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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Materialien zur ostdeutschen Frage

Stadt Danzig" wird nicht in der Lage sein, sich nach eigenem Willen ihre Ver¬
fassung zu zimmern. Artikel 104 spricht von einem Abkommen, das zwischen der
polnischen Negierung und der "Freien Stadt Danzig" nach Festsetzung der Entente
abgeschlossen werden soll. Zum Wesen völkerrechtlicher Selbständigkeit gehört die
Vertragsfreiheit. Hier wird der Vertrag diktiert von der Entente; in welchem
Sinne er diktiert werden wird, kann nach den: Geist des ganzen Friedens¬
vorschlages keinem Zweifel unterliegen. Was soll nun in diesem Vertrag mit
Polen enthalten sein? Danzig gehört in das polnische Zollgebiet. Den Polen
steht die freie Benutzung sänulicher Verkehrsanlagen, die Kontrolle und Verwaltung
dieser Verkehrsanlagen, sowie der Weichsel zu. Sie können die erwähnten Verkehrs¬
anlagen ausbauen, Gelände kaufen, und schließlich steht der polnischen Regierung
die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten und der Schutz der Danziger Bürger
im Auslande zu. Man fragt sich vergeblich, wo bleibt die "Freie Stadt"? Danzig
hat als preußische Stadt eine umfangreichere Selbständigkeit in der Verwaltung
seiner Angelegenheiten als sie es als "Freie Stadt" haben soll. Auf alles, was
Danziger Fleiß und Danziger Selbständigkeit für die wirtschaftliche Entwicklung
der Stadt getan haben, sind die Polen in der Lage die Hand zu legen. Sie sind
in der Lage, Grundbesitz zu enteignen, und die Bestimmungen über Kontrolle und
Verwaltung, unter anderem auch der Post-, Telegraphen- und Telephonverbindnngen,
geben ihnen ein Druckmittel der Stadtverwaltung gegenüber in die Hand, gegen
das ein Widerstand nicht möglich sein wird. Aber nicht einmal auf kulturellen
Gebiete ist die Selbständigkeit hinreichend gewährleistet. Die Bestimmungen, die
dafür sorgen sollen, daß keine unterschiedliche Behandlung der Bevölkerung zum
Nachteil der polnischen Staatsangehörigen und aller Personen polnischer Mutter¬
sprache stattfinden, bieten die Möglichkeit zu einer Polonisierungspolitik, der gegen¬
über die "Freie Stadt" wehrlos sein muß. Durch die Uebertragung deS Schutzes
der Danziger im Ausland werden die Abhängigkeiten von Polen noch wesentlich
verstärkt.

Eine völlig nichtssagende Bestimmung ist auch die Erlaubnis für die
Danziger, die für Deutschland optieren, ihr unbewegliches Vermögen zu behalten;
denn es fehlen alle Bestimmungen über Freizügigkeit und über den Rechtsschutz
von Ausländern in der Stadt Danzig. Danziger Bürger, die also für Deutschland
optieren, aber glauben, ihr unbewegliches Vermögen weiter verwerten zu können,
haben nicht die geringste Sicherheit davor, in jeder Weise schikaniert und an der
Ausnutzung ihres Vermögens völlig verhindert zu werden.

So sieht die "Freie Stadt Danzig" aus. Es gehört etwas viel Naivität
dazu, anzunehmen, daß die Danziger Bevölkerung sich von diesem Trugbild locken
lassen wird. Die "Freie Stadt Danzig" ist ein Vasallenstaat Polens ohne jeden
Rechtsschutz. In der Bevölkerung Danzigs lebt noch der stolze deutsche Geist, dem
Danzig seine Blüte verdankt. An diesem deutschen Geist werden die wahnsinnigen
Absichten der Entente und der Polen scheitern.


[Beginn Spaltensatz]
Denkschrift der vereinigten Volks¬
räte der Areiss Birnbaum,
Bomsi, Meseritz, Neutomischel
und Schwerin

Die unerhörten Friedensüedingungen von
Versailles ziehen im Westen der Provinz
Posen eine Grenze, die fast genau der ur¬
sprünglich geforderten falschen Demarkations¬
linie entspricht, die später ostwärts richtig
gestellt werden müszte. Ausschlaggebend sind

[Spaltenumbruch]

dabei offenbar überwiegend militärisch-strate¬
gische Gesichtspunkte gewesen, obgleich solche
Rücksichten bei Verwirklichung des Völker¬
bundes überflüssig wären.

Diese Festlegung der Gebietsgrenzen
steht mit den Grundsätzen des Wilsonschen
Programms in krassesten Widerspruch.

Für unsere Gegner ist bet der Grenz¬
forderung augenscheinlich nur das von den
Polen beigebrachte Material bestimmend
gewesen, das seinerzeit schon zu der falschen
Festsetzung der Demarkationslinie führte.

