Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Die akademische Zugend und die Parteien das ewige Geklapper der "Betriebe", das man immer hervorhört, mitsamt den Man hat sich so ziemlich daran gewöhnt, die Jahrzehnte vor dem Kriege Professor Dr. Fritz Härtung, "Zusammenbruch und Wiederaufbau". Grenzboten
Ur. SV (1919). Die akademische Zugend und die Parteien das ewige Geklapper der „Betriebe", das man immer hervorhört, mitsamt den Man hat sich so ziemlich daran gewöhnt, die Jahrzehnte vor dem Kriege Professor Dr. Fritz Härtung, „Zusammenbruch und Wiederaufbau". Grenzboten
Ur. SV (1919). <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0159" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336449"/> <fw type="header" place="top"> Die akademische Zugend und die Parteien</fw><lb/> <p xml:id="ID_539" prev="#ID_538"> das ewige Geklapper der „Betriebe", das man immer hervorhört, mitsamt den<lb/> Vertrauensorganisationen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber beim besten<lb/> Willen nicht völlig genüge tun. Der industriewirtschaftliche Sinn des Plans<lb/> einer solchen Arbeitsgemeinschaft sei in seiner produktiven Bedeutung ganz un¬<lb/> versehrt. Diese Bedeutung gelangt am hellsten in den Worten zum Ausdruck:<lb/> Unsere Industrie steht ähnlich wie die Landwirtschaft vor hundert Jahren in<lb/> der Zeit der Bauernbefreiung vor der Aufgabe, sich eine neue Betriebsver¬<lb/> fassung zu geben.Aber ein Bewegungsversuch, der hiervon, obschon er es<lb/> auf das Geschlecht der Jmigakademiker absieht, seine Handhaben nimmt, der<lb/> mit seiner Eharakterrichtung von der Wirtschaftspolitik ausgeht und in ihr<lb/> stecken bleiben muß, trifft überhaupt dasjenige nicht, worauf es der studierenden<lb/> Jugend hauptsächlich ankommt. Denn ihre geheimste Inbrunst wird nicht ge¬<lb/> stillt: die selbstlose Reinheit ihres Grams um das nationale Geschick. Für die<lb/> Jüngeren selber mag so etwas unvorteilhaft sein. Aber wäre es anders,<lb/> dann wären die Studenten nicht so, wie sie sind und sein müssen: edel<lb/> und jung.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_540" next="#ID_541"> Man hat sich so ziemlich daran gewöhnt, die Jahrzehnte vor dem Kriege<lb/> das wilhelminische Zeitalter zu nennen. Nicht nur wird das Ende dieser Epoche<lb/> scharf abgeschnitten durch den Zusammenbruch und die Revolution, sondern mit<lb/> seinen zeitlichen Anfängen unterscheidet es sich ebenso fühlbar von den schlichterer<lb/> Stimmungstönen der Jahrgänge unter dem al-.en Kaiser und Bismarck. Das<lb/> wilhelminische Zeitalter hat seinen eigenen Stimmungston und Charakter. Er<lb/> bestand gewissermaßen ans einer auf den Pomp dressierten Nüchternheit in der<lb/> Geltung des Massenhaften. Oft genug wurde er geschildert: mit seiner Vor¬<lb/> herrschaft der weit sichtbaren und zugleich schnellen Erfolge und Entwertung<lb/> des Geistigen, das langsam und verborgen gedeiht; mit seiner Verdinglichung<lb/> der Zwecke und Verkettung des menschlichen Lebenssinnes in das ineinander¬<lb/> greifende und stets wieder in sich selbst zurückgehende Gestänge der überall<lb/> durchgeführten Struktur dieses ganz dinghaft gewordenen Daseins. Man könnte<lb/> geradezu von einer bestimmten „Mentalität" der Menschen im wilhelminischen<lb/> Zeitalter sprechen. Diese Mentalität des wilhelminischen Menschen bedeutet ein<lb/> Eingestelltsein auf den Effekt, auf das Sichtbare und Anschauliche, auf das,<lb/> was man sehen und anfassen kann und was sich statistisch feststellen und nach¬<lb/> zählen läßt. Sie war ein vollkommenes Aufgehen in die Abhängigkeit von<lb/> materiellen Zweckbegriffen mit ihrem Nutzen um des Nutzens willen und vom<lb/> Prunk der Ergebnisse; und gleichzeitig war sie ein vollkommenes Aufgehen in<lb/> Zusammenfassung, Steigerung und wieder Zusammenfassung von Arbeit mit<lb/> Entselbständioung des persönlichen Handelns, wodurch jene Ergebnisse überhaupt<lb/> erst erreicht und als Macht des Tatsächlichen gleichsam ausgestellt werden<lb/> konnten. Die menschliche Natur hatte sich einer Selbstauffübrung dieser Macht<lb/> der Tatsächlichkeit unterworfen und damit entleert. Sie stieg freilich auf in<lb/> die schwelgerische Verherrlichung der Höhen von Ziffern und einer Totalität<lb/> von Einzelheiten und stofflichen Wirkungen, doch dahinter verschwanden die<lb/> Einheit des geistigen Geschehens und das seelenvolle Gefühl. Der „Sinn"<lb/> des Lebens in dessen unwiederbringlicher Einmaligkeit hat gefehlt; und es hat<lb/> gefehlt das kostbarste Erbgut der Deutschen, die keusche Sachlichkeit des ideen-</p><lb/> <note xml:id="FID_11" place="foot"> Professor Dr. Fritz Härtung, „Zusammenbruch und Wiederaufbau". Grenzboten<lb/> Ur. SV (1919).</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0159]
