Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.Die polnischen Gebietsansprüche im Tichte der Statistik machte, um einen Druck auf die Bevölkerung dahin auszuüben, daß sich möglichst Abgesehen von dieser allgemeinen Bemängelung erhebt aber Frejlich eine Einen zweiten Vorwurf glaubt Frejlich der preußischen Statistik daraus Gegen diese Erläuterung sind vereinzelt von Theoretikern der Statistik s*
Die polnischen Gebietsansprüche im Tichte der Statistik machte, um einen Druck auf die Bevölkerung dahin auszuüben, daß sich möglichst Abgesehen von dieser allgemeinen Bemängelung erhebt aber Frejlich eine Einen zweiten Vorwurf glaubt Frejlich der preußischen Statistik daraus Gegen diese Erläuterung sind vereinzelt von Theoretikern der Statistik s*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0091" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335273"/> <fw type="header" place="top"> Die polnischen Gebietsansprüche im Tichte der Statistik</fw><lb/> <p xml:id="ID_371" prev="#ID_370"> machte, um einen Druck auf die Bevölkerung dahin auszuüben, daß sich möglichst<lb/> viele als Polen bezeichnen. Es bedeutet also lediglich eine Abwehr, wenn die<lb/> Ausführungsbestimmungen der preußischen Negierung darauf hinweisen, daß in<lb/> sprachlich gemischten Gegenden besonderes Gewicht auf die Gewinnung zuverlässiger<lb/> Zähler gelegt werden müsse, und wenn den Landräten die selbstverständliche Pflicht<lb/> auferlegt wird, sich einer genauen Durchsicht der Zählungsergebnisse zu unterziehen<lb/> und erforderlichenfalls eine örtliche Nachprüfung vorzunehmen; — eine Pflicht,<lb/> die sie übrigens generell für den ganzen Umfang der Zählung in allen Landes-<lb/> teilen haben. Übrigens sind, wie jeder Kenner der Verhältnisse weiß, die Mög¬<lb/> lichkeiten einer staatlichen Einwirkung auf die polnische Bevölkerung ziemlich<lb/> gering. Im ganzen wird der Statistiker gerade daraus, daß der Wirkung des<lb/> polnischen Druckes auf die Bevölkerung durch staatliche Maßnahmen entgegen¬<lb/> getreten wird, das Vertrauen schöpfen, daß das schließliche Ergebnis so zutreffend<lb/> wird, wie es in Gegenden des Nationalitütenkampfes überhaupt werden kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_372"> Abgesehen von dieser allgemeinen Bemängelung erhebt aber Frejlich eine<lb/> Reihe von Einzelvorwürfen gegen die preußische Nationalitäteustaiislik. Einmal<lb/> bemängelt er. daß neben der polnischen auch die kassubische und die masurische<lb/> Muttersprache erfragt wird; beides seien lediglich Diät>-lie und eine kassubische und<lb/> masurische Sprache sei nur „eine Originalerfindung der preußisch-deutschen Ver¬<lb/> waltungsbeamten und Statistiker". Was die kassubische Sprache anbetrifft, so<lb/> genügt es demgegenüber, darauf hinzuweisen, daß nicht nur deutsche Sprachforscher<lb/> von angesehenen Rufe, sondern gerade auch ein polnischer Sprachforscher, nämlich<lb/> der Krakauer Professor Dr. Ramult die kassubische Sprache nicht als einen Dialekt<lb/> des polnischen anerkennen wollen, fort-rü für sie die Eigenschaft einer selbständigen<lb/> Sprache in Anspruch nehmen. Sachlich steht es mit der masurischen Sprache<lb/> nicht anders. Mag sie im Beginn des Mittelalters auch mit der damaligen<lb/> polnischen Sprache identisch gewesen sein, so hat sie sich doch seitdem in Worischatz,<lb/> Aussprache und Grammatik so selbständig entwickelt, daß sie heute als eigene<lb/> Sprache anzusehen ist. Das erklärt sich aus der ganzen geschichtlichen Entwicklung,<lb/> die seit der ersten Besiedelung Masurens den Gegensatz zwischen Masuren und<lb/> Polen immer mehr verstärkt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_373"> Einen zweiten Vorwurf glaubt Frejlich der preußischen Statistik daraus<lb/> machen zu können, daß sie Personen mit doppeljer Muttersprache kenne; er liebt<lb/> starke Ausdrücke und nennt dies daher eine „physiologische und statistische Unge-<lb/> heuerlichkeit" (monstruositö). Wie verhält es sich damit? In Preußen wurde<lb/> erfragt „die Muttersprache" und zwar mit der Erläuterung: „In der Siegel besitzt<lb/> jeder Mensch nur eine Muttersprache, welche ihm von Jugend auf am geläufigsten<lb/> in und in welcher er denkt und auch betet. .Kinder, welche noch nicht sprechen<lb/> und auch Stumme sind der Muttersprache der Eltern, unter Umständen also auch<lb/> zwei Muttersprachen zuzuzählen."</p><lb/> <p xml:id="ID_374" next="#ID_375"> Gegen diese Erläuterung sind vereinzelt von Theoretikern der Statistik<lb/> Bedenken erhoben worden; daß sie aber den Bedürfnissen des praktischen Lebens<lb/> gerade in gemischtsprachigen Gegenden gerecht wird, wird kaum bestritten werden<lb/> können. Denn gerade in diesen Gegenden zeigt die tägliche Erfahrung, daß es<lb/> Personen gibt, die von Kind auf zwei Sprachen gleich gut sprechen, und zwar<lb/> keineswegs nur in den in der obigen Erläuterung aufgeführten Fällen, die viel¬<lb/> mehr nur als Beispiele zu bewerten sind. Es ist in Oberschlesien z. V. durchaus<lb/> nichts Ungewöhnliches, daß Leute in ein und demselben Satze abwechselnd deutsch<lb/> und polnisch sprechen. Die Zweisprachigkeit ist daher durchaus keine Erfindung<lb/> der preußischen Statistik, wie Frejlich seinen Lesern vorzutäuschen sucht; sondern<lb/> von einem so hervorragenden Fachmann, wie dem Altmeister der deutschen Statistik<lb/> v. Mayr wird ihre Berücksichtigung geradezu aus logischen und praktischen Gründen<lb/> gefordert. Es ist nun ganz natürlich, daß diese Zweisprachigkeit sich um so<lb/> häufiger findet, je dichter die Mischung zwischen Deutschen und Polen ist, und je<lb/> mehr die Polen aus wirtschaftlichen Gründen ein Interesse daran haben, sich der<lb/> deutschen Sprache zu bedienen; denn wo das der Fall ist, da hören selbst die</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> s*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0091]
Die polnischen Gebietsansprüche im Tichte der Statistik
machte, um einen Druck auf die Bevölkerung dahin auszuüben, daß sich möglichst
viele als Polen bezeichnen. Es bedeutet also lediglich eine Abwehr, wenn die
Ausführungsbestimmungen der preußischen Negierung darauf hinweisen, daß in
sprachlich gemischten Gegenden besonderes Gewicht auf die Gewinnung zuverlässiger
Zähler gelegt werden müsse, und wenn den Landräten die selbstverständliche Pflicht
auferlegt wird, sich einer genauen Durchsicht der Zählungsergebnisse zu unterziehen
und erforderlichenfalls eine örtliche Nachprüfung vorzunehmen; — eine Pflicht,
die sie übrigens generell für den ganzen Umfang der Zählung in allen Landes-
teilen haben. Übrigens sind, wie jeder Kenner der Verhältnisse weiß, die Mög¬
lichkeiten einer staatlichen Einwirkung auf die polnische Bevölkerung ziemlich
gering. Im ganzen wird der Statistiker gerade daraus, daß der Wirkung des
polnischen Druckes auf die Bevölkerung durch staatliche Maßnahmen entgegen¬
getreten wird, das Vertrauen schöpfen, daß das schließliche Ergebnis so zutreffend
wird, wie es in Gegenden des Nationalitütenkampfes überhaupt werden kann.
