Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.Das Kernproblem des neuen Entwurfs der Reichsverfassung sogenannten Reichsaufsicht (§ 4) beträchtlich erweitert und den einzelnen deutschen Auf dem Wege nun zur gemeindeutschen politischen Flurbereinigung findet Er und ebenso die Mehrzahl jener, die das Ende Preußens als konsolidierten 2) Diesen Gesichtspunkt betonte der Staatssekretär auch besonders bei den Beratungen
i>er einzelstaatlichen Delegierten am 26. Januar. Das Kernproblem des neuen Entwurfs der Reichsverfassung sogenannten Reichsaufsicht (§ 4) beträchtlich erweitert und den einzelnen deutschen Auf dem Wege nun zur gemeindeutschen politischen Flurbereinigung findet Er und ebenso die Mehrzahl jener, die das Ende Preußens als konsolidierten 2) Diesen Gesichtspunkt betonte der Staatssekretär auch besonders bei den Beratungen
i>er einzelstaatlichen Delegierten am 26. Januar. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0099" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335281"/> <fw type="header" place="top"> Das Kernproblem des neuen Entwurfs der Reichsverfassung</fw><lb/> <p xml:id="ID_396" prev="#ID_395"> sogenannten Reichsaufsicht (§ 4) beträchtlich erweitert und den einzelnen deutschen<lb/> Freistaaten eine Art konstitutionelles Mindestprogramm von Neichswegen vor¬<lb/> zeichnet (Z 12).</p><lb/> <p xml:id="ID_397"> Auf dem Wege nun zur gemeindeutschen politischen Flurbereinigung findet<lb/> ber Verfassungsgesetzgeber seinen Weg versperrt durch die ungeheure, vier Siebentel<lb/> des Gesamtareals umfassende Latifundie Preußen. Gern Hütte er darauf ver¬<lb/> zichtet, diese „heikle und gefährliche Frage anzupacken", doch wäre nach seiner<lb/> Ansicht solch Verzicht mit der „Verpfuschung" seines Werks gleichbedeutend gewesen.<lb/> Dies namentlich deswegen, weil mit der Aufrechterhaltung des preußischen Ein-<lb/> Heitsstaates auch die preußische Hegemonie erhalten bleiben würdet) und damit<lb/> die „partikularistischen Spannungen innerhalb Deutschlands", sowie die „Belastung<lb/> seiner internationalen Stellung". Man mag diesen Motiven Gewicht beilegen<lb/> oder nicht — es ließe sich einwenden, daß im künftigen Reiche die-verfassungs¬<lb/> rechtlichen Voraussetzungen der preußischen Führerstellung ja nicht wiederzukehren<lb/> brauchten und dadurch zum mindesten eine starke Entspannung erzielt würde, ferner<lb/> daß unsere Gegner zwar auf Autokratie uno.prussmnikme losschlagen, aber die<lb/> materielle deutsche L^acht als solche meinen — das Entscheidende ist hier, und<lb/> gleiches gilt von den übrigen Argumenten der Denkschrift, uicht ihre Richtigkeit<lb/> oder Unrichtigkeit, sondern die Tatsache, daß sie sämtlich an eine Vorbedingung<lb/> geknüpft find. Der Politiker Preuß glaubt auf dem von ihm gezeichneten Wege<lb/> sein ersehntes Ziel, die „Erhaltung. Festigung und Kräftigung der nationalen<lb/> Einheit" sicher erreichen zu können. Mit allem Respekt vor seiner Urteilskraft —<lb/> können wir das ohne weiteres annehmen?</p><lb/> <p xml:id="ID_398" next="#ID_399"> Er und ebenso die Mehrzahl jener, die das Ende Preußens als konsolidierten<lb/> Großstaats gekommen glauben, wollen dies nur unter der Voraussetzung, daß<lb/> dein Reichs gegeben werde, was man Preußen nimmt. Sie fühlen die ungeheure<lb/> Verantwortung, in das Zellgewebe des deutschen Staatenlebens hier trennend,<lb/> dort zusammenfügend einzugreifen — es handelt sich ja nicht nur um den Norden;<lb/> was Preußen naht ist. müßte auch Bayern billig sein — und wollen beizeiten<lb/> den neuen Funktionär und Kristallisationspunkt der Macht bezeichnet haben, ehe<lb/> sie die bisherigen Kraftzentren lahmlegen. Aber wer bürgt ihnen dafür, daß die<lb/> Ströme des Lebens in den neuen künstlich gewiesenen Bahnen weiter kreisen,<lb/> daß sie nicht Lebendiges töteten und einen Homunkulus schufen? Liegen die<lb/> Dinge wirtlich so, daß wir im Augenblick der Zerlegung Preußens, der paßlichen<lb/> Schablonisicrung des deutschen Einzelstaatsbegriffs die zentrale Reichsgewalt fix<lb/> und fertig haben, deren Macht angeblich so groß sein soll, daß sie die Bundes¬<lb/> staaten zu Selbstverwaltungskörpern höherer Art herabdrückt, wie von württem¬<lb/> bergischer Seite bei den ersten Berliner Beratungen besorgt geltend gemacht<lb/> wurde? Wäre das der Fall, man konnte über unser Problem ruhig zur'Tages¬<lb/> ordnung übergehen. Aber nach allem, was wir heute erleben — dabei soll das<lb/> wahnwitzige oder verbrecherische Verhalten der Braunschweiger Reichsfeinde als<lb/> Episode gar nicht in Rechnung gestellt werden — kann man doch kaum mit<lb/> gutem Gewissen sagen, daß bei uns jene Opfergesinnung vorhanden ist, die das<lb/> schöne Wort des Volksbeauftraglen Landsberg: „Laßt uns in Deutschland auf¬<lb/> gehen" zu einer Wahrheit macht. Es wird nicht ganz so schlimm sein, wie die<lb/> „Kreuzzeitung" schreibt: jetzt hält man den leer gewordenen ReichSgedanken hoch<lb/> und fordert von Preußen seine Selbstvernichtung einem Staatswesen zuliebe, von<lb/> dem nur noch die Grenzen stehen und auch die leider Gottes nicht mehr." Aber<lb/> wie weit wir noch bei uns miaute von nmtarischem Denken und Fühlen entfernt<lb/> sind, das erfährt doch eine grelle Beleuchtung durch das Verhalten außer¬<lb/> preußischer Staaten, die ihre Lüsternheit nach Beute aus dem zerfallenden Erbe<lb/> der Hegemonialmacht kaum bemeistern können, wie zum Beispiel Sachsen, aber<lb/> Zeter und Mordio schreien, wenn die Grundsätze der politischen Flurbereinigung</p><lb/> <note xml:id="FID_16" place="foot"> 2) Diesen Gesichtspunkt betonte der Staatssekretär auch besonders bei den Beratungen<lb/> i>er einzelstaatlichen Delegierten am 26. Januar.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0099]
Das Kernproblem des neuen Entwurfs der Reichsverfassung
sogenannten Reichsaufsicht (§ 4) beträchtlich erweitert und den einzelnen deutschen
Freistaaten eine Art konstitutionelles Mindestprogramm von Neichswegen vor¬
zeichnet (Z 12).
Auf dem Wege nun zur gemeindeutschen politischen Flurbereinigung findet
ber Verfassungsgesetzgeber seinen Weg versperrt durch die ungeheure, vier Siebentel
des Gesamtareals umfassende Latifundie Preußen. Gern Hütte er darauf ver¬
zichtet, diese „heikle und gefährliche Frage anzupacken", doch wäre nach seiner
Ansicht solch Verzicht mit der „Verpfuschung" seines Werks gleichbedeutend gewesen.
Dies namentlich deswegen, weil mit der Aufrechterhaltung des preußischen Ein-
Heitsstaates auch die preußische Hegemonie erhalten bleiben würdet) und damit
die „partikularistischen Spannungen innerhalb Deutschlands", sowie die „Belastung
seiner internationalen Stellung". Man mag diesen Motiven Gewicht beilegen
oder nicht — es ließe sich einwenden, daß im künftigen Reiche die-verfassungs¬
rechtlichen Voraussetzungen der preußischen Führerstellung ja nicht wiederzukehren
brauchten und dadurch zum mindesten eine starke Entspannung erzielt würde, ferner
daß unsere Gegner zwar auf Autokratie uno.prussmnikme losschlagen, aber die
materielle deutsche L^acht als solche meinen — das Entscheidende ist hier, und
gleiches gilt von den übrigen Argumenten der Denkschrift, uicht ihre Richtigkeit
oder Unrichtigkeit, sondern die Tatsache, daß sie sämtlich an eine Vorbedingung
geknüpft find. Der Politiker Preuß glaubt auf dem von ihm gezeichneten Wege
sein ersehntes Ziel, die „Erhaltung. Festigung und Kräftigung der nationalen
Einheit" sicher erreichen zu können. Mit allem Respekt vor seiner Urteilskraft —
können wir das ohne weiteres annehmen?
Er und ebenso die Mehrzahl jener, die das Ende Preußens als konsolidierten
Großstaats gekommen glauben, wollen dies nur unter der Voraussetzung, daß
dein Reichs gegeben werde, was man Preußen nimmt. Sie fühlen die ungeheure
Verantwortung, in das Zellgewebe des deutschen Staatenlebens hier trennend,
dort zusammenfügend einzugreifen — es handelt sich ja nicht nur um den Norden;
was Preußen naht ist. müßte auch Bayern billig sein — und wollen beizeiten
den neuen Funktionär und Kristallisationspunkt der Macht bezeichnet haben, ehe
sie die bisherigen Kraftzentren lahmlegen. Aber wer bürgt ihnen dafür, daß die
Ströme des Lebens in den neuen künstlich gewiesenen Bahnen weiter kreisen,
daß sie nicht Lebendiges töteten und einen Homunkulus schufen? Liegen die
Dinge wirtlich so, daß wir im Augenblick der Zerlegung Preußens, der paßlichen
Schablonisicrung des deutschen Einzelstaatsbegriffs die zentrale Reichsgewalt fix
und fertig haben, deren Macht angeblich so groß sein soll, daß sie die Bundes¬
staaten zu Selbstverwaltungskörpern höherer Art herabdrückt, wie von württem¬
bergischer Seite bei den ersten Berliner Beratungen besorgt geltend gemacht
wurde? Wäre das der Fall, man konnte über unser Problem ruhig zur'Tages¬
ordnung übergehen. Aber nach allem, was wir heute erleben — dabei soll das
wahnwitzige oder verbrecherische Verhalten der Braunschweiger Reichsfeinde als
Episode gar nicht in Rechnung gestellt werden — kann man doch kaum mit
gutem Gewissen sagen, daß bei uns jene Opfergesinnung vorhanden ist, die das
schöne Wort des Volksbeauftraglen Landsberg: „Laßt uns in Deutschland auf¬
gehen" zu einer Wahrheit macht. Es wird nicht ganz so schlimm sein, wie die
„Kreuzzeitung" schreibt: jetzt hält man den leer gewordenen ReichSgedanken hoch
und fordert von Preußen seine Selbstvernichtung einem Staatswesen zuliebe, von
dem nur noch die Grenzen stehen und auch die leider Gottes nicht mehr." Aber
wie weit wir noch bei uns miaute von nmtarischem Denken und Fühlen entfernt
sind, das erfährt doch eine grelle Beleuchtung durch das Verhalten außer¬
preußischer Staaten, die ihre Lüsternheit nach Beute aus dem zerfallenden Erbe
der Hegemonialmacht kaum bemeistern können, wie zum Beispiel Sachsen, aber
Zeter und Mordio schreien, wenn die Grundsätze der politischen Flurbereinigung
2) Diesen Gesichtspunkt betonte der Staatssekretär auch besonders bei den Beratungen
i>er einzelstaatlichen Delegierten am 26. Januar.
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