Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Banner Schwarz-Rot-Gold

Zweifarbigkeit des alten Reichsbanners, genauer gesagt, der ehemaligen Kaiser¬
standarte des heiligen römischen Reiches deutscher Nation, in die beiden Farben
Österreichs verwandelt, Schwarz und gelb.

Erst nachträglich erhielt das Schwarz-rot-gold seinen nationalpolitischen und
nationalgeschichtlichen Sinn -- einen Sinn von schwerer programmhafter Be¬
deutung --, nachdem es auf die gesamte Einheitsbewegung in den bürgerlichen
und geistig erzeugenden Ständen des deutschen Volkes übergegangen und von ihr
übernommen worden war; und es war auf sie übergegangen, weil die erste
Burschenschaft darin eine anreizende und bis zu gewissem Grade vorbildliche Rolle
"espielt hat. Aus der burschenschaftlichen Bewegung hervor wurden diese drei
Farben in verhältnismäßig kurzer Zeit zum Sinnbild jedweder nationalen Ge¬
sinnung, und die nationale Gesinnung konnte sich am Ende ihre staatliche Form
und Wirklichkeit nicht mehr anders vorstellen, als unter diesen drei Farben. Durch
eine politische Umdeutung mittels historischer Annahmen und Klügeleien hat man
das hinterher nationalgeschichtlich rechtfertigen wollen. So entstand die Legende,
als seien Schwarz, Not und Gold die alten deutschen Neichsfarben gewesen und
als habe unter anderem auch die Burschenschaft ihr Symbol davon hergeleitet.
In Wirklichkeit war es umgekehrt. Die alte Burschenschaft hat ihre Couleur nicht
von den "deutschen Farben" bezogen, sondern diese studentische Couleur hatte in
dem nationalen Aufruhr der Gemüter während der Zeit der Restauration eine
solche scharfe und hervorstechende Bedeutung gewonnen, daß man sie für die
deutschen Farben hielt und schließlich dazu machte.

Wie verlief dieser Aufruhr? Die auf dynastisch-territorialen Grundlagen
beruhenden Staatswesen des damaligen Deutschland verhielten sich in jenen Jahr¬
zehnten zu der volkstümlichen Einheitsbewegung in einer kühlen Verftändnislosigkeit
und ablehnenden Fremdheit, sie verharrten in mißtrauischer und feindseliger
Gegnerschaft, so daß sie diese nationale Bewegung auch gegen deren eigenen Willen
in die Opposition drängen mußten. Die nationale Bewegung gewöhnte sich daran,
von den machthabenden Regierungen als unrechtmäßig oder illoyal angesehen und
behandelt zu werden, und wurde dadurch zu der Auffassung gezwungen, daß sie
die Verwirklichung ihrer Ideen nur von einer inneren Umwandlung der grund¬
legenden politischen Rechtsbegriffe erhoffen konnte. Sie geriet in eine notwendige
Verschwisterung mit Strömungen, die sich selbst liberal nannten, die aber von
den Regierungen, weil nicht mehr der bloße Untertanengehorsam, sondern eine
Selbsttätige Entwicklungskraft der Nation darin steckte, als "revolutionär" gekenn¬
zeichnet wurden. Für die Negierungsautoritäten der dynastischen Territorial¬
staaten galt der nationale Wille zur Einheit als Auflehnung wider die obrigkeit¬
liche Macht.

