Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Walther Rathenaus gesammelte Schriften kundschaftbesuchenden Gilde, von vorschmeckenden Freunden den Tischgenossen als Im Hange zum Geistigen klettert der mindestens zweiseelige Rathenau zu Rathenau widmet sein Buch "Zur Kritik der Zeit, das die gesammelten Übelste Sprachspreitzerei, die der dramatischen Ballade Hauptmanns Gepräge Walther Rathenaus gesammelte Schriften kundschaftbesuchenden Gilde, von vorschmeckenden Freunden den Tischgenossen als Im Hange zum Geistigen klettert der mindestens zweiseelige Rathenau zu Rathenau widmet sein Buch „Zur Kritik der Zeit, das die gesammelten Übelste Sprachspreitzerei, die der dramatischen Ballade Hauptmanns Gepräge <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0057" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335465"/> <fw type="header" place="top"> Walther Rathenaus gesammelte Schriften</fw><lb/> <p xml:id="ID_194" prev="#ID_193"> kundschaftbesuchenden Gilde, von vorschmeckenden Freunden den Tischgenossen als<lb/> Redegewaltiger gerühmt, nach Aufziehen des Räderwerkes je nach Wunsch und<lb/> Begehr über Seidenraupenzucht, Monroedoktrin, Arabische Kultur, Naffael, Proyi-<lb/> bitivzölle, Prager Frieden oder Schinken, Abfuhr und Kanalisation gedanken¬<lb/> schwere Vorträge hielt. solare Polyhistoren geboten über einen erstaunlichen<lb/> Wortschatz und verstanden es, ihre Hörer durch tiefe Sprüche zu fesseln, etwa so:<lb/> „Die Schritte der Menschheit sind nicht bezeichnet durch die ausgebrannten Schlacken<lb/> negativer Wahrheit, sondern durch die Monumente des schönen organischen Irr¬<lb/> tums, der in der Tiefe seiner Notwendigkeit lebendige Wahrheit birgt" oder „Des<lb/> Lebens Unverstand mit Wehmut zu genießen, ist Tugend und Begriff".</p><lb/> <p xml:id="ID_195"> Im Hange zum Geistigen klettert der mindestens zweiseelige Rathenau zu<lb/> den Schultern Gerhards empor, im Drange zum Wirklichen rankt er sich an Emil<lb/> dem Vater hinauf. Als ob er nicht Mannes genug wäre, auf eigenen Füßen zu<lb/> stehen! Pietät in Ehren! Doch zur Widmung an Gerhart bringt die Grabrede<lb/> auf den Vater einen zweiten falschen Ton in die Symphonie. Diese Rede hätte<lb/> nicht gehalten werden und, wenn gehalten, nicht in die Schriften aufgenommen<lb/> werden dürfen. Der Sohn mag des Vaters Andenken im stillen Herzen ehren,<lb/> nicht aber in der Trauerversammlung mit tönenden Worten. Denn er ist der<lb/> Hauptleidtragende und geistige Erbe, dem das Lob des Vaters, selbst aus<lb/> berufensten Munde, die Scham der Seele verletzen müßte, ihm, der als Opfer¬<lb/> tier der Konvention geduldig stillzuhalten hat. Statt dessen aus Sohnesmund<lb/> ein mit ciceronianischen Floskeln ausgestatteter, wohlgeründeter, in breiten<lb/> Schwaden dahinrauschender, mit Jesus beginnender und mit Moses endender, in<lb/> prtesterliche Segnung ausklingender schmalziger Sermon. Ach, unter dem ärmlich<lb/> kurzen Philosophenmüntelchen kommt bei jedem Schritt das goldbordierte weich¬<lb/> gefütterte Wams des Herrn Präsidenten zum Vorschein, dem sein königliches Schloß<lb/> nur Wert hatte, wenn es „Königlich" blieb. Vsniws vanitatum vauitAs! Die<lb/> vom Autor unterdrückten „Impressionen" und „Reflexionen" hätten höheres An¬<lb/> recht darauf gehabt, an dem Neigen teilzunehmen als diese eitle Grabrede und<lb/> die wieder aufgetischte abgeschmackte, abstoßende, hölzerne, humorlose Erzählung<lb/> von der Resurrection Company, die uns zeigt, wie heilende Rathenau den VanKec-<lb/> äooclls zu singen versteht."