Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Nach bestimmten Anhaltspunkten zu urteilen, hat diese Legende ihren Ent- Indessen wäre das flämische Vorkommnis im Gedächtnis der Menschen nach Der Deutsche, welcher den Flamen jenen ersten Dienst der schriftlichen Nun lebte in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts in den Wenn der flämische Dichter im Umfange seiner Versnovelle erklärend sagt: Nach bestimmten Anhaltspunkten zu urteilen, hat diese Legende ihren Ent- Indessen wäre das flämische Vorkommnis im Gedächtnis der Menschen nach Der Deutsche, welcher den Flamen jenen ersten Dienst der schriftlichen Nun lebte in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts in den Wenn der flämische Dichter im Umfange seiner Versnovelle erklärend sagt: <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0335" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335747"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1448"> Nach bestimmten Anhaltspunkten zu urteilen, hat diese Legende ihren Ent-<lb/> stehungsort in Flämisch Brabant, näher bestimmt in der Umgegend von Löwen,<lb/> gehabt. Hier stand das Kloster Vrouwen-Park, und einem alten, sich im Kirchen-<lb/> chore dieses Klosters ehemals befindlichen Muttergottesbilde schrieb eine noch bis<lb/> in die Mitte des vorigen Jahrhunderts lebendige mündliche Überlieferung, wie<lb/> manche andere Gnadentat so auch das Beatrixwunder zu.</p><lb/> <p xml:id="ID_1449"> Indessen wäre das flämische Vorkommnis im Gedächtnis der Menschen nach<lb/> aller Wahrscheinlichkeit erloschen, wäre also für die Nachfahren, da sie nichts<lb/> davon erfahren konnten, gewissermaßen gar nicht vor sich gegangen, wenn nicht<lb/> von deutscher Seite und zwar zu zwei verschiedenen Malen eine Aufzeichnung<lb/> der Legende vorgenommen worden wäre. Die Deutschen sind also, indem sie die<lb/> Legende retteten, an ihrem Weiterleben nicht weniger beteiligt, als die Flamen,<lb/> welche die Legende zuerst dichteten. Jedenfalls wäre jene später erfolgte mannig¬<lb/> faltige Verwendung und Umarbeitung des Stoffs, sein Hinübergleiten in fremde<lb/> Literaturen ganz unmöglich gewesen, wenn nicht eine geringe Zeit nach dem Vorfalle<lb/> ein Deutscher (anno 1222) die wesentlichen Punkte desselben für alle Zukunft<lb/> chronikartig festgelegt hätte. Und dann geschah es sechs Jahrhunderte später, dasz<lb/> abermals ein Deutscher, der Sagenforscher I. W. Wolf, nach Brabant zog, um<lb/> dort, gleich den Brüdern Grimm in Deutschland, aus dem Volksmunde die<lb/> absterbenden Märchen, Sagen und Legenden der Flamen aufzuzeichnen, und der<lb/> das Glück hatte, in jenem Kloster Vrouwen-Park bei Löwen eine alte Insassin<lb/> zu finden, welche die Beatrix-Legende kannte und, indem sie dieselbe dem Deutschen<lb/> erzühlte, es diesem ermöglichte, die Legende in sein berühmtes Niederländisches<lb/> Sagenbuch (Leipzig 1848) aufzunehmen, nun auch für die Wissenschaft die schöne<lb/> und schlichte Fabel rettend. -</p><lb/> <p xml:id="ID_1450"> Der Deutsche, welcher den Flamen jenen ersten Dienst der schriftlichen<lb/> Niederlegung ihrer Legende erweisen durfte, war der Mönch Caesarius von Heister¬<lb/> bach, welcher von dein Geschehnisse entweder durch holländische, sich in Hecherbach<lb/> aufhaltende geistliche Novizen Kunde bekam oder davon unmittelbar auf einer<lb/> seiner Reisen nach den Niederlanden hörte, wohin er des öfteren in Begleitung<lb/> des Heisterbacher Abts gekommen ist. Er fügte die Wundergeschichte seinem<lb/> DiÄvMs MrALuIorum ein, wo man sie im siebenten Hauptstücke unter Kapitel 35<lb/> aufgezeichnet findet. Dieser Wortlaut bildet, wie gesagt, den Ausgangspunkt für<lb/> alle später erfolgten Bearbeitungen der Sage. Da des Caesarius lateinisch<lb/> geschriebenes Werk schon bei seinem Erscheinen weit in Deutschland herumkam<lb/> und mehrfach übersetzt wurde, kann es nicht wundernehmen, wenn z. B. die<lb/> Wiener Staatsbibliothek eine treuliche Übertragung ins Mittelhochdeutsche besitzt,<lb/> wo die Legende den Titel trägt „Ein Wunderlichen von einer Klosterfrawen".<lb/> Andererseits wurde der DialoZus Mraculorurn auch in den Niederlanden eifrig<lb/> gelesen, abgeschrieben und übersetzt. So wurde noch 1866 in den Ruinen eines<lb/> Klosters bei Enkhuizen eine niederländische, handschriftliche Fassung des DialoZus<lb/> gefunden, die jedoch inzwischen wieder verloren gegangen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1451"> Nun lebte in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts in den<lb/> Niederlanden ein Dichter, der das, was Caesarins lediglich in die Form eines<lb/> Chronikberichts gebracht hatte, seiner bloßen Tatsächlichkeit entledigte und das<lb/> Geschehnis mit außerordentlicher Gestaltungskraft neu zu einem Werte der Kunst<lb/> umbildete. Der Namen und die Lebensumstände dieses Dichters sind unbekannt,<lb/> aber sein Werk hat die Zeiten überdauert als eine der schönsten Blüten, welche<lb/> zur Garten mittelalterlicher Poesie aufsproßten. Auch auf dieses Gedicht wie auf<lb/> so manch andere alte und jüngere literarische Leistung der Flamen sind die<lb/> Deutschen während der Kriegsbesetzung Belgiens wieder aufmerksam gemacht worden;<lb/> in einer deutschen Übertragung wird es der Inselverlag neu an den Tag geben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1452" next="#ID_1453"> Wenn der flämische Dichter im Umfange seiner Versnovelle erklärend sagt:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_3" type="poem"> <l/> </lg><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0335]
Nach bestimmten Anhaltspunkten zu urteilen, hat diese Legende ihren Ent-
stehungsort in Flämisch Brabant, näher bestimmt in der Umgegend von Löwen,
gehabt. Hier stand das Kloster Vrouwen-Park, und einem alten, sich im Kirchen-
chore dieses Klosters ehemals befindlichen Muttergottesbilde schrieb eine noch bis
in die Mitte des vorigen Jahrhunderts lebendige mündliche Überlieferung, wie
manche andere Gnadentat so auch das Beatrixwunder zu.
