Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Idee und Ursprung der Revolution

sie ?eit langem, seit Monaten und wahrscheinlich seit Jahren, im Heere vorbereitet
und organisiert worden ist und dort überhaupt mgunisiert werden konnte. Es
steht einstweilen offen, ob dies mit Wissen und Willen der Leiter des Mehrheits¬
sozialismus geschah oder ob diese Männer nur im letzten Augenblick der Bewegung
nachgaben und mittaten, um ihre für das Gesamtdasein der Nation lebensgefähr-
liche Stoßkraft auffangen und abschwächen zu könne". Immerhin: die Klassen¬
revolution fand nicht statt als elementare Willenshandlung der ausschlaggebenden
Kräfte im VoMgcmzen, sondern sie fand nnr deshalb statt, weil es für die erfolg¬
reiche Anwendung ihres früher entstandenen und theoretisch aufbewahrten P-inzips
eine unwiderbringliche Gelegenheit gab. Deshalb ging sie auch nicht mit einem
rauschenden Brausen voller Urgewalt vor sich, sondern in den unerquicklichen
Formen eines halb schleichenden und halb theatralischen Versehwörerlums, und
ihr Losbruch und ihr Ergebnis trafen miteinander überein als "fertige Tatsache."
Ihre wirkliche Ursache war nicht ein innerer Grund aus der Notwendigkeit von
Entwicklungsgesetzen heraus, sondern diese Ursache kam nur aus einem äußeren,
mit dem Kriegsheer gegebenen und durch den Krieg vermittelten, sozusagen von
der Außenpolitik des N ichs hervorgerufenen Anlaß. Sie war eine Gelegenheits¬
revolution, für die der Erfolg sprach.

Weil es aber so liegt und dieser Revolution die innere geschichtliche Not¬
wendigkeit abgeht, darum fehlt ihr auch eine eigentümlich;:, selbständige Idee.
Sie ist, wenn man es auf eine Formel bringen will, aus einer negativen Er¬
scheinung des militärischen Lebens hervorgegangen. Somit war ihre erste Idee,
unter der sie in ihren Anfängen auftrat, nnlitänsch gerichtet und negativ. Sie
lautete nur gegen und nicht für etwas, nämlich gegen das System des "impeiia-
listischen Militarismus". Das konnte aber höchstens ein Schlagwort sein und
keine Idee. Denn soweit'in. der Redensart vom "System bis Milimrismus etwas
Wahres steckt, handelt es sich -- neben bloßen Organisationsfehlern -- um die
Übertragung militärischer Lebensformen auf nichtmililcirische Lebenserscheinungen,
d. y. es handelt sich um sogenannte Auswüchse, zu deren Beseitigung keine Revo¬
lution nötig war. Und der Imperialismus ist überhaupt kein "System", sondern
ein staatliches Entwicklungsstadium, das dem Wesen der fortwährenden Geschichte
einwohnt und sich nie aus der Welt schaffen läßt. Er ist ein überzeitliches Gesetz,
dessen Geltung immer wiederkehrt und mit "Eroberungssucht" an sich nichts zu
tun hat. Der einfache Mensch begreift dergleichen nicht und vergißt es, sobald
er die unmittelbaren Anforderungen an sein Dasein nicht mehr verspürt. Des¬
wegen brachte die vermeintliche Idee "gegen" den militaristischen Imperialismus
keine dauernde Lebens- und Wirkungskraft auf, und sie konnte von vornherein,
da sie sich bloß verneinend verhält, keine schaffende Bedeutung aufbringen.