Abgesehen von dieser allgemeinen Bemängelung erhebt aber Frejlich eine
Reihe von Einzelvorwürfen gegen die preußische Nationalitäteustaiislik. Einmal
bemängelt er. daß neben der polnischen auch die kassubische und die masurische
Muttersprache erfragt wird; beides seien lediglich Diät>-lie und eine kassubische und
masurische Sprache sei nur „eine Originalerfindung der preußisch-deutschen Ver¬
waltungsbeamten und Statistiker". Was die kassubische Sprache anbetrifft, so
genügt es demgegenüber, darauf hinzuweisen, daß nicht nur deutsche Sprachforscher
von angesehenen Rufe, sondern gerade auch ein polnischer Sprachforscher, nämlich
der Krakauer Professor Dr. Ramult die kassubische Sprache nicht als einen Dialekt
des polnischen anerkennen wollen, fort-rü für sie die Eigenschaft einer selbständigen
Sprache in Anspruch nehmen. Sachlich steht es mit der masurischen Sprache
nicht anders. Mag sie im Beginn des Mittelalters auch mit der damaligen
polnischen Sprache identisch gewesen sein, so hat sie sich doch seitdem in Worischatz,
Aussprache und Grammatik so selbständig entwickelt, daß sie heute als eigene
Sprache anzusehen ist. Das erklärt sich aus der ganzen geschichtlichen Entwicklung,
die seit der ersten Besiedelung Masurens den Gegensatz zwischen Masuren und
Polen immer mehr verstärkt hat.
Einen zweiten Vorwurf glaubt Frejlich der preußischen Statistik daraus
machen zu können, daß sie Personen mit doppeljer Muttersprache kenne; er liebt
starke Ausdrücke und nennt dies daher eine „physiologische und statistische Unge-
heuerlichkeit" (monstruositö). Wie verhält es sich damit? In Preußen wurde
erfragt „die Muttersprache" und zwar mit der Erläuterung: „In der Siegel besitzt
jeder Mensch nur eine Muttersprache, welche ihm von Jugend auf am geläufigsten
in und in welcher er denkt und auch betet. .Kinder, welche noch nicht sprechen
und auch Stumme sind der Muttersprache der Eltern, unter Umständen also auch
zwei Muttersprachen zuzuzählen."
Gegen diese Erläuterung sind vereinzelt von Theoretikern der Statistik
Bedenken erhoben worden; daß sie aber den Bedürfnissen des praktischen Lebens
gerade in gemischtsprachigen Gegenden gerecht wird, wird kaum bestritten werden
können. Denn gerade in diesen Gegenden zeigt die tägliche Erfahrung, daß es
Personen gibt, die von Kind auf zwei Sprachen gleich gut sprechen, und zwar
keineswegs nur in den in der obigen Erläuterung aufgeführten Fällen, die viel¬
mehr nur als Beispiele zu bewerten sind. Es ist in Oberschlesien z. V. durchaus
nichts Ungewöhnliches, daß Leute in ein und demselben Satze abwechselnd deutsch
und polnisch sprechen. Die Zweisprachigkeit ist daher durchaus keine Erfindung
der preußischen Statistik, wie Frejlich seinen Lesern vorzutäuschen sucht; sondern
von einem so hervorragenden Fachmann, wie dem Altmeister der deutschen Statistik
v. Mayr wird ihre Berücksichtigung geradezu aus logischen und praktischen Gründen
gefordert. Es ist nun ganz natürlich, daß diese Zweisprachigkeit sich um so
häufiger findet, je dichter die Mischung zwischen Deutschen und Polen ist, und je
mehr die Polen aus wirtschaftlichen Gründen ein Interesse daran haben, sich der
deutschen Sprache zu bedienen; denn wo das der Fall ist, da hören selbst die
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