Indessen wäre das flämische Vorkommnis im Gedächtnis der Menschen nach
aller Wahrscheinlichkeit erloschen, wäre also für die Nachfahren, da sie nichts
davon erfahren konnten, gewissermaßen gar nicht vor sich gegangen, wenn nicht
von deutscher Seite und zwar zu zwei verschiedenen Malen eine Aufzeichnung
der Legende vorgenommen worden wäre. Die Deutschen sind also, indem sie die
Legende retteten, an ihrem Weiterleben nicht weniger beteiligt, als die Flamen,
welche die Legende zuerst dichteten. Jedenfalls wäre jene später erfolgte mannig¬
faltige Verwendung und Umarbeitung des Stoffs, sein Hinübergleiten in fremde
Literaturen ganz unmöglich gewesen, wenn nicht eine geringe Zeit nach dem Vorfalle
ein Deutscher (anno 1222) die wesentlichen Punkte desselben für alle Zukunft
chronikartig festgelegt hätte. Und dann geschah es sechs Jahrhunderte später, dasz
abermals ein Deutscher, der Sagenforscher I. W. Wolf, nach Brabant zog, um
dort, gleich den Brüdern Grimm in Deutschland, aus dem Volksmunde die
absterbenden Märchen, Sagen und Legenden der Flamen aufzuzeichnen, und der
das Glück hatte, in jenem Kloster Vrouwen-Park bei Löwen eine alte Insassin
zu finden, welche die Beatrix-Legende kannte und, indem sie dieselbe dem Deutschen
erzühlte, es diesem ermöglichte, die Legende in sein berühmtes Niederländisches
Sagenbuch (Leipzig 1848) aufzunehmen, nun auch für die Wissenschaft die schöne
und schlichte Fabel rettend. -
Der Deutsche, welcher den Flamen jenen ersten Dienst der schriftlichen
Niederlegung ihrer Legende erweisen durfte, war der Mönch Caesarius von Heister¬
bach, welcher von dein Geschehnisse entweder durch holländische, sich in Hecherbach
aufhaltende geistliche Novizen Kunde bekam oder davon unmittelbar auf einer
seiner Reisen nach den Niederlanden hörte, wohin er des öfteren in Begleitung
des Heisterbacher Abts gekommen ist. Er fügte die Wundergeschichte seinem
DiÄvMs MrALuIorum ein, wo man sie im siebenten Hauptstücke unter Kapitel 35
aufgezeichnet findet. Dieser Wortlaut bildet, wie gesagt, den Ausgangspunkt für
alle später erfolgten Bearbeitungen der Sage. Da des Caesarius lateinisch
geschriebenes Werk schon bei seinem Erscheinen weit in Deutschland herumkam
und mehrfach übersetzt wurde, kann es nicht wundernehmen, wenn z. B. die
Wiener Staatsbibliothek eine treuliche Übertragung ins Mittelhochdeutsche besitzt,
wo die Legende den Titel trägt „Ein Wunderlichen von einer Klosterfrawen".
Andererseits wurde der DialoZus Mraculorurn auch in den Niederlanden eifrig
gelesen, abgeschrieben und übersetzt. So wurde noch 1866 in den Ruinen eines
Klosters bei Enkhuizen eine niederländische, handschriftliche Fassung des DialoZus
gefunden, die jedoch inzwischen wieder verloren gegangen ist.
Nun lebte in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts in den
Niederlanden ein Dichter, der das, was Caesarins lediglich in die Form eines
Chronikberichts gebracht hatte, seiner bloßen Tatsächlichkeit entledigte und das
Geschehnis mit außerordentlicher Gestaltungskraft neu zu einem Werte der Kunst
umbildete. Der Namen und die Lebensumstände dieses Dichters sind unbekannt,
aber sein Werk hat die Zeiten überdauert als eine der schönsten Blüten, welche
zur Garten mittelalterlicher Poesie aufsproßten. Auch auf dieses Gedicht wie auf
so manch andere alte und jüngere literarische Leistung der Flamen sind die
Deutschen während der Kriegsbesetzung Belgiens wieder aufmerksam gemacht worden;
in einer deutschen Übertragung wird es der Inselverlag neu an den Tag geben.
Wenn der flämische Dichter im Umfange seiner Versnovelle erklärend sagt:
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