Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
tvalther Rathenaus gesammelte Schriften

Walther Rathenaus gesammelte Schriften

M^t?
^MWAR
U>Wß
WGM^or langen Jahren hat einmal ein witziger Kritiker gesagt, er wette
darauf, der Verfasser von Auerbachs Dorfgeschichten' trage eine
Perücke. Darüber belehrt, daß der Autor eine wohlausgesprochene
Glatze zur Schau trage, erwiderte er: "Dann ist's sicher eine
falsche I"

GoDie gesammelten Schriften Rathenaus drängen mir die Über¬
zeugung auf, daß der Autor Junggeselle ist, nicht Weib noch Kind hat. Ich wette.

Bitte sehrl Man hat Schopenhauers Junggesellentum mit seiner Philosophie
in Beziehung gesetzt, weshalb soll dies nicht auch Rathen an sich geschehen lassen?
Sollte Rathenau nicht wie Schiller eine Lotte oder wie Varnhagen van Ense eine
Rahel haben? Einfach ausgeschlossen! Ich wette.

Der Junggeselle kennt das Leben nur halb. Des Daseins stärkste Erhebungen
und Hemmungen erfährt er nicht im Innern und nicht am Äußern. En versagt
dem Gemeinwesen die Hauptpflicht des Bürgers, eine Familie zu gründen. Es
fehlt ihm an Ergänzung. Er verliert Maßstäbe, und für vieles, das rein menschlich
ist, gewinnt er kein Verständnis.

Alle Probleme dieser Erde hat Rathenau gestreift und einige mehr, nur
dieses nicht. Irgendwo hat er Malthus' Lehre verrucht genannt. "Das Wort
ist wie im Meer ein Pfad, doch tiefe Wegspur läßt die Tat!" Geistiger Führer
der Nation dürfte nur ein Mann sein, der mindestens drei Kinder sein nennt.
Vielleicht kommt es einmal so weit, daß man einen Geheimbten Rat, so in Zukunft
diese interessante Spezies nicht ausstirbt, einen wüsten Streber nennt, weil er
neun Kinder erzeugt hat.

Auch folgendes ist deutlich erkennbar: der Weg seiner Gedanken führt nicht
aus dem Kopf durch die Hand aufs Papier, sondern über die Zunge zum Steno¬
graphen, Maschinenschreibe?, Diktaphon.

Die technischen Fortschritte der Gedankenübertragung verwässern unsere
Literatur bös. Was leise rieseln sollte, wird oratorisch zu Bächen angeschwellt.
Der Redner lebt sich aus und berauscht sich am Klang seiner Worte. Das Stau¬
wehr ist geöffnet, mag es dahinströmen von 10 Uhr bis Mittag und von 5 bis
7 Uhr abends. Sind es nicht Worte, so doch wenigstens Wörter. In den Atem¬
pausen regt der bewundernde Augenaufschlag des Schreibers zu neuem Aufschwung
an, und es plätschert weiter.

Auch im öffentlichen Dienst und im Geschäftsleben dieselbe Verdünnung.
Es ist so bequem, sich nicht konzentrieren zu müssen. Man nimmt sich keine Zeit
mehr zur Kürze. Die Kurzschrift wird langatmig. Phrase und Schwulst stellen
sich ein.

So diktiert auch unser Philosoph seine tiefgründigen Gedanken mit einem
Aufwand unnötiger Kraftentfaltung, den er als Verehrer Taylors und oberster
Einsteller unserer Wirtschaft zu verwerfen der erste sein müßte. Er bedarf ein¬
hundertsieben Worte, die genau eine halbe Buchseite füllen, um den folgenden
Gedanken auszudrücken: Tradition ist als Trägheitsmoment berechtigt zur Er¬
haltung einer labilen Gemeinschaft; ihr zum Altersstillstand führendes Überwuchern
kann nur durch Idealismus und Schwungkraft verhütet werden.

