Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Ein Bericht über Lranenbestrebnngcn der Gegenwart legenden hat, in das Leben dieser Frauen tiefer zu blicken als der Statistiker vom Berufsübung vor der Ehe ist in jedem Falle sehr wünschenswert. Es ist ") Vergleiche hierzu und zum Folgenden das Buch von Dr. med. M. von Kemnitz "Das
Weib und seine Bestimmung. Ein Beitrag zur Psychologie der Frau und zur Neuorientierung ihrer Pflichten". Verlag von Ernst Reinhardt in München. 1917. Preis 4,80 Mark. Dieses Buch sollte jeder zur Hund nehmen, der sich mit den Ergebnissen der anatomischen, Physio¬ logischen und exakten psychologischen Forschung über die weibliche Eigenart bekannt machen will. Die Verfasserin versucht auf Grund dieser Ergebnisse die Frage der Zweckmäßigkeit der Verwendung der Frau auf mannigfachen Arbeitsgebieten in geistvoller Weise zu lösen. Sie steht auf dem Standpunkt, daß es'sich nicht darum handelt, ob die Frau irgend etwas ebenso gut leisten kann wie der Manu, sondern darum, ob sie es ganz anders, aber ebenso wertvoll für die Menschen ausführt. Die Leistungen der Frau, die genau ebenso von Männern vollbracht werden können, sind ziemlich unwichtig für die menschliche Gesellschaft. Dies mag theoretisch richtig sein. In der Praxis entscheidet die Leistung als solche, gleichviel ob sie vom Manne oder von der Frau vollbracht wird, sofern nicht Nebenwirkungen den Wert in Unwert Verkehren. Auch wenn man der Verfasserin nicht in allen ihren Schlus;- solqeruugen beipflichten kann, so bieten doch ihre geschickten Darstellungen den Bestrebungen der Frauenbewegung wertvolle Stützen. Ein Bericht über Lranenbestrebnngcn der Gegenwart legenden hat, in das Leben dieser Frauen tiefer zu blicken als der Statistiker vom Berufsübung vor der Ehe ist in jedem Falle sehr wünschenswert. Es ist ») Vergleiche hierzu und zum Folgenden das Buch von Dr. med. M. von Kemnitz „Das
Weib und seine Bestimmung. Ein Beitrag zur Psychologie der Frau und zur Neuorientierung ihrer Pflichten". Verlag von Ernst Reinhardt in München. 1917. Preis 4,80 Mark. Dieses Buch sollte jeder zur Hund nehmen, der sich mit den Ergebnissen der anatomischen, Physio¬ logischen und exakten psychologischen Forschung über die weibliche Eigenart bekannt machen will. Die Verfasserin versucht auf Grund dieser Ergebnisse die Frage der Zweckmäßigkeit der Verwendung der Frau auf mannigfachen Arbeitsgebieten in geistvoller Weise zu lösen. Sie steht auf dem Standpunkt, daß es'sich nicht darum handelt, ob die Frau irgend etwas ebenso gut leisten kann wie der Manu, sondern darum, ob sie es ganz anders, aber ebenso wertvoll für die Menschen ausführt. Die Leistungen der Frau, die genau ebenso von Männern vollbracht werden können, sind ziemlich unwichtig für die menschliche Gesellschaft. Dies mag theoretisch richtig sein. In der Praxis entscheidet die Leistung als solche, gleichviel ob sie vom Manne oder von der Frau vollbracht wird, sofern nicht Nebenwirkungen den Wert in Unwert Verkehren. Auch wenn man der Verfasserin nicht in allen ihren Schlus;- solqeruugen beipflichten kann, so bieten doch ihre geschickten Darstellungen den Bestrebungen der Frauenbewegung wertvolle Stützen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0152" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335562"/> <fw type="header" place="top"> Ein Bericht über Lranenbestrebnngcn der Gegenwart</fw><lb/> <p xml:id="ID_606" prev="#ID_605"> legenden hat, in das Leben dieser Frauen tiefer zu blicken als der Statistiker vom<lb/> grünen Tisch, wird an der Wahiheit dieser Behauptung nicht zweifeln. Der<lb/> Wunsch nach Beibehaltung des Berufs in der Ehe, sofern er nicht durch Wirt-<lb/> fchuflliehen Zwang eingegeben ivird, besteht mit wenigen Ausnahmen wohl nur<lb/> bei Wissenschaftlennnen und Künstlerinnen. Der doppelte Beruf ist für diese<lb/> Frauen sehr viel weniger schädigend und unzweckmäßig als für die Fabrikarbeiterin.