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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Brauchen wir ein Reichssprachamt?

unaufdringlich in den Bahnen sinnvoll-zweckmätziger Ordnung gehalten werden.
Wenn diese Art der Regelung mitunter zu einem immerhin denkbaren Kampf
zwischen den Entscheidungen des Sprachamts und dem allgemeinen Sprach¬
gebrauch führen sollte, so kann wohl angenommen werden, daß in den meisten
Fällen die besonnenen und aus den erkannten Gesetzlichkeiten der deutschen Sprache
stammenden Entscheidungen des Sprachamts den Sieg davontragen werden; sollte
es aber dennoch im einen oder anderen Falle anders kommen, sollte einmal ein
vom Sprachamt bekämpfter Sprachgebrauch sich als unüberwindlich erweisen und
der Bevölkerung sozusagen in Fleisch und Blut übergehen -- nennen wir als
Beispiel solcher Möglichkeit etwa die Verbindung von "wegen" oder "während"
mit dem dritten Fall, die ohnedies gegenüber der bis jetzt allein schriftgemäßen
Verbindungsweise manche Vorteile bieten würde -- nun, so könnte auch einmal
das Reichsjprachamt der Klügere sein und in solchem Falle den bekämpften
Sprachgebrauch als zulässig gelten lassen. Auch das wäre ja gegenüber dem
Zustand völliger Unklarheit, den wir heute so häufig feststellen müssen, ein erheb¬
licher Vorteil.

Es braucht kaum betont zu werden, daß diese Tätigkeit des Reichssprach¬
amts notwendig auch der Erkenntnis der feineren Gesetzlichkeiten der deutschen
Sprache Nutzen bringen müßte, der bisher von feiten unserer Deutschforschimg
unzweifelhaft nicht die nötige Beachtung zuteil wurde. Als Beispiel sei hier uur
die Frage des richtigen Gebrauchs des Binde-s oder -es bei der Wortzusammen¬
setzung genannt, die wie so manche andere Frage der inneren Wortgestaltung
bisher noch keine ausreichende Beantwortung gefunden hat.

Daß die möglichste Reinigung der deutschen Sprache -- zunächst der Amts¬
sprache -- vou Fremdwörtern eine weitere wichtige Aufgabe des Reichssprachamts
sein muß, ist selbstverständlich; und es ist wahrlich kein kleiner Kreis von Auf¬
gaben, der ihm damit zugewiesen wird. Man kann dabei sehr wohl zwischen
älteren, fester wurzelnden und jüngeren, lockerer haftenden Fremdwörtern unter¬
scheiden und zunächst einmal mit diesen -- also etwa Wörtern wie Creme, Kourier.
Kurs, Zentrale, Mission usw., die schlankweg und in vollem Umfang ihrer An¬
wendung durch längst vorhandene deutsche Wörter ersetzt werden können -- den
Anfang machen, um dann zu dem mehr inneren und stärker in das Sprachbewußtsein
eingedrungenen Kreise vorzudringen, der zum großen Teil erst durch sprachliche
Neuschöpfungen und Neuaufnahmen aus unserer Sprache wird verdrängt werden
können; und auch diese Aufgabe wird natürlicherweise dem Reichssprachamt nicht
an letzter Stelle zufallen müssen. Es soll damit nicht g-Saat sein, das das Reichs¬
sprachamt ausschließlich von sich aus möglichst viele Ersatzbildungen für Fremd¬
wörter schaffen soll; wohl aber, daß es nach allen Seilen sowohl in der noch
lange nicht genügend ausgeschöpften älteren Sprache wie in den Mundarten --
auch der österreichischen und schweizerischen --. in den Sprachen der einzelnen
Stände und Berufe wie im zeitgenössischen Schrifttum nach bereits vorhandenen
guten Entsprechungen für heute übliche Fremdwörter Umschau halten und sie nach
Möglichkeit an deren Stelle in den Sprachgebrauch des Reiches einführen soll;
sollten ihm freilich etwa gute Neuschöpfungen und sonstige brauchbare Vorschläge zur
Hebung der Ausdrucksfähigkeit unserer Sprache dargeboten werden, so mag es auch
diese prüfen und je nach Befund dein Sprachschatz des Reiches einverleiben. So und nur
so können wir hoffen, daß die Reinigung der deutschen Sprache von den sie heute noch
überwuchernden fremdivörtlichen Entlehnungen, an der bis jetzt im großen und ganzen
vergebens gearbeitet worden ist, in großem Umfang und mit durchgreifenden Erfolg in
Angriff genommen und durchgeführt wird werden können. Zum Umkreis dieser
Aufgabe wird auch die Sorge dafür gehören müssen, daß in jenen Fällen, in
denen fremdsprachige Wörter von unseren Neichsbehörden übersetzt werden müssen,
dies nicht immer in so unzureichender und oft geradezu falscher Weise geschieht
wie bisher: daß also eine "Mlerie nationale" nicht immer eine "Nationalgalerie"
genannt, das "laeue" nicht immer mit "feige", "sin" nicht immer mit "Ende"?
"le moral" nicht immer mit "die Moral", "net" nicht immer mit "nett"
wiedergegeben wird usw.