Nachträglich, als das Ergebnis und der Erfolg der Revolution bereits klar
vor aller Augen lagen, besann sich ihre soziale Klassenbewegung auf den Wort¬
laut des Erfurter Programms. Man dürfte hier vielleicht einwarfen, sie habe es
nur nicht vorher enthüllt. Aber Tatsache bleibt doch, daß diese Parteilehre auf
die lebendige Treibkraft des revolutionären Vorgangs und die Beschaffenheit seiner
aktuellen Bedingungen und Entstehungsnrsachcn nicht in einer ausschlaggebend
bestimmenden Weise gewirkt hat. Eben erst nachträglich wurde das längst historisch
gewordene Erfurter Programm wieder eingesetzt und als Ziel und "Idee"
aufgestellt. Das hat zu bedeuten: die Klassenrevolution entnahm ihre
revolutionäre Idee der Geschichte; ihr geistiges Bewußtsein wurde historisch
orientiert. Allerdings konnte es kaum anders zugehen, da gerade die revo¬
lutionäre Willensabsicht in der Klassenbewegung bereits etwas Historisches,
ein von der Geschichte aufbewahrtes Moment war. Aber nun kommt
das eigentlich Interessante: dieses historische Orientiertsein übertrug sich auf die
Politisch-nationale' Richtung, die sich im Flusse einer gewalilosen Verfassungs¬
umwälzung befand, mit derselben Schnelligkeit, mit der sich der revolutionäre
Bewegungscharakter auf sie übertrug. Die politisch-nationale Richtung in der
Revolution vergaß mit einem Male die Anforderungen der Gegenwart; sie holt"


Idee und Ursprung der Revolution

sie ?eit langem, seit Monaten und wahrscheinlich seit Jahren, im Heere vorbereitet
und organisiert worden ist und dort überhaupt mgunisiert werden konnte. Es
steht einstweilen offen, ob dies mit Wissen und Willen der Leiter des Mehrheits¬
sozialismus geschah oder ob diese Männer nur im letzten Augenblick der Bewegung
nachgaben und mittaten, um ihre für das Gesamtdasein der Nation lebensgefähr-
liche Stoßkraft auffangen und abschwächen zu könne». Immerhin: die Klassen¬
revolution fand nicht statt als elementare Willenshandlung der ausschlaggebenden
Kräfte im VoMgcmzen, sondern sie fand nnr deshalb statt, weil es für die erfolg¬
reiche Anwendung ihres früher entstandenen und theoretisch aufbewahrten P-inzips
eine unwiderbringliche Gelegenheit gab. Deshalb ging sie auch nicht mit einem
rauschenden Brausen voller Urgewalt vor sich, sondern in den unerquicklichen
Formen eines halb schleichenden und halb theatralischen Versehwörerlums, und
ihr Losbruch und ihr Ergebnis trafen miteinander überein als „fertige Tatsache."
Ihre wirkliche Ursache war nicht ein innerer Grund aus der Notwendigkeit von
Entwicklungsgesetzen heraus, sondern diese Ursache kam nur aus einem äußeren,
mit dem Kriegsheer gegebenen und durch den Krieg vermittelten, sozusagen von
der Außenpolitik des N ichs hervorgerufenen Anlaß. Sie war eine Gelegenheits¬
revolution, für die der Erfolg sprach.

Weil es aber so liegt und dieser Revolution die innere geschichtliche Not¬
wendigkeit abgeht, darum fehlt ihr auch eine eigentümlich;:, selbständige Idee.
Sie ist, wenn man es auf eine Formel bringen will, aus einer negativen Er¬
scheinung des militärischen Lebens hervorgegangen. Somit war ihre erste Idee,
unter der sie in ihren Anfängen auftrat, nnlitänsch gerichtet und negativ. Sie
lautete nur gegen und nicht für etwas, nämlich gegen das System des „impeiia-
listischen Militarismus". Das konnte aber höchstens ein Schlagwort sein und
keine Idee. Denn soweit'in. der Redensart vom «System bis Milimrismus etwas
Wahres steckt, handelt es sich — neben bloßen Organisationsfehlern — um die
Übertragung militärischer Lebensformen auf nichtmililcirische Lebenserscheinungen,
d. y. es handelt sich um sogenannte Auswüchse, zu deren Beseitigung keine Revo¬
lution nötig war. Und der Imperialismus ist überhaupt kein „System", sondern
ein staatliches Entwicklungsstadium, das dem Wesen der fortwährenden Geschichte
einwohnt und sich nie aus der Welt schaffen läßt. Er ist ein überzeitliches Gesetz,
dessen Geltung immer wiederkehrt und mit „Eroberungssucht" an sich nichts zu
tun hat. Der einfache Mensch begreift dergleichen nicht und vergißt es, sobald
er die unmittelbaren Anforderungen an sein Dasein nicht mehr verspürt. Des¬
wegen brachte die vermeintliche Idee „gegen" den militaristischen Imperialismus
keine dauernde Lebens- und Wirkungskraft auf, und sie konnte von vornherein,
da sie sich bloß verneinend verhält, keine schaffende Bedeutung aufbringen.

