Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Während des Krieges hat die Zahl der in höheren Berufen tätigen Frauen Der Kreis der Frauen, die den zahnärztlichen Beruf ergreifen, erweitert sich Eine starke Entwicklung wies vor dem Kriege der Beruf der Oberlehrerin Eine beachtenswerte Erweiterung hat während des Krieges das Arbeits¬ Sowohl quantitativ als auch qualitativ erweitert hat sich in den letzten °) Die folgenden Angaben stützen sich auf die Untersuchung von "Dr. Hilde Nadomski in dem bereits erwähnten Buch "Die Probleme der Frauenarbeit in der Übergangswirtschaft". Grenzboten II 1919 10
Während des Krieges hat die Zahl der in höheren Berufen tätigen Frauen Der Kreis der Frauen, die den zahnärztlichen Beruf ergreifen, erweitert sich Eine starke Entwicklung wies vor dem Kriege der Beruf der Oberlehrerin Eine beachtenswerte Erweiterung hat während des Krieges das Arbeits¬ Sowohl quantitativ als auch qualitativ erweitert hat sich in den letzten °) Die folgenden Angaben stützen sich auf die Untersuchung von „Dr. Hilde Nadomski in dem bereits erwähnten Buch „Die Probleme der Frauenarbeit in der Übergangswirtschaft". Grenzboten II 1919 10
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0125" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335535"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_479"> Während des Krieges hat die Zahl der in höheren Berufen tätigen Frauen<lb/> in Verfolg der bereits vor dem Kriege bestehenden Tendenz stark zugenommen. °1<lb/> Bereits im Jahre 1917 gab es in Deutschland 416 Ärztinnen — gegenwärtig<lb/> soll die Zahl 500 erreicht worden sein — von denen 34 Prozent in Städten<lb/> unter 100000 Einwohnern tätig waren, ja in den mittleren Städten hat in den<lb/> letzten Jahren das stärkste Vordringen der Ärztin stattgefunden, doch ist nicht zu<lb/> übersehen, daß sie auch in ganz kleinen Städten und auf dem Lande Fuß faßt.<lb/> Eine Ärztin wurde von der Regierung nach Ostpreußen geschickt, wo sie Land¬<lb/> praxis ausübt. Neben praktischen Ärztinnen gibt es Spezialärztinnen auf allen<lb/> Gebieten. Als Kassenärztinnen sind sie fast überall zugelassen. Auch als Assistenz-<lb/> ärztinnen an Universitätskliniken und Krankenhäusern haben sie während des<lb/> Krieges in großer Zahl gewirkt, überdies waren Säuglingsheime, Waisenhäuser,<lb/> Lungenheilanstalten, hygienische Institute usw. die Stätten ihrer Arbeit zum Teil<lb/> in leitender Stellung. Die Zahl der in städtischen Diensten stehenden Schul¬<lb/> ärztinnen nimmt langsam zu — es gibt zurzeit deren 25 —, in Berlin war<lb/> eine Ärztin als Polizcmrztin tätig.</p><lb/> <p xml:id="ID_480"> Der Kreis der Frauen, die den zahnärztlichen Beruf ergreifen, erweitert sich<lb/> ebensalls allmählich: 1917 gab es etwa 100 Zahnärztinnen. Wenn sie sich vor-<lb/> wiegend in Großstädten niedergelassen haben, so fehlen sie auch nicht in kleinen<lb/> Städten unter 10000 Einwohnern. Vereinzelt sind sie in der Schulzahnpflege<lb/> beschäftigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_481"> Eine starke Entwicklung wies vor dem Kriege der Beruf der Oberlehrerin<lb/> auf, der sich organisch auf dem bereits fest eingebürgerten Lehrerinberuf aufbaute<lb/> und durch Zulassung der seminaristisch gebildeten Lehrerin zum