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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Frankreich und Deutschsand

und Weist immer wieder darauf hin, das? Deutschland noch auf Jahre hinaus über
Millionen ausgebildeter Maimschaflen verfügt. Man fürchtet, immer von der
"Freiheit" bestärkt, das; die Einwohnerwehren oder die Polizeilruppe neue Vor¬
schulen für den Heeresdienst werden könnten, die dann sofort in die durch die
Reichswehr vorbereiteten Kadres einspringen könnte. Und immer, so folgert
man, wird Frankreich den ersten Stoß auszuhalten haben. Es liegt hier, völker¬
psychologisch, ein Tick vor, der den Franzosen nicht auszureden ist und jetzt erst
kann man ermessen, in welchem Grade der deutscke Vormarsch von 1914 das
Land erschreckt haben mich. Völkerpsychologisch ist aber noch ein anderer Punkt
lehrreich. Die Parlament?debatie beweist nämlich, wie selbst auf gebildete
Menschen einfache, leicht faßliche Formulierungen einen unvergleichlich stärkeren
Eindruck machen, als komplizierte. Das wirklich Erdrückende des Vertrages: die
finanziellen und wirtschaftlichen Bestimmungen ist niemandem wirklich 'ingegangen,
kann nur von ganz wenigem Sachverständigen klar durchdacht und erfaßt werden.
Die politische Konzeption des Durchschnittsmenschen, über den ja auch die meisten Parla¬
mentarier nicht hinausragen, kommt über das Geographische nicht weg. Alle Propa¬
ganda cirbcilet mit Landkaiten. Zoll- und Ausfuhrbestimmungen, Schuldentilgung
und Jnternotivnalisierurig von Schiffahrtsstraßen sind für die meisten Menschen
böhmische Dörfer, aber die Rheingrcnze. das ist etwas, was auch dem dümmsten
Muschkoten eingeht. So und so viel Land abgenommen, das rührt tief versteckte
Uikräsle des svldatenspielenden Knaben, des landgierigen Bauernabtömmlings
auf, ein Fluß als Grenze scheint eine unverrückbare Tatsache. Grenze scheint
hier mit Ewiggesetzlichem zusammenzufallen. Es ist nicht wahr, daß der Rhein
strategisch eine zuverlässige Grenze bildet, die Geschichte beweist das Gegenteil, aber die
Rheingrenze ist ein französisches Nationalidcal und der Franzose wird es nie
verwinden, daß es ihm mit oll den schweren Opfern dieses Krieges nicht gelang,
dieses Ideal zur Wiiklichkeit zu machen, an dem nicht nur der einfache holz¬
geschnitzte Verstand der Mlilärs. sondern das ganze Volk hängt und es ist
bezeichnend genug, dasz kein französischer Sozialist es gewagt hat. gegen die
Vergewaltigung deutscher Rheinländer oder auch nur der verzweifelt sich wehren¬
den Elsaß-Loihringer durch das französische Militärregiment, dem das belgische
fleißig zur Hand geht, ernsthaft und nachdrücklich Einspruch zu erheben. Die
Franzosen, die ins Elsaß einrückien, fielen aus allen Wolken, als sie überall deutsch
reden hörten, sie werden sich auch durch die Tatsachen nicht von der fest-
eingewurzelten Überzeugung abbringen lassen, daß auf dem linken Rheinufer
reine Franzosen sitzen und wo es gar nicht anders geht, wie im Rheinland, hilft
man sich mindestens mit der Annahme, daß das im Grunde stammverwandte
Kelten seien, die nur mit Gewalt verpreußt worden seien. Maurice Barros war
im Rheinland als Dr. Dorten seinen ersten Loslösungeversuch machte, und seiner
großen Kammerrede über die künftige Rheinpolitik Frankreichs merkt man deutlich
die erstaunte Enttäuschung an, daß dieser Versuch so völlig scheitern konnte. Er
weiß natürlich recht gut, daß die Rheinländer keine Franzosen sind, sprach daS
auch offen aus und behauptete lediglich, das Rheinland müßte ein Vermittlungs¬
glied, eine Art kultureller Pufferstaat werden, aber Gefühl, Wunsch und Phantasie
werden doch sowohl ihn wie seine Landsleute stets überreden, daß eigentlich und
im Grunde genommen alles was linksrheinisch ist, französisch ist oder sein müßte.

