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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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dings über Gaben, die sie zur Pflegerin und Erzieherin ihrer Kinder empfehlen:
ihre Gefühle sind leicht erregbar und dauerhaft, wodurch die Fähigkeit bedingt ist,
sich in andere Menschen hineinzuversetzen, das eigene Wohlbefinden von dein
anderer abhängig zu machen, ja es anderen zu opfern, aber diese Gaben erschöpfen
ja nicht die Voraussetzungen einer guten Mutier, aus ihnen selbst erwachsen sogar
Gefahren für die Erziehung, sofern die Frau ihre Gefühle nicht zu beherrschen
vermag. Zu einem E-zieher, der sich selbst nicht im Zaum halten kann, hat ein
Kind kein Vertrauen und zollt ihm keinen Respekt. Daher kommt es zunächst
für die Frau nicht auf den Erwerb gewisser, an und für sich natürlich wertvoller
Kenntnisse in der Haushaltung, Säuglings- und Kinderpflege an, zumal für deren
Aneignung kein jahrelanges Studium benötigt wird, sondern auf die Charakter¬
bildung, die ja in der Schule lange nicht vollendet wird, und dazu vermag jede
ernste Arbeit zu dienen, sofern sie zur Selbstbeherrschung, Zielstrebigkeit, Ordnung
und zu guter Zeiteinteilung anleitet und das Gefühl für Pflicht und Verant¬
wortung weckt.

Durch die Berufsarbeit wird das Individuum offensichtlich in hohem Maße
mit der Gesamtheit verleitet und aus dein Erfassen der sozialen Zusammenhänge
erstarkt in der Frau auch das Gefühl für die Pflichten und die Verantwortung,
denen sie ihrem Volke und dem Staat gegenüber als Einzel- und als Gattungs¬
wesen zu genügen hat. Dieses Pflicht- und Verantwortungsgefühl wird durch
die Verleihung des Wahlrechts an die Frauen in jeder Hinsicht unbedingt gehoben.
Darin liegt die weitgreifende ideelle Bedeutung dieser politischen Maßnahme, zu
der das wirtschaftliche Schwergewicht von mehr als zehn Millionen erwerbstätigen
Frauen ohnehin drängte. Wer in den Tagen des Wahlkcnnpses unter den Frauen
Umschau gehalten hat, muß bemerkt haben, daß er von ihnen mit Ernst und
Begeisterung aufgenommen wurde und daß in weitesten Kreisen ein ehrlicher
wägender Wille nach richtiger Entscheidung suchte. Freilich konnte er die politische
Einsicht nicht ohne weiteres ersetzen, aber das politische Selbstgefühl wird auch
fernerhin die Voraussetzung sein, Einsicht zu erstreben und das unverantwortliche,
durchaus nicht harmlose Drauflosreden, das wir im Kriege in so reichem Maße
erlebt haben, einzudämmen. Es wird schließlich auch zum bestimmenden Moment
Praktischer Lebensgestaltung werden.

