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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Zusammenbruch und Aufbau

zwar ein gefährliches, welches behütet werden muß wie Dynamik. Auf jeden
Fall dürfen wir nicht daran gehen zu versuchen, unseren Handel und die Ausfuhr in
alter Weise aufzurichten, sondern, nachdem der augenblickliche Überschuß an Arbeit
suchenden Menschen in Landwirtschaft und durch 'Auswanderung untergebracht ist,
müssen alle Bestrebungen auf das eine Ziel gerichtet sein, möglichst viel freie
Berufs, Handwerker, Leiter, Vorstände, Direktoren zu schaffen. Der nach Maß
gemachte Stiefel des, früheren Schuhmachermeisters saß meist besser, und kostete
kaum mehr als Fabrikarbeit, denn bei dieser wird die billigere Herstellung durch
den Konkurrenzkampf in luxuriösen Verkaufsstellen wieder aufgehoben. Also für
den Käufer kaum ein Vorteil, vielleicht etwas mehr Beq-uemlichkeit, aber eine
Menge freier Leute wurden zu Arbeitern und Angestellten. Solche Industrien
sollte man hindern. Dasselbe gilt vom Kaufhaus, vom Qberrestaurant, vom
Hotelpalast und ähnlichem. Es ist weiter abwegig, zu glauben, daß immer weiter¬
getriebene Vergrößerung, Verbilligung bedeute. Von einer gewissen Größe an
wird für jede Fabrik der Höhepunkt och Wirkungsgrades erreicht. Von da ab
sinkt das Ergebnis durch das Überwuchern der allgemeinen Unkosten und Neben"
Spesen. Die Zusammenballung zu Uberbetrieben geschah nnr durch den Antrieb
des Kapitals, und der Vorteil derselben liegt nur in der Übermacht des Geldes.

Die hohen Preise, welche zum Gulden bleiben werden, haben zur ruckweisen
Entwertung des Kapitals und des Geldes in 'allen Ländern der Erde geführt.
In keinem Lande wird man sich den Forderungen des sozialen Staates, die
Macht des Kapitals zu hemmen, entziehen können, also wird es leichter sein, das
Bestreben zu stützen, Unternehmungen nicht bis über die Grenze des besten
Wirkungsgrades wachsen zu lassen.

Der Versuch muß dahin gehen, Zusammenballungen aller Art in einzelne
Bestandteile aufzulösen, soweit dies ökonomisch zulässig ist. Dies gilt ebenso von
der Anhäufung der Menschen in den Großstädten, von Verwaltungsbezirken, von
Universitäten, Schulen und ähnlichen Einrichtungen- Der Rektor einer Einzel¬
schule mag nicht mehr Gehalt beziehen, wie er als Oberlehrer einer Doppelschule
bezogen hat, und doch wird er in seiner neuen Stellung zufriedener sein, außer¬
dem mehr und besser arbeiten als vorher.

Nicht trennen kann man solche Unternehmungen, welche dem öffentlichen
Leben und dem Verkehr dienen: Eisenbahn. Post, Telegraph, Straßenbahnen usw.
Aber schon die Kanalschiffahrt wird und kann von einzelnen Unternehmern be¬
trieben werden.

In seinen "Richtlinien für ein sozialistisches Aktions-Programm" führt Karl
Kautsky aus, daß der Klassenkampf durch Sozialisierung beseitigt werden müsse.
Diese Nachbeter Marxscher Gedanken sehen also auch nicht den Kern der Sache.
Das "Kapital" und die "Kapitalisten" im sozialistischen Sinne haben vor dem
Kriege in Deutschland ein Einkommen von 10--15 Milliarden Mark gehabt.
Verteilt man selbst diesen ganzen Betrag auf das "Volk", so kommen auf jeden
140--200 Mark mehr, also ein Nichts. Die Lohnerhöhungen, welche sich die
Arbeiter selbst bewilligt haben, betragen zurzeit schon 15--20 Milliarden, also
mehr als das ganze Kapital im Jahre verdient hat. Man muß wirklich glauben,
daß keiner der sozialistischen Theoretiker jemals die Rechnung auf das Exempel
gemacht habe, um festzustellen, was denn das Volk gewinnt, wenn es alle Pro¬
duktionsmittel in die Hand nimmt.

Selbst wenn alles in Deutschland sozialisiert und vergemeinschaftet ist, wird
sich an dem Einkommen und der Lebenshaltung sowie den Arbeitsbedingungen
der Massen kaum etwas ändern. Glauben die sozialistischen Idealisten nun
wirklich, daß das Volk bei dem gleichen Massenzwang in Fabriken glücklich und
zufrieden sein wird, wenn es das Gefühl hat, für den Staat zu arbeiten? Jeder
Arbeiter, wenn er die Schlagwörter vom sozialen Staate hört, stellt sich darunter
vor, daß er in irgendeiner Weise frei sein wird. Die "Freiheit" spielt in allen
Reden und Schriften die größte Rolle. Eine Umwandlung in den sozialistischen
Staat ohne die Freiheit wird daher keine Ruhe im Lande bringen. Man wird,