Nachträglich, als das Ergebnis und der Erfolg der Revolution bereits klar
vor aller Augen lagen, besann sich ihre soziale Klassenbewegung auf den Wort¬
laut des Erfurter Programms. Man dürfte hier vielleicht einwarfen, sie habe es
nur nicht vorher enthüllt. Aber Tatsache bleibt doch, daß diese Parteilehre auf
die lebendige Treibkraft des revolutionären Vorgangs und die Beschaffenheit seiner
aktuellen Bedingungen und Entstehungsnrsachcn nicht in einer ausschlaggebend
bestimmenden Weise gewirkt hat. Eben erst nachträglich wurde das längst historisch
gewordene Erfurter Programm wieder eingesetzt und als Ziel und „Idee"
aufgestellt. Das hat zu bedeuten: die Klassenrevolution entnahm ihre
revolutionäre Idee der Geschichte; ihr geistiges Bewußtsein wurde historisch
orientiert. Allerdings konnte es kaum anders zugehen, da gerade die revo¬
lutionäre Willensabsicht in der Klassenbewegung bereits etwas Historisches,
ein von der Geschichte aufbewahrtes Moment war. Aber nun kommt
das eigentlich Interessante: dieses historische Orientiertsein übertrug sich auf die
Politisch-nationale' Richtung, die sich im Flusse einer gewalilosen Verfassungs¬
umwälzung befand, mit derselben Schnelligkeit, mit der sich der revolutionäre
Bewegungscharakter auf sie übertrug. Die politisch-nationale Richtung in der
Revolution vergaß mit einem Male die Anforderungen der Gegenwart; sie holt«