Wenn die Frauenbewegung durch die Gewährung des politischen Wahlrechts
für die Verwirklichung ihrer Kulturideale eine neue Grundlage gewonnen hat, so
erheben sich naturgemäß mit um so stärkerer Wucht die Stimmen derer, die von
dieser Gestaltung der Dinge einerseits eine Entweiblichung der Frau, andererseits
eine Verweiblichung des Geistes des öffentlichen Lebens befürchten. Was die
Entweiblichung der Frau betrifft, so kann sie als Naturwesen in ihrem tiefsten
Wesen überhaupt nicht umgemodelt, wohl aber durch äußere Umstände in ihren
Strebungen irregeleitet werden. Verhängnisvoll kann ihr daher unsere hohle, auf
seichten Genuß gestellte Zivilisation werden, durch die in der Frauenbewegung
wirksamen Tendenzen, wie sie hier dargestellt wurden, erscheint sie am wenigsten
bedroht. Gefährdet ist aber durch dein Lauf der sozialen und wirtschaftlichen Ent¬
wicklung die uns von unseren Eltern und Großeltern überkommene Lebensform
der Frau. Es hat keinen Zweck, sich darüber zu grämen. Besser ist es, unsere
Begriffe von wahrer Weiblichkeit zu vertiefen. Es gab eine Zeit, die Ideale für
Weib und Mann kannte, wie wir sie brauchen -- die Zeit der Romantik. Die
Frau streckte die Hand aus nach des Mannes Art, ohne sich selbst zu verlieren,
und der Mann nahm vom Weibe und blieb doch Mann. "Man muß den
Charakter des Geschlechts keineswegs noch mehr übertreiben, sondern vielmehr
durch starke Gegengewichte zu mildern suchen . . ." "nur sanfte Männlichkeit, nur
selbständige Weiblichkeit ist rechte, wahre und schöne" -- so predigte einst Friedrich
Schlegel und fand nichts häßlicher, als überladene Weiblichkeit, und nichts ekel¬
hafter', als übertriebene Männlichkeit. Der "Ganzmensch" leuchtete auf den Wegen
der Romantik. Er mag bei uns den öffentlichen Geist bestimmen. Die Allein¬
herrschaft männlicher Auffassungen im öffentlichen Leben hat keine Zustände zu


dings über Gaben, die sie zur Pflegerin und Erzieherin ihrer Kinder empfehlen:
ihre Gefühle sind leicht erregbar und dauerhaft, wodurch die Fähigkeit bedingt ist,
sich in andere Menschen hineinzuversetzen, das eigene Wohlbefinden von dein
anderer abhängig zu machen, ja es anderen zu opfern, aber diese Gaben erschöpfen
ja nicht die Voraussetzungen einer guten Mutier, aus ihnen selbst erwachsen sogar
Gefahren für die Erziehung, sofern die Frau ihre Gefühle nicht zu beherrschen
vermag. Zu einem E-zieher, der sich selbst nicht im Zaum halten kann, hat ein
Kind kein Vertrauen und zollt ihm keinen Respekt. Daher kommt es zunächst
für die Frau nicht auf den Erwerb gewisser, an und für sich natürlich wertvoller
Kenntnisse in der Haushaltung, Säuglings- und Kinderpflege an, zumal für deren
Aneignung kein jahrelanges Studium benötigt wird, sondern auf die Charakter¬
bildung, die ja in der Schule lange nicht vollendet wird, und dazu vermag jede
ernste Arbeit zu dienen, sofern sie zur Selbstbeherrschung, Zielstrebigkeit, Ordnung
und zu guter Zeiteinteilung anleitet und das Gefühl für Pflicht und Verant¬
wortung weckt.

Durch die Berufsarbeit wird das Individuum offensichtlich in hohem Maße
mit der Gesamtheit verleitet und aus dein Erfassen der sozialen Zusammenhänge
erstarkt in der Frau auch das Gefühl für die Pflichten und die Verantwortung,
denen sie ihrem Volke und dem Staat gegenüber als Einzel- und als Gattungs¬
wesen zu genügen hat. Dieses Pflicht- und Verantwortungsgefühl wird durch
die Verleihung des Wahlrechts an die Frauen in jeder Hinsicht unbedingt gehoben.
Darin liegt die weitgreifende ideelle Bedeutung dieser politischen Maßnahme, zu
der das wirtschaftliche Schwergewicht von mehr als zehn Millionen erwerbstätigen
Frauen ohnehin drängte. Wer in den Tagen des Wahlkcnnpses unter den Frauen
Umschau gehalten hat, muß bemerkt haben, daß er von ihnen mit Ernst und
Begeisterung aufgenommen wurde und daß in weitesten Kreisen ein ehrlicher
wägender Wille nach richtiger Entscheidung suchte. Freilich konnte er die politische
Einsicht nicht ohne weiteres ersetzen, aber das politische Selbstgefühl wird auch
fernerhin die Voraussetzung sein, Einsicht zu erstreben und das unverantwortliche,
durchaus nicht harmlose Drauflosreden, das wir im Kriege in so reichem Maße
erlebt haben, einzudämmen. Es wird schließlich auch zum bestimmenden Moment
Praktischer Lebensgestaltung werden.

Wenn die Frauenbewegung durch die Gewährung des politischen Wahlrechts
für die Verwirklichung ihrer Kulturideale eine neue Grundlage gewonnen hat, so
erheben sich naturgemäß mit um so stärkerer Wucht die Stimmen derer, die von
dieser Gestaltung der Dinge einerseits eine Entweiblichung der Frau, andererseits
eine Verweiblichung des Geistes des öffentlichen Lebens befürchten. Was die
Entweiblichung der Frau betrifft, so kann sie als Naturwesen in ihrem tiefsten
Wesen überhaupt nicht umgemodelt, wohl aber durch äußere Umstände in ihren
Strebungen irregeleitet werden. Verhängnisvoll kann ihr daher unsere hohle, auf
seichten Genuß gestellte Zivilisation werden, durch die in der Frauenbewegung
wirksamen Tendenzen, wie sie hier dargestellt wurden, erscheint sie am wenigsten
bedroht. Gefährdet ist aber durch dein Lauf der sozialen und wirtschaftlichen Ent¬
wicklung die uns von unseren Eltern und Großeltern überkommene Lebensform
der Frau. Es hat keinen Zweck, sich darüber zu grämen. Besser ist es, unsere
Begriffe von wahrer Weiblichkeit zu vertiefen. Es gab eine Zeit, die Ideale für
Weib und Mann kannte, wie wir sie brauchen — die Zeit der Romantik. Die
Frau streckte die Hand aus nach des Mannes Art, ohne sich selbst zu verlieren,
und der Mann nahm vom Weibe und blieb doch Mann. „Man muß den
Charakter des Geschlechts keineswegs noch mehr übertreiben, sondern vielmehr
durch starke Gegengewichte zu mildern suchen . . ." „nur sanfte Männlichkeit, nur
selbständige Weiblichkeit ist rechte, wahre und schöne" — so predigte einst Friedrich
Schlegel und fand nichts häßlicher, als überladene Weiblichkeit, und nichts ekel¬
hafter', als übertriebene Männlichkeit. Der „Ganzmensch" leuchtete auf den Wegen
der Romantik. Er mag bei uns den öffentlichen Geist bestimmen. Die Allein¬
herrschaft männlicher Auffassungen im öffentlichen Leben hat keine Zustände zu


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[0153] dings über Gaben, die sie zur Pflegerin und Erzieherin ihrer Kinder empfehlen: ihre Gefühle sind leicht erregbar und dauerhaft, wodurch die Fähigkeit bedingt ist, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, das eigene Wohlbefinden von dein anderer abhängig zu machen, ja es anderen zu opfern, aber diese Gaben erschöpfen ja nicht die Voraussetzungen einer guten Mutier, aus ihnen selbst erwachsen sogar Gefahren für die Erziehung, sofern die Frau ihre Gefühle nicht zu beherrschen vermag. Zu einem E-zieher, der sich selbst nicht im Zaum halten kann, hat ein Kind kein Vertrauen und zollt ihm keinen Respekt. Daher kommt es zunächst für die Frau nicht auf den Erwerb gewisser, an und für sich natürlich wertvoller Kenntnisse in der Haushaltung, Säuglings- und Kinderpflege an, zumal für deren Aneignung kein jahrelanges Studium benötigt wird, sondern auf die Charakter¬ bildung, die ja in der Schule lange nicht vollendet wird, und dazu vermag jede ernste Arbeit zu dienen, sofern sie zur Selbstbeherrschung, Zielstrebigkeit, Ordnung und zu guter Zeiteinteilung anleitet und das Gefühl für Pflicht und Verant¬ wortung weckt. Durch die Berufsarbeit wird das Individuum offensichtlich in hohem Maße mit der