</p><lb/> <p xml:id="ID_196"> Rathenau widmet sein Buch „Zur Kritik der Zeit, das die gesammelten<lb/> Schriften eröffnet. Dir, Gerhart, dem Dichter unseres Zeitalters. Es mag manchen<lb/> urteilsfähigen Kopf unter uns geben, der den Dichter etwas weniger hoch ein¬<lb/> schätzt. Was Rathenau in dieser snobbischen Widmung von Ausführlichkeit und<lb/> „Überredungskunst des dialektischen Beweises" spricht, die beide seinen: Buche<lb/> fehlten, kann er dies ernsthaft denen ins Gesicht sagen, die sich im Schweiße des<lb/> Angesichts durch das Gestrüpp Nathenauischer Dialektik und Rhetorik hindurch¬<lb/> arbeiten und den Weizen aus der Spreu suchen? Diese Bescheidenheit ist ein<lb/> schlechter Witz des Autors, vielleicht der einzige gute Witz, Witz überhaupt, in dem<lb/> einförmig unaufhaltsam dahin quellenden, gluckernden, plätschernden Strom üppiger<lb/> Beredsamkeit. Hauptmann und Rathenau haben ein gemeinsames: sie sind zu¬<lb/> weilen stärker als die deutsche Sprache. Sie sündigen. Wie Gerhart sündigt, davon ein<lb/> einziges Beispiel. Wir beugen das gute deutsche Grundzahlwort „zwei" im Hoch¬<lb/> deutschen schon lange nicht mehr., In der Heimat Hebels geschieht es wohl noch und<lb/> mutet uns herzlich an. „Der arme Heinrich" spielt im Schwarzwald, da soll alter-<lb/> tümelnde Beugung Zeit- und Ortfarbe geben. Aber wie? Hauptmann sagt „zween<lb/> Jahre", „zween Opferkerzen", „zween Gestirne", „zwei Nächte". Da lachen die<lb/> Quartaner der deutschen Gymnasien und die Hühner auf den Bauernhöfen um<lb/> Lörrach. Sie wissen: es heißt „zwei Jahre", „zwo Opserkerzen", „zwei Gestirne",<lb/> »zwo Nächte". Wie unus, una, unum und cluv, cluae, ano beugt sich zween<lb/> Jünger, zwo Frauen, zwei Kinder. Anders ist falsch und doppelt falsch, wenn<lb/> Hauptmann zwischen „zween Jahren" und „zwei Jahren" willkürlich abwechselt.</p><lb/> <p xml:id="ID_197" next="#ID_198"> Übelste Sprachspreitzerei, die der dramatischen Ballade Hauptmanns Gepräge<lb/> gibt und feinerem Empfinden das ganze Werk verleidet. Verstimmte Saiten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0057]
Walther Rathenaus gesammelte Schriften
kundschaftbesuchenden Gilde, von vorschmeckenden Freunden den Tischgenossen als
Redegewaltiger gerühmt, nach Aufziehen des Räderwerkes je nach Wunsch und
Begehr über Seidenraupenzucht, Monroedoktrin, Arabische Kultur, Naffael, Proyi-
bitivzölle, Prager Frieden oder Schinken, Abfuhr und Kanalisation gedanken¬
schwere Vorträge hielt. solare Polyhistoren geboten über einen erstaunlichen
Wortschatz und verstanden es, ihre Hörer durch tiefe Sprüche zu fesseln, etwa so:
„Die Schritte der Menschheit sind nicht bezeichnet durch die ausgebrannten Schlacken
negativer Wahrheit, sondern durch die Monumente des schönen organischen Irr¬
tums, der in der Tiefe seiner Notwendigkeit lebendige Wahrheit birgt" oder „Des
Lebens Unverstand mit Wehmut zu genießen, ist Tugend und Begriff".