<lb/> Schon die in höheren'Berufen wenigstens innerhalb gewisser Grenzen erreichbare<lb/> selbständige Gestaltung der Tätigkeit schafft gute Lebensmöglichkeiten für die als<lb/> Gcitlin und Mutier' beanspruchte berufstätige Frau. Was eine berufstätige<lb/> Frnn als Hausfrau und Mutter leistet, wird stets von der geistigen Geschmeidig¬<lb/> keit der Persönlichkeit abhängen. Der Ausschluß vom Beruf um der Ehe willen,<lb/> vermag für letztere keinen Gewinn zu gewährleisten; nur um des Berufs willen<lb/> kann das Zölibat gefordert werden. Wo aber eine solche Forderung, wie zum<lb/> Beispiel für die Lehrerin, besteht, wird ihre Beseitigung erstrebt, zunächst einmal,<lb/> weil mütterliche Erfahrung in der Schulerziehung nur erwünscht sein können;<lb/> sind aber die Leistungen infolge zu großer Belastung unzulänglich, so kann die<lb/> Schule sie ablehnen. ' Ferner wird darauf hingewiesen, daß die Möglichkeiten der<lb/> Eheschließung durch die Forderung des Zölibats der Lehrerin verringert werden,<lb/> was doch durchaus nicht im Interesse der Gesamtheit liegt. Die Ehefrau ist heut¬<lb/> zutage oft genug zum Miierwerb gezwungen. Es erscheint aber in jeder Hinsicht<lb/> unökonomisch, Persönlichkeiten, die für die Lehrtätigkeit vorgebildet und geeignet<lb/> sind, von ihr auszuschließen und sie eilte anders geartete Beschäftigung suchen zu<lb/> lassen. Während des Krieges haben zahlreiche verheiratete Lehrerinnen Ver¬<lb/> tretungen in Schulen übernommen und den Beweis erbracht, daß, rein sachlich be¬<lb/> trachtet, gegen die Verbindung von Lehrberuf und Ehe nichts einzuwenden ist.<lb/> Auf eine Auslese der Tüchtigen kommt alles an. Wo seitens des Staates aus¬<lb/> gleichende Gerechtigkeit in Versorgungsfragen geltend gemacht wird, wird jener<lb/> Gesichtspunkt allzu leicht aus den Augen verloren.»)</p><lb/> <p xml:id="ID_607" next="#ID_608"> Berufsübung vor der Ehe ist in jedem Falle sehr wünschenswert. Es ist<lb/> durchaus nicht notwendig, daß junge Mädchen gebildeter Stände lediglich aus<lb/> Betätigungsmöglichkeiteit verwiesen werden, die in den Pflichtenkreis einer Haus¬<lb/> frau und Mutter fallen. Es können nicht sämtliche weibliche Individualitäten<lb/> über einen Kamm geschoren werden und die Begeisterung junger Mädchen für kleine<lb/> Kinder hat mit ihrer Befähigung für den Mutterberuf nichts zu tun. Dieser er¬<lb/> schöpft sich ja auch nicht in praktischen Verrichtungen. Wir erleben es tausendfach,<lb/> daß „weiblich" erzogene Frauen als Mütter völlig versagen. Sie können zwar<lb/> kochen, flicken und Säuglinge wickeln, aber nicht erziehen, weil ihnen die Selbst¬<lb/> zucht fehlt. Es ist erstaunlich, wie leichtfertig der Frau die Eignung zum Mutter-<lb/> beruf zugesprochen wird und mit wieviel naivem Selbstgefühl die Fran an<lb/> die Erziehung ihrer Kinder geht. Die Fran als Typus genommen, verfügt aller-</p><lb/> <note xml:id="FID_37" place="foot"> ») Vergleiche hierzu und zum Folgenden das Buch von Dr. med. M. von Kemnitz „Das<lb/> Weib und seine Bestimmung. Ein Beitrag zur Psychologie der Frau und zur Neuorientierung<lb/> ihrer Pflichten". Verlag von Ernst Reinhardt in München. 