Aufs lebhafteste erinnert Rathenaus oratorisches Schrifttum an die Künste
jener Improvisatoren seligen Angedenkens, die noch vor vierzig Jahren die Vor-
tragssäle zum Schaudern unsicher machten, sich aus allen Ecken des Saales Worte
wie Aurora, Maikäfer, Seelenfrieden, Piefte, Heringssalat, Nihilismus als Rosinen
aufs Podium in den wohlvorbereiteten Teig schleudern ließen, um dann das
Schnellgebäck als hochpoetisches, gedankenreiches, formvollendetes Sonett, gepriesen
von der gesamten Tagespresse, dem vor Entzücken wiehernden Publiko an den
brettreichen Kopf zu werfen.

Auch eine andere Erinnerung wird wach an den längst verschollenen Stamm¬
tisch, allwo ein rühriges Mitglied der jetzo von Rathenau mit Vertilgung bedrohten


tvalther Rathenaus gesammelte Schriften

Walther Rathenaus gesammelte Schriften

M^t?
^MWAR
U>Wß
WGM^or langen Jahren hat einmal ein witziger Kritiker gesagt, er wette
darauf, der Verfasser von Auerbachs Dorfgeschichten' trage eine
Perücke. Darüber belehrt, daß der Autor eine wohlausgesprochene
Glatze zur Schau trage, erwiderte er: „Dann ist's sicher eine
falsche I"

GoDie gesammelten Schriften Rathenaus drängen mir die Über¬
zeugung auf, daß der Autor Junggeselle ist, nicht Weib noch Kind hat. Ich wette.

Bitte sehrl Man hat Schopenhauers Junggesellentum mit seiner Philosophie
in Beziehung gesetzt, weshalb soll dies nicht auch Rathen an sich geschehen lassen?
Sollte Rathenau nicht wie Schiller eine Lotte oder wie Varnhagen van Ense eine
Rahel haben? Einfach ausgeschlossen! Ich wette.

Der Junggeselle kennt das Leben nur halb. Des Daseins stärkste Erhebungen
und Hemmungen erfährt er nicht im Innern und nicht am Äußern. En versagt
dem Gemeinwesen die Hauptpflicht des Bürgers, eine Familie zu gründen. Es
fehlt ihm an Ergänzung. Er verliert Maßstäbe, und für vieles, das rein menschlich
ist, gewinnt er kein Verständnis.

Alle Probleme dieser Erde hat Rathenau gestreift und einige mehr, nur
dieses nicht. Irgendwo hat er Malthus' Lehre verrucht genannt. „Das Wort
ist wie im Meer ein Pfad, doch tiefe Wegspur läßt die Tat!" Geistiger Führer
der Nation dürfte nur ein Mann sein, der mindestens drei Kinder sein nennt.
Vielleicht kommt es einmal so weit, daß man einen Geheimbten Rat, so in Zukunft
diese interessante Spezies nicht ausstirbt, einen wüsten Streber nennt, weil er
neun Kinder erzeugt hat.

Auch folgendes ist deutlich erkennbar: der Weg seiner Gedanken führt nicht
aus dem Kopf durch die Hand aufs Papier, sondern über die Zunge zum Steno¬
graphen, Maschinenschreibe?, Diktaphon.

Die technischen Fortschritte der Gedankenübertragung verwässern unsere
Literatur bös. Was leise rieseln sollte, wird oratorisch zu Bächen angeschwellt.
Der Redner lebt sich aus und berauscht sich am Klang seiner Worte. Das Stau¬
wehr ist geöffnet, mag es dahinströmen von 10 Uhr bis Mittag und von 5 bis
7 Uhr abends. Sind es nicht Worte, so doch wenigstens Wörter. In den Atem¬
pausen regt der bewundernde Augenaufschlag des Schreibers zu neuem Aufschwung
an, und es plätschert weiter.

Auch im öffentlichen Dienst und im Geschäftsleben dieselbe Verdünnung.
Es ist so bequem, sich nicht konzentrieren zu müssen. Man nimmt sich keine Zeit
mehr zur Kürze. Die Kurzschrift wird langatmig. Phrase und Schwulst stellen
sich ein.

