskraft, sondern was darunter verstanden wird, das
ist die grundsätzliche Höherbewertung von Gemeinsamkeitsinteressen gegenüber
dem Einzelinteresse und der organisatorische Ausdruck dieser Höherbewertung.
Der konservative Sinn für die Bindung durch Form und sein nationales
Gewissen fügen den entfalteten Geist der Menschen schichtweise in solche Unier-
ordnungen ein.

In derartigen Gedankengängen etwa, oder genauer gesagt: in derartigen
Stimmungen, die Sehnsucht sind und nach Klarheit streben, bewegt sich heute
das politische Nachsinnen der akademisch Gebildeten in der jüngeren Generation.
Zur jüngeren Generation wären aber gemeinhin auch alle diejenigen zu
rechnen, die noch auf dem Sprunge stehen, die vor dem Kriege in den Dreißigern
waren und damals bei der schwerfälligen Umständlichkeit in der öffentlich an¬
erkannten Bewährung noch nicht zu den "Arrivierten" gehörten. Zu welcher
Partei der eine oder der andere sich hingezogen fühlt, hängt von Herkunft
und Temperament ab, von Zufällen und zuletzt auch von einem gewissen
Überwiegen je eines der gedanklichen Grundbestandteile. Wer besondere Neigung
zu- sozialen Verallgemeinerungen hat, sucht leicht Anschluß bei den jugendlichen
Strömungen in der Demokratie; wer in seinem Innern den konservativen Halt
stärker empfindet, stimmt deutschnational; und wer gar nicht weiß, wo er hin
soll, oder glaubt, in sich selbst schon eine Art Ausgleich gewonnen zu haben,
mag für die Deutsche Volkspartei stimmen. Doch eine jede Partei hat sich
zu sagen, daß sie sich auf diese Anhänger -- ihre besten -- nicht immer
verlassen darf.




Die akademische Jugend und die Parteien

Denn die Synthese ist dies. Sie beruht auf einer Ineinsbildung, gleichsam
auf einer zeugerischen Vereinigung und gegenseitigen Begattung von straff ge¬
spannter konservativer Lebenshaltung und dem. was man Freigesirmthelt nennen
könnte. In einer Hinsicht bedeutet diese Freigesinntheit ungefähr dasselbe wie
liberal, während sie nach der anderen Seite hin um so mehr als das Gegenteil
des Liberalen erscheint. Soweit sie als liberaler Gedanke auftritt, geht sie
daraus aus, das wesenhaft Menschliche in der politischen Person bloßzuleg-n
und wieder in sein Recht einzusetzen. Sie will für die Politik die Energien
erschließen, die nur der Menschenart eigentümlich sind und sich in den Bereichen
des Seelisch-Geistigen vollziehen, und bezweckt eine Entfesselung dieser „humanen",
der frei sich entwickelnden Persönlichkeit aus ihrer intellektuellen Verhaftung in
bloß wirtschaftspolitische Leitbegriffe. Sofern sie indessen liberale Denk¬
richtungen verleugnet, ist es eben der wirtschaftliche Liberalismus, von dem
sie sich lossagt, der übliche Großstadtliberalismus des 19. Jahrhunderts,
das Manchestertum und Freihandelswesen und die Heiligsprechung jener ver¬
einzelten punktuellen Einheiten, die der nackte Erwerbssinn und das private
Interesse sind. Diese freie Gesinnung ist schließlich nichts anderes, als eine
nicht voreingenommene Unbefangenheit gegenüber den sozialen Problemen in der
Wirtschaftlichkeit. Sie will eine Durchdringung des konservativen Lebensstils
mit gemeinwirlschaftlichen Entwicklungen. Hierbei wird unter Gemeinwirtschaft
nicht Sozialismus im Parteisinne verstanden, mit seiner Vergesellschaftung der
Produktionsmittel und Einebnung der Stände durch völlige Ausschaltung der
wirtschaftlichen Persönlichkeitskraft, sondern was darunter verstanden wird, das
ist die grundsätzliche Höherbewertung von Gemeinsamkeitsinteressen gegenüber
dem Einzelinteresse und der organisatorische Ausdruck dieser Höherbewertung.
Der konservative Sinn für die Bindung durch Form und sein nationales
Gewissen fügen den entfalteten Geist der Menschen schichtweise in solche Unier-
ordnungen ein.