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335455"/>
          <fw type="header" place="top"> Idee und Ursprung der Revolution</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_128" prev="#ID_127"> sie ?eit langem, seit Monaten und wahrscheinlich seit Jahren, im Heere vorbereitet<lb/>
und organisiert worden ist und dort überhaupt mgunisiert werden konnte. Es<lb/>
steht einstweilen offen, ob dies mit Wissen und Willen der Leiter des Mehrheits¬<lb/>
sozialismus geschah oder ob diese Männer nur im letzten Augenblick der Bewegung<lb/>
nachgaben und mittaten, um ihre für das Gesamtdasein der Nation lebensgefähr-<lb/>
liche Stoßkraft auffangen und abschwächen zu könne». Immerhin: die Klassen¬<lb/>
revolution fand nicht statt als elementare Willenshandlung der ausschlaggebenden<lb/>
Kräfte im VoMgcmzen, sondern sie fand nnr deshalb statt, weil es für die erfolg¬<lb/>
reiche Anwendung ihres früher entstandenen und theoretisch aufbewahrten P-inzips<lb/>
eine unwiderbringliche Gelegenheit gab. Deshalb ging sie auch nicht mit einem<lb/>
rauschenden Brausen voller Urgewalt vor sich, sondern in den unerquicklichen<lb/>
Formen eines halb schleichenden und halb theatralischen Versehwörerlums, und<lb/>
ihr Losbruch und ihr Ergebnis trafen miteinander überein als &#x201E;fertige Tatsache."<lb/>
Ihre wirkliche Ursache war nicht ein innerer Grund aus der Notwendigkeit von<lb/>
Entwicklungsgesetzen heraus, sondern diese Ursache kam nur aus einem äußeren,<lb/>
mit dem Kriegsheer gegebenen und durch den Krieg vermittelten, sozusagen von<lb/>
der Außenpolitik des N ichs hervorgerufenen Anlaß. Sie war eine Gelegenheits¬<lb/>
revolution, für die der Erfolg sprach.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_129"> Weil es aber so liegt und dieser Revolution die innere geschichtliche Not¬<lb/>
wendigkeit abgeht, darum fehlt ihr auch eine eigentümlich;:, selbständige Idee.<lb/>
Sie ist, wenn man es auf eine Formel bringen will, aus einer negativen Er¬<lb/>
scheinung des militärischen Lebens hervorgegangen. Somit war ihre erste Idee,<lb/>
unter der sie in ihren Anfängen auftrat, nnlitänsch gerichtet und negativ. Sie<lb/>
lautete nur gegen und nicht für etwas, nämlich gegen das System des &#x201E;impeiia-<lb/>
listischen Militarismus". Das konnte aber höchstens ein Schlagwort sein und<lb/>
keine Idee. Denn soweit'in. der Redensart vom «System bis Milimrismus etwas<lb/>
Wahres steckt, handelt es sich &#x2014; neben bloßen Organisationsfehlern &#x2014; um die<lb/>
Übertragung militärischer Lebensformen auf nichtmililcirische Lebenserscheinungen,<lb/>
d. y. es handelt sich um sogenannte Auswüchse, zu deren Beseitigung keine Revo¬<lb/>
lution nötig war. Und der Imperialismus ist überhaupt kein &#x201E;System", sondern<lb/>
ein staatliches Entwicklungsstadium, das dem Wesen der fortwährenden Geschichte<lb/>
einwohnt und sich nie aus der Welt schaffen läßt. Er ist ein überzeitliches Gesetz,<lb/>
dessen Geltung immer wiederkehrt und mit &#x201E;Eroberungssucht" an sich nichts zu<lb/>
tun hat. Der einfache Mensch begreift dergleichen nicht und vergißt es, sobald<lb/>
er die unmittelbaren Anforderungen an sein Dasein nicht mehr verspürt. Des¬<lb/>
wegen brachte die vermeintliche Idee &#x201E;gegen" den militaristischen Imperialismus<lb/>
keine dauernde Lebens- und Wirkungskraft auf, und sie konnte von vornherein,<lb/>
da sie sich bloß verneinend verhält, keine schaffende Bedeutung aufbringen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_130" next="#ID_131"> Nachträglich, als das Ergebnis und der Erfolg der Revolution bereits klar<lb/>
vor aller Augen lagen, besann sich ihre soziale Klassenbewegung auf den Wort¬<lb/>
laut des Erfurter Programms. Man dürfte hier vielleicht einwarfen, sie habe es<lb/>
nur nicht vorher enthüllt. Aber Tatsache bleibt doch, daß diese Parteilehre auf<lb/>
die lebendige Treibkraft des revolutionären Vorgangs und die Beschaffenheit seiner<lb/>
aktuellen Bedingungen und Entstehungsnrsachcn nicht in einer ausschlaggebend<lb/>
bestimmenden Weise gewirkt hat. Eben erst nachträglich wurde das längst historisch<lb/>
gewordene Erfurter Programm wieder eingesetzt und als Ziel und &#x201E;Idee"<lb/>
aufgestellt. Das hat zu bedeuten: die Klassenrevolution entnahm ihre<lb/>
revolutionäre Idee der Geschichte; ihr geistiges Bewußtsein wurde historisch<lb/>
orientiert. Allerdings konnte es kaum anders zugehen, da gerade die revo¬<lb/>
lutionäre Willensabsicht in der Klassenbewegung bereits etwas Historisches,<lb/>
ein von der Geschichte aufbewahrtes Moment war. Aber nun kommt<lb/>
das eigentlich Interessante: dieses historische Orientiertsein übertrug sich auf die<lb/>
Politisch-nationale' Richtung, die sich im Flusse einer gewalilosen Verfassungs¬<lb/>
