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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Soll die Provinz Posen dem Polnischen Staate einverleibt werden?

nun einmal, mit ganz geringen Ausnahmen, Antisemit. In Russisch-Polen leben
seit Jahrhunderten Polen und Juden zusammen. Die Polen waren die Herren,
die Juden stets die Parias, die dauernd unter Druck gehalten wurden, so das', sie
sich weder wirtschaftlich noch kulturell fortentwickeln konnten. Und da Hochmut
und Stolz eine bekannte Nationaleigenschaft der Polen ist, ist den Polen der
Antisemiiismus in suLLum et sanguinsm übergegangen. Das hat sich bis auf
den heutigen Tag erhalten. Besonders judenseindlich ist der polnische Mittelstand.
Rechtsanwälte, Kaufleute, Gewerbetreibende, Arzte, weil für diese der rührige
jüdische Mittelstand eine unbequeme Konkurrenz ist. Der polnische Antisemitismus
äußert sich in besonders brutaler Form. Hierfür könnten viele tausend Einzel¬
beispiele angeführt werden. Einen besonderen charakteristischen Beweis, der auch
die Eigenart der polnischen Judenfeindschaft grell beleuchtet und die Kampf-
Methoden kennzeichnet, bieten die Warschauer Vorgänge des Jahres 19l2. Damals
wurden zum erstenmal Abgeordnete für die russische Duma gewählt. In Warschau
war neben den national-polnischen Kandidaten stark antisemitischer Färbung ein
sozialistischer aufgestellt, und da die Juden im wohlverstandenen eigenen Interesse
für den Sozialisten stimmten und diesen dadurch zum Siege verhalfen, bemächtigte
sich der Polen ob dieser ganz selbstverständlichen Taktik eine ungeheuere Wut.
Sie beschlossen sofort gegen die Juden ganz Russisch-Polens den wirtschaftlichen
Voykott, um sie durch Hunger zur Verelendung zu bringen und zur Auswanderung
zu zwingen. Und dieser Boykott wurde so systemaiisch und so brutal durchgeführt,
daß jedem, der noch einen Ruhe menschlichen Empfindens hat, das Herz blutete.
Der Boykott ging so weit, das; selbst viele arme jüdische Droschkenführer, deren
ganzes Hab und Gut in einem elenden Pferdchen und gebrechlichen Wagen
bestand, diesen Beruf aufgeben mussten, weil sie keine Fahrgäste mehr bekamen.
Sie versuchten Pferd und'Wagen für wenige Rubel an den Mann zu bringen
und mit ihrer Familie auszuwandern, um dem Hungertode zu entgehen. Selbst¬
verständlich wcröen die Polen, wie schon oben erwähnt, auf der Fuedenskonferenz
beteuern, das? sie gar nicht daran denken, die Juden unter Ausnahmegesetze zu
stellen, daß sie vielmehr bereit sind, ihnen völlige Parität zuzubilligen, aber wer
die Polen kennt und weiß, dasz fast jeder Pole dem Grundsatz huldigt, das? die
Sprache dazu da ist, um die Gedanken zu verbergen, -weiß, was er von diesen
Versprechungen zu halten hat. Der Eingeweihte kennt den unausrottbaren Anti¬
semitismus'der Polen, der das Wort "^1" (Jude) selten anders als in ver¬
ächtlichem Sinne und fast immer im Zusammenhange "?sia Kreil ?^ä" (frei
übersetzt: verfluchter Jude) braucht. Wie schon oben angeführt, sind für jedes
Volk charakteristisch die Sprichworte, die es hat, und deshalb dürfte es
angebracht sein, an dieser Stelle an das polnische Sprichwort zu erinnern:
"Kiecl/ diecia alö -yäa. Klock^ po dient^lo Z!ax unis clups ^et^le." (Bin ich
"l Not, dann geh' ich zum Juden, bin ick über die Not hinweg, dann rutsch mir
den Buckel entlang, verfluchter Jude.) Selten kennzeichnet ein Sprichwort in so
charakteristischer, wenn auch derber Art, die Verhältnisse, wie das hier angeführte.
Der Pole braucht die jüdische Intelligenz und das jüdische Kapital, aber er ist in
seinein übertriebenen, fanatischen Nationalismus so antisemitisch, daß er gegen
seinen eigenen Vorteil blind ist.