Dieser Punkt bedarf unserer höchsten Aufmerksamkeit. Die Franzosen werden
alles tun, um die jetzt von ihnen besetzt gehaltenen Gebiete behalten zu können
und die von unserer Seite bei allem guten Willen unvermeidlichen Verstöße gegen
die pünktliche Ausführung des Friedensvertrages werden ihnen stets neuen Anlaß
zu zeitlicher Ausdehnung ihrer "Sicherheiten" geben. Daß sie die Besetzungszone noch
erweitern, ist nicht anzunehmen, aber eben so wenig, daß sie nach fünf
Jahren tatsächlich mit der Räumung beginnen werden. Die jüngsten Ereignisse
der Weltgeschichte haben uns hinreichend darüber belehrt, wie bald eine "Volks"-
bewegung zugunsten einer Selbständigkeit oder Angliederung geschaffen ist und
sobald erst wirtschaftliche Bildungen eingetreten oder festgeworden sind, sind Ver¬
änderungen der politischen Verhältnisse immer mit Schwierigkeiten verbunden. Wir


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und Weist immer wieder darauf hin, das? Deutschland noch auf Jahre hinaus über
Millionen ausgebildeter Maimschaflen verfügt. Man fürchtet, immer von der
„Freiheit" bestärkt, das; die Einwohnerwehren oder die Polizeilruppe neue Vor¬
schulen für den Heeresdienst werden könnten, die dann sofort in die durch die
Reichswehr vorbereiteten Kadres einspringen könnte. Und immer, so folgert
man, wird Frankreich den ersten Stoß auszuhalten haben. Es liegt hier, völker¬
psychologisch, ein Tick vor, der den Franzosen nicht auszureden ist und jetzt erst
kann man ermessen, in welchem Grade der deutscke Vormarsch von 1914 das
Land erschreckt haben mich. Völkerpsychologisch ist aber noch ein anderer Punkt
lehrreich. Die Parlament?debatie beweist nämlich, wie selbst auf gebildete
Menschen einfache, leicht faßliche Formulierungen einen unvergleichlich stärkeren
Eindruck machen, als komplizierte. Das wirklich Erdrückende des Vertrages: die
finanziellen und wirtschaftlichen Bestimmungen ist niemandem wirklich 'ingegangen,
kann nur von ganz wenigem Sachverständigen klar durchdacht und erfaßt werden.
Die politische Konzeption des Durchschnittsmenschen, über den ja auch die meisten Parla¬
mentarier nicht hinausragen, kommt über das Geographische nicht weg. Alle Propa¬
ganda cirbcilet mit Landkaiten. Zoll- und Ausfuhrbestimmungen, Schuldentilgung
und Jnternotivnalisierurig von Schiffahrtsstraßen sind für die meisten Menschen
böhmische Dörfer, aber die Rheingrcnze. das ist etwas, was auch dem dümmsten
Muschkoten eingeht. So und so viel Land abgenommen, das rührt tief versteckte
Uikräsle des svldatenspielenden Knaben, des landgierigen Bauernabtömmlings
auf, ein Fluß als Grenze scheint eine unverrückbare Tatsache. Grenze scheint
hier mit Ewiggesetzlichem zusammenzufallen. Es ist nicht wahr, daß der Rhein
strategisch eine zuverlässige Grenze bildet, die Geschichte beweist das Gegenteil, aber die
Rheingrenze ist ein französisches Nationalidcal und der Franzose wird es nie
verwinden, daß es ihm mit oll den schweren Opfern dieses Krieges nicht gelang,
dieses Ideal zur Wiiklichkeit zu machen, an dem nicht nur der einfache holz¬
geschnitzte Verstand der Mlilärs. sondern das ganze Volk hängt und es ist
bezeichnend genug, dasz kein französischer Sozialist es gewagt hat. gegen die
Vergewaltigung deutscher Rheinländer oder auch nur der verzweifelt sich wehren¬
den Elsaß-Loihringer durch das französische Militärregiment, dem das belgische