So diktiert auch unser Philosoph seine tiefgründigen Gedanken mit einem
Aufwand unnötiger Kraftentfaltung, den er als Verehrer Taylors und oberster
Einsteller unserer Wirtschaft zu verwerfen der erste sein müßte. Er bedarf ein¬
hundertsieben Worte, die genau eine halbe Buchseite füllen, um den folgenden
Gedanken auszudrücken: Tradition ist als Trägheitsmoment berechtigt zur Er¬
haltung einer labilen Gemeinschaft; ihr zum Altersstillstand führendes Überwuchern
kann nur durch Idealismus und Schwungkraft verhütet werden.

Aufs lebhafteste erinnert Rathenaus oratorisches Schrifttum an die Künste
jener Improvisatoren seligen Angedenkens, die noch vor vierzig Jahren die Vor-
tragssäle zum Schaudern unsicher machten, sich aus allen Ecken des Saales Worte
wie Aurora, Maikäfer, Seelenfrieden, Piefte, Heringssalat, Nihilismus als Rosinen
aufs Podium in den wohlvorbereiteten Teig schleudern ließen, um dann das
Schnellgebäck als hochpoetisches, gedankenreiches, formvollendetes Sonett, gepriesen
von der gesamten Tagespresse, dem vor Entzücken wiehernden Publiko an den
brettreichen Kopf zu werfen.

Auch eine andere Erinnerung wird wach an den längst verschollenen Stamm¬
tisch, allwo ein rühriges Mitglied der jetzo von Rathenau mit Vertilgung bedrohten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0056" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335464"/>
            <fw type="header" place="top"> tvalther Rathenaus gesammelte Schriften</fw><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Walther Rathenaus gesammelte Schriften</head><lb/>
          <p xml:id="ID_183"> M^t?<lb/>
^MWAR<lb/>
U&gt;<lb/>
WGM^or langen Jahren hat einmal ein witziger Kritiker gesagt, er wette<lb/>
darauf, der Verfasser von Auerbachs Dorfgeschichten' trage eine<lb/>
Perücke. Darüber belehrt, daß der Autor eine wohlausgesprochene<lb/>
Glatze zur Schau trage, erwiderte er: &#x201E;Dann ist's sicher eine<lb/>
falsche I"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_184"> GoDie gesammelten Schriften Rathenaus drängen mir die Über¬<lb/>
zeugung auf, daß der Autor Junggeselle ist, nicht Weib noch Kind hat. Ich wette.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_185"> Bitte sehrl Man hat Schopenhauers Junggesellentum mit seiner Philosophie<lb/>
in Beziehung gesetzt, weshalb soll dies nicht auch Rathen an sich geschehen lassen?<lb/>
Sollte Rathenau nicht wie Schiller eine Lotte oder wie Varnhagen van Ense eine<lb/>
Rahel haben?  Einfach ausgeschlossen!  Ich wette.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_186"> Der Junggeselle kennt das Leben nur halb. Des Daseins stärkste Erhebungen<lb/>
und Hemmungen erfährt er nicht im Innern und nicht am Äußern. En versagt<lb/>
dem Gemeinwesen die Hauptpflicht des Bürgers, eine Familie zu gründen. Es<lb/>
fehlt ihm an Ergänzung. Er verliert Maßstäbe, und für vieles, das rein menschlich<lb/>
ist, gewinnt er kein Verständnis.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_187"> Alle Probleme dieser Erde hat Rathenau gestreift und einige mehr, nur<lb/>
dieses nicht. Irgendwo hat er Malthus' Lehre verrucht genannt. &#x201E;Das Wort<lb/>
ist wie im Meer ein Pfad, doch tiefe Wegspur läßt die Tat!" Geistiger Führer<lb/>
der Nation dürfte nur ein Mann sein, der mindestens drei Kinder sein nennt.<lb/>
Vielleicht kommt es einmal so weit, daß man einen Geheimbten Rat, so in Zukunft<lb/>
diese interessante Spezies nicht ausstirbt, einen wüsten Streber nennt, weil er<lb/>
neun Kinder erzeugt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_188"> Auch folgendes ist deutlich erkennbar: der Weg seiner Gedanken führt nicht<lb/>
aus dem Kopf durch die Hand aufs Papier, sondern über die Zunge zum Steno¬<lb/>
graphen, Maschinenschreibe?, Diktaphon.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_189"> Die technischen Fortschritte der Gedankenübertragung verwässern unsere<lb/>
Literatur bös. Was leise rieseln sollte, wird oratorisch zu Bächen angeschwellt.<lb/>
Der Redner lebt sich aus und berauscht sich am Klang seiner Worte. Das Stau¬<lb/>
wehr ist geöffnet, mag es dahinströmen von 10 Uhr bis Mittag und von 5 bis<lb/>
7 Uhr abends. Sind es nicht Worte, so doch wenigstens Wörter. In den Atem¬<lb/>
pausen regt der bewundernde Augenaufschlag des Schreibers zu neuem Aufschwung<lb/>
an, und es plätschert weiter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_190"> Auch im öffentlichen Dienst und im Geschäftsleben dieselbe Verdünnung.<lb/>
Es ist so bequem, sich nicht konzentrieren zu müssen. Man nimmt sich keine Zeit<lb/>
mehr zur Kürze. Die Kurzschrift wird langatmig. Phrase und Schwulst stellen<lb/>
sich ein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_191"> So diktiert auch unser Philosoph seine tiefgründigen Gedanken mit einem<lb/>
Aufwand unnötiger Kraftentfaltung, den er als Verehrer Taylors und oberster<lb/>
Einsteller unserer Wirtschaft zu verwerfen der erste sein müßte. Er bedarf ein¬<lb/>
hundertsieben Worte, die genau eine halbe Buchseite füllen, um den folgenden<lb/>
Gedanken auszudrücken: Tradition ist als Trägheitsmoment berechtigt zur Er¬<lb/>
haltung einer labilen Gemeinschaft; ihr zum Altersstillstand führendes Überwuchern<lb/>
kann nur durch Idealismus und Schwungkraft verhütet werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_192"> Aufs lebhafteste erinnert Rathenaus oratorisches Schrifttum an die Künste<lb/>
jener Improvisatoren seligen Angedenkens, die noch vor vierzig Jahren die Vor-<lb/>
tragssäle zum Schaudern unsicher machten, sich aus allen Ecken des Saales Worte<lb/>
wie Aurora, Maikäfer, Seelenfrieden, Piefte, Heringssalat, Nihilismus als Rosinen<lb/>
aufs Podium in den wohlvorbereiteten Teig schleudern ließen, um dann das<lb/>
Schnellgebäck als hochpoetisches, gedankenreiches, formvollendetes Sonett, gepriesen<lb/>
von der gesamten Tagespresse, dem vor Entzücken wiehernden Publiko an den<lb/>
brettreichen Kopf zu werfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_193" next="#ID_194"> Auch eine andere Erinnerung wird wach an den längst verschollenen Stamm¬<lb/>
tisch, allwo ein rühriges Mitglied der jetzo von Rathenau mit Vertilgung bedrohten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0056] tvalther Rathenaus gesammelte Schriften Walther Rathenaus gesammelte Schriften M^t? ^MWAR U>Wß WGM^or langen Jahren hat einmal ein witziger Kritiker gesagt, er wette darauf, der Verfasser von Auerbachs Dorfgeschichten' trage eine Perücke. Darüber belehrt, daß der Autor eine wohlausgesprochene Glatze zur Schau trage, erwiderte er: „Dann ist's sicher eine falsche I" GoDie gesammelten Schriften Rathenaus drängen mir die Über¬ zeugung auf, daß der Autor Junggeselle ist, nicht Weib noch Kind hat. Ich wette. Bitte sehrl Man hat Schopenhauers Junggesellentum mit seiner Philosophie in Beziehung gesetzt, weshalb soll dies nicht auch Rathen an sich geschehen lassen? Sollte Rathenau nicht wie Schiller eine Lotte oder wie Varnhagen van Ense eine Rahel haben? Einfach ausgeschlossen! Ich wette. Der Junggeselle kennt das Leben nur halb. Des Daseins stärkste Erhebungen und Hemmungen erfährt er nicht im Innern und nicht am Äußern. En versagt dem Gemeinwesen die Hauptpflicht des Bürgers, eine Familie zu gründen. Es fehlt ihm an Ergänzung. Er verliert Maßstäbe, und für vieles, das rein menschlich ist, gewinnt er kein Verständnis. Alle Probleme dieser Erde hat Rathenau gestreift und einige mehr, nur dieses nicht. Irgendwo hat er Malthus' Lehre verrucht genannt. „Das Wort ist wie im Meer ein Pfad, doch tiefe Wegspur läßt die Tat!" Geistiger Führer der Nation dürfte nur ein Mann sein, der mindestens drei Kinder sein nennt. Vielleicht kommt es einmal so weit, daß man einen Geheimbten Rat, so in Zukunft diese interessante Spezies nicht ausstirbt, einen wüsten Streber nennt, weil er neun Kinder erzeugt hat. Auch folgendes ist deutlich erkennbar: der Weg seiner Gedanken führt nicht aus dem Kopf durch die Hand aufs Papier, sondern über die Zunge zum Steno¬ graphen, Maschinenschreibe?, Diktaphon. Die technischen Fortschritte der Gedankenübertragung verwässern unsere Literatur bös. Was leise rieseln sollte, wird oratorisch zu Bächen angeschwellt. Der Redner lebt sich aus und berauscht sich am Klang seiner Worte. Das Stau¬ wehr ist geöffnet, mag es dahinströmen von 10 Uhr bis Mittag und von 5 bis 7 Uhr abends. Sind es nicht Worte, so doch wenigstens Wörter. In den Atem¬ pausen regt der bewundernde Augenaufschlag des Schreibers zu neuem Aufschwung an, und es plätschert weiter. Auch im öffentlichen Dienst und im Geschäftsleben dieselbe Verdünnung. Es ist so bequem, sich nicht konzentrieren zu müssen. Man nimmt sich keine Zeit mehr zur Kürze. Die Kurzschrift wird langatmig. Phrase und Schwulst stellen sich ein. So diktiert auch unser Philosoph seine tiefgründigen Gedanken mit einem Aufwand unnötiger Kraftentfaltung, den er als Verehrer Taylors und oberster Einsteller unserer Wirtschaft zu verwerfen der erste sein müßte. Er bedarf ein¬ hundertsieben Worte, die genau eine halbe Buchseite füllen, um den folgenden Gedanken auszudrücken: Tradition ist als Trägheitsmoment berechtigt zur Er¬ haltung einer labilen Gemeinschaft; ihr zum Altersstillstand führendes Überwuchern kann nur durch Idealismus und Schwungkraft verhütet werden. Aufs lebhafteste erinnert Rathenaus oratorisches Schrifttum an die Künste jener Improvisatoren seligen Angedenkens, die noch vor vierzig Jahren die Vor- tragssäle zum Schaudern unsicher machten, sich aus allen Ecken des Saales Worte wie Aurora, Maikäfer, Seelenfrieden, Piefte, Heringssalat, Nihilismus als Rosinen aufs Podium in den wohlvorbereiteten Teig schleudern ließen, um dann das Schnellgebäck als hochpoetisches, gedankenreiches, formvollendetes Sonett, gepriesen von der gesamten Tagespresse, dem vor Entzücken wiehernden Publiko an den brettreichen Kopf zu werfen. Auch eine andere Erinnerung wird wach an den längst verschollenen Stamm¬ tisch, allwo ein rühriges Mitglied der jetzo von Rathenau mit Vertilgung bedrohten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/56
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/56>, abgerufen am 18.12.2024.