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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Soll die Provinz Posen dem Polnischen Staate einverleibt werden?

Wie sie Posen ist, nur deshalb gewaltsam aus ihrer Kultur herauszureißen und
mit einer weit rückständigeren zu verbinden, weil sie vor 128 Jahren zu dem
jetzt neu zu bildenden polnischen Staate gehört hat und weil drei Fünftel ihrer
Bewohner Polen sind, während zwei Fünftel dem Deutschtum angehören? ES
liegt hier, wie schon oben erwähnt, ein ganz besonderer Fall vor, und darum ist
es schwer, ein analoges Beispiel zu nennen. Man könnte sich allenfalls Beispiele
künstlich konstruieren. Würde wohl, wenn die Grafschaft Suffolk an Serbien
grenzte und die Bewohner von Suffolk zu zwei Fünftel aus Engländern und
drei Fünftel aus Serben beständen, der Friedenskongreß entscheiden, daß Suffolk
dem serbischen Staate einverleibt werden müßte, oder würde es nicht vielmehr
heißen, daß man in einem solchen Fall die Stimmen nicht "zählen", sondern
"wogen" müsse? Und daß es zum Besten der Gesamtbevölkerung der betreffenden
Provinz und auch in weltwirtschaftlicher Beziehung das Richtige ist, in solchem
Falle nicht bloß mit der Anzahl der Menschen zu rechnen, sondern auch Kultur¬
werte aller Art mit einzuschätzen? Es ist wohl kaum anzunehmen, daß, um ein
zweites Beispiel anzuführen, wenn das Departement Dordogne Portugal benachbart
wäre, bei einer Einwohnerschaft, die zu zwei Fünfteln aus Franzosen und drei
Fünfteln aus Portugiesen bestünde, nur deshalb das Departement dem portugiesischen
Staate zugesprochen werden würde. Oder würden die Vereinigten Staaten damit
einverstanden sein, Texas an Mexiko abzutreten, wenn Texas zu ein Fünftel mehr
von den Mexikanern als von Acmkees bewohnt wäre? Hat Preußen, abgesehen
von allen andern Momenten, nicht das wohlbegründete unantastbare Recht aus
eine Provinz, die schon mehr als 125 Jahre zu ihm gehört, die bei ihrer Auf¬
nahme in den preußischen Staat aus verunkrauteten Ackern, Sümpfen und schlecht
gehaltenen Wäldern, elenden Dörfern und Marktflecken bestand, und die unter
einem ungeheueren Aufwand von deutscher Arbeit, deutschem Geiste und von
Milliarden in einen Bezirk verwandelt wurde, dessen blühende Fluren und wohl-
geordnete Gemeinwesen jedem Besucher auffallen? Weshalb soll der deutsche
Staat schlechter gestellt werden, als der geringste Arbeiter, der heute das Recht
für sich beansprucht, den Erfolg seiner Arbeit für sich zu behalten?

Als es in den letzten Tagen des Dezember nach dein mit einem die deutsche
Bevölkerung geradezu versöhnenden Pomp inszenierten Einzuge Paderewskrs in
Posen zu einem Zusammenstoß zwischen Polen und Deutschen gekommen war,
weil die Stadt nicht bloß mit polnischen, sondern auch mit französischen und
amerikanischen Flaggen geschmückt wurde, was die Empfindungen der frisch aus
dem Felde zurückkehrenden deutschen Soldaten naturgemäß verletzte, bemächtigten
sich die Polen bekanntlich der Stadt und des größten Teiles der Provinz Posen.
Sie motivierten dies damit, daß die Deutschen mit der "Schießerei" angefangen
hätten. In Wahrheit -- dafür gibt es Dutzende von sicheren Beweisen -- hatten
die Polen den Pulses längst und systematisch vorbereitet. Im übrigen versicherten
sie, daß sie mit der Besetzung von Stadt und Provinz Posen der Entscheidung der
Friedenskonferenz nicht "vorgreifen" wollten, daß sie vielmehr die Gewalt nur an sich
genommen hatten, um "Ruhe und Ordnung" zu schaffen, daß aber die Provinz Posen
auf der Friedenskonferenz "sowieso" den Polen zugesprochen werden würde. Das
bloße Auftauchen dieser Möglichkeit allein genügte schon, die deutschen Bewohner
aller Schichten und aller Konfessionen in größte Aufregung zu versetzen und dies,
obwohl vielfach angenommen wird, daß die Lasten der Staatsbürger Polens auch
nicht annähernd so groß sein werden, wie diejenigen, die die Bürger Deutschlands
nach dem Kriege zu tragen haben werden. Die deutschen Einwohner der Provinz
Posen -- übrigens auch diejenigen Polens --, die seit Jahrhunderten mit den
Polen zusammenleben, kennen eben die einschlägigen Verhältnisse zu genau, um
nicht zu wissen, daß die Aufrichtung eines polnischen Staates und die Einverleibung
der Provinz Posen in denselben für alle Bewohner -- auch für die polnischen --
die nachteiligsten wirtschaftlichen Folgen und für die nichtpolnischen Bürger auch
noch sonstige schwerwiegende Nachteile, um nicht zu sagen Gefahren, mit sich
bringen würde. Denn jeder, der den polnischen Volkscharakter kennt, weiß, daß


Soll die Provinz Posen dem Polnischen Staate einverleibt werden?

Wie sie Posen ist, nur deshalb gewaltsam aus ihrer Kultur herauszureißen und
mit einer weit rückständigeren zu verbinden, weil sie vor 128 Jahren zu dem
jetzt neu zu bildenden polnischen Staate gehört hat und weil drei Fünftel ihrer
Bewohner Polen sind, während zwei Fünftel dem Deutschtum angehören? ES
liegt hier, wie schon oben erwähnt, ein ganz besonderer Fall vor, und darum ist
es schwer, ein analoges Beispiel zu nennen. Man könnte sich allenfalls Beispiele
künstlich konstruieren. Würde wohl, wenn die Grafschaft Suffolk an Serbien
grenzte und die Bewohner von Suffolk zu zwei Fünftel aus Engländern und
drei Fünftel aus Serben beständen, der Friedenskongreß entscheiden, daß Suffolk
dem serbischen Staate einverleibt werden müßte, oder würde es nicht vielmehr
heißen, daß man in einem solchen Fall die Stimmen nicht „zählen", sondern
„wogen" müsse? Und daß es zum Besten der Gesamtbevölkerung der betreffenden
Provinz und auch in weltwirtschaftlicher Beziehung das Richtige ist, in solchem
Falle nicht bloß mit der Anzahl der Menschen zu rechnen, sondern auch Kultur¬
werte aller Art mit einzuschätzen? Es ist wohl kaum anzunehmen, daß, um ein
zweites Beispiel anzuführen, wenn das Departement Dordogne Portugal benachbart
wäre, bei einer Einwohnerschaft, die zu zwei Fünfteln aus Franzosen und drei
Fünfteln aus Portugiesen bestünde, nur deshalb das Departement dem portugiesischen
Staate zugesprochen werden würde. Oder würden die Vereinigten Staaten damit
einverstanden sein, Texas an Mexiko abzutreten, wenn Texas zu ein Fünftel mehr
von den Mexikanern als von Acmkees bewohnt wäre? Hat Preußen, abgesehen
von allen andern Momenten, nicht das wohlbegründete unantastbare Recht aus
eine Provinz, die schon mehr als 125 Jahre zu ihm gehört, die bei ihrer Auf¬
nahme in den preußischen Staat aus verunkrauteten Ackern, Sümpfen und schlecht
gehaltenen Wäldern, elenden Dörfern und Marktflecken bestand, und die unter
einem ungeheueren Aufwand von deutscher Arbeit, deutschem Geiste und von
Milliarden in einen Bezirk verwandelt wurde, dessen blühende Fluren und wohl-
geordnete Gemeinwesen jedem Besucher auffallen? Weshalb soll der deutsche
Staat schlechter gestellt werden, als der geringste Arbeiter, der heute das Recht
für sich beansprucht, den Erfolg seiner Arbeit für sich zu behalten?

Als es in den letzten Tagen des Dezember nach dein mit einem die deutsche
Bevölkerung geradezu versöhnenden Pomp inszenierten Einzuge Paderewskrs in
Posen zu einem Zusammenstoß zwischen Polen und Deutschen gekommen war,
weil die Stadt nicht bloß mit polnischen, sondern auch mit französischen und
amerikanischen Flaggen geschmückt wurde, was die Empfindungen der frisch aus
dem Felde zurückkehrenden deutschen Soldaten naturgemäß verletzte, bemächtigten
sich die Polen bekanntlich der Stadt und des größten Teiles der Provinz Posen.
Sie motivierten dies damit, daß die Deutschen mit der „Schießerei" angefangen
hätten. In Wahrheit — dafür gibt es Dutzende von sicheren Beweisen — hatten
die Polen den Pulses längst und systematisch vorbereitet. Im übrigen versicherten
sie, daß sie mit der Besetzung von Stadt und Provinz Posen der Entscheidung der
Friedenskonferenz nicht „vorgreifen" wollten, daß sie vielmehr die Gewalt nur an sich
genommen hatten, um „Ruhe und Ordnung" zu schaffen, daß aber die Provinz Posen
auf der Friedenskonferenz „sowieso" den Polen zugesprochen werden würde. Das
bloße Auftauchen dieser Möglichkeit allein genügte schon, die deutschen Bewohner
aller Schichten und aller Konfessionen in größte Aufregung zu versetzen und dies,
obwohl vielfach angenommen wird, daß die Lasten der Staatsbürger Polens auch
nicht annähernd so groß sein werden, wie diejenigen, die die Bürger Deutschlands
nach dem Kriege zu tragen haben werden. Die deutschen Einwohner der Provinz
Posen — übrigens auch diejenigen Polens —, die seit Jahrhunderten mit den
Polen zusammenleben, kennen eben die einschlägigen Verhältnisse zu genau, um
nicht zu wissen, daß die Aufrichtung eines polnischen Staates und die Einverleibung
der Provinz Posen in denselben für alle Bewohner — auch für die polnischen —
die nachteiligsten wirtschaftlichen Folgen und für die nichtpolnischen Bürger auch
noch sonstige schwerwiegende Nachteile, um nicht zu sagen Gefahren, mit sich
bringen würde. Denn jeder, der den polnischen Volkscharakter kennt, weiß, daß


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[0144] Soll die Provinz Posen dem Polnischen Staate einverleibt werden? Wie sie Posen ist, nur deshalb gewaltsam aus ihrer Kultur herauszureißen und mit einer weit rückständigeren zu verbinden, weil sie vor 128 Jahren zu dem jetzt neu zu bildenden polnischen Staate gehört hat und weil drei Fünftel ihrer Bewohner Polen sind, während zwei Fünftel dem Deutschtum angehören? ES liegt hier, wie schon oben erwähnt, ein ganz besonderer Fall vor, und darum ist es schwer, ein analoges Beispiel zu nennen. Man könnte sich allenfalls Beispiele künstlich konstruieren. Würde wohl, wenn die Grafschaft Suffolk an Serbien grenzte und die Bewohner von Suffolk zu zwei Fünftel aus Engländern und drei Fünftel aus Serben beständen, der Friedenskongreß entscheiden, daß Suffolk dem serbischen Staate einverleibt werden müßte, oder würde es nicht vielmehr heißen, daß man in einem solchen Fall die Stimmen nicht „zählen", sondern „wogen" müsse? Und daß es zum Besten der Gesamtbevölkerung der betreffenden Provinz und auch in weltwirtschaftlicher Beziehung das Richtige ist, in solchem Falle nicht bloß mit der Anzahl der Menschen zu rechnen, sondern auch Kultur¬ werte aller Art mit einzuschätzen? Es ist wohl kaum anzunehmen, daß, um ein zweites Beispiel anzuführen, wenn das Departement Dordogne Portugal benachbart wäre, bei einer Einwohnerschaft, die zu zwei Fünfteln aus Franzosen und drei Fünfteln aus Portugiesen bestünde, nur deshalb das Departement dem portugiesischen Staate zugesprochen werden würde. Oder würden die Vereinigten Staaten damit einverstanden sein, Texas an Mexiko abzutreten, wenn Texas zu ein Fünftel mehr von den Mexikanern als von Acmkees bewohnt wäre? Hat Preußen, abgesehen von allen andern Momenten, nicht das wohlbegründete unantastbare Recht aus eine Provinz, die schon mehr als 125 Jahre zu ihm gehört, die bei ihrer Auf¬ nahme in den preußischen Staat aus verunkrauteten Ackern, Sümpfen und schlecht gehaltenen Wäldern, elenden Dörfern und Marktflecken bestand, und die unter einem ungeheueren Aufwand von deutscher Arbeit, deutschem Geiste und von Milliarden in einen Bezirk verwandelt wurde, dessen blühende Fluren und wohl- geordnete Gemeinwesen jedem Besucher auffallen? Weshalb soll der deutsche Staat schlechter gestellt werden, als der geringste Arbeiter, der heute das Recht für sich beansprucht, den Erfolg seiner Arbeit für sich zu behalten? Als es in den letzten Tagen des Dezember nach dein mit einem die deutsche Bevölkerung geradezu versöhnenden Pomp inszenierten Einzuge Paderewskrs in Posen zu einem Zusammenstoß zwischen Polen und Deutschen gekommen war, weil die Stadt nicht bloß mit polnischen, sondern auch mit französischen und amerikanischen Flaggen geschmückt wurde, was die Empfindungen der frisch aus dem Felde zurückkehrenden deutschen Soldaten naturgemäß verletzte, bemächtigten sich die Polen bekanntlich der Stadt und des größten Teiles der Provinz Posen. Sie motivierten dies damit, daß die Deutschen mit der „Schießerei" angefangen hätten. In Wahrheit — dafür gibt es Dutzende von sicheren Beweisen — hatten die Polen den Pulses längst und systematisch vorbereitet. Im übrigen versicherten sie, daß sie mit der Besetzung von Stadt und Provinz Posen der Entscheidung der Friedenskonferenz nicht „vorgreifen" wollten, daß sie vielmehr die Gewalt nur an sich genommen hatten, um „Ruhe und Ordnung" zu schaffen, daß aber die Provinz Posen auf der Friedenskonferenz „sowieso" den Polen zugesprochen werden würde. Das bloße Auftauchen dieser Möglichkeit allein genügte schon, die deutschen Bewohner aller Schichten und aller Konfessionen in größte Aufregung zu versetzen und dies, obwohl vielfach angenommen wird, daß die Lasten der Staatsbürger Polens auch nicht annähernd so groß sein werden, wie diejenigen, die die Bürger Deutschlands nach dem Kriege zu tragen haben werden. Die deutschen Einwohner der Provinz Posen — übrigens auch diejenigen Polens —, die seit Jahrhunderten mit den Polen zusammenleben, kennen eben die einschlägigen Verhältnisse zu genau, um nicht zu wissen, daß die Aufrichtung eines polnischen Staates und die Einverleibung der Provinz Posen in denselben für alle Bewohner — auch für die polnischen — die nachteiligsten wirtschaftlichen Folgen und für die nichtpolnischen Bürger auch noch sonstige schwerwiegende Nachteile, um nicht zu sagen Gefahren, mit sich bringen würde. Denn jeder, der den polnischen Volkscharakter kennt, weiß, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/144>, abgerufen am 01.09.2024.