Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Deutschösterreich nach den Landtagswahlen Unter diesen ist aber kein Untersteirer. Das hat man bei der Landtagswahl dadurch Ist der Gegensatz zwischen den Sozialdemokraten und Deutschnationalen als Damit ist aber auch gesagt, daß die beiden großen Parteien weiter mit¬ Deutschösterreich nach den Landtagswahlen Unter diesen ist aber kein Untersteirer. Das hat man bei der Landtagswahl dadurch Ist der Gegensatz zwischen den Sozialdemokraten und Deutschnationalen als Damit ist aber auch gesagt, daß die beiden großen Parteien weiter mit¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0297" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335709"/> <fw type="header" place="top"> Deutschösterreich nach den Landtagswahlen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1273" prev="#ID_1272"> Unter diesen ist aber kein Untersteirer. Das hat man bei der Landtagswahl dadurch<lb/> gutgemacht, daß Sozialdemokraten und Bauernpartei an bevorzugter Stelle ihrer<lb/> mittelsteirischen Liste namhafte Vertreter Untersteiermarks kandidierten und durch¬<lb/> brachter. Dagegen bleiben DeutsÄböhmen und Sudetenland ganz unvertreten, da die<lb/> Sozialdemokraten nach längerem Schwanken und Verhandeln die Ernennung von<lb/> Abgeordneten für sie ablehnten. Darin spiegelt sich wohl die Erwägung, daß diese<lb/> Gebiete nach ihrer geographischen Lage und ihren wirtschaftlichen Beziehungen nicht<lb/> zu dem übrigen Deutschösterreich, sondern zu den Nachbarstaaten im Deutschen<lb/> Reich gehören und in deren Volksvertretung ihre Abgeordneten entsenden sollten.<lb/> Trotzdem ist es bedauerlich, daß eine Gelegenheit versäumt wurde, ihre Zugehörig,<lb/> keit zum Deutschtum feierlich zu bekunden und durch eine symbolische Handlung<lb/> gegen die tschechische Vergewaltigung Verwahrung einzulegen. So kann man nicht<lb/> sagen, daß die Wahlen eine besonders lebhafte Bekundung des nationalen Emp¬<lb/> findens bedeuten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1274"> Ist der Gegensatz zwischen den Sozialdemokraten und Deutschnationalen als<lb/> unbedingten Anschlußfreunden auf der einen, den Christlichsozialen als vorsichtigen<lb/> Rechnern auf der andern Seite nicht einmal der Masse der Wähler während der<lb/> Wahlen vollbewußt geworden, so wurde auch ein anderer, instinktiv empfundener,<lb/> erst nach dem Größten der Wahlen allgemein klar. Die christlichsoziale Partei<lb/> hat einen föderalistischen Verfasfungsentwmf eingebracht. Die Sozialdemokratie<lb/> hat also die Ausgabe, den Einheitsstaat zu vertreten. So sind die Rufe: „Los<lb/> von Wienl" und „Los von der sozialdemokratischen NegierungI" miteinander in<lb/> parteipolitischer Zusammenhang gebracht worden. Indem die Christlichsozialen<lb/> den ersten erhoben, suchten sie der Verwirklichung des zweiten vorzuarbeiten und<lb/> mancher hat erst nachträglich erkannt, daß er unabsichtlich diesen ihren Zweck<lb/> gefördert hat. War es für die „dritte Partei" schon bei den Wahlen nachteilig,<lb/> daß sie in dieser Grundfrage ihre einheitliche Haltung verloren hatte, daß sie in<lb/> immer zahlreicheren Vertretern den Ländcregoismus anerkannte und verfocht,<lb/> während andere ihn bekämpften, so ist das sür ihre künftige politische Stellung<lb/> geradezu verhängnisvoll, Sie wird weder das Zünglein an der Wage in der<lb/> Grundfrage unserer Verfassung, noch ein wichtiger, mitbestimmender Teil der<lb/> Mehrheit, sondern verliert weiter, an Kraft und Geschlossenheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_1275"> Damit ist aber auch gesagt, daß die beiden großen Parteien weiter mit¬<lb/> einander auskommen, daß sie Kompromisse suchen müssen, um gemeinsam regieren<lb/> zu können, solange der Gegensatz nicht zu groß wird oder die Macht im Lande<lb/> sich nicht auffüllig nach einer Seite verschiebt. Deshalb werden sie auch die<lb/> Landesregierungen in der Hauptsache gemeinsam übernehmen, wie sich auch schon<lb/> mehreren Ortes gezeigt hat. Immerhin verschiebt sich das Gewicht nach rechts.<lb/> Die Zeit ist noch ferne, in der aus der „Synthese" der sozialdemokratischen und<lb/> der christlichsozialen Einseitigkeiten sich jene wahre nationale Demokratie ergibt,<lb/> für welche heute nur ein kleiner .Kreis Deutschgesinnter kämpft. Aber sie muß<lb/> kommen, wenn das Zweiparteiensystem in seiner ganzen Schädlichkeit erkannt<lb/> sein wird.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0297]
Deutschösterreich nach den Landtagswahlen
Unter diesen ist aber kein Untersteirer. Das hat man bei der Landtagswahl dadurch
gutgemacht, daß Sozialdemokraten und Bauernpartei an bevorzugter Stelle ihrer
mittelsteirischen Liste namhafte Vertreter Untersteiermarks kandidierten und durch¬
brachter. Dagegen bleiben DeutsÄböhmen und Sudetenland ganz unvertreten, da die
Sozialdemokraten nach längerem Schwanken und Verhandeln die Ernennung von
Abgeordneten für sie ablehnten. Darin spiegelt sich wohl die Erwägung, daß diese
Gebiete nach ihrer geographischen Lage und ihren wirtschaftlichen Beziehungen nicht
zu dem übrigen Deutschösterreich, sondern zu den Nachbarstaaten im Deutschen
Reich gehören und in deren Volksvertretung ihre Abgeordneten entsenden sollten.
Trotzdem ist es bedauerlich, daß eine Gelegenheit versäumt wurde, ihre Zugehörig,
keit zum Deutschtum feierlich zu bekunden und durch eine symbolische Handlung
gegen die tschechische Vergewaltigung Verwahrung einzulegen. So kann man nicht
sagen, daß die Wahlen eine besonders lebhafte Bekundung des nationalen Emp¬
findens bedeuten.
Ist der Gegensatz zwischen den Sozialdemokraten und Deutschnationalen als
unbedingten Anschlußfreunden auf der einen, den Christlichsozialen als vorsichtigen
Rechnern auf der andern Seite nicht einmal der Masse der Wähler während der
Wahlen vollbewußt geworden, so wurde auch ein anderer, instinktiv empfundener,
erst nach dem Größten der Wahlen allgemein klar. Die christlichsoziale Partei
hat einen föderalistischen Verfasfungsentwmf eingebracht. Die Sozialdemokratie
hat also die Ausgabe, den Einheitsstaat zu vertreten. So sind die Rufe: „Los
von Wienl" und „Los von der sozialdemokratischen NegierungI" miteinander in
parteipolitischer Zusammenhang gebracht worden. Indem die Christlichsozialen
den ersten erhoben, suchten sie der Verwirklichung des zweiten vorzuarbeiten und
mancher hat erst nachträglich erkannt, daß er unabsichtlich diesen ihren Zweck
gefördert hat. War es für die „dritte Partei" schon bei den Wahlen nachteilig,
daß sie in dieser Grundfrage ihre einheitliche Haltung verloren hatte, daß sie in
immer zahlreicheren Vertretern den Ländcregoismus anerkannte und verfocht,
während andere ihn bekämpften, so ist das sür ihre künftige politische Stellung
geradezu verhängnisvoll, Sie wird weder das Zünglein an der Wage in der
Grundfrage unserer Verfassung, noch ein wichtiger, mitbestimmender Teil der
Mehrheit, sondern verliert weiter, an Kraft und Geschlossenheit.
Damit ist aber auch gesagt, daß die beiden großen Parteien weiter mit¬
einander auskommen, daß sie Kompromisse suchen müssen, um gemeinsam regieren
zu können, solange der Gegensatz nicht zu groß wird oder die Macht im Lande
sich nicht auffüllig nach einer Seite verschiebt. Deshalb werden sie auch die
Landesregierungen in der Hauptsache gemeinsam übernehmen, wie sich auch schon
mehreren Ortes gezeigt hat. Immerhin verschiebt sich das Gewicht nach rechts.
Die Zeit ist noch ferne, in der aus der „Synthese" der sozialdemokratischen und
der christlichsozialen Einseitigkeiten sich jene wahre nationale Demokratie ergibt,
für welche heute nur ein kleiner .Kreis Deutschgesinnter kämpft. Aber sie muß
kommen, wenn das Zweiparteiensystem in seiner ganzen Schädlichkeit erkannt
sein wird.
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