Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Poleon selbst noch kurz vor seinem Sturze Wenn man aber trotz allem die rechtlichen Aus alledem folgt, daß eine Auf¬ Sollte der Staat trotzdem versuchen, seinen Es wird sich nun zeigen, ob die bayerischen "Der Irrweg des Bürgerratsgedmikens." Unter dieser Überschrift spricht Herr Dr. Mar Aber die Voraussetzungen des Herr" Die Bürgerratsbewegung hat nicht die Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Poleon selbst noch kurz vor seinem Sturze Wenn man aber trotz allem die rechtlichen Aus alledem folgt, daß eine Auf¬ Sollte der Staat trotzdem versuchen, seinen Es wird sich nun zeigen, ob die bayerischen „Der Irrweg des Bürgerratsgedmikens." Unter dieser Überschrift spricht Herr Dr. Mar Aber die Voraussetzungen des Herr» Die Bürgerratsbewegung hat nicht die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0227" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335637"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_938" prev="#ID_937"> Poleon selbst noch kurz vor seinem Sturze<lb/> eine Rekonstruktion des durch die Revolution<lb/> dezimierten Adels. Auch das Urteil eines<lb/> modernen Staatsrechtslehrers, eines geborenen<lb/> Republikaners und Jahrzehnte hindurch einer<lb/> Zierde gerade der Münchener Universität, sei<lb/> hier erwähnt: „Die demokratische Einseitigkeit<lb/> sieht nur die Gleichheit und gefährdet die<lb/> Freiheit, indem sie die Mannigfaltigkeit er¬<lb/> drückt und jede höhere Kultur, indem sie die<lb/> Auszeichnung als unerlaubte Ungleichheit mit<lb/> ihrem Neide und ihrem Hasse verfolgt".<lb/> lBluntschli Politik S. 68.)</p> <p xml:id="ID_939"> Wenn man aber trotz allem die rechtlichen<lb/> Voraussetzungen als vorhanden ansehen will,<lb/> so gibt jede Aufhebung von Jndividualrechten<lb/> den Anspruch auf angemessene Entschädigung.<lb/> In welcher Weise nun soll man Tradition<lb/> und gesellschaftlichen Rang entschädigen?<lb/> Wenn in Geld, nach welchem Maßstabe soll<lb/> man einschätzen? In welcher Höhe ent¬<lb/> schädigen? Wo soll heutzutage das Geld<lb/> herkommen?</p> <p xml:id="ID_940"> Aus alledem folgt, daß eine Auf¬<lb/> hebung von Adelstitulaturen durch Staatsakt<lb/> ebenso unberechtigt wie undurchführbar ist.<lb/> Über die Persönlichen Rechte der Individuen<lb/> "kann sich der Staat nicht hinwegsetzen. Der<lb/> moderne Staat und gar die Demokratie<lb/> wissen nichts von einer absoluten Staats¬<lb/> gewalt. Eine schrankenlose Souveränität ver¬<lb/> trägt sich vor allem in der sozialen Republik<lb/> uicht mit der Persönlichen Freiheit des Staats¬<lb/> bürgers; selbst dem Staate als Ganzem<lb/> kommt solche Allmacht nicht zu.</p> <p xml:id="ID_941"> Sollte der Staat trotzdem versuchen, seinen<lb/> Willen mit Gewalt durchzusetzen, so müssen<lb/> die Gerichte die Betroffenen schützen. Sie<lb/> haben das Recht und die Pflicht, formell zu<lb/> prüfen, ob überhaupt ein gültiges, also ver¬<lb/> fassungsmäßig entstandenes Gesetz vorhanden<lb/> ist und, falls sie diese Frage bejahen, materiell<lb/> festzustellen, ob das Gesetz mit der Landes¬<lb/> und Reichsverfassung sowie der Reichsgesetz¬<lb/> gebung und mit den wohlerworbenen und<lb/> unverletzlichen Rechten der Staatsbürger im<lb/> Einklang steht. Fehlt es auch nur an einer<lb/> dieser Voraussetzungen, so haben sie dem<lb/> Gesetze die Anerkennung zu versagen und<lb/> eine Vollziehung zu verhindern.