Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Die neue deutsche Glcmbensspciltung andere Geschichte gelehrt bekommen. Auch ein gemäßigtes Blatt, wie der "Vorwärts", Eine Revolution ist immer für das Volkstum, das sie durchmachen muß, Eine Tatsache, wie sie die Revolution nun einmal ist, kann man noch so Die neue deutsche Glcmbensspciltung andere Geschichte gelehrt bekommen. Auch ein gemäßigtes Blatt, wie der „Vorwärts", Eine Revolution ist immer für das Volkstum, das sie durchmachen muß, Eine Tatsache, wie sie die Revolution nun einmal ist, kann man noch so <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0234" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335644"/> <fw type="header" place="top"> Die neue deutsche Glcmbensspciltung</fw><lb/> <p xml:id="ID_974" prev="#ID_973"> andere Geschichte gelehrt bekommen. Auch ein gemäßigtes Blatt, wie der „Vorwärts",<lb/> redet über die Hohenzollern in einem Tone, der für uns ganz unmöglich ist.<lb/> Der Bürgerliche kann einen Mann wie Liebknecht nur in den Abgrund der Hölle<lb/> wünschen und — seien wir offenI — bringt es nicht fertig, seinen gewaltsamen<lb/> Tod zu bedauern. Der Sozialdemokrat verehrt ihn. auch wenn er seine Politik<lb/> zuletzt nicht mehr gebilligt hat. und nennt die Männer Mörder, die ihn als<lb/> flüchtigen Rebellen niedergeschossen haben. Die Kluft wird immer breiter, der<lb/> Haß immer glühender. Die Gefahr ist groß, daß auch dieser Spalt sich verewigt,<lb/> so wie die Kirchenspaltung von uns durch die Jahrhunderte weiter geschleppt<lb/> werden muß. Schon heute hört man oft von Männern, die die Arbeiter kennen,<lb/> die resignierte Klage: die werden wir nie für unsern nationalen Gedanken gewinnen.<lb/> Ist das so, dann sieht die nationale Zukunft des deutschen Volkes traurig aus.<lb/> Denn alle äußere nationale Größe und Blüte muß erst in der Seele des Volkes<lb/> vorbereitet sein. Sie kann sich nicht entfalten, wenn das Volk in seiner Welt-<lb/> und Weltanschauung, in allem, was ihm heilig ist, in seinem Glauben tief gespalien<lb/> ist. Wir haben viel geredet vom dentschen Glauben und haben deutsches Wesen<lb/> hochgepriesen. Aber die Gefahr ist groß, daß es drei Arten dentschen Glaubens<lb/> und deutschen Wesens geben wird, von denen jede den echten Ring zu beseitigen<lb/> meint. Man sehe doch endlich mal jetzt im tiefsten Elend, was ist! Die Zeit<lb/> der Phrasen ist vorbei. Man darf nicht mehr verkennen, daß es eine neue<lb/> Glanbcnsspaltung, eine Spaltung der Wertbegriffe und Weltanschauung ist, die<lb/> zwischen Bürgertum und Sozialdemokratie hereinzubrechen droht, daß wir im<lb/> Begriffe sind, das nationale Unglück des sechzehnten Jahrhunderts zu wiederholen.<lb/> Setzt sie sich durch, diese Glaubensspaltung, dann wird unsere nationale Zukunft für<lb/> alle Zeiten noch mehr gelähmt, als uns einst die Gegenreformation des sechzehnten<lb/> Jahrhunderts gelähmt hat. Ich weiß nicht, ob es noch eine Rettung vor diesem<lb/> Verhängnis gibt. Sie könnte nur darin liegen, daß unsere Öffentlichkeit wenigstens<lb/> klar erkennt, wohin die Dinge treiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_975"> Eine Revolution ist immer für das Volkstum, das sie durchmachen muß,<lb/> eine Operation auf Leben und Tod. Es besteht eben steif die Gefahr, daß die<lb/> Seele des Volkes sich darüber spaltet. Aber die Sache kann, glücklicher ablaufen,<lb/> als es mit unserer Reformation im sechzehnten Jahrhundert gegangen ist (die<lb/> auch eine richtige Revolution war). Die große französische Revolution z. V. hat<lb/> die Nation trotz der Emigranten und trotz der Nestaurotionsversuche der Bour-<lb/> bonen nicht in der Seele gespalien. Es dürfte heute kaum uoch einen Franzosen<lb/> geben, dem die Trikolore, die Fahne der Revolution, noch ein GegenNand des<lb/> Abscheus und nicht ein Symbol der glorreichsten Nationalerinnernngen wäre. Es<lb/> dürfte auch nicht viel Leute in Frankreich geben, die den l4. Juli, den Tag des<lb/> Vastillesturmes, nicht für einen nationalen Feiertag, sondern für einen Tag der<lb/> Trauer ansehen. Ob der 9. November je Aussicht hat, einmal auch nur annähernd<lb/> verwandte Gefühle im Herzen des ganzen deutschen Volkes zu wecken? Ob nicht<lb/> die Gefahr groß ist, daß das Volk den Tag immer mit völlig gespaltener Ge-<lb/> sinnung begehen wird? Man möchte es schon als böses Omen betrachten, daß<lb/> der Gedenktag der deutschen Revolution im spätherbstlichen November liegt, statt<lb/> im sonnigen Juli, Ungefähr so groß wird der Unterschied zwischen der deutschen<lb/> und der großen französischen Revolution sein, fürchte ich, wie zwischen Juli und<lb/> Novemberl</p><lb/> <p xml:id="ID_976" next="#ID_977"> Eine Tatsache, wie sie die Revolution nun einmal ist, kann man noch so<lb/> sihr bedauern, aber man kann sie nicht aus der Welt schaffen. Es erhebt sich<lb/> die Frage, ob auch der nichtsozialdemokratische Teil des dentschen Volkes ein<lb/> positives Verhältnis zu ihr gewinnen.kann. Wir können für die Beantwortung<lb/> dieser Frage eine kleine Broschüre zu Hilfe nehmen, die von Dr. Karl Hoffmann<lb/> erschienen ist: „Das Doppelgesicht der Revolution" (Leipzig, Fr. Wilh. Grunow,<lb/> l9l9). Die Revolution ist einmal eine nationalpolitische Umwälzung und dann<lb/> die gewaltsame Erhebung der Arbeiterklasse, also die vielberufene soziale Re¬<lb/> volution. Nationalpolitisch bedeutet die Revolution einen Ansatz, den deutschen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0234]
Die neue deutsche Glcmbensspciltung
andere Geschichte gelehrt bekommen. Auch ein gemäßigtes Blatt, wie der „Vorwärts",
redet über die Hohenzollern in einem Tone, der für uns ganz unmöglich ist.
Der Bürgerliche kann einen Mann wie Liebknecht nur in den Abgrund der Hölle
wünschen und — seien wir offenI — bringt es nicht fertig, seinen gewaltsamen
Tod zu bedauern. Der Sozialdemokrat verehrt ihn. auch wenn er seine Politik
zuletzt nicht mehr gebilligt hat. und nennt die Männer Mörder, die ihn als
flüchtigen Rebellen niedergeschossen haben. Die Kluft wird immer breiter, der
Haß immer glühender. Die Gefahr ist groß, daß auch dieser Spalt sich verewigt,
so wie die Kirchenspaltung von uns durch die Jahrhunderte weiter geschleppt
werden muß. Schon heute hört man oft von Männern, die die Arbeiter kennen,
die resignierte Klage: die werden wir nie für unsern nationalen Gedanken gewinnen.
Ist das so, dann sieht die nationale Zukunft des deutschen Volkes traurig aus.
Denn alle äußere nationale Größe und Blüte muß erst in der Seele des Volkes
vorbereitet sein. Sie kann sich nicht entfalten, wenn das Volk in seiner Welt-
und Weltanschauung, in allem, was ihm heilig ist, in seinem Glauben tief gespalien
ist. Wir haben viel geredet vom dentschen Glauben und haben deutsches Wesen
hochgepriesen. Aber die Gefahr ist groß, daß es drei Arten dentschen Glaubens
und deutschen Wesens geben wird, von denen jede den echten Ring zu beseitigen
meint. Man sehe doch endlich mal jetzt im tiefsten Elend, was ist! Die Zeit
der Phrasen ist vorbei. Man darf nicht mehr verkennen, daß es eine neue
Glanbcnsspaltung, eine Spaltung der Wertbegriffe und Weltanschauung ist, die
zwischen Bürgertum und Sozialdemokratie hereinzubrechen droht, daß wir im
Begriffe sind, das nationale Unglück des sechzehnten Jahrhunderts zu wiederholen.
Setzt sie sich durch, diese Glaubensspaltung, dann wird unsere nationale Zukunft für
alle Zeiten noch mehr gelähmt, als uns einst die Gegenreformation des sechzehnten
Jahrhunderts gelähmt hat. Ich weiß nicht, ob es noch eine Rettung vor diesem
Verhängnis gibt. Sie könnte nur darin liegen, daß unsere Öffentlichkeit wenigstens
klar erkennt, wohin die Dinge treiben.
Eine Revolution ist immer für das Volkstum, das sie durchmachen muß,
eine Operation auf Leben und Tod. Es besteht eben steif die Gefahr, daß die
Seele des Volkes sich darüber spaltet. Aber die Sache kann, glücklicher ablaufen,
als es mit unserer Reformation im sechzehnten Jahrhundert gegangen ist (die
auch eine richtige Revolution war). Die große französische Revolution z. V. hat
die Nation trotz der Emigranten und trotz der Nestaurotionsversuche der Bour-
bonen nicht in der Seele gespalien. Es dürfte heute kaum uoch einen Franzosen
geben, dem die Trikolore, die Fahne der Revolution, noch ein GegenNand des
Abscheus und nicht ein Symbol der glorreichsten Nationalerinnernngen wäre. Es
dürfte auch nicht viel Leute in Frankreich geben, die den l4. Juli, den Tag des
Vastillesturmes, nicht für einen nationalen Feiertag, sondern für einen Tag der
Trauer ansehen. Ob der 9. November je Aussicht hat, einmal auch nur annähernd
verwandte Gefühle im Herzen des ganzen deutschen Volkes zu wecken? Ob nicht
die Gefahr groß ist, daß das Volk den Tag immer mit völlig gespaltener Ge-
sinnung begehen wird? Man möchte es schon als böses Omen betrachten, daß
der Gedenktag der deutschen Revolution im spätherbstlichen November liegt, statt
im sonnigen Juli, Ungefähr so groß wird der Unterschied zwischen der deutschen
und der großen französischen Revolution sein, fürchte ich, wie zwischen Juli und
Novemberl
Eine Tatsache, wie sie die Revolution nun einmal ist, kann man noch so
sihr bedauern, aber man kann sie nicht aus der Welt schaffen. Es erhebt sich
die Frage, ob auch der nichtsozialdemokratische Teil des dentschen Volkes ein
positives Verhältnis zu ihr gewinnen.kann. Wir können für die Beantwortung
dieser Frage eine kleine Broschüre zu Hilfe nehmen, die von Dr. Karl Hoffmann
erschienen ist: „Das Doppelgesicht der Revolution" (Leipzig, Fr. Wilh. Grunow,
l9l9). Die Revolution ist einmal eine nationalpolitische Umwälzung und dann
die gewaltsame Erhebung der Arbeiterklasse, also die vielberufene soziale Re¬
volution. Nationalpolitisch bedeutet die Revolution einen Ansatz, den deutschen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |