Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Brauchen wir ein Reichssprachamt? mit diesen Regeln übereinstimmt oder nicht, ob er also im Sinne dieser Über¬ Wohlgemerkt: unter der Sprache, auf die das Neichssprachamt seinen "Um Gottes Willen!" höre ich aber hier von einer anderen Seite rufen; Brauchen wir ein Reichssprachamt? mit diesen Regeln übereinstimmt oder nicht, ob er also im Sinne dieser Über¬ Wohlgemerkt: unter der Sprache, auf die das Neichssprachamt seinen „Um Gottes Willen!" höre ich aber hier von einer anderen Seite rufen; <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336405"/> <fw type="header" place="top"> Brauchen wir ein Reichssprachamt?</fw><lb/> <p xml:id="ID_389" prev="#ID_388"> mit diesen Regeln übereinstimmt oder nicht, ob er also im Sinne dieser Über¬<lb/> einstimmung „richtig" oder „falsch" ist. Damit ist aber auch die Frage, ob ein<lb/> solches Reichssprachamt Entscheidungen fällen könnte, ohne weiteres beantwortet',<lb/> in den oben angeführten Beispielen müßte eben jeweils ein Sprachgebrauch als<lb/> falsch bezeichnet werden, weil er mit den bisher üblichen Regeln der deutschen<lb/> Sprache im Widerspruch steht. Natürlich soll damit nicht gesagt sein, daß in jedem<lb/> sprachlichen Streitfall die Entscheidung des Reichssprachamts auf richtig oder<lb/> falsch lauten müßte, vielmehr wird oft genug der eine wie der andere Sprach¬<lb/> gebrauch als zulässig anerkannt werden können; wohl aber muß der viel erhobene<lb/> Einwand, daß eine Regelung der deutschen Sprache deshalb unmöglich sei, weil<lb/> in der Sprache die Freiheit herrsche, nach dieser Überlegung als abgetan gelten.<lb/> Dazu kommt noch ein anderer Umstand, der nickt minder diese Regelung als not¬<lb/> wendig erweist. Es gibt, wie im bürgerlichen Verkehr und in der Rechtspflege,<lb/> so auch im jsprachlichm Leben manche Streitfälle, bei denen es nicht so sehr<lb/> darauf ankommt, ob so oder so entschieden wird — als daß überhaupt entschieden<lb/> wird, damit die Sprache Oldnung und Festigkeit gewinnen soll. Ob beispiels¬<lb/> weise die Wörter auf — sal sächlich oder weiblich sind, ist an sich keine Frage<lb/> der Richtigkeit, sondern der Ordnung und Festsetzung: erst wenn solche Festsetzung<lb/> erfolgt ist, gewinnt für den einzelnen Sprachgebrauch die Frage überhaupt einen<lb/> Sinn. Um aber solche Festsetzungen zu treffen, Ordnungen und klare Einheit¬<lb/> lichkeit zu schaffen, dazu bedarf es eben eines regelnden Einflusses; daß sie von<lb/> selbst nicht entstehen, zeigt unter anderm der Zustand der heutigen deutschen<lb/> Sprache, ferner das Schicksal der lateinischen Sprache beim Untergang des römischen<lb/> Reiches.</p><lb/> <p xml:id="ID_390"> Wohlgemerkt: unter der Sprache, auf die das Neichssprachamt seinen<lb/> regelnden Einfluß ausüben soll, ist unmittelbar ausschließlich der amtliche<lb/> Sprachgebrauch der Behörden des Deutschen Reiches zu verstehen. Das<lb/> Recht des einzelnen Staatsbürgers, sich in Rede oder Schrift nach Belieben so<lb/> oder so auszudrücken, „gutes" oder „schlechtes" Deutsch zu schreiben, seine Sprache<lb/> sauber zu halten oder durch Fremdwörtelei zu verunzieren, soll völlig unangetastet<lb/> bleiben; von diesem Standpunkt aus haben also die Leute, die alles Heil im<lb/> sprachlichen Leben in der Freiheit erblicken, vom Reichssprachamt nicht das geringste<lb/> zu befürchten. Die amtliche Sprache des Deutschen Reiches aber soll muster-<lb/> gültig sein! Das ist, wenn auch nicht der einzige, so doch der erste und haupt¬<lb/> sächlichste Zweck des Neichssprachamts; nur die deutschen Reichsbehörden sollen<lb/> gehalten sein, wichtige Veröffentlichungen vor dem Erscheinen dieser Neichssprach-<lb/> behörde vorzulegen, nur für sie die Entscheidungen und Festsetzungen des Reichs-<lb/> fprackamts — in dem sie selbst vertreten sein sollen — bindende Kraft besitzen.<lb/> Freilich ist zu erwarten, daß diese Regelungen dann auch von selbst in den<lb/> allgemeinen Sprachgebrauch übergehen werden, und es wird nichts dagegen ein¬<lb/> zuwenden sein, wenn auch Einzelpersonen und nichtamtliche Stellen das Neichs-<lb/> fprachamt um Rat angehen sollten; den mag das Amt bereitwillig erteilen und<lb/> so auch auf den Sprachgebrauch der weiteren Öffentlichkeit seinen Einfluß aus¬<lb/> üben. Aber auch ein solcher, immerhin denkbarer unmittelbarer Einfluß des<lb/> Neichssprachamts auf den nichtamtlichen Sprachgebrauch wird stets nur ein frei¬<lb/> williger sein, jeder Zwang über den amtlichen Bereich hinaus ausgeschlossen<lb/> bleiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_391" next="#ID_392"> „Um Gottes Willen!" höre ich aber hier von einer anderen Seite rufen;<lb/> „das fehlte gerade noch! Also sollen die Herren Bureaukraten auch noch über<lb/> unsere arme deutsche Sprache kommen — Leute, die doch längst gezeigt haben,<lb/> daß sie eine natürliche, volkstümliche Sprache gar nicht mehr kennen und von<lb/> denen daher höchstens zu erwarten M, daß sie die bisherige freie Sprache der<lb/> Deutschen genau so steif, so hölzern und zopfig machen werden wie ihr mit Recht<lb/> fo übel berufenes Amtsdeutsch I Seht euch doch die vielen Erlasse und Verord¬<lb/> nungen nur an; einer papierner als der andere, statt Vorbild guter Sprache ein<lb/> abschreckendes Beispiel! Nein, wenn ihr unserer Sprache einen wahrhaften</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0115]
Brauchen wir ein Reichssprachamt?