Universität^<lb/> studium weiten Kreisen offen stand. Im Kriege erstreckte sich die Tätigkeit der<lb/> Oberlehrerin auch auf Knabenschulen. Bereits 1916 waren an preußischen<lb/> höheren Knabenschulen 411 weibliche Lehrkräfte eingestellt, davon 90 an den<lb/> staatlichen und städtischen Gymnasien und Realgymnasien von Groß-Berlin. In<lb/> Bayern waren drei Lehrerinnen Mitglieder der Kgl. Prüfungskommission für das<lb/> Abiturientenexcnneu. Der weibliche Schuldirektor ist nicht nur in privaten, sondern<lb/> auch in öffentlichen Anstalten zu finden. Eine Oberlehrerin in Leipzig erhielt<lb/> vom sächsischen Mltusministerinm den Auftrag, eine Vorlesung in französischer<lb/> Sprache und Übungen im neufranzösischen am Romanischen Seminar der<lb/> Universität abzuhalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_482"> Eine beachtenswerte Erweiterung hat während des Krieges das Arbeits¬<lb/> gebiet der Juristinnen erfahren. Waren sie vor dem Kriege hauptsächlich volks¬<lb/> wirtschaftlich und sozial beschäftigt, so haben sie während desselben auch rein<lb/> juristische Stellungen eingenommen. Es arbeiteten Jnristinnen beim Nechts-<lb/> anwlllt und Notar, in NechtsauSkunfts- und Rechtsschutzstellen, bei den Kommunal¬<lb/> verwaltungen, an Kriegsamtstellen, außerdem in industriellen und kaufmännischen<lb/> Betrieben, in Kriegsgesellschaften usw., auch unterrichteten sie an Frauen-, Fort-<lb/> bildungs- und privaten Hochschulen. Vier Juristiunen in Berlin, Hamburg,<lb/> Cottbus und Bonn haben bei Anwälten die volle Anwaltspraxis einschließlich<lb/> Sprechstunde erledigt. Zu beachten ist, daß es der Juristin bis jetzt verwehrt<lb/> war, die systematische praktische Ausbildung der männlichen Kollegen zu genießen<lb/> und Staatsprüfungen abzulegen. Ihre Leistungen sind daher, wo sie befriedigten,<lb/> um so höher zu bewerten.</p><lb/> <p xml:id="ID_483" next="#ID_484"> Sowohl quantitativ als auch qualitativ erweitert hat sich in den letzten<lb/> Jahren auch der Wirkungskreis der Nationalokonomin. Neben mannigfacher so¬<lb/> zialer Berufstätigkeit und wissenschaftlicher Arbeit haben die Nationalökonominnen<lb/> wie die Juristinnen bei Kommunalverwaltungen und staatlichen Behörden, in<lb/> Kriegsorganisationen, in der Industrie und bei Banken Verwendung für ihre<lb/> Fachkenntnisse gefunden und sind auch vielfach im Lehramt tätig gewesen. Be-</p><lb/> <note xml:id="FID_34" place="foot"> °) Die folgenden Angaben stützen sich auf die Untersuchung von „Dr. Hilde Nadomski<lb/> in dem bereits erwähnten Buch „Die Probleme der Frauenarbeit in der Übergangswirtschaft".</note><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1919 10</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0125]
Während des Krieges hat die Zahl der in höheren Berufen tätigen Frauen
in Verfolg der bereits vor dem Kriege bestehenden Tendenz stark zugenommen. °1
Bereits im Jahre 1917 gab es in Deutschland 416 Ärztinnen — gegenwärtig
soll die Zahl 500 erreicht worden sein — von denen 34 Prozent in Städten
unter 100000 Einwohnern tätig waren, ja in den mittleren Städten hat in den
letzten Jahren das stärkste Vordringen der Ärztin stattgefunden, doch ist nicht zu
übersehen, daß sie auch in ganz kleinen Städten und auf dem Lande Fuß faßt.
Eine Ärztin wurde von der Regierung nach Ostpreußen geschickt, wo sie Land¬
praxis ausübt. Neben praktischen Ärztinnen gibt es Spezialärztinnen auf allen
Gebieten. Als Kassenärztinnen sind sie fast überall zugelassen. Auch als Assistenz-
ärztinnen an Universitätskliniken und Krankenhäusern haben sie während des
Krieges in großer Zahl gewirkt, überdies waren Säuglingsheime, Waisenhäuser,
Lungenheilanstalten, hygienische Institute usw. die Stätten ihrer Arbeit zum Teil
in leitender Stellung. Die Zahl der in städtischen Diensten stehenden Schul¬
ärztinnen nimmt langsam zu — es gibt zurzeit deren 25 —, in Berlin war
eine Ärztin als Polizcmrztin tätig.
Der Kreis der Frauen, die den zahnärztlichen Beruf ergreifen, erweitert sich
ebensalls allmählich: 1917 gab es etwa 100 Zahnärztinnen. Wenn sie sich vor-
wiegend in Großstädten niedergelassen haben, so fehlen sie auch nicht in kleinen
Städten unter 10000 Einwohnern. Vereinzelt sind sie in der Schulzahnpflege
beschäftigt.
Eine starke Entwicklung wies vor dem Kriege der Beruf der Oberlehrerin
auf, der sich organisch auf dem bereits fest eingebürgerten Lehrerinberuf aufbaute
und durch Zulassung der seminaristisch gebildeten Lehrerin zum Universität^
studium weiten Kreisen offen stand. Im Kriege erstreckte sich die Tätigkeit der
Oberlehrerin auch auf Knabenschulen. Bereits 1916 waren an preußischen
höheren Knabenschulen 411 weibliche Lehrkräfte eingestellt, davon 90 an den
staatlichen und städtischen Gymnasien und Realgymnasien von Groß-Berlin. In
Bayern waren drei Lehrerinnen Mitglieder der Kgl. Prüfungskommission für das
Abiturientenexcnneu. Der weibliche Schuldirektor ist nicht nur in privaten, sondern
auch in öffentlichen Anstalten zu finden. Eine Oberlehrerin in Leipzig erhielt
vom sächsischen Mltusministerinm den Auftrag, eine Vorlesung in französischer
Sprache und Übungen im neufranzösischen am Romanischen Seminar der
Universität abzuhalten.
Eine beachtenswerte Erweiterung hat während des Krieges das Arbeits¬
gebiet der Juristinnen erfahren. Waren sie vor dem Kriege hauptsächlich volks¬
wirtschaftlich und sozial beschäftigt, so haben sie während desselben auch rein
juristische Stellungen eingenommen. Es arbeiteten Jnristinnen beim Nechts-
anwlllt und Notar, in NechtsauSkunfts- und Rechtsschutzstellen, bei den Kommunal¬
verwaltungen, an Kriegsamtstellen, außerdem in industriellen und kaufmännischen
Betrieben, in Kriegsgesellschaften usw., auch unterrichteten sie an Frauen-, Fort-
bildungs- und privaten Hochschulen. Vier Juristiunen in Berlin, Hamburg,
Cottbus und Bonn haben bei Anwälten die volle Anwaltspraxis einschließlich
Sprechstunde erledigt. Zu beachten ist, daß es der Juristin bis jetzt verwehrt
war, die systematische praktische Ausbildung der männlichen Kollegen zu genießen
und Staatsprüfungen abzulegen. Ihre Leistungen sind daher, wo sie befriedigten,
um so höher zu bewerten.
Sowohl quantitativ als auch qualitativ erweitert hat sich in den letzten
Jahren auch der Wirkungskreis der Nationalokonomin. Neben mannigfacher so¬
zialer Berufstätigkeit und wissenschaftlicher Arbeit haben die Nationalökonominnen
wie die Juristinnen bei Kommunalverwaltungen und staatlichen Behörden, in
Kriegsorganisationen, in der Industrie und bei Banken Verwendung für ihre
Fachkenntnisse gefunden und sind auch vielfach im Lehramt tätig gewesen. Be-
°) Die folgenden Angaben stützen sich auf die Untersuchung von „Dr. Hilde Nadomski
in dem bereits erwähnten Buch „Die Probleme der Frauenarbeit in der Übergangswirtschaft".
Grenzboten II 1919 10
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |