Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.vom Altertum zur Gegenwart daß die Philosophie der Neuzeit von ihren Anfängen bis in die unmittelbare Weniger ergiebig sind vielleicht die Aufsätze Conrad Müllers über Mathe¬ Von Biologie (H. Stadler), Chemie (E. v. Lippmann) und Technik (Albert Doch genug der Einzelheiten. Es erübrigt noch mit ein paar Worten den vom Altertum zur Gegenwart daß die Philosophie der Neuzeit von ihren Anfängen bis in die unmittelbare Weniger ergiebig sind vielleicht die Aufsätze Conrad Müllers über Mathe¬ Von Biologie (H. Stadler), Chemie (E. v. Lippmann) und Technik (Albert Doch genug der Einzelheiten. Es erübrigt noch mit ein paar Worten den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336393"/> <fw type="header" place="top"> vom Altertum zur Gegenwart</fw><lb/> <p xml:id="ID_344" prev="#ID_343"> daß die Philosophie der Neuzeit von ihren Anfängen bis in die unmittelbare<lb/> Gegenwart herab keinen entschiedenen Schritt vorwärts getan hat, ohne von<lb/> antiker Philosophie aufs tiefste beeinflußt zu sein." Alle Richtungen der deutschen<lb/> Philosophie werden kritisch beleuchtet, und bei allen stellt sich heraus, daß die<lb/> Wurzeln ihrer Kraft nirgends als in Hellas zu suchen sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_345"> Weniger ergiebig sind vielleicht die Aufsätze Conrad Müllers über Mathe¬<lb/> matik und Franz Botts über Astronomie. Daaegen führt Ernst Goldbeck in seiner<lb/> Skizze „Weltbild und Phynk" wieder den deutlichen Beweis, daß unsere Denker<lb/> immer dann die größten Fortschritte machten, wenn sie, statt sich auf die Antike<lb/> zu stützen oder gnr sie nachzuahmen, die Gedanken der Alten auf eigenem Wege<lb/> nutzbar zu machen, womöglich über sie hinauszukommen trachteten. „Antike<lb/> Problematik in ihrer Größe ist es, die uns ans Altertum fesselt." „Wer die<lb/> Prinzipien durchleuchten will, wende sich zu ihren geschichtlichen Ursprüngen. Er<lb/> wird dort immer wieder auf die griechische Antike stoßen, auch in den exakten<lb/> Wissenschaften." Das zeigt uns besonders auch der Artikel „Geographie" des<lb/> Leipziger Professors Joseph Partsch. Man ist erstaunt zu sehen, wie eigentlich<lb/> alle Einzelgebiete dieser Gegenwartswissenschaft den Alten schon Stoff zum Nach¬<lb/> denken geboten haben, so daß wir trotz schlechtester Überlieferung auch heute noch<lb/> von ihnen lernen oder wenigstens ihren Problemen aufs neue nachgehen können.<lb/> Wenn aber Partsch in Strabos Welle den Geist erkennt, der in Karl Ritter und<lb/> seiner Schule wieder auflebte, so freut uns dies nicht weniger als das Urteil<lb/> eines Sachverständigen, das Johannes Jlberg in seinem fesselnden Aufsatz über<lb/> Medizin anführt: die ganze modernste Technik der letzten Dezennien sei nötig<lb/> gewesen, um die Antike in der öffentlichen Gesundheitspflege wirklich zu übertreffen.</p><lb/> <p xml:id="ID_346"> Von Biologie (H. Stadler), Chemie (E. v. Lippmann) und Technik (Albert<lb/> Neben) wird man für unsere Zwecke nicht allzuviel erwarten dürfen. Immerhin<lb/> bieten auch diese drei Aufsätze, besonders der zuletzt genannte, des Interessanten<lb/> genug, und je weniger man hisher gewohnt war, von diesen Gebieten den Blick<lb/> überhaupt bis zur Antike rückwärts zu tuenden, um so mehr ist man erstaunt, sich<lb/> auch hier auf Schritt und Tütt von ihrem Geiste umweht zu fühlen.</p><lb/> <p xml:id="ID_347"> Doch genug der Einzelheiten. Es erübrigt noch mit ein paar Worten den<lb/> vortrefflichen Gedanken gerecht zu werden, mit denen Eduard Fraenkels Aufsatz<lb/> vom Werte der Übersetzung für den Humanismus das Buch abschließt. Warum<lb/> sollen wir, so läßt er wohlwollende Zweifler fragen, immer wieder den beschwer¬<lb/> lichen, weiten, oft nicht einmal zum Ziele führenden Weg über die Urtexte wählen,<lb/> statt uns an getreue, künstlerisch wertvolle Übersetzungen zu halten, an denen es<lb/> im Volke der Bibel- und der Shakcspearcübersetzung doch gewiß nicht fehlen kann?<lb/> Und er antwortet zunächst von sich aus: weil der Zusammenhang zwischen dem<lb/> Sprechen und dem Denken nicht nur. sondern dem Gesamterlebnis des Menschen<lb/> unlösbar ist Dann mit Berufung auf Gundolf: „Die Sprache ist Träger der<lb/> geistig gclebten Vergangenheit eines Volkes, und wer die Sprache als solche, als<lb/> lebendige Bewegung erlebt, wer das Sprachcriebnis hat, der erlebt durch ihr<lb/> Medium den ganzen Umfang der in ihr ausdrückbaren Schicksale, ohne diese<lb/> Primär auf sich nehmen zu müssen." Schon daraus wird klar, warum der rechte<lb/> Humanismus auf Griechisch und Lateinisch nicht verzichten kann. Das Unüber-<lb/> setzbare muß empfunden, muß erlebt werden. Sodann: das Leben, das in den<lb/> antiken Sprachen seinen Ausdruck gefunden hat, ist in entscheidenden Momenten,<lb/> ja gerade in seinen elementaren Bedingungen dem gesamten Bererch des modernen<lb/> Menschen entrückt. Immer sind wir in der sprachlichen Formung von modernen,<lb/> von deutschen Erlebnissen, Vorstellungen, literarischen Gestaltungen abhängig und<lb/> in deren Grenzen gebannt. So müssen wir gerade an den entscheidenden Stellen<lb/> Duft und Farbe des Originals opfern. „Setzen wir eine Wiedergabe an die<lb/> Stelle des Originals, so geben wir eine Deutung statt des zu Denkenden, einen<lb/> Teil statt einer Totalität, und unterbinden so den Blutstrom schöpferischer Kräfte,<lb/> der nur aus dem frei gestalteten Stück Leben, dem Kunstwerke selber, in die<lb/> Adern aller kommenden Geschlechter rinnt. Das wäre tödlich ... für das<lb/> Erlebnis des Humanismus, dessen Wesen Aktivität ist. . ."</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0103]
vom Altertum zur Gegenwart
daß die Philosophie der Neuzeit von ihren Anfängen bis in die unmittelbare
Gegenwart herab keinen entschiedenen Schritt vorwärts getan hat, ohne von
antiker Philosophie aufs tiefste beeinflußt zu sein." Alle Richtungen der deutschen
Philosophie werden kritisch beleuchtet, und bei allen stellt sich heraus, daß die
Wurzeln ihrer Kraft nirgends als in Hellas zu suchen sind.
Weniger ergiebig sind vielleicht die Aufsätze Conrad Müllers über Mathe¬
matik und Franz Botts über Astronomie. Daaegen führt Ernst Goldbeck in seiner
Skizze „Weltbild und Phynk" wieder den deutlichen Beweis, daß unsere Denker
immer dann die größten Fortschritte machten, wenn sie, statt sich auf die Antike
zu stützen oder gnr sie nachzuahmen, die Gedanken der Alten auf eigenem Wege
nutzbar zu machen, womöglich über sie hinauszukommen trachteten. „Antike
Problematik in ihrer Größe ist es, die uns ans Altertum fesselt." „Wer die
Prinzipien durchleuchten will, wende sich zu ihren geschichtlichen Ursprüngen. Er
wird dort immer wieder auf die griechische Antike stoßen, auch in den exakten
Wissenschaften." Das zeigt uns besonders auch der Artikel „Geographie" des
Leipziger Professors Joseph Partsch. Man ist erstaunt zu sehen, wie eigentlich
alle Einzelgebiete dieser Gegenwartswissenschaft den Alten schon Stoff zum Nach¬
denken geboten haben, so daß wir trotz schlechtester Überlieferung auch heute noch
von ihnen lernen oder wenigstens ihren Problemen aufs neue nachgehen können.
Wenn aber Partsch in Strabos Welle den Geist erkennt, der in Karl Ritter und
seiner Schule wieder auflebte, so freut uns dies nicht weniger als das Urteil
eines Sachverständigen, das Johannes Jlberg in seinem fesselnden Aufsatz über
Medizin anführt: die ganze modernste Technik der letzten Dezennien sei nötig
gewesen, um die Antike in der öffentlichen Gesundheitspflege wirklich zu übertreffen.
Von Biologie (H. Stadler), Chemie (E. v. Lippmann) und Technik (Albert
Neben) wird man für unsere Zwecke nicht allzuviel erwarten dürfen. Immerhin
bieten auch diese drei Aufsätze, besonders der zuletzt genannte, des Interessanten
genug, und je weniger man hisher gewohnt war, von diesen Gebieten den Blick
überhaupt bis zur Antike rückwärts zu tuenden, um so mehr ist man erstaunt, sich
auch hier auf Schritt und Tütt von ihrem Geiste umweht zu fühlen.
Doch genug der Einzelheiten. Es erübrigt noch mit ein paar Worten den
vortrefflichen Gedanken gerecht zu werden, mit denen Eduard Fraenkels Aufsatz
vom Werte der Übersetzung für den Humanismus das Buch abschließt. Warum
sollen wir, so läßt er wohlwollende Zweifler fragen, immer wieder den beschwer¬
lichen, weiten, oft nicht einmal zum Ziele führenden Weg über die Urtexte wählen,
statt uns an getreue, künstlerisch wertvolle Übersetzungen zu halten, an denen es
im Volke der Bibel- und der Shakcspearcübersetzung doch gewiß nicht fehlen kann?
Und er antwortet zunächst von sich aus: weil der Zusammenhang zwischen dem
Sprechen und dem Denken nicht nur. sondern dem Gesamterlebnis des Menschen
unlösbar ist Dann mit Berufung auf Gundolf: „Die Sprache ist Träger der
geistig gclebten Vergangenheit eines Volkes, und wer die Sprache als solche, als
lebendige Bewegung erlebt, wer das Sprachcriebnis hat, der erlebt durch ihr
Medium den ganzen Umfang der in ihr ausdrückbaren Schicksale, ohne diese
Primär auf sich nehmen zu müssen." Schon daraus wird klar, warum der rechte
Humanismus auf Griechisch und Lateinisch nicht verzichten kann. Das Unüber-
setzbare muß empfunden, muß erlebt werden. Sodann: das Leben, das in den
antiken Sprachen seinen Ausdruck gefunden hat, ist in entscheidenden Momenten,
ja gerade in seinen elementaren Bedingungen dem gesamten Bererch des modernen
Menschen entrückt. Immer sind wir in der sprachlichen Formung von modernen,
von deutschen Erlebnissen, Vorstellungen, literarischen Gestaltungen abhängig und
in deren Grenzen gebannt. So müssen wir gerade an den entscheidenden Stellen
Duft und Farbe des Originals opfern. „Setzen wir eine Wiedergabe an die
Stelle des Originals, so geben wir eine Deutung statt des zu Denkenden, einen
Teil statt einer Totalität, und unterbinden so den Blutstrom schöpferischer Kräfte,
der nur aus dem frei gestalteten Stück Leben, dem Kunstwerke selber, in die
Adern aller kommenden Geschlechter rinnt. Das wäre tödlich ... für das
Erlebnis des Humanismus, dessen Wesen Aktivität ist. . ."
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |