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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Zum südwestdeutjchen Problem

in Nichts zusammen: Der Nheinpfälzer ist "ein ganz anderer Mensch" als der
Schwabe, und doch liebäugelt man gerade in Stuttgart, wo man so stark wie
sonst nirgends auf die Eigenart bedacht ist, damit, auch diese so ganz anders
geartete Bevölkerung in das neue "Schwaben" einzubeziehen. Freilich müßie
dann der Name "Schwaben" fallen, und es droht in diesem Falle bie höchst
ungünstige Bezeichnung "südwestdeutsche Republik". -- eine Bezeichnung, die
Namentlich für die adjektivische Anwendung sehr vom Rbel wäre und sich niemals
im Winkel am Ofen einbürgern würde. Und das ist doch sehr wünschenswert für
eine vaterländische Bezeichnung.

Auf alle Fälle sieht man aus dem Gesagten wohl zweierlei: erstens, daß
der Siein ins Rollen gekommen ist, daß er aber noch etwas stark hin und her
springt; und zweitens, daß sogar hartnäckig partiknlarisnsch veranlagte Länder in
Dcutichland ihre sonst so zäh festgehaltenen Grenzen und Grundsätze leicht preis¬
geben, wenn neuzeitliche Interessen auf dem Spiele stehen.

Das eigentümliche an der Sache ist nämlich, daß die private Bewegung,
die den Gedanken in die Presse brachte, und die von Ulm ausgeht, ein so stark
romantisches und gefühlsmäßiges Gepräge hat, daß man ursprünglich einen
"Neichsstand" Schwaben (jetzt: "Reichsland") schaffen wollte und ein "Schwabcn-
kapitcl" begründet hat, dem die Anhänger der Idee beitreten' daß aber aus dieser
romantischen Bewegung eine selbständige wirtschaftliche geworden ist, die dann
auch allein praktisch werbend weiterwüken kann.

Wenn Memmingen für Anschluß an Württemberg ist, so kommt es daher,
daß der Kreis Schwaben und Neuburg von Bayern, namentlich "erkehrstechnisch,
sehr stiefmütterlich behandelt worden ist. Wenn Vorarlberg, nächst den Anschluß
an die Schweiz, den an Schwaben (nicht aber an Bayern) plant, so ist das im
Absatz seiner Alpenwirtschafts- und Stickereiprodukte begründet, für welche Schwaben
-- aus eigenem Mangel an dergleichen -- günstig liegt. Wenn man im nörd¬
lichen Baden nicht flammenden Einspruch gegen den Gedanken, schwäbisch werden
zu sollen, erhebt, so ist es der Neckarfluß mit seiner Mündung bei Mannheini,
der das Wunder zuwege bringt' und wenn man in Württemberg ganz besonders
den Badenern "flattiert" -- die man sonst nicht gerade sehr dringend umwarb --,
so sind es neben dem Neckar auch der Rhein und die Donau (bei Tuttlingen), und die
damit zusammenhängenden sehr wichtigen materiellen Interessen, die den Wunsch
beflügeln helfen -- abgesehen natürlich von den: schmeichelhaften Moment, dein
lieben Namen Schwaben weitere Grenzen und aufs neue einen guten Klang in
der Welt geben zu können und Stuttgart als Hauptstadt eines so viel größeren
Landes zu besitzen. Die Einbußen, die Karlsruhe erleiden würde, sind denn auch
ein besonderer Gegengrund für Baden, während die beiden Grenzstädte Rottweil
(Württemberg) und Pforzheim (Baden) sich bezeichnenderweise für den Zusammen¬
schluß einsetzen.

Sehr interessant aber ist es, ebenfalls aus wirtschaftlichen Gründen erkennen
zu dürfen, daß die viel bedauerten "Mußpreußen" im Hohenzollernschen gar nicht
so eifrig dabei sind, das preußische "Joch" abzuschütteln und sich den württem¬
bergischen Stammesbrüdern anzuschließen, wie Man das in und um Stuttgart
anfangs angenommen hatte. Auch hier sind wirtschaftliche Gründe maßgebend:
der Kommuuallcmdtag hat erklärt -- ein Unikum in unserem Deutschland von
deutet -- daß die Finanzlage des Ländchens "vorzüglich" sei. Preußen kann
stolz hierauf sein. Dies Zeugnis widerlegt vieles von dem, was man sonst gegen
die "Unfähigkeit" Preußens zur Kolonisation und gegen seine moralische Werbe¬
fähigkeit zu sagen pflegt. Das Geheimnis ist nämlich, daß Hohenzollern sehr
reichlich von Preußen bedacht wird, so daß sogar die Steuern in diesem Gebiet
nicht so drückend sind, wie sie es z. B. dann wären, wenn Hohenzollern an
Württemberg käme!