fleißig zur Hand geht, ernsthaft und nachdrücklich Einspruch zu erheben. Die
Franzosen, die ins Elsaß einrückien, fielen aus allen Wolken, als sie überall deutsch
reden hörten, sie werden sich auch durch die Tatsachen nicht von der fest-
eingewurzelten Überzeugung abbringen lassen, daß auf dem linken Rheinufer
reine Franzosen sitzen und wo es gar nicht anders geht, wie im Rheinland, hilft
man sich mindestens mit der Annahme, daß das im Grunde stammverwandte
Kelten seien, die nur mit Gewalt verpreußt worden seien. Maurice Barros war
im Rheinland als Dr. Dorten seinen ersten Loslösungeversuch machte, und seiner
großen Kammerrede über die künftige Rheinpolitik Frankreichs merkt man deutlich
die erstaunte Enttäuschung an, daß dieser Versuch so völlig scheitern konnte. Er
weiß natürlich recht gut, daß die Rheinländer keine Franzosen sind, sprach daS
auch offen aus und behauptete lediglich, das Rheinland müßte ein Vermittlungs¬
glied, eine Art kultureller Pufferstaat werden, aber Gefühl, Wunsch und Phantasie
werden doch sowohl ihn wie seine Landsleute stets überreden, daß eigentlich und
im Grunde genommen alles was linksrheinisch ist, französisch ist oder sein müßte.

Dieser Punkt bedarf unserer höchsten Aufmerksamkeit. Die Franzosen werden
alles tun, um die jetzt von ihnen besetzt gehaltenen Gebiete behalten zu können
und die von unserer Seite bei allem guten Willen unvermeidlichen Verstöße gegen
die pünktliche Ausführung des Friedensvertrages werden ihnen stets neuen Anlaß
zu zeitlicher Ausdehnung ihrer „Sicherheiten" geben. Daß sie die Besetzungszone noch
erweitern, ist nicht anzunehmen, aber eben so wenig, daß sie nach fünf
Jahren tatsächlich mit der Räumung beginnen werden. Die jüngsten Ereignisse
der Weltgeschichte haben uns hinreichend darüber belehrt, wie bald eine „Volks"-
bewegung zugunsten einer Selbständigkeit oder Angliederung geschaffen ist und
sobald erst wirtschaftliche Bildungen eingetreten oder festgeworden sind, sind Ver¬
änderungen der politischen Verhältnisse immer mit Schwierigkeiten verbunden. Wir


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[0146] Frankreich und Deutschsand und Weist immer wieder darauf hin, das? Deutschland noch auf Jahre hinaus über Millionen ausgebildeter Maimschaflen verfügt. Man fürchtet, immer von der „Freiheit" bestärkt, das; die Einwohnerwehren oder die Polizeilruppe neue Vor¬ schulen für den Heeresdienst werden könnten, die dann sofort in die durch die Reichswehr vorbereiteten Kadres einspringen könnte. Und immer, so folgert man, wird Frankreich den ersten Stoß auszuhalten haben. Es liegt hier, völker¬ psychologisch, ein Tick vor, der den Franzosen nicht auszureden ist und jetzt erst kann man ermessen, in welchem Grade der deutscke Vormarsch von 1914 das Land erschreckt haben mich. Völkerpsychologisch ist aber noch ein anderer Punkt lehrreich. Die Parlament?debatie beweist nämlich, wie selbst auf gebildete Menschen einfache, leicht faßliche Formulierungen einen unvergleichlich stärkeren Eindruck machen, als komplizierte. Das wirklich Erdrückende des Vertrages: die finanziellen und wirtschaftlichen Bestimmungen ist niemandem wirklich 'ingegangen, kann nur von ganz wenigem Sachverständigen klar durchdacht und erfaßt werden. Die politische Konzeption des Durchschnittsmenschen, über den ja auch die meisten Parla¬ mentarier nicht hinausragen, kommt über das Geographische nicht weg. Alle Propa¬ ganda cirbcilet mit Landkaiten. Zoll- und Ausfuhrbestimmungen, Schuldentilgung und Jnternotivnalisierurig von Schiffahrtsstraßen sind für die meisten Menschen böhmische Dörfer, aber die Rheingrcnze. das ist etwas, was auch dem dümmsten Muschkoten eingeht. So und so viel Land abgenommen, das rührt tief versteckte Uikräsle des svldatenspielenden Knaben, des landgierigen Bauernabtömmlings auf, ein Fluß als Grenze scheint eine unverrückbare Tatsache. Grenze scheint hier mit Ewiggesetzlichem zusammenzufallen. Es ist nicht wahr, daß der Rhein strategisch eine zuverlässige Grenze bildet, die Geschichte beweist das Gegenteil, aber die Rheingrenze ist ein französisches Nationalidcal und der Franzose wird es nie verwinden, daß es ihm mit oll den schweren Opfern dieses Krieges nicht gelang, dieses Ideal zur Wiiklichkeit zu machen, an dem nicht nur der einfache holz¬ geschnitzte Verstand der Mlilärs. sondern das ganze Volk hängt und es ist bezeichnend genug, dasz kein französischer Sozialist es gewagt hat. gegen die Vergewaltigung deutscher Rheinländer oder auch nur der verzweifelt sich wehren¬ den Elsaß-Loihringer durch das französische Militärregiment, dem das belgische fleißig zur Hand geht, ernsthaft und nachdrücklich Einspruch zu erheben. Die Franzosen, die ins Elsaß einrückien, fielen aus allen Wolken, als sie überall deutsch reden hörten, sie werden sich auch durch die Tatsachen nicht von der fest- eingewurzelten Überzeugung abbringen lassen, daß auf dem linken Rheinufer reine Franzosen sitzen und wo es gar nicht anders geht, wie im Rheinland, hilft man sich mindestens mit der Annahme, daß das im Grunde stammverwandte Kelten seien, die nur mit Gewalt verpreußt worden seien. Maurice Barros war im Rheinland als Dr. Dorten seinen ersten Loslösungeversuch machte, und seiner großen Kammerrede über die künftige Rheinpolitik Frankreichs merkt man deutlich die erstaunte Enttäuschung an, daß dieser Versuch so völlig scheitern konnte. Er weiß natürlich recht gut, daß die Rheinländer keine Franzosen sind, sprach daS auch offen aus und behauptete lediglich, das Rheinland müßte ein Vermittlungs¬ glied, eine Art kultureller Pufferstaat werden, aber Gefühl, Wunsch und Phantasie werden doch sowohl ihn wie seine Landsleute stets überreden, daß eigentlich und im Grunde genommen alles was linksrheinisch ist, französisch ist oder sein müßte. Dieser Punkt bedarf unserer höchsten Aufmerksamkeit. Die Franzosen werden alles tun, um die jetzt von ihnen besetzt gehaltenen Gebiete behalten zu können und die von unserer Seite bei allem guten Willen unvermeidlichen Verstöße gegen die pünktliche Ausführung des Friedensvertrages werden ihnen stets neuen Anlaß zu zeitlicher Ausdehnung ihrer „Sicherheiten" geben. Daß sie die Besetzungszone noch erweitern, ist nicht anzunehmen, aber eben so wenig, daß sie nach fünf Jahren tatsächlich mit der Räumung beginnen werden. Die jüngsten Ereignisse der Weltgeschichte haben uns hinreichend darüber belehrt, wie bald eine „Volks"- bewegung zugunsten einer Selbständigkeit oder Angliederung geschaffen ist und sobald erst wirtschaftliche Bildungen eingetreten oder festgeworden sind, sind Ver¬ änderungen der politischen Verhältnisse immer mit Schwierigkeiten verbunden. Wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/146>, abgerufen am 15.01.2025.