mit diesen Regeln übereinstimmt oder nicht, ob er also im Sinne dieser Über¬
einstimmung „richtig" oder „falsch" ist. Damit ist aber auch die Frage, ob ein
solches Reichssprachamt Entscheidungen fällen könnte, ohne weiteres beantwortet',
in den oben angeführten Beispielen müßte eben jeweils ein Sprachgebrauch als
falsch bezeichnet werden, weil er mit den bisher üblichen Regeln der deutschen
Sprache im Widerspruch steht. Natürlich soll damit nicht gesagt sein, daß in jedem
sprachlichen Streitfall die Entscheidung des Reichssprachamts auf richtig oder
falsch lauten müßte, vielmehr wird oft genug der eine wie der andere Sprach¬
gebrauch als zulässig anerkannt werden können; wohl aber muß der viel erhobene
Einwand, daß eine Regelung der deutschen Sprache deshalb unmöglich sei, weil
in der Sprache die Freiheit herrsche, nach dieser Überlegung als abgetan gelten.
Dazu kommt noch ein anderer Umstand, der nickt minder diese Regelung als not¬
wendig erweist. Es gibt, wie im bürgerlichen Verkehr und in der Rechtspflege,
so auch im jsprachlichm Leben manche Streitfälle, bei denen es nicht so sehr
darauf ankommt, ob so oder so entschieden wird — als daß überhaupt entschieden
wird, damit die Sprache Oldnung und Festigkeit gewinnen soll. Ob beispiels¬
weise die Wörter auf — sal sächlich oder weiblich sind, ist an sich keine Frage
der Richtigkeit, sondern der Ordnung und Festsetzung: erst wenn solche Festsetzung
erfolgt ist, gewinnt für den einzelnen Sprachgebrauch die Frage überhaupt einen
Sinn. Um aber solche Festsetzungen zu treffen, Ordnungen und klare Einheit¬
lichkeit zu schaffen, dazu bedarf es eben eines regelnden Einflusses; daß sie von
selbst nicht entstehen, zeigt unter anderm der Zustand der heutigen deutschen
Sprache, ferner das Schicksal der lateinischen Sprache beim Untergang des römischen
Reiches.
Wohlgemerkt: unter der Sprache, auf die das Neichssprachamt seinen
regelnden Einfluß ausüben soll, ist unmittelbar ausschließlich der amtliche
Sprachgebrauch der Behörden des Deutschen Reiches zu verstehen. Das
Recht des einzelnen Staatsbürgers, sich in Rede oder Schrift nach Belieben so
oder so auszudrücken, „gutes" oder „schlechtes" Deutsch zu schreiben, seine Sprache
sauber zu halten oder durch Fremdwörtelei zu verunzieren, soll völlig unangetastet
bleiben; von diesem Standpunkt aus haben also die Leute, die alles Heil im
sprachlichen Leben in der Freiheit erblicken, vom Reichssprachamt nicht das geringste
zu befürchten. Die amtliche Sprache des Deutschen Reiches aber soll muster-
gültig sein! Das ist, wenn auch nicht der einzige, so doch der erste und haupt¬
sächlichste Zweck des Neichssprachamts; nur die deutschen Reichsbehörden sollen
gehalten sein, wichtige Veröffentlichungen vor dem Erscheinen dieser Neichssprach-
behörde vorzulegen, nur für sie die Entscheidungen und Festsetzungen des Reichs-
fprackamts — in dem sie selbst vertreten sein sollen — bindende Kraft besitzen.
Freilich ist zu erwarten, daß diese Regelungen dann auch von selbst in den
allgemeinen Sprachgebrauch übergehen werden, und es wird nichts dagegen ein¬
zuwenden sein, wenn auch Einzelpersonen und nichtamtliche Stellen das Neichs-
fprachamt um Rat angehen sollten; den mag das Amt bereitwillig erteilen und
so auch auf den Sprachgebrauch der weiteren Öffentlichkeit seinen Einfluß aus¬
üben. Aber auch ein solcher, immerhin denkbarer unmittelbarer Einfluß des
Neichssprachamts auf den nichtamtlichen Sprachgebrauch wird stets nur ein frei¬
williger sein, jeder Zwang über den amtlichen Bereich hinaus ausgeschlossen
bleiben.
„Um Gottes Willen!" höre ich aber hier von einer anderen Seite rufen;
„das fehlte gerade noch! Also sollen die Herren Bureaukraten auch noch über
unsere arme deutsche Sprache kommen — Leute, die doch längst gezeigt haben,
daß sie eine natürliche, volkstümliche Sprache gar nicht mehr kennen und von
denen daher höchstens zu erwarten M, daß sie die bisherige freie Sprache der
Deutschen genau so steif, so hölzern und zopfig machen werden wie ihr mit Recht
fo übel berufenes Amtsdeutsch I Seht euch doch die vielen Erlasse und Verord¬
nungen nur an; einer papierner als der andere, statt Vorbild guter Sprache ein
abschreckendes Beispiel! Nein, wenn ihr unserer Sprache einen wahrhaften
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