umwälzung befand, mit derselben Schnelligkeit, mit der sich der revolutionäre<lb/>
Bewegungscharakter auf sie übertrug. Die politisch-nationale Richtung in der<lb/>
Revolution vergaß mit einem Male die Anforderungen der Gegenwart; sie holt«</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0047] Idee und Ursprung der Revolution sie ?eit langem, seit Monaten und wahrscheinlich seit Jahren, im Heere vorbereitet und organisiert worden ist und dort überhaupt mgunisiert werden konnte. Es steht einstweilen offen, ob dies mit Wissen und Willen der Leiter des Mehrheits¬ sozialismus geschah oder ob diese Männer nur im letzten Augenblick der Bewegung nachgaben und mittaten, um ihre für das Gesamtdasein der Nation lebensgefähr- liche Stoßkraft auffangen und abschwächen zu könne». Immerhin: die Klassen¬ revolution fand nicht statt als elementare Willenshandlung der ausschlaggebenden Kräfte im VoMgcmzen, sondern sie fand nnr deshalb statt, weil es für die erfolg¬ reiche Anwendung ihres früher entstandenen und theoretisch aufbewahrten P-inzips eine unwiderbringliche Gelegenheit gab. Deshalb ging sie auch nicht mit einem rauschenden Brausen voller Urgewalt vor sich, sondern in den unerquicklichen Formen eines halb schleichenden und halb theatralischen Versehwörerlums, und ihr Losbruch und ihr Ergebnis trafen miteinander überein als „fertige Tatsache." Ihre wirkliche Ursache war nicht ein innerer Grund aus der Notwendigkeit von Entwicklungsgesetzen heraus, sondern diese Ursache kam nur aus einem äußeren, mit dem Kriegsheer gegebenen und durch den Krieg vermittelten, sozusagen von der Außenpolitik des N ichs hervorgerufenen Anlaß. Sie war eine Gelegenheits¬ revolution, für die der Erfolg sprach. Weil es aber so liegt und dieser Revolution die innere geschichtliche Not¬ wendigkeit abgeht, darum fehlt ihr auch eine eigentümlich;:, selbständige Idee. Sie ist, wenn man es auf eine Formel bringen will, aus einer negativen Er¬ scheinung des militärischen Lebens hervorgegangen. Somit war ihre erste Idee, unter der sie in ihren Anfängen auftrat, nnlitänsch gerichtet und negativ. Sie lautete nur gegen und nicht für etwas, nämlich gegen das System des „impeiia- listischen Militarismus". Das konnte aber höchstens ein Schlagwort sein und keine Idee. Denn soweit'in. der Redensart vom «System bis Milimrismus etwas Wahres steckt, handelt es sich — neben bloßen Organisationsfehlern — um die Übertragung militärischer Lebensformen auf nichtmililcirische Lebenserscheinungen, d. y. es handelt sich um sogenannte Auswüchse, zu deren Beseitigung keine Revo¬ lution nötig war. Und der Imperialismus ist überhaupt kein „System", sondern ein staatliches Entwicklungsstadium, das dem Wesen der fortwährenden Geschichte einwohnt und sich nie aus der Welt schaffen läßt. Er ist ein überzeitliches Gesetz, dessen Geltung immer wiederkehrt und mit „Eroberungssucht" an sich nichts zu tun hat. Der einfache Mensch begreift dergleichen nicht und vergißt es, sobald er die unmittelbaren Anforderungen an sein Dasein nicht mehr verspürt. Des¬ wegen brachte die vermeintliche Idee „gegen" den militaristischen Imperialismus keine dauernde Lebens- und Wirkungskraft auf, und sie konnte von vornherein, da sie sich bloß verneinend verhält, keine schaffende Bedeutung aufbringen. Nachträglich, als das Ergebnis und der Erfolg der Revolution bereits klar vor aller Augen lagen, besann sich ihre soziale Klassenbewegung auf den Wort¬ laut des Erfurter Programms. Man dürfte hier vielleicht einwarfen, sie habe es nur nicht vorher enthüllt. Aber Tatsache bleibt doch, daß diese Parteilehre auf die lebendige Treibkraft des revolutionären Vorgangs und die Beschaffenheit seiner aktuellen Bedingungen und Entstehungsnrsachcn nicht in einer ausschlaggebend bestimmenden Weise gewirkt hat. Eben erst nachträglich wurde das längst historisch gewordene Erfurter Programm wieder eingesetzt und als Ziel und „Idee" aufgestellt. Das hat zu bedeuten: die Klassenrevolution entnahm ihre revolutionäre Idee der Geschichte; ihr geistiges Bewußtsein wurde historisch orientiert. Allerdings konnte es kaum anders zugehen, da gerade die revo¬ lutionäre Willensabsicht in der Klassenbewegung bereits etwas Historisches, ein von der Geschichte aufbewahrtes Moment war. Aber nun kommt das eigentlich Interessante: dieses historische Orientiertsein übertrug sich auf die Politisch-nationale' Richtung, die sich im Flusse einer gewalilosen Verfassungs¬ umwälzung befand, mit derselben Schnelligkeit, mit der sich der revolutionäre Bewegungscharakter auf sie übertrug. Die politisch-nationale Richtung in der Revolution vergaß mit einem Male die Anforderungen der Gegenwart; sie holt«

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/47
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/47>, abgerufen am 09.11.2024.