Der polnische Jude weiß das sehr genau, und darum konnte man schon
bei Beginn des Weltkrieges tausendfach von ihm den im tiefsten Herzen empfundenen
Wunsch hören: "Wenn wir nicht zu Deutschland kommen können, dann lieber
wieder zu Nußland, aber um Gotteswillen nicht unter polnische Herrschaft. Das
se-nen Leute, die die russische Herrschaft in ihrer ganzen Schwere jahrhundertelang
kennengelernt und gefühlt haben!

In einer noch viel schlimmeren Situation sind die Juden der Provinz
Posen. Diese Juden, die sich von den Deutschen genau so wenig unterscheiden,
wie der moderne englische Jude von dem Engländer, also selbstverständlich nur
als Deutsche jüdischer Konfession bezeichnet werden können, sind in einer gefahr¬
vollen Situation. Sie sind nicht allein wie jeder posensche Deutsche christlicher


Soll die Provinz Posen dem Polnischen Staate einverleibt werden?

nun einmal, mit ganz geringen Ausnahmen, Antisemit. In Russisch-Polen leben
seit Jahrhunderten Polen und Juden zusammen. Die Polen waren die Herren,
die Juden stets die Parias, die dauernd unter Druck gehalten wurden, so das', sie
sich weder wirtschaftlich noch kulturell fortentwickeln konnten. Und da Hochmut
und Stolz eine bekannte Nationaleigenschaft der Polen ist, ist den Polen der
Antisemiiismus in suLLum et sanguinsm übergegangen. Das hat sich bis auf
den heutigen Tag erhalten. Besonders judenseindlich ist der polnische Mittelstand.
Rechtsanwälte, Kaufleute, Gewerbetreibende, Arzte, weil für diese der rührige
jüdische Mittelstand eine unbequeme Konkurrenz ist. Der polnische Antisemitismus
äußert sich in besonders brutaler Form. Hierfür könnten viele tausend Einzel¬
beispiele angeführt werden. Einen besonderen charakteristischen Beweis, der auch
die Eigenart der polnischen Judenfeindschaft grell beleuchtet und die Kampf-
Methoden kennzeichnet, bieten die Warschauer Vorgänge des Jahres 19l2. Damals
wurden zum erstenmal Abgeordnete für die russische Duma gewählt. In Warschau
war neben den national-polnischen Kandidaten stark antisemitischer Färbung ein
sozialistischer aufgestellt, und da die Juden im wohlverstandenen eigenen Interesse
für den Sozialisten stimmten und diesen dadurch zum Siege verhalfen, bemächtigte
sich der Polen ob dieser ganz selbstverständlichen Taktik eine ungeheuere Wut.
Sie beschlossen sofort gegen die Juden ganz Russisch-Polens den wirtschaftlichen
Voykott, um sie durch Hunger zur Verelendung zu bringen und zur Auswanderung
zu zwingen. Und dieser Boykott wurde so systemaiisch und so brutal durchgeführt,
daß jedem, der noch einen Ruhe menschlichen Empfindens hat, das Herz blutete.
Der Boykott ging so weit, das; selbst viele arme jüdische Droschkenführer, deren
ganzes Hab und Gut in einem elenden Pferdchen und gebrechlichen Wagen
bestand, diesen Beruf aufgeben mussten, weil sie keine Fahrgäste mehr bekamen.
Sie versuchten Pferd und'Wagen für wenige Rubel an den Mann zu bringen
und mit ihrer Familie auszuwandern, um dem Hungertode zu entgehen. Selbst¬
verständlich wcröen die Polen, wie schon oben erwähnt, auf der Fuedenskonferenz
beteuern, das? sie gar nicht daran denken, die Juden unter Ausnahmegesetze zu
stellen, daß sie vielmehr bereit sind, ihnen völlige Parität zuzubilligen, aber wer
die Polen kennt und weiß, dasz fast jeder Pole dem Grundsatz huldigt, das? die
Sprache dazu da ist, um die Gedanken zu verbergen, -weiß, was er von diesen
Versprechungen zu halten hat. Der Eingeweihte kennt den unausrottbaren Anti¬
semitismus'der Polen, der das Wort „^1" (Jude) selten anders als in ver¬
ächtlichem Sinne und fast immer im Zusammenhange „?sia Kreil ?^ä« (frei
übersetzt: verfluchter Jude) braucht. Wie schon oben angeführt, sind für jedes
Volk charakteristisch die Sprichworte, die es hat, und deshalb dürfte es
angebracht sein, an dieser Stelle an das polnische Sprichwort zu erinnern:
»Kiecl/ diecia alö -yäa. Klock^ po dient^lo Z!ax unis clups ^et^le." (Bin ich
"l Not, dann geh' ich zum Juden, bin ick über die Not hinweg, dann rutsch mir
den Buckel entlang, verfluchter Jude.) Selten kennzeichnet ein Sprichwort in so
charakteristischer, wenn auch derber Art, die Verhältnisse, wie das hier angeführte.
Der Pole braucht die jüdische Intelligenz und das jüdische Kapital, aber er ist in
seinein übertriebenen, fanatischen Nationalismus so antisemitisch, daß er gegen
seinen eigenen Vorteil blind ist.