Zusammenbruch und Aufbau

zwar ein gefährliches, welches behütet werden muß wie Dynamik. Auf jeden
Fall dürfen wir nicht daran gehen zu versuchen, unseren Handel und die Ausfuhr in
alter Weise aufzurichten, sondern, nachdem der augenblickliche Überschuß an Arbeit
suchenden Menschen in Landwirtschaft und durch 'Auswanderung untergebracht ist,
müssen alle Bestrebungen auf das eine Ziel gerichtet sein, möglichst viel freie
Berufs, Handwerker, Leiter, Vorstände, Direktoren zu schaffen. Der nach Maß
gemachte Stiefel des, früheren Schuhmachermeisters saß meist besser, und kostete
kaum mehr als Fabrikarbeit, denn bei dieser wird die billigere Herstellung durch
den Konkurrenzkampf in luxuriösen Verkaufsstellen wieder aufgehoben. Also für
den Käufer kaum ein Vorteil, vielleicht etwas mehr Beq-uemlichkeit, aber eine
Menge freier Leute wurden zu Arbeitern und Angestellten. Solche Industrien
sollte man hindern. Dasselbe gilt vom Kaufhaus, vom Qberrestaurant, vom
Hotelpalast und ähnlichem. Es ist weiter abwegig, zu glauben, daß immer weiter¬
getriebene Vergrößerung, Verbilligung bedeute. Von einer gewissen Größe an
wird für jede Fabrik der Höhepunkt och Wirkungsgrades erreicht. Von da ab
sinkt das Ergebnis durch das Überwuchern der allgemeinen Unkosten und Neben»
Spesen. Die Zusammenballung zu Uberbetrieben geschah nnr durch den Antrieb
des Kapitals, und der Vorteil derselben liegt nur in der Übermacht des Geldes.

Die hohen Preise, welche zum Gulden bleiben werden, haben zur ruckweisen
Entwertung des Kapitals und des Geldes in 'allen Ländern der Erde geführt.
In keinem Lande wird man sich den Forderungen des sozialen Staates, die
Macht des Kapitals zu hemmen, entziehen können, also wird es leichter sein, das
Bestreben zu stützen, Unternehmungen nicht bis über die Grenze des besten
Wirkungsgrades wachsen zu lassen.

Der Versuch muß dahin gehen, Zusammenballungen aller Art in einzelne
Bestandteile aufzulösen, soweit dies ökonomisch zulässig ist. Dies gilt ebenso von
der Anhäufung der Menschen in den Großstädten, von Verwaltungsbezirken, von
Universitäten, Schulen und ähnlichen Einrichtungen- Der Rektor einer Einzel¬
schule mag nicht mehr Gehalt beziehen, wie er als Oberlehrer einer Doppelschule
bezogen hat, und doch wird er in seiner neuen Stellung zufriedener sein, außer¬
dem mehr und besser arbeiten als vorher.

Nicht trennen kann man solche Unternehmungen, welche dem öffentlichen
Leben und dem Verkehr dienen: Eisenbahn. Post, Telegraph, Straßenbahnen usw.
Aber schon die Kanalschiffahrt wird und kann von einzelnen Unternehmern be¬
trieben werden.

In seinen „Richtlinien für ein sozialistisches Aktions-Programm" führt Karl
Kautsky aus, daß der Klassenkampf durch Sozialisierung beseitigt werden müsse.
Diese Nachbeter Marxscher Gedanken sehen also auch nicht den Kern der Sache.
Das „Kapital" und die „Kapitalisten" im sozialistischen Sinne haben vor dem
Kriege in Deutschland ein Einkommen von 10—15 Milliarden Mark gehabt.
Verteilt man selbst diesen ganzen Betrag auf das „Volk", so kommen auf jeden
140—200 Mark mehr, also ein Nichts. Die Lohnerhöhungen, welche sich die
Arbeiter selbst bewilligt haben, betragen zurzeit schon 15—20 Milliarden, also
mehr als das ganze Kapital im Jahre verdient hat. Man muß wirklich glauben,
daß keiner der sozialistischen Theoretiker jemals die Rechnung auf das Exempel
gemacht habe, um festzustellen, was denn das Volk gewinnt, wenn es alle Pro¬
duktionsmittel in die Hand nimmt.

Selbst wenn alles in Deutschland sozialisiert und vergemeinschaftet ist, wird
sich an dem Einkommen und der Lebenshaltung sowie den Arbeitsbedingungen
der Massen kaum etwas ändern. Glauben die sozialistischen Idealisten nun
wirklich, daß das Volk bei dem gleichen Massenzwang in Fabriken glücklich und
zufrieden sein wird, wenn es das Gefühl hat, für den Staat zu arbeiten? Jeder
Arbeiter, wenn er die Schlagwörter vom sozialen Staate hört, stellt sich darunter
vor, daß er in irgendeiner Weise frei sein wird. Die „Freiheit" spielt in allen
Reden und Schriften die größte Rolle. Eine Umwandlung in den sozialistischen
Staat ohne die Freiheit wird daher keine Ruhe im Lande bringen. Man wird,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/66>, abgerufen am 01.09.2024.