Brauchen wir ein Reichssprachamt?

unaufdringlich in den Bahnen sinnvoll-zweckmätziger Ordnung gehalten werden.
Wenn diese Art der Regelung mitunter zu einem immerhin denkbaren Kampf
zwischen den Entscheidungen des Sprachamts und dem allgemeinen Sprach¬
gebrauch führen sollte, so kann wohl angenommen werden, daß in den meisten
Fällen die besonnenen und aus den erkannten Gesetzlichkeiten der deutschen Sprache
stammenden Entscheidungen des Sprachamts den Sieg davontragen werden; sollte
es aber dennoch im einen oder anderen Falle anders kommen, sollte einmal ein
vom Sprachamt bekämpfter Sprachgebrauch sich als unüberwindlich erweisen und
der Bevölkerung sozusagen in Fleisch und Blut übergehen — nennen wir als
Beispiel solcher Möglichkeit etwa die Verbindung von „wegen" oder „während"
mit dem dritten Fall, die ohnedies gegenüber der bis jetzt allein schriftgemäßen
Verbindungsweise manche Vorteile bieten würde — nun, so könnte auch einmal
das Reichsjprachamt der Klügere sein und in solchem Falle den bekämpften
Sprachgebrauch als zulässig gelten lassen. Auch das wäre ja gegenüber dem
Zustand völliger Unklarheit, den wir heute so häufig feststellen müssen, ein erheb¬
licher Vorteil.

Es braucht kaum betont zu werden, daß diese Tätigkeit des Reichssprach¬
amts notwendig auch der Erkenntnis der feineren Gesetzlichkeiten der deutschen
Sprache Nutzen bringen müßte, der bisher von feiten unserer Deutschforschimg
unzweifelhaft nicht die nötige Beachtung zuteil wurde. Als Beispiel sei hier uur
die Frage des richtigen Gebrauchs des Binde-s oder -es bei der Wortzusammen¬
setzung genannt, die wie so manche andere Frage der inneren Wortgestaltung
bisher noch keine ausreichende Beantwortung gefunden hat.

Daß die möglichste Reinigung der deutschen Sprache — zunächst der Amts¬
sprache — vou Fremdwörtern eine weitere wichtige Aufgabe des Reichssprachamts
sein muß, ist selbstverständlich; und es ist wahrlich kein kleiner Kreis von Auf¬
gaben, der ihm damit zugewiesen wird. Man kann dabei sehr wohl zwischen
älteren, fester wurzelnden und jüngeren, lockerer haftenden Fremdwörtern unter¬
scheiden und zunächst einmal mit diesen — also etwa Wörtern wie Creme, Kourier.
Kurs, Zentrale, Mission usw., die schlankweg und in vollem Umfang ihrer An¬
wendung durch längst vorhandene deutsche Wörter ersetzt werden können — den
Anfang machen, um dann zu dem mehr inneren und stärker in das Sprachbewußtsein
eingedrungenen Kreise vorzudringen, der zum großen Teil erst durch sprachliche
Neuschöpfungen und Neuaufnahmen aus unserer Sprache wird verdrängt werden
können; und auch diese Aufgabe wird natürlicherweise dem Reichssprachamt nicht
an letzter Stelle zufallen müssen. Es soll damit nicht g-Saat sein, das das Reichs¬
sprachamt ausschließlich von sich aus möglichst viele Ersatzbildungen für Fremd¬
wörter schaffen soll; wohl aber, daß es nach allen Seilen sowohl in der noch
lange nicht genügend ausgeschöpften älteren Sprache wie in den Mundarten —
auch der österreichischen und schweizerischen —. in den Sprachen der einzelnen
Stände und Berufe wie im zeitgenössischen Schrifttum nach bereits vorhandenen
guten Entsprechungen für heute übliche Fremdwörter Umschau halten und sie nach
Möglichkeit an deren Stelle in den Sprachgebrauch des Reiches einführen soll;
sollten ihm freilich etwa gute Neuschöpfungen und sonstige brauchbare Vorschläge zur
Hebung der Ausdrucksfähigkeit unserer Sprache dargeboten werden, so mag es auch
diese prüfen und je nach Befund dein Sprachschatz des Reiches einverleiben. So und nur
so können wir hoffen, daß die Reinigung der deutschen Sprache von den sie heute noch
überwuchernden fremdivörtlichen Entlehnungen, an der bis jetzt im großen und ganzen
vergebens gearbeitet worden ist, in großem Umfang und mit durchgreifenden Erfolg in
Angriff genommen und durchgeführt wird werden können. Zum Umkreis dieser
Aufgabe wird auch die Sorge dafür gehören müssen, daß in jenen Fällen, in
denen fremdsprachige Wörter von unseren Neichsbehörden übersetzt werden müssen,
dies nicht immer in so unzureichender und oft geradezu falscher Weise geschieht
wie bisher: daß also eine „Mlerie nationale" nicht immer eine „Nationalgalerie"
genannt, das „laeue" nicht immer mit „feige", „sin" nicht immer mit „Ende"?
„le moral" nicht immer mit „die Moral", „net" nicht immer mit „nett"
wiedergegeben wird usw.


