Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Der sozmldcmokratische Parteitag nur um die eigene Gesinnungstüchtigkeit zu demonstrieren. Wenn der Arbeiter Die Gefahr war nicht gering, daß der Parteitag der populären Stimmung Der sozmldcmokratische Parteitag nur um die eigene Gesinnungstüchtigkeit zu demonstrieren. Wenn der Arbeiter Die Gefahr war nicht gering, daß der Parteitag der populären Stimmung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0318" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335730"/> <fw type="header" place="top"> Der sozmldcmokratische Parteitag</fw><lb/> <p xml:id="ID_1370" prev="#ID_1369"> nur um die eigene Gesinnungstüchtigkeit zu demonstrieren. Wenn der Arbeiter<lb/> die herkömmlichen Nebenkarten nur noch in der unabhängigen Presse zu lesen<lb/> bekäme/ würde er es ja nicht glauben, daß die S. P. D. die echte Nachfolgerin<lb/> der Partei Bebels wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_1371" next="#ID_1372"> Die Gefahr war nicht gering, daß der Parteitag der populären Stimmung<lb/> einige Genossen, die besonders im Gerüche stehen, daß die Ministerherrlichkeit bei<lb/> ihnen der G^sinnungsfestigkeit geschadet habe, zum Opfer gebracht hätte. Es<lb/> lagen Anträge vor, die der Regierung ein Mißtrauensvotum aussprachen. Ins¬<lb/> besondere Röste sollte zur Niederlegung seines Amtes gezwungen werden, die<lb/> Genossen von Münster wollten ihn sogar aus der Partei ausschließen. Aber der<lb/> Parteitag hat den Mut gehabt, die Negierung nicht fallen zu lassen, sondern sich<lb/> mit sehr großer Mehrheit ausdrücklich zu ihr zu bekennen. Er sichert ihr „kräftigste<lb/> Unterstützung zu bei der Durchführung aller Maßnahmen, die zur Verwirklichung<lb/> unserer Parteiziele und damit zum Wohle des gesamten Volkes ergriffen werden".<lb/> Er gibt zwar den Kritikern recht, daß viele Fehlgriffe und Unterlassungen „be¬<lb/> rechtigten Unmut" erweckt hätten, — das ist die kleine Libation, die statt der<lb/> erhofften Hekatombe den zürnenden Göttern der Unterwelt gebracht wirbt —,<lb/> ermahnt aber die Parteigenossen dringend, „den Unwert von Kritiken zu erkennen,<lb/> die von verantwortungslosen Leuten nur zu dem Zweck geübt werden, unsere<lb/> Partei und unsere Vertreter in der Negierung in den Augen des Volkes als<lb/> unwürdig des Vertrauens erscheinen zu lassen". Nur werden die Minister aus¬<lb/> drücklich angewiesen, auf den Gebieten der Verwaltung, der Schule und Kirche,<lb/> des Heerwesens und des Wirtschaftslebens möglichst für die Durchsetzung des<lb/> sozialdemokratischen Programms zu sorgen. Gerade Roste, der Vielgehaßte, hat<lb/> es verstanden, dem Parteitag diese Haltung besonders zu erleichtern durch<lb/> seine Enthüllungen über die Versuche der Unabhängigen, die Freiwilligen-<lb/> tcupven heimlich für sich zu gewinnen, die sie öffentlich als Bluthunde und<lb/> Schergen der Gegenrevolution beschimpfen. Roste, der ohne Zweifel der<lb/> Netier und die eigentliche Stütze der gegenwärtigen Regierung ist, hat<lb/> durch seine Rede in Weimar auch die Partei vor ihrer eigenen Feigheit,<lb/> vor, der Angst, von der linksradikalen Konkurrenz überholt zu werden, vor<lb/> den Gespenstern der eigenen allzu negativen Vergangenheit, die man jetzt ver¬<lb/> leugnen muß, gerettet. Er durfte mit Recht die Parteigenossen auffordern, endlich<lb/> einmal einen Funken von der Courage zu zeigen, die er gehabt habe, und sich<lb/> nicht von jedem Spektakel der Unabhängigen ins Bockshorn jagen zu lassen.<lb/> Diesmal hat, wie gesagt, Rostes Geschick, die Enthüllung über die Unabhängigen<lb/> zur rechten Zeit zu bringen, dem Parteitag das Bekenntnis zur NegierungspoliNk<lb/> leicht gemacht. Er hat damit bekundet, daß die Politik des 4. August fortgesetzt<lb/> werden soll, die Politik, die zwar das Programm und die Internationale hochhalten<lb/> will, aber doch in erster Linie im Guten wie im Bösen zum eigenen Volke stehen<lb/> will. Als Eduard Bernstein den 4. August 191,4 als den schwärzesten Tag seines<lb/> Lebens bezeichnete und behauptete, Millionen von Menschen wären weniger gefallen<lb/> oder verkrüppelt, wenn die Sozialdemokratie die deutschen Kriegskredite verweigert<lb/> hätte, antwortete ihm stürmischer Widerspruch und lautes Lachen. Bernstein hat<lb/> eine ganz unglaubliche Rede geHallen. Er ist von der Kriegsschuld Deutschlands<lb/> überzeugt, aber Loyd George und Poincare haben seiner Meinung nach alles<lb/> getan, um den Kneg zu verhindern. Neun Zehntel der feindlichen Fnedens-<lb/> bedingungen hält er zwar nicht für berechtigt, wie er nachträglich feststellte, aber<lb/> für notwendig. Mit Belgien und Frankreich, die durch den Krieg furchtbar mit¬<lb/> genommen seien, hat er tiefes Mitleid, Hier rief ihm No?ke zu: „Für Ostpreußen<lb/> habt Ihr nicht ein Wort gehabt, Deutschland ist Euch nichts!" Als er darauf<lb/> erwiderte, der deutsche Generalstab habe Ostpreußen gegen guten Rat preisgegeben,<lb/> quittierte ihm Roste unter lebhaftem Beifall mit dem Zurufe „Ist das ein dummes<lb/> GeschwätzI" Bernstein, der in der inneren Politik einst dem Revisionismus das<lb/> Wort redete, war in auswärtigen Fragen schon vor dem Kriege ein gläubiger<lb/> Apostel der Sorte von Pazifismus, den besonders die Engländer in andere</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0318]
Der sozmldcmokratische Parteitag
nur um die eigene Gesinnungstüchtigkeit zu demonstrieren. Wenn der Arbeiter
die herkömmlichen Nebenkarten nur noch in der unabhängigen Presse zu lesen
bekäme/ würde er es ja nicht glauben, daß die S. P. D. die echte Nachfolgerin
der Partei Bebels wäre.