In derartigen Gedankengängen etwa, oder genauer gesagt: in derartigen
Stimmungen, die Sehnsucht sind und nach Klarheit streben, bewegt sich heute
das politische Nachsinnen der akademisch Gebildeten in der jüngeren Generation.
Zur jüngeren Generation wären aber gemeinhin auch alle diejenigen zu
rechnen, die noch auf dem Sprunge stehen, die vor dem Kriege in den Dreißigern
waren und damals bei der schwerfälligen Umständlichkeit in der öffentlich an¬
erkannten Bewährung noch nicht zu den „Arrivierten" gehörten. Zu welcher
Partei der eine oder der andere sich hingezogen fühlt, hängt von Herkunft
und Temperament ab, von Zufällen und zuletzt auch von einem gewissen
Überwiegen je eines der gedanklichen Grundbestandteile. Wer besondere Neigung
zu- sozialen Verallgemeinerungen hat, sucht leicht Anschluß bei den jugendlichen
Strömungen in der Demokratie; wer in seinem Innern den konservativen Halt
stärker empfindet, stimmt deutschnational; und wer gar nicht weiß, wo er hin
soll, oder glaubt, in sich selbst schon eine Art Ausgleich gewonnen zu haben,
mag für die Deutsche Volkspartei stimmen. Doch eine jede Partei hat sich
zu sagen, daß sie sich auf diese Anhänger — ihre besten — nicht immer
verlassen darf.




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[0162] Die akademische Jugend und die Parteien Denn die Synthese ist dies. Sie beruht auf einer Ineinsbildung, gleichsam auf einer zeugerischen Vereinigung und gegenseitigen Begattung von straff ge¬ spannter konservativer Lebenshaltung und dem. was man Freigesirmthelt nennen könnte. In einer Hinsicht bedeutet diese Freigesinntheit ungefähr dasselbe wie liberal, während sie nach der anderen Seite hin um so mehr als das Gegenteil des Liberalen erscheint. Soweit sie als liberaler Gedanke auftritt, geht sie daraus aus, das wesenhaft Menschliche in der politischen Person bloßzuleg-n und wieder in sein Recht einzusetzen. Sie will für die Politik die Energien erschließen, die nur der Menschenart eigentümlich sind und sich in den Bereichen des Seelisch-Geistigen vollziehen, und bezweckt eine Entfesselung dieser „humanen", der frei sich entwickelnden Persönlichkeit aus ihrer intellektuellen Verhaftung in bloß wirtschaftspolitische Leitbegriffe. Sofern sie indessen liberale Denk¬ richtungen verleugnet, ist es eben der wirtschaftliche Liberalismus, von dem sie sich lossagt, der übliche Großstadtliberalismus des 19. Jahrhunderts, das Manchestertum und Freihandelswesen und die Heiligsprechung jener ver¬ einzelten punktuellen Einheiten, die der nackte Erwerbssinn und das private Interesse sind. Diese freie Gesinnung ist schließlich nichts anderes, als eine nicht voreingenommene Unbefangenheit gegenüber den sozialen Problemen in der Wirtschaftlichkeit. Sie will eine Durchdringung des konservativen Lebensstils mit gemeinwirlschaftlichen Entwicklungen. Hierbei wird unter Gemeinwirtschaft nicht Sozialismus im Parteisinne verstanden, mit seiner Vergesellschaftung der Produktionsmittel und Einebnung der Stände durch völlige Ausschaltung der wirtschaftlichen Persönlichkeitskraft, sondern was darunter verstanden wird, das ist die grundsätzliche Höherbewertung von Gemeinsamkeitsinteressen gegenüber dem Einzelinteresse und der organisatorische Ausdruck dieser Höherbewertung. Der konservative Sinn für die Bindung durch Form und sein nationales Gewissen fügen den entfalteten Geist der Menschen schichtweise in solche Unier- ordnungen ein. In derartigen Gedankengängen etwa, oder genauer gesagt: in derartigen Stimmungen, die Sehnsucht sind und nach Klarheit streben, bewegt sich heute das politische Nachsinnen der akademisch Gebildeten in der jüngeren Generation. Zur jüngeren Generation wären aber gemeinhin auch alle diejenigen zu rechnen, die noch auf dem Sprunge stehen, die vor dem Kriege in den Dreißigern waren und damals bei der schwerfälligen Umständlichkeit in der öffentlich an¬ erkannten Bewährung noch nicht zu den „Arrivierten" gehörten. Zu welcher Partei der eine oder der andere sich hingezogen fühlt, hängt von Herkunft und Temperament ab, von Zufällen und zuletzt auch von einem gewissen Überwiegen je eines der gedanklichen Grundbestandteile. Wer besondere Neigung zu- sozialen Verallgemeinerungen hat, sucht leicht Anschluß bei den jugendlichen Strömungen in der Demokratie; wer in seinem Innern den konservativen Halt stärker empfindet, stimmt deutschnational; und wer gar nicht weiß, wo er hin soll, oder glaubt, in sich selbst schon eine Art Ausgleich gewonnen zu haben, mag für die Deutsche Volkspartei stimmen. Doch eine jede Partei hat sich zu sagen, daß sie sich auf diese Anhänger — ihre besten — nicht immer verlassen darf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/162>, abgerufen am 15.01.2025.