1917. Preis 4,80 Mark. Dieses<lb/> Buch sollte jeder zur Hund nehmen, der sich mit den Ergebnissen der anatomischen, Physio¬<lb/> logischen und exakten psychologischen Forschung über die weibliche Eigenart bekannt machen<lb/> will. Die Verfasserin versucht auf Grund dieser Ergebnisse die Frage der Zweckmäßigkeit<lb/> der Verwendung der Frau auf mannigfachen Arbeitsgebieten in geistvoller Weise zu lösen.<lb/> Sie steht auf dem Standpunkt, daß es'sich nicht darum handelt, ob die Frau irgend etwas<lb/> ebenso gut leisten kann wie der Manu, sondern darum, ob sie es ganz anders, aber ebenso<lb/> wertvoll für die Menschen ausführt. Die Leistungen der Frau, die genau ebenso von<lb/> Männern vollbracht werden können, sind ziemlich unwichtig für die menschliche Gesellschaft.<lb/> Dies mag theoretisch richtig sein. In der Praxis entscheidet die Leistung als solche, gleichviel<lb/> ob sie vom Manne oder von der Frau vollbracht wird, sofern nicht Nebenwirkungen den<lb/> Wert in Unwert Verkehren. Auch wenn man der Verfasserin nicht in allen ihren Schlus;-<lb/> solqeruugen beipflichten kann, so bieten doch ihre geschickten Darstellungen den Bestrebungen<lb/> der Frauenbewegung wertvolle Stützen.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0152]
Ein Bericht über Lranenbestrebnngcn der Gegenwart
legenden hat, in das Leben dieser Frauen tiefer zu blicken als der Statistiker vom
grünen Tisch, wird an der Wahiheit dieser Behauptung nicht zweifeln. Der
Wunsch nach Beibehaltung des Berufs in der Ehe, sofern er nicht durch Wirt-
fchuflliehen Zwang eingegeben ivird, besteht mit wenigen Ausnahmen wohl nur
bei Wissenschaftlennnen und Künstlerinnen. Der doppelte Beruf ist für diese
Frauen sehr viel weniger schädigend und unzweckmäßig als für die Fabrikarbeiterin.
Schon die in höheren'Berufen wenigstens innerhalb gewisser Grenzen erreichbare
selbständige Gestaltung der Tätigkeit schafft gute Lebensmöglichkeiten für die als
Gcitlin und Mutier' beanspruchte berufstätige Frau. Was eine berufstätige
Frnn als Hausfrau und Mutter leistet, wird stets von der geistigen Geschmeidig¬
keit der Persönlichkeit abhängen. Der Ausschluß vom Beruf um der Ehe willen,
vermag für letztere keinen Gewinn zu gewährleisten; nur um des Berufs willen
kann das Zölibat gefordert werden. Wo aber eine solche Forderung, wie zum
Beispiel für die Lehrerin, besteht, wird ihre Beseitigung erstrebt, zunächst einmal,
weil mütterliche Erfahrung in der Schulerziehung nur erwünscht sein können;
sind aber die Leistungen infolge zu großer Belastung unzulänglich, so kann die
Schule sie ablehnen. ' Ferner wird darauf hingewiesen, daß die Möglichkeiten der
Eheschließung durch die Forderung des Zölibats der Lehrerin verringert werden,
was doch durchaus nicht im Interesse der Gesamtheit liegt. Die Ehefrau ist heut¬
zutage oft genug zum Miierwerb gezwungen. Es erscheint aber in jeder Hinsicht
unökonomisch, Persönlichkeiten, die für die Lehrtätigkeit vorgebildet und geeignet
sind, von ihr auszuschließen und sie eilte anders geartete Beschäftigung suchen zu
lassen. Während des Krieges haben zahlreiche verheiratete Lehrerinnen Ver¬
tretungen in Schulen übernommen und den Beweis erbracht, daß, rein sachlich be¬
trachtet, gegen die Verbindung von Lehrberuf und Ehe nichts einzuwenden ist.
Auf eine Auslese der Tüchtigen kommt alles an. Wo seitens des Staates aus¬
gleichende Gerechtigkeit in Versorgungsfragen geltend gemacht wird, wird jener
Gesichtspunkt allzu leicht aus den Augen verloren.»)
Berufsübung vor der Ehe ist in jedem Falle sehr wünschenswert. Es ist
durchaus nicht notwendig, daß junge Mädchen gebildeter Stände lediglich aus
Betätigungsmöglichkeiteit verwiesen werden, die in den Pflichtenkreis einer Haus¬
frau und Mutter fallen. Es können nicht sämtliche weibliche Individualitäten
über einen Kamm geschoren werden und die Begeisterung junger Mädchen für kleine
Kinder hat mit ihrer Befähigung für den Mutterberuf nichts zu tun. Dieser er¬
schöpft sich ja auch nicht in praktischen Verrichtungen. Wir erleben es tausendfach,
daß „weiblich" erzogene Frauen als Mütter völlig versagen. Sie können zwar
kochen, flicken und Säuglinge wickeln, aber nicht erziehen, weil ihnen die Selbst¬
zucht fehlt. Es ist erstaunlich, wie leichtfertig der Frau die Eignung zum Mutter-
beruf zugesprochen wird und mit wieviel naivem Selbstgefühl die Fran an
die Erziehung ihrer Kinder geht. Die Fran als Typus genommen, verfügt aller-
») Vergleiche hierzu und zum Folgenden das Buch von Dr. med. M. von Kemnitz „Das
Weib und seine Bestimmung. Ein Beitrag zur Psychologie der Frau und zur Neuorientierung
ihrer Pflichten". Verlag von Ernst Reinhardt in München. 1917. Preis 4,80 Mark. Dieses
Buch sollte jeder zur Hund nehmen, der sich mit den Ergebnissen der anatomischen, Physio¬
logischen und exakten psychologischen Forschung über die weibliche Eigenart bekannt machen
will. Die Verfasserin versucht auf Grund dieser Ergebnisse die Frage der Zweckmäßigkeit
der Verwendung der Frau auf mannigfachen Arbeitsgebieten in geistvoller Weise zu lösen.
Sie steht auf dem Standpunkt, daß es'sich nicht darum handelt, ob die Frau irgend etwas
ebenso gut leisten kann wie der Manu, sondern darum, ob sie es ganz anders, aber ebenso
wertvoll für die Menschen ausführt. Die Leistungen der Frau, die genau ebenso von
Männern vollbracht werden können, sind ziemlich unwichtig für die menschliche Gesellschaft.
Dies mag theoretisch richtig sein. In der Praxis entscheidet die Leistung als solche, gleichviel
ob sie vom Manne oder von der Frau vollbracht wird, sofern nicht Nebenwirkungen den
Wert in Unwert Verkehren. Auch wenn man der Verfasserin nicht in allen ihren Schlus;-
solqeruugen beipflichten kann, so bieten doch ihre geschickten Darstellungen den Bestrebungen
der Frauenbewegung wertvolle Stützen.
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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
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