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[0118] Brauchen wir ein Reichssprachamt? unaufdringlich in den Bahnen sinnvoll-zweckmätziger Ordnung gehalten werden. Wenn diese Art der Regelung mitunter zu einem immerhin denkbaren Kampf zwischen den Entscheidungen des Sprachamts und dem allgemeinen Sprach¬ gebrauch führen sollte, so kann wohl angenommen werden, daß in den meisten Fällen die besonnenen und aus den erkannten Gesetzlichkeiten der deutschen Sprache stammenden Entscheidungen des Sprachamts den Sieg davontragen werden; sollte es aber dennoch im einen oder anderen Falle anders kommen, sollte einmal ein vom Sprachamt bekämpfter Sprachgebrauch sich als unüberwindlich erweisen und der Bevölkerung sozusagen in Fleisch und Blut übergehen — nennen wir als Beispiel solcher Möglichkeit etwa die Verbindung von „wegen" oder „während" mit dem dritten Fall, die ohnedies gegenüber der bis jetzt allein schriftgemäßen Verbindungsweise manche Vorteile bieten würde — nun, so könnte auch einmal das Reichsjprachamt der Klügere sein und in solchem Falle den bekämpften Sprachgebrauch als zulässig gelten lassen. Auch das wäre ja gegenüber dem Zustand völliger Unklarheit, den wir heute so häufig feststellen müssen, ein erheb¬ licher Vorteil. Es braucht kaum betont zu werden, daß diese Tätigkeit des Reichssprach¬ amts notwendig auch der Erkenntnis der feineren Gesetzlichkeiten der deutschen Sprache Nutzen bringen müßte, der bisher von feiten unserer Deutschforschimg unzweifelhaft nicht die nötige Beachtung zuteil wurde. Als Beispiel sei hier uur die Frage des richtigen Gebrauchs des Binde-s oder -es bei der Wortzusammen¬ setzung genannt, die wie so manche andere Frage der inneren Wortgestaltung bisher noch keine ausreichende Beantwortung gefunden hat. Daß die möglichste Reinigung der deutschen Sprache — zunächst der Amts¬ sprache — vou Fremdwörtern eine weitere wichtige Aufgabe des Reichssprachamts sein muß, ist selbstverständlich; und es ist wahrlich kein kleiner Kreis von Auf¬ gaben, der ihm damit zugewiesen wird. Man kann dabei sehr wohl zwischen älteren, fester wurzelnden und jüngeren, lockerer haftenden Fremdwörtern unter¬ scheiden und zunächst einmal mit diesen — also etwa Wörtern wie Creme, Kourier. Kurs, Zentrale, Mission usw., die schlankweg und in vollem Umfang ihrer An¬ wendung durch längst vorhandene deutsche Wörter ersetzt werden können — den Anfang machen, um dann zu dem mehr inneren und stärker in das Sprachbewußtsein eingedrungenen Kreise vorzudringen, der zum großen Teil erst durch sprachliche Neuschöpfungen und Neuaufnahmen aus unserer Sprache wird verdrängt werden können; und auch diese Aufgabe wird natürlicherweise dem Reichssprachamt nicht an letzter Stelle zufallen müssen. Es soll damit nicht g-Saat sein, das das Reichs¬ sprachamt ausschließlich von sich aus möglichst viele Ersatzbildungen für Fremd¬ wörter schaffen soll; wohl aber, daß es nach allen Seilen sowohl in der noch lange nicht genügend ausgeschöpften älteren Sprache wie in den Mundarten — auch der österreichischen und schweizerischen —. in den Sprachen der einzelnen Stände und Berufe wie im zeitgenössischen Schrifttum nach bereits vorhandenen guten Entsprechungen für heute übliche Fremdwörter Umschau halten und sie nach Möglichkeit an deren Stelle in den Sprachgebrauch des Reiches einführen soll; sollten ihm freilich etwa gute Neuschöpfungen und sonstige brauchbare Vorschläge zur Hebung der Ausdrucksfähigkeit unserer Sprache dargeboten werden, so mag es auch diese prüfen und je nach Befund dein Sprachschatz des Reiches einverleiben. So und nur so können wir hoffen, daß die Reinigung der deutschen Sprache von den sie heute noch überwuchernden fremdivörtlichen Entlehnungen, an der bis jetzt im großen und ganzen vergebens gearbeitet worden ist, in großem Umfang und mit durchgreifenden Erfolg in Angriff genommen und durchgeführt wird werden können. Zum Umkreis dieser Aufgabe wird auch die Sorge dafür gehören müssen, daß in jenen Fällen, in denen fremdsprachige Wörter von unseren Neichsbehörden übersetzt werden müssen, dies nicht immer in so unzureichender und oft geradezu falscher Weise geschieht wie bisher: daß also eine „Mlerie nationale" nicht immer eine „Nationalgalerie" genannt, das „laeue" nicht immer mit „feige", „sin" nicht immer mit „Ende"? „le moral" nicht immer mit „die Moral", „net" nicht immer mit „nett" wiedergegeben wird usw.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/118>, abgerufen am 15.01.2025.