Der polnische Jude weiß das sehr genau, und darum konnte man schon
bei Beginn des Weltkrieges tausendfach von ihm den im tiefsten Herzen empfundenen
Wunsch hören: „Wenn wir nicht zu Deutschland kommen können, dann lieber
wieder zu Nußland, aber um Gotteswillen nicht unter polnische Herrschaft. Das
se-nen Leute, die die russische Herrschaft in ihrer ganzen Schwere jahrhundertelang
kennengelernt und gefühlt haben!

In einer noch viel schlimmeren Situation sind die Juden der Provinz
Posen. Diese Juden, die sich von den Deutschen genau so wenig unterscheiden,
wie der moderne englische Jude von dem Engländer, also selbstverständlich nur
als Deutsche jüdischer Konfession bezeichnet werden können, sind in einer gefahr¬
vollen Situation. Sie sind nicht allein wie jeder posensche Deutsche christlicher


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[0147] Soll die Provinz Posen dem Polnischen Staate einverleibt werden? nun einmal, mit ganz geringen Ausnahmen, Antisemit. In Russisch-Polen leben seit Jahrhunderten Polen und Juden zusammen. Die Polen waren die Herren, die Juden stets die Parias, die dauernd unter Druck gehalten wurden, so das', sie sich weder wirtschaftlich noch kulturell fortentwickeln konnten. Und da Hochmut und Stolz eine bekannte Nationaleigenschaft der Polen ist, ist den Polen der Antisemiiismus in suLLum et sanguinsm übergegangen. Das hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten. Besonders judenseindlich ist der polnische Mittelstand. Rechtsanwälte, Kaufleute, Gewerbetreibende, Arzte, weil für diese der rührige jüdische Mittelstand eine unbequeme Konkurrenz ist. Der polnische Antisemitismus äußert sich in besonders brutaler Form. Hierfür könnten viele tausend Einzel¬ beispiele angeführt werden. Einen besonderen charakteristischen Beweis, der auch die Eigenart der polnischen Judenfeindschaft grell beleuchtet und die Kampf- Methoden kennzeichnet, bieten die Warschauer Vorgänge des Jahres 19l2. Damals wurden zum erstenmal Abgeordnete für die russische Duma gewählt. In Warschau war neben den national-polnischen Kandidaten stark antisemitischer Färbung ein sozialistischer aufgestellt, und da die Juden im wohlverstandenen eigenen Interesse für den Sozialisten stimmten und diesen dadurch zum Siege verhalfen, bemächtigte sich der Polen ob dieser ganz selbstverständlichen Taktik eine ungeheuere Wut. Sie beschlossen sofort gegen die Juden ganz Russisch-Polens den wirtschaftlichen Voykott, um sie durch Hunger zur Verelendung zu bringen und zur Auswanderung zu zwingen. Und dieser Boykott wurde so systemaiisch und so brutal durchgeführt, daß jedem, der noch einen Ruhe menschlichen Empfindens