Im Hange zum Geistigen klettert der mindestens zweiseelige Rathenau zu
den Schultern Gerhards empor, im Drange zum Wirklichen rankt er sich an Emil
dem Vater hinauf. Als ob er nicht Mannes genug wäre, auf eigenen Füßen zu
stehen! Pietät in Ehren! Doch zur Widmung an Gerhart bringt die Grabrede
auf den Vater einen zweiten falschen Ton in die Symphonie. Diese Rede hätte
nicht gehalten werden und, wenn gehalten, nicht in die Schriften aufgenommen
werden dürfen. Der Sohn mag des Vaters Andenken im stillen Herzen ehren,
nicht aber in der Trauerversammlung mit tönenden Worten. Denn er ist der
Hauptleidtragende und geistige Erbe, dem das Lob des Vaters, selbst aus
berufensten Munde, die Scham der Seele verletzen müßte, ihm, der als Opfer¬
tier der Konvention geduldig stillzuhalten hat. Statt dessen aus Sohnesmund
ein mit ciceronianischen Floskeln ausgestatteter, wohlgeründeter, in breiten
Schwaden dahinrauschender, mit Jesus beginnender und mit Moses endender, in
prtesterliche Segnung ausklingender schmalziger Sermon. Ach, unter dem ärmlich
kurzen Philosophenmüntelchen kommt bei jedem Schritt das goldbordierte weich¬
gefütterte Wams des Herrn Präsidenten zum Vorschein, dem sein königliches Schloß
nur Wert hatte, wenn es „Königlich" blieb. Vsniws vanitatum vauitAs! Die
vom Autor unterdrückten „Impressionen" und „Reflexionen" hätten höheres An¬
recht darauf gehabt, an dem Neigen teilzunehmen als diese eitle Grabrede und
die wieder aufgetischte abgeschmackte, abstoßende, hölzerne, humorlose Erzählung
von der Resurrection Company, die uns zeigt, wie heilende Rathenau den VanKec-
äooclls zu singen versteht."
Rathenau widmet sein Buch „Zur Kritik der Zeit, das die gesammelten
Schriften eröffnet. Dir, Gerhart, dem Dichter unseres Zeitalters. Es mag manchen
urteilsfähigen Kopf unter uns geben, der den Dichter etwas weniger hoch ein¬
schätzt. Was Rathenau in dieser snobbischen Widmung von Ausführlichkeit und
„Überredungskunst des dialektischen Beweises" spricht, die beide seinen: Buche
fehlten, kann er dies ernsthaft denen ins Gesicht sagen, die sich im Schweiße des
Angesichts durch das Gestrüpp Nathenauischer Dialektik und Rhetorik hindurch¬
arbeiten und den Weizen aus der Spreu suchen? Diese Bescheidenheit ist ein
schlechter Witz des Autors, vielleicht der einzige gute Witz, Witz überhaupt, in dem
einförmig unaufhaltsam dahin quellenden, gluckernden, plätschernden Strom üppiger
Beredsamkeit. Hauptmann und Rathenau haben ein gemeinsames: sie sind zu¬
weilen stärker als die deutsche Sprache. Sie sündigen. Wie Gerhart sündigt, davon ein
einziges Beispiel. Wir beugen das gute deutsche Grundzahlwort „zwei" im Hoch¬
deutschen schon lange nicht mehr., In der Heimat Hebels geschieht es wohl noch und
mutet uns herzlich an. „Der arme Heinrich" spielt im Schwarzwald, da soll alter-
tümelnde Beugung Zeit- und Ortfarbe geben. Aber wie? Hauptmann sagt „zween
Jahre", „zween Opferkerzen", „zween Gestirne", „zwei Nächte". Da lachen die
Quartaner der deutschen Gymnasien und die Hühner auf den Bauernhöfen um
Lörrach. Sie wissen: es heißt „zwei Jahre", „zwo Opserkerzen", „zwei Gestirne",
»zwo Nächte". Wie unus, una, unum und cluv, cluae, ano beugt sich zween
Jünger, zwo Frauen, zwei Kinder. Anders ist falsch und doppelt falsch, wenn
Hauptmann zwischen „zween Jahren" und „zwei Jahren" willkürlich abwechselt.
Übelste Sprachspreitzerei, die der dramatischen Ballade Hauptmanns Gepräge
gibt und feinerem Empfinden das ganze Werk verleidet. Verstimmte Saiten
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