Die ganze Bewegung ist also lehrreich insofern, als wirtschaftliche Inter¬
essen angefangen haben, einen ganz ungemeinen politischen Wert in Deutschland
zu bekommen. Dies ist für die Zukunftsentwicklung Deutschlands vielver-


Zum südwestdeutjchen Problem

in Nichts zusammen: Der Nheinpfälzer ist „ein ganz anderer Mensch" als der
Schwabe, und doch liebäugelt man gerade in Stuttgart, wo man so stark wie
sonst nirgends auf die Eigenart bedacht ist, damit, auch diese so ganz anders
geartete Bevölkerung in das neue „Schwaben" einzubeziehen. Freilich müßie
dann der Name „Schwaben" fallen, und es droht in diesem Falle bie höchst
ungünstige Bezeichnung „südwestdeutsche Republik". — eine Bezeichnung, die
Namentlich für die adjektivische Anwendung sehr vom Rbel wäre und sich niemals
im Winkel am Ofen einbürgern würde. Und das ist doch sehr wünschenswert für
eine vaterländische Bezeichnung.

Auf alle Fälle sieht man aus dem Gesagten wohl zweierlei: erstens, daß
der Siein ins Rollen gekommen ist, daß er aber noch etwas stark hin und her
springt; und zweitens, daß sogar hartnäckig partiknlarisnsch veranlagte Länder in
Dcutichland ihre sonst so zäh festgehaltenen Grenzen und Grundsätze leicht preis¬
geben, wenn neuzeitliche Interessen auf dem Spiele stehen.

Das eigentümliche an der Sache ist nämlich, daß die private Bewegung,
die den Gedanken in die Presse brachte, und die von Ulm ausgeht, ein so stark
romantisches und gefühlsmäßiges Gepräge hat, daß man ursprünglich einen
„Neichsstand" Schwaben (jetzt: „Reichsland") schaffen wollte und ein „Schwabcn-
kapitcl" begründet hat, dem die Anhänger der Idee beitreten' daß aber aus dieser
romantischen Bewegung eine selbständige wirtschaftliche geworden ist, die dann
auch allein praktisch werbend weiterwüken kann.

Wenn Memmingen für Anschluß an Württemberg ist, so kommt es daher,
daß der Kreis Schwaben und Neuburg von Bayern, namentlich »erkehrstechnisch,
sehr stiefmütterlich behandelt worden ist. Wenn Vorarlberg, nächst den Anschluß
an die Schweiz, den an Schwaben (nicht aber an Bayern) plant, so ist das im
Absatz seiner Alpenwirtschafts- und Stickereiprodukte begründet, für welche Schwaben
— aus eigenem Mangel an dergleichen — günstig liegt. Wenn man im nörd¬
lichen Baden nicht flammenden Einspruch gegen den Gedanken, schwäbisch werden
zu sollen, erhebt, so ist es der Neckarfluß mit seiner Mündung bei Mannheini,
der das Wunder zuwege bringt' und wenn man in Württemberg ganz besonders
den Badenern „flattiert" — die man sonst nicht gerade sehr dringend umwarb —,
so sind es neben dem Neckar auch der Rhein und die Donau (bei Tuttlingen), und die
damit zusammenhängenden sehr wichtigen materiellen Interessen, die den Wunsch
beflügeln helfen — abgesehen natürlich von den: schmeichelhaften Moment, dein
lieben Namen Schwaben weitere Grenzen und aufs neue einen guten Klang in
der Welt geben zu können und Stuttgart als Hauptstadt eines so viel größeren
Landes zu besitzen. Die Einbußen, die Karlsruhe erleiden würde, sind denn auch
ein besonderer Gegengrund für Baden, während die beiden Grenzstädte Rottweil
(Württemberg) und Pforzheim (Baden) sich bezeichnenderweise für den Zusammen¬
schluß einsetzen.

Sehr interessant aber ist es, ebenfalls aus wirtschaftlichen Gründen erkennen
zu dürfen, daß die viel bedauerten „Mußpreußen" im Hohenzollernschen gar nicht
so eifrig dabei sind, das preußische „Joch" abzuschütteln und sich den württem¬
bergischen Stammesbrüdern anzuschließen, wie Man das in und um Stuttgart
anfangs angenommen hatte. Auch hier sind wirtschaftliche Gründe maßgebend:
der Kommuuallcmdtag hat erklärt — ein Unikum in unserem Deutschland von
deutet — daß die Finanzlage des Ländchens „vorzüglich" sei. Preußen kann
stolz hierauf sein. Dies Zeugnis widerlegt vieles von dem, was man sonst gegen
die „Unfähigkeit" Preußens zur Kolonisation und gegen seine moralische Werbe¬
fähigkeit zu sagen pflegt. Das Geheimnis ist nämlich, daß Hohenzollern sehr
reichlich von Preußen bedacht wird, so daß sogar die Steuern in diesem Gebiet
nicht so drückend sind, wie sie es z. B. dann wären, wenn Hohenzollern an
Württemberg käme!

Die ganze Bewegung ist also lehrreich insofern, als wirtschaftliche Inter¬
essen angefangen haben, einen ganz ungemeinen politischen Wert in Deutschland
zu bekommen. Dies ist für die Zukunftsentwicklung Deutschlands vielver-


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[0168] Zum südwestdeutjchen Problem in Nichts zusammen: Der Nheinpfälzer ist „ein ganz anderer Mensch" als der Schwabe, und doch liebäugelt man gerade in Stuttgart, wo man so stark wie sonst nirgends auf die Eigenart bedacht ist, damit, auch diese so ganz anders geartete Bevölkerung in das neue „Schwaben" einzubeziehen. Freilich müßie dann der Name „Schwaben" fallen, und es droht in diesem Falle bie höchst ungünstige Bezeichnung „südwestdeutsche Republik". — eine Bezeichnung, die Namentlich für die adjektivische Anwendung sehr vom Rbel wäre und sich niemals im Winkel am Ofen einbürgern würde. Und das ist doch sehr wünschenswert für eine vaterländische Bezeichnung. Auf alle Fälle sieht man aus dem Gesagten wohl zweierlei: erstens, daß der Siein ins Rollen gekommen ist, daß er aber noch etwas stark hin und her springt; und zweitens, daß sogar hartnäckig partiknlarisnsch veranlagte Länder in Dcutichland ihre sonst so zäh festgehaltenen Grenzen und Grundsätze leicht preis¬ geben, wenn neuzeitliche Interessen auf dem Spiele stehen. Das eigentümliche an der Sache ist nämlich, daß die private Bewegung, die den Gedanken in die Presse brachte, und die von Ulm ausgeht, ein so stark romantisches und gefühlsmäßiges Gepräge hat, daß man ursprünglich einen „Neichsstand" Schwaben (jetzt: „Reichsland") schaffen wollte und ein „Schwabcn- kapitcl" begründet hat, dem die Anhänger der Idee beitreten' daß aber aus dieser romantischen Bewegung eine selbständige wirtschaftliche geworden ist, die dann auch allein praktisch werbend weiterwüken kann. Wenn Memmingen für Anschluß an Württemberg ist, so kommt es daher, daß der Kreis Schwaben und Neuburg von Bayern, namentlich »erkehrstechnisch, sehr stiefmütterlich behandelt worden ist. Wenn Vorarlberg, nächst den Anschluß an die Schweiz, den an Schwaben (nicht aber an Bayern) plant, so ist das im Absatz seiner Alpenwirtschafts- und Stickereiprodukte begründet, für welche Schwaben — aus eigenem Mangel an dergleichen — günstig liegt. Wenn man im nörd¬ lichen Baden nicht flammenden Einspruch gegen den Gedanken, schwäbisch werden zu sollen, erhebt, so ist es der Neckarfluß mit seiner Mündung bei Mannheini, der das Wunder zuwege bringt' und wenn man in Württemberg ganz besonders den Badenern „flattiert" — die man sonst nicht gerade sehr dringend umwarb —, so sind es neben dem Neckar auch der Rhein und die Donau (bei Tuttlingen), und die damit zusammenhängenden sehr wichtigen materiellen Interessen, die den Wunsch beflügeln helfen — abgesehen natürlich von den: schmeichelhaften Moment, dein lieben Namen Schwaben weitere Grenzen und aufs neue einen guten Klang in der Welt geben zu können und Stuttgart als Hauptstadt eines so viel größeren Landes zu besitzen. Die Einbußen, die Karlsruhe erleiden würde, sind denn auch ein besonderer Gegengrund für Baden, während die beiden Grenzstädte Rottweil (Württemberg) und Pforzheim (Baden) sich bezeichnenderweise für den Zusammen¬ schluß einsetzen. Sehr interessant aber ist es, ebenfalls aus wirtschaftlichen Gründen erkennen zu dürfen, daß die viel bedauerten „Mußpreußen" im Hohenzollernschen gar nicht so eifrig dabei sind, das preußische „Joch" abzuschütteln und sich den württem¬ bergischen Stammesbrüdern anzuschließen, wie Man das in und um Stuttgart anfangs angenommen hatte. Auch hier sind wirtschaftliche Gründe maßgebend: der Kommuuallcmdtag hat erklärt — ein Unikum in unserem Deutschland von deutet — daß die Finanzlage des Ländchens „vorzüglich" sei. Preußen kann stolz hierauf sein. Dies Zeugnis widerlegt vieles von dem, was man sonst gegen die „Unfähigkeit" Preußens zur Kolonisation und gegen seine moralische Werbe¬ fähigkeit zu sagen pflegt. Das Geheimnis ist nämlich, daß Hohenzollern sehr reichlich von Preußen bedacht wird, so daß sogar die Steuern in diesem Gebiet nicht so drückend sind, wie sie es z. B. dann wären, wenn Hohenzollern an Württemberg käme! Die ganze Bewegung ist also lehrreich insofern, als wirtschaftliche Inter¬ essen angefangen haben, einen ganz ungemeinen politischen Wert in Deutschland zu bekommen. Dies ist für die Zukunftsentwicklung Deutschlands vielver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/168>, abgerufen am 18.12.2024.