In dieses oppositionelle Stimmungsverhältnis schlug dann plötzlich die
Wirkung der Juli-Revolution ein. Damit verschob sich das Ziel. Die aufgereizte
Verbitterung über die Verfolgungssucht kurzsichtiger Behörden fühlte sich überboten
von den Anstachelungen des französischen Beispiels, das mit der "Legitimität" der
dynastiestaatlichen Grundsätze sehr kurzen Prozeß gemacht hatte, und aus einer
Art von Nachahmungstrieb verkehrte man das Ziel jetzt in eine radikale Durch¬
führung der Demokratie um ihrer selbst willen mit ihren Endergebnissen der
republikanischen Staatsform. War sonst die Opposition, unter Umständen auch
die revolutionäre Opposition, nur ein notgedrungenes Mittel zum Zwecke der
nationalen Einheit gewesen, so wurde nun diese revolutionäre Unterströmung
ganz an die Oberfläche gezerrt und zum Selbstzweck. Es entstand ein Rausch
der "Revolution überhaupt", und das Streben nach nationaler Einheit des
staatlichen Lebens blieb als bloßes Mittel zurück, in der Form eines Programms
zur Ausführung der deutschen Republik (weil man eben in Deutschland lebte),
wobei aber der Haupttor auf der Allgemeingültigkeit der "Republik" lag und
nicht auf dem deutschen Gedanken. Jedoch ergab sich hieraus keineswegs eine
vollkommene Umänderung und Abirrung der volkstümlichen Einheitsbewegung,
sondern bloß eine Spaltung. Denn die ursprüngliche Linie blieb in ihrer Echtheit


Das Banner Schwarz-Rot-Gold

Zweifarbigkeit des alten Reichsbanners, genauer gesagt, der ehemaligen Kaiser¬
standarte des heiligen römischen Reiches deutscher Nation, in die beiden Farben
Österreichs verwandelt, Schwarz und gelb.

Erst nachträglich erhielt das Schwarz-rot-gold seinen nationalpolitischen und
nationalgeschichtlichen Sinn — einen Sinn von schwerer programmhafter Be¬
deutung —, nachdem es auf die gesamte Einheitsbewegung in den bürgerlichen
und geistig erzeugenden Ständen des deutschen Volkes übergegangen und von ihr
übernommen worden war; und es war auf sie übergegangen, weil die erste
Burschenschaft darin eine anreizende und bis zu gewissem Grade vorbildliche Rolle
«espielt hat. Aus der burschenschaftlichen Bewegung hervor wurden diese drei
Farben in verhältnismäßig kurzer Zeit zum Sinnbild jedweder nationalen Ge¬
sinnung, und die nationale Gesinnung konnte sich am Ende ihre staatliche Form
und Wirklichkeit nicht mehr anders vorstellen, als unter diesen drei Farben. Durch
eine politische Umdeutung mittels historischer Annahmen und Klügeleien hat man
das hinterher nationalgeschichtlich rechtfertigen wollen. So entstand die Legende,
als seien Schwarz, Not und Gold die alten deutschen Neichsfarben gewesen und
als habe unter anderem auch die Burschenschaft ihr Symbol davon hergeleitet.
In Wirklichkeit war es umgekehrt. Die alte Burschenschaft hat ihre Couleur nicht
von den „deutschen Farben" bezogen, sondern diese studentische Couleur hatte in
dem nationalen Aufruhr der Gemüter während der Zeit der Restauration eine
solche scharfe und hervorstechende Bedeutung gewonnen, daß man sie für die
deutschen Farben hielt und schließlich dazu machte.

Wie verlief dieser Aufruhr? Die auf dynastisch-territorialen Grundlagen
beruhenden Staatswesen des damaligen Deutschland verhielten sich in jenen Jahr¬
zehnten zu der volkstümlichen Einheitsbewegung in einer kühlen Verftändnislosigkeit
und ablehnenden Fremdheit, sie verharrten in mißtrauischer und feindseliger
Gegnerschaft, so daß sie diese nationale Bewegung auch gegen deren eigenen Willen
in die Opposition drängen mußten. Die nationale Bewegung gewöhnte sich daran,
von den machthabenden Regierungen als unrechtmäßig oder illoyal angesehen und
behandelt zu werden, und wurde dadurch zu der Auffassung gezwungen, daß sie
die Verwirklichung ihrer Ideen nur von einer inneren Umwandlung der grund¬
legenden politischen Rechtsbegriffe erhoffen konnte. Sie geriet in eine notwendige
Verschwisterung mit Strömungen, die sich selbst liberal nannten, die aber von
den Regierungen, weil nicht mehr der bloße Untertanengehorsam, sondern eine
Selbsttätige Entwicklungskraft der Nation darin steckte, als „revolutionär" gekenn¬
zeichnet wurden. Für die Negierungsautoritäten der dynastischen Territorial¬
staaten galt der nationale Wille zur Einheit als Auflehnung wider die obrigkeit¬
liche Macht.

In dieses oppositionelle Stimmungsverhältnis schlug dann plötzlich die
Wirkung der Juli-Revolution ein. Damit verschob sich das Ziel. Die aufgereizte
Verbitterung über die Verfolgungssucht kurzsichtiger Behörden fühlte sich überboten
von den Anstachelungen des französischen Beispiels, das mit der „Legitimität" der
dynastiestaatlichen Grundsätze sehr kurzen Prozeß gemacht hatte, und aus einer
Art von Nachahmungstrieb verkehrte man das Ziel jetzt in eine radikale Durch¬
führung der Demokratie um ihrer selbst willen mit ihren Endergebnissen der
republikanischen Staatsform. War sonst die Opposition, unter Umständen auch
die revolutionäre Opposition, nur ein notgedrungenes Mittel zum Zwecke der
nationalen Einheit gewesen, so wurde nun diese revolutionäre Unterströmung
ganz an die Oberfläche gezerrt und zum Selbstzweck. Es entstand ein Rausch
der „Revolution überhaupt", und das Streben nach nationaler Einheit des
staatlichen Lebens blieb als bloßes Mittel zurück, in der Form eines Programms
zur Ausführung der deutschen Republik (weil man eben in Deutschland lebte),
wobei aber der Haupttor auf der Allgemeingültigkeit der „Republik" lag und
nicht auf dem deutschen Gedanken. Jedoch ergab sich hieraus keineswegs eine
vollkommene Umänderung und Abirrung der volkstümlichen Einheitsbewegung,
sondern bloß eine Spaltung. Denn die ursprüngliche Linie blieb in ihrer Echtheit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0288" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335698"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Banner Schwarz-Rot-Gold</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1243" prev="#ID_1242"> Zweifarbigkeit des alten Reichsbanners, genauer gesagt, der ehemaligen Kaiser¬<lb/>
standarte des heiligen römischen Reiches deutscher Nation, in die beiden Farben<lb/>
Österreichs verwandelt, Schwarz und gelb.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1244"> Erst nachträglich erhielt das Schwarz-rot-gold seinen nationalpolitischen und<lb/>
nationalgeschichtlichen Sinn &#x2014; einen Sinn von schwerer programmhafter Be¬<lb/>
deutung &#x2014;, nachdem es auf die gesamte Einheitsbewegung in den bürgerlichen<lb/>
und geistig erzeugenden Ständen des deutschen Volkes übergegangen und von ihr<lb/>
übernommen worden war; und es war auf sie übergegangen, weil die erste<lb/>
Burschenschaft darin eine anreizende und bis zu gewissem Grade vorbildliche Rolle<lb/>
«espielt hat. Aus der burschenschaftlichen Bewegung hervor wurden diese drei<lb/>
Farben in verhältnismäßig kurzer Zeit zum Sinnbild jedweder nationalen Ge¬<lb/>
sinnung, und die nationale Gesinnung konnte sich am Ende ihre staatliche Form<lb/>
und Wirklichkeit nicht mehr anders vorstellen, als unter diesen drei Farben. Durch<lb/>
eine politische Umdeutung mittels historischer Annahmen und Klügeleien hat man<lb/>
das hinterher nationalgeschichtlich rechtfertigen wollen. So entstand die Legende,<lb/>
als seien Schwarz, Not und Gold die alten deutschen Neichsfarben gewesen und<lb/>
als habe unter anderem auch die Burschenschaft ihr Symbol davon hergeleitet.<lb/>
In Wirklichkeit war es umgekehrt. Die alte Burschenschaft hat ihre Couleur nicht<lb/>
von den &#x201E;deutschen Farben" bezogen, sondern diese studentische Couleur hatte in<lb/>
dem nationalen Aufruhr der Gemüter während der Zeit der Restauration eine<lb/>
solche scharfe und hervorstechende Bedeutung gewonnen, daß man sie für die<lb/>
deutschen Farben hielt und schließlich dazu machte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1245"> Wie verlief dieser Aufruhr? Die auf dynastisch-territorialen Grundlagen<lb/>
beruhenden Staatswesen des damaligen Deutschland verhielten sich in jenen Jahr¬<lb/>
zehnten zu der volkstümlichen Einheitsbewegung in einer kühlen Verftändnislosigkeit<lb/>
und ablehnenden Fremdheit, sie verharrten in mißtrauischer und feindseliger<lb/>
Gegnerschaft, so daß sie diese nationale Bewegung auch gegen deren eigenen Willen<lb/>
in die Opposition drängen mußten. Die nationale Bewegung gewöhnte sich daran,<lb/>
von den machthabenden Regierungen als unrechtmäßig oder illoyal angesehen und<lb/>
behandelt zu werden, und wurde dadurch zu der Auffassung gezwungen, daß sie<lb/>
die Verwirklichung ihrer Ideen nur von einer inneren Umwandlung der grund¬<lb/>
legenden politischen Rechtsbegriffe erhoffen konnte. Sie geriet in eine notwendige<lb/>
Verschwisterung mit Strömungen, die sich selbst liberal nannten, die aber von<lb/>
den Regierungen, weil nicht mehr der bloße Untertanengehorsam, sondern eine<lb/>
Selbsttätige Entwicklungskraft der Nation darin steckte, als &#x201E;revolutionär" gekenn¬<lb/>
zeichnet wurden. Für die Negierungsautoritäten der dynastischen Territorial¬<lb/>
staaten galt der nationale Wille zur Einheit als Auflehnung wider die obrigkeit¬<lb/>
liche Macht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1246" next="#ID_1247"> In dieses oppositionelle Stimmungsverhältnis schlug dann plötzlich die<lb/>
Wirkung der Juli-Revolution ein. Damit verschob sich das Ziel. Die aufgereizte<lb/>
Verbitterung über die Verfolgungssucht kurzsichtiger Behörden fühlte sich überboten<lb/>
von den Anstachelungen des französischen Beispiels, das mit der &#x201E;Legitimität" der<lb/>
dynastiestaatlichen Grundsätze sehr kurzen Prozeß gemacht hatte, und aus einer<lb/>
Art von Nachahmungstrieb verkehrte man das Ziel jetzt in eine radikale Durch¬<lb/>
führung der Demokratie um ihrer selbst willen mit ihren Endergebnissen der<lb/>
republikanischen Staatsform. War sonst die Opposition, unter Umständen auch<lb/>
die revolutionäre Opposition, nur ein notgedrungenes Mittel zum Zwecke der<lb/>
nationalen Einheit gewesen, so wurde nun diese revolutionäre Unterströmung<lb/>
ganz an die Oberfläche gezerrt und zum Selbstzweck. Es entstand ein Rausch<lb/>
der &#x201E;Revolution überhaupt", und das Streben nach nationaler Einheit des<lb/>
staatlichen Lebens blieb als bloßes Mittel zurück, in der Form eines Programms<lb/>
zur Ausführung der deutschen Republik (weil man eben in Deutschland lebte),<lb/>
wobei aber der Haupttor auf der Allgemeingültigkeit der &#x201E;Republik" lag und<lb/>
nicht auf dem deutschen Gedanken. Jedoch ergab sich hieraus keineswegs eine<lb/>
vollkommene Umänderung und Abirrung der volkstümlichen Einheitsbewegung,<lb/>
sondern bloß eine Spaltung. Denn die ursprüngliche Linie blieb in ihrer Echtheit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0288] Das Banner Schwarz-Rot-Gold Zweifarbigkeit des alten Reichsbanners, genauer gesagt, der ehemaligen Kaiser¬ standarte des heiligen römischen Reiches deutscher Nation, in die beiden Farben Österreichs verwandelt, Schwarz und gelb. Erst nachträglich erhielt das Schwarz-rot-gold seinen nationalpolitischen und nationalgeschichtlichen Sinn — einen Sinn von schwerer programmhafter Be¬ deutung —, nachdem es auf die gesamte Einheitsbewegung in den bürgerlichen und geistig erzeugenden Ständen des deutschen Volkes übergegangen und von ihr übernommen worden war; und es war auf sie übergegangen, weil die erste Burschenschaft darin eine anreizende und bis zu gewissem Grade vorbildliche Rolle «espielt hat. Aus der burschenschaftlichen Bewegung hervor wurden diese drei Farben in verhältnismäßig kurzer Zeit zum Sinnbild jedweder nationalen Ge¬ sinnung, und die nationale Gesinnung konnte sich am Ende ihre staatliche Form und Wirklichkeit nicht mehr anders vorstellen, als unter diesen drei Farben. Durch eine politische Umdeutung mittels historischer Annahmen und Klügeleien hat man das hinterher nationalgeschichtlich rechtfertigen wollen. So entstand die Legende, als seien Schwarz, Not und Gold die alten deutschen Neichsfarben gewesen und als habe unter anderem auch die Burschenschaft ihr Symbol davon hergeleitet. In Wirklichkeit war es umgekehrt. Die alte Burschenschaft hat ihre Couleur nicht von den „deutschen Farben" bezogen, sondern diese studentische Couleur hatte in dem nationalen Aufruhr der Gemüter während der Zeit der Restauration eine solche scharfe und hervorstechende Bedeutung gewonnen, daß man sie für die deutschen Farben hielt und schließlich dazu machte. Wie verlief dieser Aufruhr? Die auf dynastisch-territorialen Grundlagen beruhenden Staatswesen des damaligen Deutschland verhielten sich in jenen Jahr¬ zehnten zu der volkstümlichen Einheitsbewegung in einer kühlen Verftändnislosigkeit und ablehnenden Fremdheit, sie verharrten in mißtrauischer und feindseliger Gegnerschaft, so daß sie diese nationale Bewegung auch gegen deren eigenen Willen in die Opposition drängen mußten. Die nationale Bewegung gewöhnte sich daran, von den machthabenden Regierungen als unrechtmäßig oder illoyal angesehen und behandelt zu werden, und wurde dadurch zu der Auffassung gezwungen, daß sie die Verwirklichung ihrer Ideen nur von einer inneren Umwandlung der grund¬ legenden politischen Rechtsbegriffe erhoffen konnte. Sie geriet in eine notwendige Verschwisterung mit Strömungen, die sich selbst liberal nannten, die aber von den Regierungen, weil nicht mehr der bloße Untertanengehorsam, sondern eine Selbsttätige Entwicklungskraft der Nation darin steckte, als „revolutionär" gekenn¬ zeichnet wurden. Für die Negierungsautoritäten der dynastischen Territorial¬ staaten galt der nationale Wille zur Einheit als Auflehnung wider die obrigkeit¬ liche Macht. In dieses oppositionelle Stimmungsverhältnis schlug dann plötzlich die Wirkung der Juli-Revolution ein. Damit verschob sich das Ziel. Die aufgereizte Verbitterung über die Verfolgungssucht kurzsichtiger Behörden fühlte sich überboten von den Anstachelungen des französischen Beispiels, das mit der „Legitimität" der dynastiestaatlichen Grundsätze sehr kurzen Prozeß gemacht hatte, und aus einer Art von Nachahmungstrieb verkehrte man das Ziel jetzt in eine radikale Durch¬ führung der Demokratie um ihrer selbst willen mit ihren Endergebnissen der republikanischen Staatsform. War sonst die Opposition, unter Umständen auch die revolutionäre Opposition, nur ein notgedrungenes Mittel zum Zwecke der nationalen Einheit gewesen, so wurde nun diese revolutionäre Unterströmung ganz an die Oberfläche gezerrt und zum Selbstzweck. Es entstand ein Rausch der „Revolution überhaupt", und das Streben nach nationaler Einheit des staatlichen Lebens blieb als bloßes Mittel zurück, in der Form eines Programms zur Ausführung der deutschen Republik (weil man eben in Deutschland lebte), wobei aber der Haupttor auf der Allgemeingültigkeit der „Republik" lag und nicht auf dem deutschen Gedanken. Jedoch ergab sich hieraus keineswegs eine vollkommene Umänderung und Abirrung der volkstümlichen Einheitsbewegung, sondern bloß eine Spaltung. Denn die ursprüngliche Linie blieb in ihrer Echtheit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/288
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/288>, abgerufen am 01.09.2024.