Gesamtheit verleitet und aus dein Erfassen der sozialen Zusammenhänge erstarkt in der Frau auch das Gefühl für die Pflichten und die Verantwortung, denen sie ihrem Volke und dem Staat gegenüber als Einzel- und als Gattungs¬ wesen zu genügen hat. Dieses Pflicht- und Verantwortungsgefühl wird durch die Verleihung des Wahlrechts an die Frauen in jeder Hinsicht unbedingt gehoben. Darin liegt die weitgreifende ideelle Bedeutung dieser politischen Maßnahme, zu der das wirtschaftliche Schwergewicht von mehr als zehn Millionen erwerbstätigen Frauen ohnehin drängte. Wer in den Tagen des Wahlkcnnpses unter den Frauen Umschau gehalten hat, muß bemerkt haben, daß er von ihnen mit Ernst und Begeisterung aufgenommen wurde und daß in weitesten Kreisen ein ehrlicher wägender Wille nach richtiger Entscheidung suchte. Freilich konnte er die politische Einsicht nicht ohne weiteres ersetzen, aber das politische Selbstgefühl wird auch fernerhin die Voraussetzung sein, Einsicht zu erstreben und das unverantwortliche, durchaus nicht harmlose Drauflosreden, das wir im Kriege in so reichem Maße erlebt haben, einzudämmen. Es wird schließlich auch zum bestimmenden Moment Praktischer Lebensgestaltung werden. Wenn die Frauenbewegung durch die Gewährung des politischen Wahlrechts für die Verwirklichung ihrer Kulturideale eine neue Grundlage gewonnen hat, so erheben sich naturgemäß mit um so stärkerer Wucht die Stimmen derer, die von dieser Gestaltung der Dinge einerseits eine Entweiblichung der Frau, andererseits eine Verweiblichung des Geistes des öffentlichen Lebens befürchten. Was die Entweiblichung der Frau betrifft, so kann sie als Naturwesen in ihrem tiefsten Wesen überhaupt nicht umgemodelt, wohl aber durch äußere Umstände in ihren Strebungen irregeleitet werden. Verhängnisvoll kann ihr daher unsere hohle, auf seichten Genuß gestellte Zivilisation werden, durch die in der Frauenbewegung wirksamen Tendenzen, wie sie hier dargestellt wurden, erscheint sie am wenigsten bedroht. Gefährdet ist aber durch dein Lauf der sozialen und wirtschaftlichen Ent¬ wicklung die uns von unseren Eltern und Großeltern überkommene Lebensform der Frau. Es hat keinen Zweck, sich darüber zu grämen. Besser ist es, unsere Begriffe von wahrer Weiblichkeit zu vertiefen. Es gab eine Zeit, die Ideale für Weib und Mann kannte, wie wir sie brauchen — die Zeit der Romantik. Die Frau streckte die Hand aus nach des Mannes Art, ohne sich selbst zu verlieren, und der Mann nahm vom Weibe und blieb doch Mann. „Man muß den Charakter des Geschlechts keineswegs noch mehr übertreiben, sondern vielmehr durch starke Gegengewichte zu mildern suchen . . ." „nur sanfte Männlichkeit, nur selbständige Weiblichkeit ist rechte, wahre und schöne" — so predigte einst Friedrich Schlegel und fand nichts häßlicher, als überladene Weiblichkeit, und nichts ekel¬ hafter', als übertriebene Männlichkeit. Der „Ganzmensch" leuchtete auf den Wegen der Romantik. Er mag bei uns den öffentlichen Geist bestimmen. Die Allein¬ herrschaft männlicher Auffassungen im öffentlichen Leben hat keine Zustände zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/153>, abgerufen am 18.12.2024.