</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_942"> Es wird sich nun zeigen, ob die bayerischen<lb/> Richter den Mut und die Kraft haben wer¬<lb/> den, auch in sturmbewegter Zeit das Steuer<lb/> der immanenten Gerechtigkeit festzuhalten und<lb/> ohne Furcht auch vor der staatlich geheiligten<lb/> Straße den geraden Weg ihrer inneren<lb/> Überzeugung zu gehen, „niemand zu Lieb'<lb/> und niemand zu Leide, streng nach Recht<lb/> und Gesetz, wie es einem voetor Zuris<lb/><note type="byline"> Dr. sah,</note> geziemt". </p> </div> <div n="2"> <head> „Der Irrweg des Bürgerratsgedmikens."</head> <p xml:id="ID_943"> Unter dieser Überschrift spricht Herr Dr. Mar<lb/> Hildebert Bochen in Ur. 17 „Der Grenz¬<lb/> boten" vom 23. April 1919 dem Bürgerrats¬<lb/> gedanken jede Berechtigung ab. Wenn man<lb/> sich auf den Standpunkt des Verfassers stellt<lb/> und mit ihm davon ausgeht, daß die Bürger¬<lb/> ratsbewegung lediglich eine Zusammenfassung<lb/> des „Bürgertums im alten Sinne des Wortes"<lb/> zum Kampf gegen die nach oben drängenden<lb/> Arbeitermassen bedeute, so würden die Schlu߬<lb/> folgerungen des Herri> Bochen richtig sein.<lb/> Es würde dann in der Tat die Bürgerrats¬<lb/> bewegung nichts weiter sein als „Reaktion"<lb/> im treffendsten Sinne des Wortes.</p> <p xml:id="ID_944"> Aber die Voraussetzungen des Herr»<lb/> Dr. Bochen sind falsch, und damit zerfallen<lb/> seine Schlußfolgerungen logischerweise von<lb/> selbst.</p> <p xml:id="ID_945"> Die Bürgerratsbewegung hat nicht die<lb/> von Herrn Dr. Bochen ihr unterstellten Zwecke<lb/> und Ziele, sondern sie stellt nur die Zu¬<lb/> sammenfassung derjenigen Teile des Volkes<lb/> dar, die Prinzipiell auf der Basis indivi¬<lb/> dualistischer Wirtschaftsanschauung stehen<lb/> gegenüber denjenigen Teilen des Volkes,<lb/> welche durch Phrasen und Versprechungen<lb/> benebelt, das wirtschaftliche Heil in der<lb/> Durchführung des Programmatischen<lb/> Sozialismus erblicken. Das Wort „pro¬<lb/> grammatisch" hierbei ausdrücklich unter¬<lb/> strichen, denn Individualismus und Sozia¬<lb/> lismus an und für sich sind keine unüber¬<lb/> brückbaren Gegensätze, sondern es lassen sich<lb/> zwischen beiden Brücken bauen, aber In¬<lb/> dividualismus und programmatischer Sozia¬<lb/> lismus bleiben unüberbrückbare Gegensätze,<lb/> und die Existenz des einen muß die des<lb/> anderen ausschließen.</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0227]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Poleon selbst noch kurz vor seinem Sturze
eine Rekonstruktion des durch die Revolution
dezimierten Adels. Auch das Urteil eines
modernen Staatsrechtslehrers, eines geborenen
Republikaners und Jahrzehnte hindurch einer
Zierde gerade der Münchener Universität, sei
hier erwähnt: „Die demokratische Einseitigkeit
sieht nur die Gleichheit und gefährdet die
Freiheit, indem sie die Mannigfaltigkeit er¬
drückt und jede höhere Kultur, indem sie die
Auszeichnung als unerlaubte Ungleichheit mit
ihrem Neide und ihrem Hasse verfolgt".
lBluntschli Politik S. 68.)
Wenn man aber trotz allem die rechtlichen
Voraussetzungen als vorhanden ansehen will,
so gibt jede Aufhebung von Jndividualrechten
den Anspruch auf angemessene Entschädigung.
In welcher Weise nun soll man Tradition
und gesellschaftlichen Rang entschädigen?
Wenn in Geld, nach welchem Maßstabe soll
man einschätzen? In welcher Höhe ent¬
schädigen? Wo soll heutzutage das Geld
herkommen?
Aus alledem folgt, daß eine Auf¬
hebung von Adelstitulaturen durch Staatsakt
ebenso unberechtigt wie undurchführbar ist.
Über die Persönlichen Rechte der Individuen
"kann sich der Staat nicht hinwegsetzen. Der
moderne Staat und gar die Demokratie
wissen nichts von einer absoluten Staats¬
gewalt. Eine schrankenlose Souveränität ver¬
trägt sich vor allem in der sozialen Republik
uicht mit der Persönlichen Freiheit des Staats¬
bürgers; selbst dem Staate als Ganzem
kommt solche Allmacht nicht zu.
Sollte der Staat trotzdem versuchen, seinen
Willen mit Gewalt durchzusetzen, so müssen
die Gerichte die Betroffenen schützen. Sie
haben das Recht und die Pflicht, formell zu
prüfen, ob überhaupt ein gültiges, also ver¬
fassungsmäßig entstandenes Gesetz vorhanden
ist und, falls sie diese Frage bejahen, materiell
festzustellen, ob das Gesetz mit der Landes¬
und Reichsverfassung sowie der Reichsgesetz¬
gebung und mit den wohlerworbenen und
unverletzlichen Rechten der Staatsbürger im
Einklang steht. Fehlt es auch nur an einer
dieser Voraussetzungen, so haben sie dem
Gesetze die Anerkennung zu versagen und
eine Vollziehung zu verhindern.
Es wird sich nun zeigen, ob die bayerischen
Richter den Mut und die Kraft haben wer¬
den, auch in sturmbewegter Zeit das Steuer
der immanenten Gerechtigkeit festzuhalten und
ohne Furcht auch vor der staatlich geheiligten
Straße den geraden Weg ihrer inneren
Überzeugung zu gehen, „niemand zu Lieb'
und niemand zu Leide, streng nach Recht
und Gesetz, wie es einem voetor Zuris
Dr. sah, geziemt".
„Der Irrweg des Bürgerratsgedmikens." Unter dieser Überschrift spricht Herr Dr. Mar
Hildebert Bochen in Ur. 17 „Der Grenz¬
boten" vom 23. April 1919 dem Bürgerrats¬
gedanken jede Berechtigung ab. Wenn man
sich auf den Standpunkt des Verfassers stellt
und mit ihm davon ausgeht, daß die Bürger¬
ratsbewegung lediglich eine Zusammenfassung
des „Bürgertums im alten Sinne des Wortes"
zum Kampf gegen die nach oben drängenden
Arbeitermassen bedeute, so würden die Schlu߬
folgerungen des Herri> Bochen richtig sein.
Es würde dann in der Tat die Bürgerrats¬
bewegung nichts weiter sein als „Reaktion"
im treffendsten Sinne des Wortes.
Aber die Voraussetzungen des Herr»
Dr. Bochen sind falsch, und damit zerfallen
seine Schlußfolgerungen logischerweise von
selbst.
Die Bürgerratsbewegung hat nicht die
von Herrn Dr. Bochen ihr unterstellten Zwecke
und Ziele, sondern sie stellt nur die Zu¬
sammenfassung derjenigen Teile des Volkes
dar, die Prinzipiell auf der Basis indivi¬
dualistischer Wirtschaftsanschauung stehen
gegenüber denjenigen Teilen des Volkes,
welche durch Phrasen und Versprechungen
benebelt, das wirtschaftliche Heil in der
Durchführung des Programmatischen
Sozialismus erblicken. Das Wort „pro¬
grammatisch" hierbei ausdrücklich unter¬
strichen, denn Individualismus und Sozia¬
lismus an und für sich sind keine unüber¬
brückbaren Gegensätze, sondern es lassen sich
zwischen beiden Brücken bauen, aber In¬
dividualismus und programmatischer Sozia¬
lismus bleiben unüberbrückbare Gegensätze,
und die Existenz des einen muß die des
anderen ausschließen.
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