[Ende Spaltensatz]
Materialien zur ostdeutschen Frage

Stadt Danzig" wird nicht in der Lage sein, sich nach eigenem Willen ihre Ver¬
fassung zu zimmern. Artikel 104 spricht von einem Abkommen, das zwischen der
polnischen Negierung und der „Freien Stadt Danzig" nach Festsetzung der Entente
abgeschlossen werden soll. Zum Wesen völkerrechtlicher Selbständigkeit gehört die
Vertragsfreiheit. Hier wird der Vertrag diktiert von der Entente; in welchem
Sinne er diktiert werden wird, kann nach den: Geist des ganzen Friedens¬
vorschlages keinem Zweifel unterliegen. Was soll nun in diesem Vertrag mit
Polen enthalten sein? Danzig gehört in das polnische Zollgebiet. Den Polen
steht die freie Benutzung sänulicher Verkehrsanlagen, die Kontrolle und Verwaltung
dieser Verkehrsanlagen, sowie der Weichsel zu. Sie können die erwähnten Verkehrs¬
anlagen ausbauen, Gelände kaufen, und schließlich steht der polnischen Regierung
die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten und der Schutz der Danziger Bürger
im Auslande zu. Man fragt sich vergeblich, wo bleibt die „Freie Stadt"? Danzig
hat als preußische Stadt eine umfangreichere Selbständigkeit in der Verwaltung
seiner Angelegenheiten als sie es als „Freie Stadt" haben soll. Auf alles, was
Danziger Fleiß und Danziger Selbständigkeit für die wirtschaftliche Entwicklung
der Stadt getan haben, sind die Polen in der Lage die Hand zu legen. Sie sind
in der Lage, Grundbesitz zu enteignen, und die Bestimmungen über Kontrolle und
Verwaltung, unter anderem auch der Post-, Telegraphen- und Telephonverbindnngen,
geben ihnen ein Druckmittel der Stadtverwaltung gegenüber in die Hand, gegen
das ein Widerstand nicht möglich sein wird. Aber nicht einmal auf kulturellen
Gebiete ist die Selbständigkeit hinreichend gewährleistet. Die Bestimmungen, die
dafür sorgen sollen, daß keine unterschiedliche Behandlung der Bevölkerung zum
Nachteil der polnischen Staatsangehörigen und aller Personen polnischer Mutter¬
sprache stattfinden, bieten die Möglichkeit zu einer Polonisierungspolitik, der gegen¬
über die „Freie Stadt" wehrlos sein muß. Durch die Uebertragung deS Schutzes
der Danziger im Ausland werden die Abhängigkeiten von Polen noch wesentlich
verstärkt.

Eine völlig nichtssagende Bestimmung ist auch die Erlaubnis für die
Danziger, die für Deutschland optieren, ihr unbewegliches Vermögen zu behalten;
denn es fehlen alle Bestimmungen über Freizügigkeit und über den Rechtsschutz
von Ausländern in der Stadt Danzig. Danziger Bürger, die also für Deutschland
optieren, aber glauben, ihr unbewegliches Vermögen weiter verwerten zu können,
haben nicht die geringste Sicherheit davor, in jeder Weise schikaniert und an der
Ausnutzung ihres Vermögens völlig verhindert zu werden.

So sieht die „Freie Stadt Danzig" aus. Es gehört etwas viel Naivität
dazu, anzunehmen, daß die Danziger Bevölkerung sich von diesem Trugbild locken
lassen wird. Die „Freie Stadt Danzig" ist ein Vasallenstaat Polens ohne jeden
Rechtsschutz. In der Bevölkerung Danzigs lebt noch der stolze deutsche Geist, dem
Danzig seine Blüte verdankt. An diesem deutschen Geist werden die wahnsinnigen
Absichten der Entente und der Polen scheitern.


[Beginn Spaltensatz]
Denkschrift der vereinigten Volks¬
räte der Areiss Birnbaum,
Bomsi, Meseritz, Neutomischel
und Schwerin

Die unerhörten Friedensüedingungen von
Versailles ziehen im Westen der Provinz
Posen eine Grenze, die fast genau der ur¬
sprünglich geforderten falschen Demarkations¬
linie entspricht, die später ostwärts richtig
gestellt werden müszte. Ausschlaggebend sind

[Spaltenumbruch]

dabei offenbar überwiegend militärisch-strate¬
gische Gesichtspunkte gewesen, obgleich solche
Rücksichten bei Verwirklichung des Völker¬
bundes überflüssig wären.

Diese Festlegung der Gebietsgrenzen
steht mit den Grundsätzen des Wilsonschen
Programms in krassesten Widerspruch.

Für unsere Gegner ist bet der Grenz¬
forderung augenscheinlich nur das von den
Polen beigebrachte Material bestimmend
gewesen, das seinerzeit schon zu der falschen
Festsetzung der Demarkationslinie führte.