Die Gefahr war nicht gering, daß der Parteitag der populären Stimmung
einige Genossen, die besonders im Gerüche stehen, daß die Ministerherrlichkeit bei
ihnen der G^sinnungsfestigkeit geschadet habe, zum Opfer gebracht hätte. Es
lagen Anträge vor, die der Regierung ein Mißtrauensvotum aussprachen. Ins¬
besondere Röste sollte zur Niederlegung seines Amtes gezwungen werden, die
Genossen von Münster wollten ihn sogar aus der Partei ausschließen. Aber der
Parteitag hat den Mut gehabt, die Negierung nicht fallen zu lassen, sondern sich
mit sehr großer Mehrheit ausdrücklich zu ihr zu bekennen. Er sichert ihr „kräftigste
Unterstützung zu bei der Durchführung aller Maßnahmen, die zur Verwirklichung
unserer Parteiziele und damit zum Wohle des gesamten Volkes ergriffen werden".
Er gibt zwar den Kritikern recht, daß viele Fehlgriffe und Unterlassungen „be¬
rechtigten Unmut" erweckt hätten, — das ist die kleine Libation, die statt der
erhofften Hekatombe den zürnenden Göttern der Unterwelt gebracht wirbt —,
ermahnt aber die Parteigenossen dringend, „den Unwert von Kritiken zu erkennen,
die von verantwortungslosen Leuten nur zu dem Zweck geübt werden, unsere
Partei und unsere Vertreter in der Negierung in den Augen des Volkes als
unwürdig des Vertrauens erscheinen zu lassen". Nur werden die Minister aus¬
drücklich angewiesen, auf den Gebieten der Verwaltung, der Schule und Kirche,
des Heerwesens und des Wirtschaftslebens möglichst für die Durchsetzung des
sozialdemokratischen Programms zu sorgen. Gerade Roste, der Vielgehaßte, hat
es verstanden, dem Parteitag diese Haltung besonders zu erleichtern durch
seine Enthüllungen über die Versuche der Unabhängigen, die Freiwilligen-
tcupven heimlich für sich zu gewinnen, die sie öffentlich als Bluthunde und
Schergen der Gegenrevolution beschimpfen. Roste, der ohne Zweifel der
Netier und die eigentliche Stütze der gegenwärtigen Regierung ist, hat
durch seine Rede in Weimar auch die Partei vor ihrer eigenen Feigheit,
vor, der Angst, von der linksradikalen Konkurrenz überholt zu werden, vor
den Gespenstern der eigenen allzu negativen Vergangenheit, die man jetzt ver¬
leugnen muß, gerettet. Er durfte mit Recht die Parteigenossen auffordern, endlich
einmal einen Funken von der Courage zu zeigen, die er gehabt habe, und sich
nicht von jedem Spektakel der Unabhängigen ins Bockshorn jagen zu lassen.
Diesmal hat, wie gesagt, Rostes Geschick, die Enthüllung über die Unabhängigen
zur rechten Zeit zu bringen, dem Parteitag das Bekenntnis zur NegierungspoliNk
leicht gemacht. Er hat damit bekundet, daß die Politik des 4. August fortgesetzt
werden soll, die Politik, die zwar das Programm und die Internationale hochhalten
will, aber doch in erster Linie im Guten wie im Bösen zum eigenen Volke stehen
will. Als Eduard Bernstein den 4. August 191,4 als den schwärzesten Tag seines
Lebens bezeichnete und behauptete, Millionen von Menschen wären weniger gefallen
oder verkrüppelt, wenn die Sozialdemokratie die deutschen Kriegskredite verweigert
hätte, antwortete ihm stürmischer Widerspruch und lautes Lachen. Bernstein hat
eine ganz unglaubliche Rede geHallen. Er ist von der Kriegsschuld Deutschlands
überzeugt, aber Loyd George und Poincare haben seiner Meinung nach alles
getan, um den Kneg zu verhindern. Neun Zehntel der feindlichen Fnedens-
bedingungen hält er zwar nicht für berechtigt, wie er nachträglich feststellte, aber
für notwendig. Mit Belgien und Frankreich, die durch den Krieg furchtbar mit¬
genommen seien, hat er tiefes Mitleid, Hier rief ihm No?ke zu: „Für Ostpreußen
habt Ihr nicht ein Wort gehabt, Deutschland ist Euch nichts!" Als er darauf
erwiderte, der deutsche Generalstab habe Ostpreußen gegen guten Rat preisgegeben,
quittierte ihm Roste unter lebhaftem Beifall mit dem Zurufe „Ist das ein dummes
GeschwätzI" Bernstein, der in der inneren Politik einst dem Revisionismus das
Wort redete, war in auswärtigen Fragen schon vor dem Kriege ein gläubiger
Apostel der Sorte von Pazifismus, den besonders die Engländer in andere
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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
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