hat, das Herz blutete. Der Boykott ging so weit, das; selbst viele arme jüdische Droschkenführer, deren ganzes Hab und Gut in einem elenden Pferdchen und gebrechlichen Wagen bestand, diesen Beruf aufgeben mussten, weil sie keine Fahrgäste mehr bekamen. Sie versuchten Pferd und'Wagen für wenige Rubel an den Mann zu bringen und mit ihrer Familie auszuwandern, um dem Hungertode zu entgehen. Selbst¬ verständlich wcröen die Polen, wie schon oben erwähnt, auf der Fuedenskonferenz beteuern, das? sie gar nicht daran denken, die Juden unter Ausnahmegesetze zu stellen, daß sie vielmehr bereit sind, ihnen völlige Parität zuzubilligen, aber wer die Polen kennt und weiß, dasz fast jeder Pole dem Grundsatz huldigt, das? die Sprache dazu da ist, um die Gedanken zu verbergen, -weiß, was er von diesen Versprechungen zu halten hat. Der Eingeweihte kennt den unausrottbaren Anti¬ semitismus'der Polen, der das Wort „^1" (Jude) selten anders als in ver¬ ächtlichem Sinne und fast immer im Zusammenhange „?sia Kreil ?^ä« (frei übersetzt: verfluchter Jude) braucht. Wie schon oben angeführt, sind für jedes Volk charakteristisch die Sprichworte, die es hat, und deshalb dürfte es angebracht sein, an dieser Stelle an das polnische Sprichwort zu erinnern: »Kiecl/ diecia alö -yäa. Klock^ po dient^lo Z!ax unis clups ^et^le." (Bin ich "l Not, dann geh' ich zum Juden, bin ick über die Not hinweg, dann rutsch mir den Buckel entlang, verfluchter Jude.) Selten kennzeichnet ein Sprichwort in so charakteristischer, wenn auch derber Art, die Verhältnisse, wie das hier angeführte. Der Pole braucht die jüdische Intelligenz und das jüdische Kapital, aber er ist in seinein übertriebenen, fanatischen Nationalismus so antisemitisch, daß er gegen seinen eigenen Vorteil blind ist. Der polnische Jude weiß das sehr genau, und darum konnte man schon bei Beginn des Weltkrieges tausendfach von ihm den im tiefsten Herzen empfundenen Wunsch hören: „Wenn wir nicht zu Deutschland kommen können, dann lieber wieder zu Nußland, aber um Gotteswillen nicht unter polnische Herrschaft. Das se-nen Leute, die die russische Herrschaft in ihrer ganzen Schwere jahrhundertelang kennengelernt und gefühlt haben! In einer noch viel schlimmeren Situation sind die Juden der Provinz Posen. Diese Juden, die sich von den Deutschen genau so wenig unterscheiden, wie der moderne englische Jude von dem Engländer, also selbstverständlich nur als Deutsche jüdischer Konfession bezeichnet werden können, sind in einer gefahr¬ vollen Situation. Sie sind nicht allein wie jeder posensche Deutsche christlicher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/147>, abgerufen am 01.09.2024.