[Ende Spaltensatz]
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[0500] Materialien zur ostdeutschen Frage Stadt Danzig" wird nicht in der Lage sein, sich nach eigenem Willen ihre Ver¬ fassung zu zimmern. Artikel 104 spricht von einem Abkommen, das zwischen der polnischen Negierung und der „Freien Stadt Danzig" nach Festsetzung der Entente abgeschlossen werden soll. Zum Wesen völkerrechtlicher Selbständigkeit gehört die Vertragsfreiheit. Hier wird der Vertrag diktiert von der Entente; in welchem Sinne er diktiert werden wird, kann nach den: Geist des ganzen Friedens¬ vorschlages keinem Zweifel unterliegen. Was soll nun in diesem Vertrag mit Polen enthalten sein? Danzig gehört in das polnische Zollgebiet. Den Polen steht die freie Benutzung sänulicher Verkehrsanlagen, die Kontrolle und Verwaltung dieser Verkehrsanlagen, sowie der Weichsel zu. Sie können die erwähnten Verkehrs¬ anlagen ausbauen, Gelände kaufen, und schließlich steht der polnischen Regierung die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten und der Schutz der Danziger Bürger im Auslande zu. Man fragt sich vergeblich, wo bleibt die „Freie Stadt"? Danzig hat als preußische Stadt eine umfangreichere Selbständigkeit in der Verwaltung seiner Angelegenheiten als sie es als „Freie Stadt" haben soll. Auf alles, was Danziger Fleiß und Danziger Selbständigkeit für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt getan haben, sind die Polen in der Lage die Hand zu legen. Sie sind in der Lage, Grundbesitz zu enteignen, und die Bestimmungen über Kontrolle und Verwaltung, unter anderem auch der Post-, Telegraphen- und Telephonverbindnngen, geben ihnen ein Druckmittel der Stadtverwaltung gegenüber in die Hand, gegen das ein Widerstand nicht möglich sein wird. Aber nicht einmal auf kulturellen Gebiete ist die Selbständigkeit hinreichend gewährleistet. Die Bestimmungen, die dafür sorgen sollen, daß keine unterschiedliche Behandlung der Bevölkerung zum Nachteil der polnischen Staatsangehörigen und aller Personen polnischer Mutter¬ sprache stattfinden, bieten die Möglichkeit zu einer Polonisierungspolitik, der gegen¬ über die „Freie Stadt" wehrlos sein muß. Durch die Uebertragung deS Schutzes der Danziger im Ausland werden die Abhängigkeiten von Polen noch wesentlich verstärkt. Eine völlig nichtssagende Bestimmung ist auch die Erlaubnis für die Danziger, die für Deutschland optieren, ihr unbewegliches Vermögen zu behalten; denn es fehlen alle Bestimmungen über Freizügigkeit und über den Rechtsschutz von Ausländern in der Stadt Danzig. Danziger Bürger, die also für Deutschland optieren, aber glauben, ihr unbewegliches Vermögen weiter verwerten zu können, haben nicht die geringste Sicherheit davor, in jeder Weise schikaniert und an der Ausnutzung ihres Vermögens völlig verhindert zu werden. So sieht die „Freie Stadt Danzig" aus. Es gehört etwas viel Naivität dazu, anzunehmen, daß die Danziger Bevölkerung sich von diesem Trugbild locken lassen wird. Die „Freie Stadt Danzig" ist ein Vasallenstaat Polens ohne jeden Rechtsschutz. In der Bevölkerung Danzigs lebt noch der stolze deutsche Geist, dem Danzig seine Blüte verdankt. An diesem deutschen Geist werden die wahnsinnigen Absichten der Entente und der Polen scheitern. Denkschrift der vereinigten Volks¬ räte der Areiss Birnbaum, Bomsi, Meseritz, Neutomischel und Schwerin Die unerhörten Friedensüedingungen von Versailles ziehen im Westen der Provinz Posen eine Grenze, die fast genau der ur¬ sprünglich geforderten falschen Demarkations¬ linie entspricht, die später ostwärts richtig gestellt werden müszte. Ausschlaggebend sind dabei offenbar überwiegend militärisch-strate¬ gische Gesichtspunkte gewesen, obgleich solche Rücksichten bei Verwirklichung des Völker¬ bundes überflüssig wären. Diese Festlegung der Gebietsgrenzen steht mit den Grundsätzen des Wilsonschen Programms in krassesten Widerspruch. Für unsere Gegner ist bet der Grenz¬ forderung augenscheinlich nur das von den Polen beigebrachte Material bestimmend gewesen, das seinerzeit schon zu der falschen Festsetzung der Demarkationslinie führte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/500>, abgerufen am 18.12.2024.