Die akademische Zugend und die Parteien
das ewige Geklapper der „Betriebe", das man immer hervorhört, mitsamt den
Vertrauensorganisationen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber beim besten
Willen nicht völlig genüge tun. Der industriewirtschaftliche Sinn des Plans
einer solchen Arbeitsgemeinschaft sei in seiner produktiven Bedeutung ganz un¬
versehrt. Diese Bedeutung gelangt am hellsten in den Worten zum Ausdruck:
Unsere Industrie steht ähnlich wie die Landwirtschaft vor hundert Jahren in
der Zeit der Bauernbefreiung vor der Aufgabe, sich eine neue Betriebsver¬
fassung zu geben.Aber ein Bewegungsversuch, der hiervon, obschon er es
auf das Geschlecht der Jmigakademiker absieht, seine Handhaben nimmt, der
mit seiner Eharakterrichtung von der Wirtschaftspolitik ausgeht und in ihr
stecken bleiben muß, trifft überhaupt dasjenige nicht, worauf es der studierenden
Jugend hauptsächlich ankommt. Denn ihre geheimste Inbrunst wird nicht ge¬
stillt: die selbstlose Reinheit ihres Grams um das nationale Geschick. Für die
Jüngeren selber mag so etwas unvorteilhaft sein. Aber wäre es anders,
dann wären die Studenten nicht so, wie sie sind und sein müssen: edel
und jung.
Man hat sich so ziemlich daran gewöhnt, die Jahrzehnte vor dem Kriege
das wilhelminische Zeitalter zu nennen. Nicht nur wird das Ende dieser Epoche
scharf abgeschnitten durch den Zusammenbruch und die Revolution, sondern mit
seinen zeitlichen Anfängen unterscheidet es sich ebenso fühlbar von den schlichterer
Stimmungstönen der Jahrgänge unter dem al-.en Kaiser und Bismarck. Das
wilhelminische Zeitalter hat seinen eigenen Stimmungston und Charakter. Er
bestand gewissermaßen ans einer auf den Pomp dressierten Nüchternheit in der
Geltung des Massenhaften. Oft genug wurde er geschildert: mit seiner Vor¬
herrschaft der weit sichtbaren und zugleich schnellen Erfolge und Entwertung
des Geistigen, das langsam und verborgen gedeiht; mit seiner Verdinglichung
der Zwecke und Verkettung des menschlichen Lebenssinnes in das ineinander¬
greifende und stets wieder in sich selbst zurückgehende Gestänge der überall
durchgeführten Struktur dieses ganz dinghaft gewordenen Daseins. Man könnte
geradezu von einer bestimmten „Mentalität" der Menschen im wilhelminischen
Zeitalter sprechen. Diese Mentalität des wilhelminischen Menschen bedeutet ein
Eingestelltsein auf den Effekt, auf das Sichtbare und Anschauliche, auf das,
was man sehen und anfassen kann und was sich statistisch feststellen und nach¬
zählen läßt. Sie war ein vollkommenes Aufgehen in die Abhängigkeit von
materiellen Zweckbegriffen mit ihrem Nutzen um des Nutzens willen und vom
Prunk der Ergebnisse; und gleichzeitig war sie ein vollkommenes Aufgehen in
Zusammenfassung, Steigerung und wieder Zusammenfassung von Arbeit mit
Entselbständioung des persönlichen Handelns, wodurch jene Ergebnisse überhaupt
erst erreicht und als Macht des Tatsächlichen gleichsam ausgestellt werden
konnten. Die menschliche Natur hatte sich einer Selbstauffübrung dieser Macht
der Tatsächlichkeit unterworfen und damit entleert. Sie stieg freilich auf in
die schwelgerische Verherrlichung der Höhen von Ziffern und einer Totalität
von Einzelheiten und stofflichen Wirkungen, doch dahinter verschwanden die
Einheit des geistigen Geschehens und das seelenvolle Gefühl. Der „Sinn"
des Lebens in dessen unwiederbringlicher Einmaligkeit hat gefehlt; und es hat
gefehlt das kostbarste Erbgut der Deutschen, die keusche Sachlichkeit des ideen-
Professor Dr. Fritz Härtung, „Zusammenbruch und Wiederaufbau". Grenzboten
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